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Rechtsprechung
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2017 - II-1 UF 34/17
Höhe des Elternunterhalts eines im Pflegeheim lebenden Elternteils mit Hörbehinderung
Der Unterhaltsbedarf eines im Pflegeheim lebenden Elternteils mit Hörbehinderung umfasst auch den durch die Unterbringung in einer Gehörlosen-Wohngruppe verursachten Mehrbedarf.
Fundstellen:
FamRB 2018, 137, FamRZ 2018, 103, FuR 2017, 684, MDR 2017, 1002
Normenkette:
BGB
§
1602
,
BGB
§
1610
,
SGB I
§
17
,
SGB XII § 94
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf 19.01.2017 253 F 108/16
Tenor
I.
Der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Düsseldorf vom 19.01.2017 wird auf die Beschwerde der Antragstellerin unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels teilweise wie folgt abgeändert:
Die Antragsgegnerin zu 1. wird verpflichtet, für ihre Mutter, Frau A..., für die Zeit vom 03.04.2012 bis zum 30.06.2015 an die Antragstellerin rückständigen Unterhalt in Höhe von insgesamt 13.321,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.06.2016 zu zahlen.
Die Antragsgegnerin zu 2. wird verpflichtet, für ihre Mutter, Frau A..., für die Zeit vom 03.04.2012 bis zum 30.06.2015 an die Antragstellerin rückständigen Unterhalt in Höhe von insgesamt 7.260,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2016 zu zahlen.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz werden der Antragsgegnerin zu 1. zu 64 % und der Antragsgegnerin zu 2. zu 36 % auferlegt.
II.
Beschwerdewert: 15.842,14 €, davon entfallen auf das gegen die Antragsgegnerin zu 1. gerichtete Begehren 10.088,55 € und auf das gegen die Antragsgegnerin zu 2. gerichtete Begehren 5.753,59 €.
III.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Höhe für die Zeit vom 03.04.2012 bis zum 30.06.2015 geschuldeten Elternunterhalts.
Die am 26.06.1942 geborene Mutter der Antragsgegnerinnen, Frau A... (im Folgenden: Hilfeempfängerin), lebt seit Juli 2011 in der Senioren-Einrichtung B... in C..., und zwar in der Gehörlosenwohngruppe "D...", in der sie von Pflegekräften betreut wird, die mit ihr in Gebärdensprache kommunizieren. Die Antragstellerin gewährt der Hilfeempfängerin seit Juli 2011 in Höhe der nicht durch die von der Hilfeempfängerin bezogenen Einkünfte gedeckten Pflegekosten zuzüglich Grundbarbetrags Sozialhilfe, was sie den Antragsgegnerinnen mit Rechtswahrungsanzeige vom 29.03.2012 mitgeteilt hat.
Die Antragstellerin hat vorgetragen, die Antragsgegnerinnen schuldeten Elternunterhalt auch hinsichtlich des wegen der Unterbringung der Hilfeempfängerin in der Gehörlosenwohngruppe "D..." erhöhten Pflegesatzes. Auf der Grundlage des unter Einbeziehung dieses Aufwands ermittelten Bedarfs schuldeten die Antragsgegnerinnen unter Berücksichtigung des Einkommens der Hilfeempfängerin und ihrer, der Antragsgegnerinnen, Einkünfte nach Abzug der geleisteten Zahlungen rückständigen Elternunterhalt.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die Antragsgegnerin zu 1. zu verpflichten, für die Hilfeempfängerin Unterhalt in Höhe von 13.321,21 € für die Zeit vom 03.04.2012 bis zum 30.06.2015 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, und die Antragsgegnerin zu 2. zu verpflichten, für die Hilfeempfängerin Unterhalt in Höhe von 7.260,60 € für die Zeit vom 03.04.2012 bis zum 30.06.2015 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, sowie hilfsweise für den Fall einer anderen Ermittlung der Haftungsquoten der Antragsgegnerinnen den Gesamtbetrag von 20.581,81 € entsprechend den Quoten aufzuteilen.
Die Antragsgegnerinnen haben beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie haben geltend gemacht, hinsichtlich der Aufwendungen für die Unterbringung der Hilfeempfängerin in der Gehörlosenwohngruppe keinen erhöhten Unterhalt zu schulden. Denn der zuständige Leistungsträger, die Pflegekasse, sei verpflichtet, die durch die Verwendung der Gebärdensprache entstehenden Kosten zu tragen. Diesen Anspruch müsse die Hilfeempfängerin geltend machen.
Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerinnen unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags zur Zahlung rückständigen Elternunterhalts für die Hilfeempfängerin für die Zeit vom 03.04.2012 bis zum 30.06.2015 nebst Zinsen verpflichtet, und zwar die Antragsgegnerin zu 1. in Höhe von 3.232,66 € und die Antragsgegnerin zu 2. in Höhe von 1.507,01 €. Kosten des Gebärdendolmetschers rechneten nicht zu dem von den Antragsgegnerinnen zu deckenden Bedarf der Hilfeempfängerin, weil der Hilfeempfängerin vom zuständigen Sozialleistungsträger kostenlos ein Gebärdendolmetscher zur Verfügung zu stellen sei, wie sich aus §
17
Abs.
2
SGB I
ergebe.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihre gegen die Antragsgegnerin zu 1. und die Antragsgegnerin zu 2. gerichteten Zahlungsbegehren in voller Höhe weiter und macht geltend, es gehe nicht um die Kosten von Gebärdendolmetschern, sondern um die Berücksichtigung eines erhöhten Pflegesatzes im Rahmen der Bemessung des Bedarfs der Hilfeempfängerin.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Düsseldorf vom 19.01.2017 teilweise abzuändern, die Antragsgegnerin zu 1. zu verpflichten, für ihre Mutter, Frau A..., weiteren Unterhalt in Höhe von 10.088,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, und die Antragsgegnerin zu 2. zu verpflichten, für ihre Mutter, Frau A..., weiteren Unterhalt in Höhe von 5.753,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Antragsgegnerinnen beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist ganz überwiegend - bis auf eine geringfügige rechnerische Korrektur - begründet. Die Antragstellerin hat aus gemäß § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII übergegangenem Recht der Hilfeempfängerin nach §§
1601
ff.
BGB
Anspruch auf Zahlung rückständigen Elternunterhalts für die Zeit vom 03.04.2012 bis zum 30.06.2015 nebst Rechtshängigkeitszinsen, und zwar gegen die Antragsgegnerin zu 1. in Höhe von insgesamt 13.321,21 € und gegen die Antragsgegnerin zu 2. in Höhe von insgesamt 7.260,59 €.
1.
Dem Grunde nach sind die Antragsgegnerinnen der Hilfeempfängerin, ihrer Mutter, aus §
1601
BGB
zum Unterhalt verpflichtet.
2.
Der Unterhaltsbedarf der Hilfeempfängerin gemäß §
1610
BGB
besteht aus den Kosten ihrer vollstationären Pflege zuzüglich Barbetrags zur persönlichen Verwendung gemäß § 27 b Abs. 2 SGB XII und ist unterhaltsrechtlich insgesamt in der von der Antragstellerin bezifferten Höhe (S. 3 - 12 der Antragsschrift vom 26.01.2016) anzuerkennen. Das gilt auch im Hinblick auf die von der Antragstellerin im Schriftsatz vom 05.10.2016 im Einzelnen dargelegten Mehrkosten wegen der Unterbringung der Hilfeempfängerin in der Gehörlosenwohngruppe "D...", die die einzige streitige Bedarfsposition darstellen.
a)
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt sich der Unterhaltsbedarf bei vollstationärer Pflege im Pflegeheim nach den dort anfallenden Kosten, soweit diese unterhaltsrechtlich notwendig sind. Ist der Elternteil im Alter sozialhilfebedürftig geworden, beschränkt sich sein angemessener Lebensbedarf auf das Existenzminimum und damit auf eine ihm zumutbare einfache und kostengünstige Heimunterbringung. Steht dem Elternteil eine preisgünstigere Unterbringung zur Verfügung, sind allerdings auch höhere Kosten vom Unterhaltspflichtigen zu tragen, wenn dem Elternteil die preisgünstigere Unterbringung nicht zuzumuten ist. Darüber hinaus kann der Abkömmling auch dann nicht einwenden, es habe eine kostengünstigere Unterbringung zur Verfügung gestanden, wenn er selbst die Auswahl der Unterbringung beeinflusst hat und sein Einwand daher gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstieße (vgl. BGH, FamRZ 2013, 203, Rn. 15 ff.).
b)
Auf dieser Grundlage erstreckt sich der Unterhaltsbedarf der Hilfeempfängerin auch auf die durch ihre Unterbringung in der Gehörlosenwohngruppe verursachten Mehrkosten.
aa)
Ein Verweis der Antragsgegnerinnen auf eine kostengünstigere Unterbringung erscheint dem Senat schon als widersprüchlich und damit rechtlich unbeachtlich im Sinne der zitierten Rechtsprechung, weil die Antragsgegnerinnen nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung in der Senatsverhandlung die Auswahl des fraglichen Heimplatzes und später auch die Unterbringung in der speziellen Wohngruppe mit Blick auf die Behinderung ihrer Mutter bewusst unterstützt haben.
bb)
Hierauf kommt es allerdings nicht entscheidend an, denn auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten sind die geltend gemachten Kosten in voller Höhe zu berücksichtigen.
