Sozialhilferecht: Umfang des Anspruchs auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt eines im elterlichen Haushalt lebenden Kindes
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt laufende Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit von Januar bis einschließlich September 1990.
Die am 01.12.1989 geborene Klägerin lebt in Haushaltsgemeinschaft mit ihren Eltern, die beide bei ihrer Geburt im 5. Fachsemester
Medizin studierten. Ihre 1954 geborene Mutter hat 1976 eine Lehre als Bankkauffrau abgeschlossen, von 1983 bis 1986 auf dem
zweiten Bildungsweg die allgemeine Hochschulreife erworben und im Wintersemester 1987/88 das Medizinstudium aufgenommen. Ihr
1964 geborener Vater hat nach der Zulassung zum Medizinstudium eine -- zur Überbrückung der Wartezeit aufgenommene -- Ausbildung
zum Krankenpfleger wieder abgebrochen. In der Zeit vom Oktober 1989 bis einschließlich September 1990 erhielt ihre Mutter
monatlich 799,50 DM Ausbildungsförderung nach dem
BAföG als unverzinsliches Darlehen; ihr Vater erhielt mit Rücksicht auf anrechenbares Einkommen bzw. Unterhaltszahlung seiner Eltern
215,-- DM monatlich. Nach der Geburt der Klägerin bezogen ihre Eltern Kindergeld mit Kindergeldzuschlag in Höhe von 98,--
DM. Der Vater der Klägerin besaß darüber hinaus ein Sparguthaben mit einem Kontostand am 16.01.1990 in Höhe von 3 211,28 DM.
Am 13.12.1989 beantragten ihre Eltern für die Klägerin laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Im Antragsformular gaben sie als
"Vermögen" einen Pkw Opel, Baujahr 1986, mit dem amtlichen Kennzeichen ... an, als Eigentümer des Pkw trugen sie den Namen
... ein. Bei einer mündlichen Vorsprache des Vaters der Klägerin auf dem Sozialamt am 17.01.1990 wurde dieser um Übersendung
einer Kopie des Kraftfahrzeugbriefes gebeten. Mit Schreiben vom 06.02.1990 legten die Eltern die Kopie des Kraftfahrzeugbriefes
vor. Auf diesem ist mit Datum vom 10.10.1986 die Mutter der Klägerin als Halterin eingetragen, mit Datum vom 31.01.1990 dann
aber deren Mutter, die Zeugin ...; mit Schreiben vom 25.02.1990 und vom 07.03.1990 führte die Mutter der Klägerin hierzu noch
aus, aus dem Fahrzeugbrief ergäben sich "die Besitzverhältnisse des von uns genutzten Pkw" sowohl für die Zeit vor der Ummeldung
als auch für die Zeit nach der Ummeldung. Außerdem gab sie an, beide Eltern hätten seit Dezember 1989 außerhalb der Ausbildungsförderung
kein Einkommen erzielt. Bei den vorherigen Nebenverdiensten habe es sich um Ferienjobs gehandelt. Eine mit dem Verlust des
Studienplatzes und der Ausbildungsförderung verbundene Exmatrikulation sei ihnen nicht zumutbar. Anders als bei einer Erwerbstätigkeit
könne ihr Studium zeitlich auf die Betreuung der Klägerin abgestimmt werden.
Mit Bescheid vom 23.03.1990 lehnte die Beklagte die Hilfegewährung ab, weil die Eltern der Klägerin über verwertbares Vermögen
verfügten. Der von ihnen genutzte Pkw habe einen -- erheblich über der Vermögensfreigrenze von 4 200,-- DM liegenden -- Wiederverkaufswert
von etwa 11 000,-- DM; es sei davon auszugehen, daß er zu diesem Preis an die Großmutter der Klägerin veräußert worden sei,
andernfalls stehe ihren Eltern nach §
528 BGB ein Herausgabeanspruch zu. Damit könne der Lebensunterhalt der Klägerin sichergestellt werden.
Mit ihrem am 20.04.1990 erhobenen Widerspruch machte die Klägerin erneut geltend, eine Exmatrikulation sei für ihre Mutter,
die auf dem zweiten Bildungsweg die Hochschulreife erworben habe, eine unzumutbare Härte. Als Mutter eines fünf Monate alten
Säuglings sei sie auf dem freien Arbeitsmarkt nicht vermittelbar. Der Pkw stehe seit dem 10.10.1986, dem Datum der Erstzulassung,
im Eigentum der Großmutter der Klägerin. Nur weil ihre Mutter das Fahrzeug überwiegend nutze und aus versicherungstechnischen
Gründen sei sie auch als Halterin im Kraftfahrzeugbrief eingetragen worden. Als Vermögenswert sei der Pkw nur deshalb ins
Formular eingetragen worden, weil auch die Nutzungsmöglichkeit eines Fahrzeugs bereits einen vermögenswerten Vorteil bedeute.
Im übrigen lasse sich aus der Ummeldung des Fahrzeugs im Januar 1990 nicht auf eine Veräußerung oder Schenkung an ihre Großmutter
schließen. Auch repräsentiere das Fahrzeug derzeit nur einen Händlereinkaufswert von 7 300,-- DM bzw. --verkaufswert von 8
650,-- DM, jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer aber abzüglich eines unfallbedingten merkantilen Minderwerts von 450,-- DM. Der
reale Eigentumswert betrage somit etwa 8 500,-- bis 9 000,-- DM, die reine Nutzungsmöglichkeit davon 60 %. Man könne also
allenfalls von einer Nutzungsmöglichkeit im Werte von 5 000,-- DM oder 91,-- DM monatlich ausgehen. Mit Widerspruchsbescheid
vom 06.09.1990 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück, weil ihre Eltern ihr Unterhalt leisten
könnten und müßten. Zwar brauchten sie ihre Ausbildungsförderung hierfür nicht einzusetzen, doch könne es einem Elternteil
zugemutet werden, sich zeitweilig von der Universität beurlauben zu lassen, um die Versorgung des Kindes sicherzustellen,
dies auch im Wechsel mit dem anderen Elternteil. Im äußersten Fall sei ihnen auch ein Abbruch des Studiums zuzumuten, denn
der Anspruch des Kindes auf Erziehung und Betreuung wiege schwerer als der Anspruch der Kindeseltern auf einen hochqualifizierten
Bildungsabschluß. Da die Mutter der Klägerin schon über eine erste abgeschlossene Berufsausbildung verfüge, sei es ihr zuzumuten,
ihren Beruf als Bankkauffrau wieder aufzunehmen, während ihr Ehemann zu Hause das Kind betreue.
Gegen den am 10.09.1990 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 09.10.1990 Klage erhoben. Sie hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 23.03.1990 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 06.09.1990 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten,
über ihren Antrag vom 13.12.1989 auf Bewilligung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 13.12.1989 bis einschließlich
September 1990 erneut zu entscheiden und dabei die Rechtsauffassung des Gerichts zu beachten. Zur Begründung hat sie vorgetragen:
Der Pkw, der im Januar 1990 einen Wert von 9 514,-- DM gehabt habe, scheide als verwertbares Vermögen aus, weil er vom Zeitpunkt
des Kaufes an ihrer Großmutter gehört habe. Ihre Großeltern seien Rentner, die aus gesundheitlichen Gründen jeweils mehrere
Monate im Jahr in Südspanien lebten. Während dieser Zeit sei ihre Mutter zur Nutzung berechtigt. Deshalb und aus versicherungstechnischen
Gründen sei diese auch als Halterin in den Kraftfahrzeugbrief eingetragen worden. Ein Abbruch des Studiums sei ihren Eltern
nicht zuzumuten, denn dann hätte ihre Mutter völlig ohne Nutzen auf dem zweiten Bildungsweg ihre Reifeprüfung nachgeholt und