Der gehörlosen Hilfeempfängerin ist eine barrierefreie, aktivierende Pflege zuzugestehen, die der Gefahr ihrer Vereinsamung entgegenwirkt und insbesondere auch ihre Bedürfnisse nach Kommunikation berücksichtigt, wie aus §
28
Abs.
4
SGB XI
folgt. Insbesondere ist die Hilfeempfängerin gemäß § 6 Abs. 3 BGG berechtigt, die Gebärdensprache zu verwenden. Diesen Bedürfnissen wird die Pflege der Hilfeempfängerin in einer Gehörlosenwohngruppe mit gebärdensprachkundigen Pflegern gerecht. Jedenfalls dann, wenn das Heim, in dem der Pflegebedürftige lebt, eine solche behindertengerechte Betreuungsform vorhält, ist ihre Inanspruchnahme durch den Gehörlosen nicht zu beanstanden und sind die hierdurch verursachten zusätzlichen Kosten zumindest in der hier in Rede stehenden Größenordnung von täglich zuletzt rund 16 € als notwendig anzusehen. Denn eine im Vergleich zu Pflegebedürftigen ohne Hörbehinderung gleichwertige Betreuungs- und Lebenssituation ist nur dann hinreichend gewährleistet, wenn der Gehörlose unmittelbar mit den Pflegern und ggf. auch mit anderen Heimbewohnern in Gebärdensprache kommunizieren kann.
Dabei geht es nicht nur um eine reine Übersetzertätigkeit, weshalb der Einsatz externer Gebärdensprachendolmetscher in einer allgemeinen Wohngruppe nicht gleichwertig ist. Denn pflegebedürftige gehörlose alte Menschen benötigen ein besonderes kommunikatives Umfeld, um nicht zu vereinsamen und um Beziehungen zu anderen - auch hörenden - Heimbewohnern zu knüpfen und zu pflegen. Das erfordert über die Kommunikation in Gebärdensprache hinaus eine besondere Sensibilität für die Bedürfnisse dieser Menschen und eine aktivierende Konversation, die den gehörlosen alten Menschen zur Kommunikation anregt. Hinzu kommt der Gesichtspunkt der persönlichen Kontinuität der Pflege. Für pflegebedürftige alte Menschen, die häufig nur noch über eingeschränkte Fähigkeiten verfügen, neue soziale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, kann der Einsatz externer Gebärdendolmetscher mit Erschwernissen und Belastungen verbunden sein, ist doch die Präsenz der Gebärdendolmetscher jeweils zeitlich eng begrenzt, so dass es zu einem häufigen Personenwechsel käme.
Jedenfalls dann, wenn das Heim, in dem der pflegebedürftige gehörlose Mensch lebt, dessen Bedürfnis nach barrierefreier Pflege und Betreuung in einer Gehörlosenwohngruppe sicherstellen kann, ist es dem Pflegebedürftigen nicht zuzumuten, diese in besonderem Maße behinderungsgerechte Wohnform nicht in Anspruch zu nehmen und in einer allgemeinen Wohngruppe zu verbleiben, zumal er damit rechnen muss, dass andere gehörlose Heimbewohner in die Gehörlosenwohngruppe wechseln und er als einer von wenigen oder gar als einziger gehörloser Bewohner in der allgemeinen Wohngruppe verbleibt, was das Risiko seiner Vereinsamung erhöhen würde.
cc)
Eine anderweitige Bedarfsbemessung ist auch nicht mit Blick auf §
17
Abs.
2
SGB I
gerechtfertigt.
Der dort normierte Anspruch auf Verwendung der Gebärdensprache unter Kostenübernahme durch den zuständigen Leistungsträger wirkt sich nicht auf den Bedarf des Pflegebedürftigen aus, weil sich hieraus keine reduzierten Lebensbedürfnisse ergeben, sondern lediglich ein Anspruch auf Kostenerstattung nach dem JVEG (vgl. jurisPK/SGB I/Mönch-Kalina/Voelzke, 2. Auflage, Stand: 18.11.2016, § 17 Rn. 3). Ein solcher Anspruch lässt nicht die entsprechende Bedarfsposition als solche entfallen, sondern begründet allenfalls einen Anspruch auf bedarfsdeckende Sozialleistungen, was erst für die Frage der Bedürftigkeit erheblich ist.