ihr Vater zur Überbrückung der Wartezeit und zur Vorbereitung auf das Medizinstudium die Ausbildung als Krankenpfleger begonnen;
ferner seien auch die bereits absolvierten Fachsemester zu berücksichtigen. Die seit längerer Zeit geplanten Ausbildungen
ihrer Eltern bildeten einen wichtigen Grund, der im Sinne des § 18 Abs. 3 BSHG deren Erwerbstätigkeit entgegenstehe. Das gelte auch für die Zweitausbildung ihrer Mutter, welcher im übrigen schon wegen
ihrer, der Klägerin, Versorgung als Kleinkind eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden könne. Mit dem Studium lasse sich
ihre Versorgung dagegen vereinbaren, da ihre Eltern zu abwechselnden Zeiten in die Universität gehen könnten und sie dann
jeweils von dem zu Hause bleibenden Elternteil betreut werde.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und zur Begründung vorgetragen: Unabhängig von der Frage des verwertbaren Vermögens
sei die Klägerin deshalb nicht hilfebedürftig, weil ihre Eltern vorrangig einen Weg finden müßten, um ihren Lebensunterhalt
sicherzustellen. Diese hätten nicht dargetan, daß sie nicht während des Studiums eine entgeltliche Nebentätigkeit aufnehmen
könnten. Aufgrund ihrer gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber der Klägerin hätten sie zuerst alle Möglichkeiten zur Erfüllung
des Unterhaltsanspruchs auszuschöpfen, bevor sie für die Klägerin Sozialhilfe beanspruchen könnten. Es sei jedenfalls nicht
Aufgabe der Sozialhilfe, die wirtschaftliche Versorgung eines Kindes zu übernehmen, während die Eltern gleichzeitig einem
Studium nachgehen und ihre Ausbildungswünsche erfüllen könnten, dies um so mehr, als die Mutter der Klägerin ohne wirtschaftliche
Notwendigkeit einem Zweitstudium nachgehe, um ihr Sozialprestige aufzubessern.
Das Verwaltungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung am 28.02.1991 die Mutter der Klägerin angehört. Diese hat angegeben,
sie und ihr Mann hätten im maßgeblichen Zeitraum nicht mehr, wie gelegentlich zuvor noch, nebenbei gearbeitet, sondern sich
abwechselnd, auch je an halben Tagen, um das Kind gekümmert und sich auf das Physikum vorbereitet. Mit Urteil vom 28.02.1991
hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es: Die Klägerin habe gegen ihre Eltern
Unterhaltsansprüche, bei deren Erfüllung ihr sozialhilferechtlicher Bedarf gedeckt werde. Darauf, daß ihre Eltern als Empfänger
von Ausbildungsförderung nach dem
BAföG nicht leistungsfähig seien, könne sie sich nicht berufen, weil es ihren Eltern im maßgeblichen Zeitraum möglich und zumutbar
gewesen sei, auch ihren sozialhilferechtlichen Bedarf zu decken. Hierzu hätte eine geringfügige entgeltliche Nebentätigkeit
ausgereicht. So hätte es beispielsweise ihren Eltern zugemutet werden können, -- neben der Kindesbetreuung und Vorbereitung
aufs Physikum -- durch je ein bis zwei Nachtwachen monatlich in Höhe von monatlich ca. 100,-- DM zum Lebensunterhalt der Klägerin
beizutragen. Demgegenüber könne sich ihre Mutter auch nicht darauf berufen, als Mutter eines Kleinkindes zu solch geringfügiger
Nebentätigkeit nicht verpflichtet zu sein. Denn dies ließe sich allenfalls einem Kindesvater entgegenhalten, der mit Rücksicht
auf die Erwerbsfähigkeit der Mutter Unterhaltszahlungen ablehne. Hier dagegen gehe es darum, ob die Eltern der Klägerin abwechselnd
eine geringfügige Erwerbstätigkeit aufnehmen müßten, um eine Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu vermeiden. Dies könne
ihnen jedenfalls im derzeitigen Studienabschnitt noch zugemutet werden.
Gegen das am 20.03.1991 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28.02.1991 hat die Klägerin am 10.04.1991 Berufung
eingelegt. Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und führt ergänzend noch aus: Ihre Mutter habe das Auto im Jahre 1986
während der Abwesenheit ihrer Großmutter zwar in eigenem Namen, aber in deren Auftrag und auf deren Rechnung gekauft. Wegen
der Nutzung und Versicherung habe das Fahrzeug für ihre Mutter als Halterin zugelassen werden sollen, gleichwohl sei es aber
im Eigentum ihrer Großmutter verblieben, die es auch bezahlt habe. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei ihren
Eltern während des Klagezeitraums auch nach den Maßstäben des § 18 Abs. 3 BSHG eine noch so geringfügige Nebentätigkeit nicht zuzumuten gewesen. Das gelte für die Zeit zwischen ihrer Geburt und dem 15.01.1990
schon deshalb, weil sich ihre Mutter damals im Mutterschutz befunden habe, die Familie habe umziehen müssen und ihr Vater
aus Kostengründen alle Renovierungs- und Umzugsarbeiten habe selbst erbringen müssen. Anfang Februar 1990 habe ihr Vater noch
eine Klausur schreiben müssen; Mitte Februar 1990 sei er erkrankt gewesen und ihre Mutter habe die Meldung zur ärztlichen
Vorprüfung aufgrund der entstandenen Belastungen zurückziehen müssen. In der Zeit bis Ende Juni 1990 hätten sich ihre Eltern
in ihrer Betreuung abgewechselt gehabt, damit jeweils ein Elternteil sich auf die anstehenden medizinischen Prüfungen habe
vorbereiten können. Von Anfang Juli bis Ende August 1990 habe sich ihr Vater wegen des Physikums der Mutter allein um ihre
Betreuung und den gemeinsamen Haushalt kümmern müssen. Vom 03.09. bis 16.09. sei wiederum ihre Mutter krankgeschrieben gewesen.
Aufgrund der bestehenden Situation sei auch die Übernahme von Nachtwachen nicht möglich gewesen, möge das auch bei kinderlosen
Medizinstudenten üblich sein. Diese Nachtwachen seien aber nicht nur eine Art Bereitschaftsdienst, sondern von ständiger Arbeit
geprägt. Schließlich seien ihre Eltern als Empfänger von Ausbildungsförderung auch zu einem gewissenhaften Studium verpflichtet.
Für die Mutter eines Kleinkindes sei es nach § 18 Abs. 3 BSHG allgemein anerkannt, daß ihr eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden könne. Gleiches gelte für die Berufsausbildung
ihres Vaters.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 28.02.1991 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 23.03.1990 sowie deren
Widerspruchsbescheid vom 06.09.1990 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für die Zeit von Januar 1990 bis einschließlich
September 1990 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Entscheidungen und führt zur Berufung ergänzend noch aus: Jedenfalls eine abwechselnde Erwerbstätigkeit
zur Sicherstellung des Lebensunterhalts der Klägerin sei ihren Eltern im Klagezeitraum zuzumuten gewesen, da dann immer ein
Elternteil für ihre Versorgung bereitgestanden hätte. Für die Nachtwachen in der Klinik hätten sie nur wenige Nächte opfern
müssen, ohne daß ihr Studienpensum wesentlich darunter gelitten hätte. Daß Müttern mit Kleinkindern eine Arbeitsaufnahme nicht
zugemutet werden könne, sei zwar für alleinerziehende Mütter richtig; befinde sich dagegen der Vater im gemeinsamen Haushalt,
so könne auch er ohne Schaden für das Kind zeitweise die Versorgung übernehmen, wenn die Mutter eine Erwerbstätigkeit ausübe.
Auch aufgrund ihres Studiums sei ja die Mutter nicht den ganzen Tag über zu Hause.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung die Mutter der Klägerin erneut angehört und ihre Großmutter als Zeugin über die
Eigentumsverhältnisse an dem Pkw vernommen. Wegen des Inhalts der jeweiligen Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug
genommen.