Hinzu kommt, dass dieser Anspruch nicht die in Rede stehenden Pflegeleistungen erfasst. §
17
Abs.
2
Satz 2
SGB I
bezieht sich auf die durch die Verwendung der Gebärdensprache und anderer Kommunikationshilfen entstehenden Kosten. Die hier strittigen Mehrkosten beruhen indes nicht auf der Inanspruchnahme einzelner zu vergütender Kommunikationshilfen, sondern auf der Bereitstellung einer insgesamt den Bedürfnissen pflegebedürftiger gehörloser alter Menschen entsprechenden Wohngruppe einschließlich Pflege und Betreuung durch gesondert geschulte Pfleger. Dieser Aufwand lässt sich sachgerecht nicht im Wege der Kostenerstattung nach den Vergütungssätzen des JVEG erfassen. Eine Bedarfsbegrenzung auf die Kosten einer Heimpflege in einer allgemeinen Wohngruppe unter Einsatz externer Gebärdensprachendolmetscher, der von §
17
Abs.
2
Satz 2
SGB I
erfasst wäre, ist nicht angemessen, weil sie - wie schon erörtert - dem Bedürfnis der Hilfeempfängerin nach barrierefreier Pflege und Betreuung nicht hinreichend gerecht wird.
3.
Dieser Bedarf ist gemäß §
1602
Abs.
1
BGB
durch die von der Antragstellerin bezifferten, nicht bestrittenen Einkünfte der Hilfeempfängerin aus Altersrente, Zusatzrente, Rentenlast, Leistungen der Pflegekasse und Pflegewohngeld in der vorgetragenen Höhe teilweise gedeckt. Auch unter Berücksichtigung der Gehörlosigkeit der Hilfeempfängerin lassen sich keine höheren erzielbaren Einnahmen feststellen, die die Annahme einer zumindest fiktiven (Mehr-)Bedarfsdeckung rechtfertigen könnten, insbesondere kein Anspruch auf weitergehende vorrangige Sozialleistungen.
a)
Insoweit besteht kein Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung (§
33
SGB XI
). §
43
Abs.
2
SGB XI
sieht bei Pflege in vollstationären Einrichtungen die Übernahme pauschaler, zunächst nach Pflegestufen, nunmehr nach Pflegegraden gestaffelter Beträge für pflegebedingte Aufwendungen und Aufwendungen der sozialen Betreuung und der Behandlungspflege vor, wobei der Aufwand für soziale Betreuung und medizinische Behandlungspflege bei der Zuordnung zu den Pflegestufen bzw. Pflegegraden keine Berücksichtigung findet (Udsching,
SGB XI
, 4. Auflage, §
43
Rn. 9, 10). Die Gehörlosigkeit der Hilfeempfängerin als solche führt daher zu keinen weitergehenden Leistungsansprüchen gegen die Pflegekasse. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass eine Höherstufung der Hilfeempfängerin gerechtfertigt wäre, abgesehen davon, dass eine solche im Hinblick auf den Teilkaskocharakter der Pflegeversicherung durchaus mit Mehrkosten für den Pflegebedürftigen verbunden sein kann (vgl. Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess, 5. Auflage, Kap. 2 Rn. 41).
b)
Ebenso wenig ergeben sich aus §
17
Abs.
2
Satz 2
SGB I
weitergehende vorrangige Sozialleistungsansprüche, da die durch die Unterbringung der Hilfeempfängerin in der Gehörlosenwohngruppe verursachten Mehrkosten - wie bereits dargelegt - nicht auf der Inanspruchnahme einzelner zu vergütender Kommunikationshilfen beruhen.
4.
Diese Mehrkosten rechtfertigen schließlich auch keine Beschränkung des Anspruchsübergangs auf die Antragstellerin als Sozialhilfeträger wegen unbilliger Härte gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII.