Dem Senat liegen außer den Akten des Verwaltungsgerichts die einschlägigen Behördenakten der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat im
Klagezeitraum Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ist § 11 Abs. 1 BSHG. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG ist Hilfe zum Lebensunterhalt dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen
Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann. Soweit minderjährige und verheiratete Kinder,
die dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils angehören, den notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen und Vermögen
nicht beschaffen können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils zu berücksichtigen (§ 11 Abs.
1 Satz 2, 2. Hs.). Das ist bei der Klägerin der Fall. Sie steht daher mit beiden Eltern in einer Einstands- oder Bedarfsgemeinschaft,
so daß auch die Einkünfte und das Vermögen beider Eltern bei der Berechnung ihres Bedarfs zu berücksichtigen sind.
Auf das Bestehen einer gegenseitigen Unterhaltsverpflichtung der in die Einstandsgemeinschaft einbezogenen Personen und auf
deren Erfüllung kommt es bei der Anwendung des § 11 Abs. 1 BSHG nicht an. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob und in welchem Umfang nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften der Sozialhilfe
Bedürftigkeit vorliegt (BVerwGE 25, 307, 310 = FEVS 14, 243, 246; HessVGH, Urt. v. 10.07.1984, FEVS 34, 19, 22; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 13. Aufl., RdNr. 19; Knopp/Fichtner, BSHG, 6. Aufl., RdNr. 25; Gottschick/Giese, BSHG, 9. Aufl., RdNr. 8.2 zu § 11; Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG, RdNr. 19 zu § 11). Damit sind die Unterhaltsansprüche der Klägerin gegen ihre Eltern und deren -- gesetzliche oder vereinbarte -- Höhe bei
der Bedarfsberechnung außer Betracht zu lassen. Es kommt allein auf das Zusammenleben im Haushalt und auf die Leistungsfähigkeit
der Angehörigen an (BVerwG, a.a.O.). Daher kann dem angefochtenen Urteil schon im rechtlichen Ansatz nicht gefolgt werden,
wenn es auf die der Klägerin gegen ihre Eltern zustehenden bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüche abhebt.
Bei der Berechnung des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt im einzelnen ist vom Grundsatz der individuellen Anspruchsberechtigung
auszugehen (BVerwGE 55, 148, 150; OVG Lüneburg, Beschluß v. 29.08.1988, FEVS 38, 145, 146; Schulte, ZfSH/SGB 1990, 471, 472 m. N.). Danach sind Bedarf und (eigenes oder anzurechnendes) Einkommen und ein sich daraus ergebender Anspruch eines
jeden Hilfesuchenden gesondert zu ermitteln. Auch in der Einstands- und Bedarfsgemeinschaft des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG hat jeder Hilfsbedürftige seinen eigenen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Hieran ändert der Umstand nichts,
daß gemäß § 2 RegelsatzVO bei Zusammenleben von mehreren Personen in einem Haushalt die Hilfe zum Lebensunterhalt abgestuft
festgesetzt wird (a.a.O.). Entscheidend ist vielmehr, wessen sozialhilferechtlicher Bedarf gedeckt werden soll (OVG Lüneburg,
a.a.O., S. 146). Die Hilfsbedürftigkeit der Klägerin ist daher gesondert festzustellen (BVerwGE 25, 307, 311 = FEVS 14, 243, 247). Das bedeutet, daß -- für den hier maßgebenden Zeitraum -- zunächst ihr Bedarf ermittelt werden
muß (1.); diesem ist sodann ihr eigenes Einkommen und Vermögen gegenüberzustellen (2.); reicht dieses zur Bedarfsdeckung nicht
aus, ist auch das Einkommen (3.) und Vermögen (4.) ihrer Eltern heranzuziehen, dies allerdings unter Berücksichtigung von
deren jeweiligem eigenen Bedarf (Gottschick/Giese, a.a.O., RdNr. 8.4 zu § 11).
1. Der Bedarf der Klägerin bestand für die Zeit ab dem 01.01.1990 aus dem Regelsatz von 192,-- DM zuzüglich der anteiligen,
nicht durch das Wohngeld gedeckten Unterbringungskosten von 99,67 DM = 291,67 DM; ab dem 01.07.1990 erhöhte er sich durch
die Regelsatzerhöhung auf 224,-- DM entsprechend auf 323,67 DM.
2. Das eigene Einkommen der Klägerin bestand aus dem für sie gezahlten Kindergeld zuzüglich Kindergeldzuschlag in Höhe von
98,-- DM. Die Klägerin ist selbst bedürftig (vgl. SenatsBeschluß v. 03.04.1991 -- 6 S 653/90 -- u. v. 08.01.1991 -- 6 S 2337/90 -- m.w.N.). Damit belief sich der aus dem Einkommen und Vermögen ihrer Eltern zu deckende Bedarf für die Zeit vom 01.01.1990
bis 30.06.1990 auf 193,67 DM monatlich und ab dem 01.07.1990 auf 225,67 DM monatlich.
3. Anrechenbares Elterneinkommen stand zur Bedarfsdeckung nicht zur Verfügung. Die von ihren Eltern bezogene Ausbildungsförderung
nach dem
BAföG ist wegen ihrer Zweckidentität mit der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 77 BSHG bei der Berechnung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt der Klägerin nicht zu berücksichtigen (vgl. Senatsurt. v. 26.10.1977,
FEVS 26, 196; weitere Nachweise der insoweit einhelligen Rechtsprechung bei LPK-BSHG, 3. Aufl., RdNr. 13 zu § 77). Ein weiteres Einkommen haben ihre Eltern im Bedarfszeitraum nicht erzielt.
Ob ihre Eltern ein weiteres Einkommen hätten erzielen können und sollen, ist unerheblich. Denn als nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG anrechenbares Einkommen ihrer Eltern kann nur deren tatsächlich erzieltes Einkommen eingesetzt werden, und nicht etwa, wie
es das Verwaltungsgericht und die Beklagte, ersteres unter Berufung auf die zivilgerichtliche Rechtsprechung zu §
1603 BGB, annehmen, ein wegen des Unterlassens zumutbarer Arbeit fingiertes Arbeitseinkommen. Ebensowenig kann dem Anspruch der Klägerin
nach § 2 BSHG dieses Unterlassen ihrer Eltern entgegengesetzt werden. Für die Klägerin sind möglicherweise erzielbare, aber nicht erzielte
Arbeitseinkünfte ihrer Eltern keine "bereiten Mittel". Insoweit ist der vorliegende Fall nicht anders zu behandeln als die
Sozialhilfeleistungen an die Angehörigen eines den Ausschlußtatbestand des § 25 Abs. 1 BSHG erfüllenden Sozialhilfeempfängers. Dort wird es als mit § 25 Abs. 3 BSHG unvereinbar angesehen, ein fiktives Arbeitseinkommen des zumutbare Arbeit verweigernden unterhaltspflichtigen Hilfeempfängers
auch für die Berechnung der Sozialhilfe seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen in Ansatz zu bringen (vgl. OVG Bremen, Beschluß
v. 16.09.1987, FEVS 38, 407, 409; Oestreicher/Schelter/Kunz, a.a.O., RdNr. 18 zu § 25). Auf die von der Beklagten und dem
Verwaltungsgericht in den Vordergrund gerückte Frage, ob und welche Nebentätigkeiten den Eltern der Klägerin im Klagezeitraum
zuzumuten gewesen seien, kommt es daher nicht an. Es geht nicht um deren Anspruch auf Sozialhilfe, sondern um den der Klägerin.
Deren Anspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt besteht vielmehr auch dann, wenn ein unterhaltspflichtiger Elternteil
sich einer Berufsausbildung unterzieht und sein Kind deshalb bedürftig ist; ob hierin ein sozialwidriges Verhalten liegt,
ist gegebenenfalls nach § 92 a BSHG zu prüfen; meist aber wohl zu verneinen (vgl. Schellhorn/Jirasek/Seipp, a.a.O., RdNr. 41 zu § 11; OVG Münster, Urt. v. 02.04.1974,
FamRZ 1975, 60; DV-Gutachten v. 11.12.1973, NDV 1974, 139). Auch bleibt es der Beklagten unbenommen, den Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihre Eltern auf sich überzuleiten (Gottschick/Giese,
a.a.O., RdNr. 8.4 zu § 11; OVG Münster, Urt. v. 08.10.1974, OVGE 30, 97). Die Ausführungen des Senatsurteils vom 22.08.1990
-- 6 S 661/89 -- über den Vorrang der Elternpflicht gegenüber der öffentlichen Jugendhilfe lassen sich nicht auf die Sozialhilfe übertragen.
Daß der Ausschluß des Sozialhilfeanspruchs nach § 26 BSHG nur für die Empfänger der Ausbildungsförderung selbst und nicht auch für deren Kinder gilt, ist ohnehin selbstverständlich
(LPK-BSHG, RdNr. 7 zu § 26). Auch wird der Anspruch der Klägerin nicht dadurch in Frage gestellt, daß etwa ihren Eltern gegenüber deren eigenen Eltern
noch Unterhaltsansprüche zustehen könnten (vgl. OVG Lüneburg, Beschluß v. 17.08.1988, FEVS 38, 461, 463); auf den eigenen
Unterhaltsanspruch gegen ihre Großeltern darf die Klägerin nach dem Rechtsgedanken des § 91 Abs. 1 Satz 1 BSHG nicht verwiesen werden (OVG Lüneburg, a.a.O.; LPK-BSHG, a.a.O., RdNr. 19, 37 zu § 2; Schellhorn/Jirasek/Seipp, a.a.O., RdNr. 40 zu § 91; Brühl, FamRZ 1982, 13; Ullenbruch, FamRZ 1982, 664; a. A. Giese, FamRZ 1982, 11, 13; Mergler/Zink, BSHG, RdNr. 29 zu § 2). Denn in § 91 Abs. 1 Satz 1 BSHG ist der Nachranggrundsatz durch den Gesetzgeber bewußt durchbrochen worden; diese gesetzgeberische Entscheidung kann nicht
dadurch unterlaufen werden, daß der Sozialhilfeträger die Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt mit Rücksicht auf
solche Unterhaltsansprüche ablehnt, die er auf sich nicht überleiten darf.
4. Der Klägerin stand aber auch weder eigenes verwertbares Vermögen noch ein solches ihrer Eltern zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts
zur Verfügung. Insbesondere gehörte -- nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat -- der von ihren Eltern tatsächlich
genutzte Pkw nicht zu deren verwertbarem Vermögen und konnte daher auch bei Anwendung des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG nicht berücksichtigt werden.
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats zählt allerdings ein dem Antragsteller oder einem Mitglied der Haushaltsgemeinschaft
im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 gehörender Pkw zum verwertbaren Vermögen im Sinne des § 88 Abs. 1 BSHG; dies mit der Folge, daß der Anspruch auf Sozialhilfe solange nicht besteht, als der Bedürftige oder der mit ihm in Haushaltsgemeinschaft
lebende Angehörige den Pkw nicht verwertet hat. Dabei zählt der Erlös aus der Veräußerung des Pkw auch nicht zu den Barbeträgen
und sonstigen Geldwerten im Sinne von § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG, so daß dem Bedürftigen auch nicht die Berufung auf ein Schonvermögen zur Seite steht (vgl. SenatsBeschluß v. 17.12.1990
-- 6 S 2026/89 -- u. v. 06.06.1991 -- 6 S 11/91 --; jeweils m.w.N.). War also die Mutter der Klägerin im Klagezeitraum Eigentümerin des Opel Kadett, so mußte sie erst diesen
verwerten, ehe sie für die Klägerin Sozialhilfe beantragen konnte.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat war jedoch nicht die Mutter, sondern die Großmutter der Klägerin, die Zeugin
..., im Klagezeitraum Eigentümerin des Pkw; diese hat den Pkw auch nicht während des Klagezeitraums der Mutter der Klägerin
nachträglich übereignet, vielmehr stand er bereits seit seiner Lieferung am 10.10.1986 in ihrem Eigentum. Das ergibt sich
aus den Angaben der Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowie aus der beeideten Zeugenaussage
der Eigentümerin .... Deren miteinander übereinstimmende Angaben sind in sich widerspruchsfrei und bieten keinen Anlaß, an
ihrer Richtigkeit zu zweifeln. Danach waren Mutter und Tochter im August 1986 bei einem kurzfristigen Besuchsaufenthalt der
Zeugin ... anläßlich des Geburtstags ihrer eigenen Mutter, der Urgroßmutter der Klägerin, am 19.08.1986, übereingekommen,
als Ersatz für den bisher von der Mutter der Klägerin benutzten, aber nicht mehr brauchbaren Pkw einen neuen Pkw zu kaufen,
den die Zeugin auch bezahlen wollte, der aber während ihrer jeweiligen Aufenthalte in Spanien ihrer Tochter als Halterin zur
Verfügung stehen und von dieser benutzt werden sollte, während das Eigentum bei der Zeugin, die den Kaufpreis aufgebracht
hatte, verbleiben sollte. Nach der Rückreise der Zeugin nach Spanien kaufte dann die Mutter der Klägerin in eigenem Namen
am 28.08.1986 das Fahrzeug und bezahlte es bei der Lieferung am 10.10.1986 mit dem ihr von ihrer Mutter für diesen Zweck überlassenen
Bargeld. Diese Sachdarstellung läßt sich nicht widerlegen. Es muß der Zeugin geglaubt werden, daß sie, mit Rücksicht auf ihre
anderen Kinder, den Wagen seinerzeit nicht hat schenken, sondern nur zum überwiegenden Gebrauch hat überlassen wollen. Auch
erscheint es nachvollziehbar und daher glaubhaft, daß es der Zeugin und ihrer Tochter seinerzeit nicht darauf angekommen war,
in wessen Namen das Fahrzeug bestellt wurde, wohl aber darauf, daß die überwiegend als Benutzerin in Erscheinung tretende
Mutter der Klägerin sowohl aus Gründen der Wahrung der bisherigen prämiengünstigen Pflichtversicherung als auch als zweckmäßigere
Adressatin für Behördenschreiben usw. die Halterin des Wagens sein sollte.
Daß also danach die Zeugin als Erwerberin des Pkw bei dessen Kauf nach außen nicht in Erscheinung getreten war, steht ihrem
Eigentumserwerb bei der Lieferung des Fahrzeugs nicht entgegen. Die Mutter der Klägerin kaufte und erwarb in eigenem Namen,
aber für Rechnung ihrer Mutter. Dabei erwarb sie zunächst selbst Eigentum; da sie jedoch mit ihrer Mutter ein Besitzmittlungsverhältnis
nach §
868 BGB vereinbart hatte, konnte sie im Wege des antizipierten Besitzkonstituts nach §
930 BGB das Eigentum an dem Auto sogleich an ihre Mutter weitervermitteln, als sie selbst am 10.10.1986 den unmittelbaren Besitz
daran erlangte (vgl. Palandt,
BGB, 50. Aufl., RdNr. 24 zu §
929; RdNr. 10 zu §
930; Thiele: Münchener Kommentar zum
BGB, 2. Aufl., RdNr. 23 vor §
164).
Damit ist erwiesen, daß den Eltern der Klägerin verwertbares Vermögen im Klagezeitraum nicht zur Verfügung stand. Das auf
dem Sparbuch des Vaters der Klägerin eingetragene Guthaben von 3 211,28 DM erreicht den hier gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 VO zu § 88 BSHG maßgebenden Schonbetrag von 4 200,-- DM nicht.