a)
Entscheidend für die Annahme einer unbilligen Härte im Sinne des § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ist, ob aus der Sicht des Sozialhilferechts durch den Anspruchsübergang soziale Belange berührt werden (BVerwGE 58, 209, [...] Rn. 20; BGH, FamRZ 2015, 1594, Rn. 36). Die Härte kann in materieller und immaterieller Hinsicht bestehen und entweder in der Person des Unterhaltspflichtigen oder des Hilfeempfängers vorliegen (BGH, a.a.O.). Sie kann anzunehmen sein, wenn die Höhe des Heranziehungsbetrags in keinem Verhältnis zu einer etwa heraufbeschworenen nachhaltigen Störung des Familienfriedens steht, wenn die Heranziehung das weitere Verbleiben des Hilfeempfängers im Familienverband gefährdet, wenn der Unterhaltsverpflichtete vor dem Eintreten der Sozialhilfe den Hilfeempfänger weit über das Maß seiner Unterhaltspflicht hinaus betreut und gepflegt hat, wenn die ständige Heranziehung wegen eines durch Schwere und Dauer gekennzeichneten Bedarfs zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der übrigen Familienangehörigen führt (BVerwG, a.a.O.) oder wenn die Sozialhilfebedürftigkeit des Hilfeempfängers auf einem Handeln des Staates oder seiner Organe beruht (BGH, a.a.O.). Eine unzumutbare Beeinträchtigung der übrigen Familienangehörigen durch die Heranziehung zum Unterhalt ist nur in besonderen Ausnahmefällen anzunehmen, verhindern doch in der Regel die unterhaltsrechtlichen Anspruchsbegrenzungen, insbesondere im Rahmen der Bemessung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, eine unbillige Inanspruchnahme.
b)
Nach diesem Maßstab ist das Verdikt der unbilligen Härte des Anspruchsübergangs nicht gerechtfertigt. Insbesondere lässt sich eine durch die Heranziehung zum Unterhalt bedingte unzumutbare Beeinträchtigung der übrigen Familienangehörigen schon deshalb nicht feststellen, weil die Antragsgegnerinnen nur in einer das für den Elternunterhalt zur Verfügung stehende Einkommen deutlich unterschreitenden Höhe in Anspruch genommen werden.
Allein der Umstand, dass es um die Deckung eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs geht, führt auch unter Berücksichtigung der Wertung des § 6 Abs. 3 BGG und des §
17
Abs.
2
SGB I
nicht zur Unbilligkeit des Anspruchsübergangs. Zwar ist diesen Normen das gesetzgeberische Ziel zu entnehmen, Menschen mit Hörbehinderungen ohne selbst zu tragende Kosten den Zugang zur barrierefreien Kommunikation zu ermöglichen. Dass die damit verbundenen Kosten bei dem immer nur subsidiär eintretenden Sozialhilfeträger verbleiben sollen, was die Konsequenz eines Teilausschlusses des Anspruchsübergangs gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII wäre, ergibt sich daraus jedoch nicht. Da es sich hierbei um regelmäßig im Zusammenhang mit Hörbehinderungen stehende Kosten handelt, kann insoweit zudem nicht von einem Sonderfall die Rede sein, der den grundsätzlich normierten Anspruchsübergang aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise als unbillig erscheinen ließe.
5.
Zur Deckung des sich aus den vorstehenden Ausführungen ergebenden ungedeckten Bedarfs der Hilfeempfängerin sind die Antragsgegnerinnen aufgrund ihrer von der Antragstellerin ermittelten - nicht bestrittenen - Einkünfte in der geltend gemachten anteiligen Höhe gemäß §§
1603
Abs.
1
,
1606
Abs.
3
Satz 1
BGB
leistungsfähig. Das Einkommen der alleinstehenden Antragsgegnerin zu 2. ist mit 1/2 des den angemessenen Selbstbehalt gegenüber den Eltern (2012: 1.500 €, 2013 und 2014: 1.600 €, 2015: 1.800 €) übersteigenden Betrags zu berücksichtigen (vgl. BGH, FamRZ 2003, 1179). Bezüglich der verheirateten Antragsgegnerin zu 1. ist von ihrem und ihres Ehemannes Familieneinkommen der Familienselbstbehalt (2012: 2.700 €, 2013 und 2014: 2.880 €, 2015: 3.240 €) in Abzug zu bringen, das verbleibende Einkommen um die Haushaltsersparnis (10 %) zu vermindern, die Hälfte des sich ergebenden Betrages zuzüglich des Familienselbstbehalts dem Familienunterhalt gutzubringen, zu dem die Antragsgegnerin zu 1. entsprechend dem Verhältnis der Einkünfte der Ehegatten beizutragen hat, während die Differenz zwischen ihrem Einkommen und ihrem Anteil am Familienunterhalt für den Elternunterhalt einzusetzen ist (vgl. BGH, FamRZ 2010, 1535). Dem entspricht die Berechnung der Antragstellerin.
6.
Im Einzelnen ergeben sich folgende Parameter und Ansprüche:
Monat
ungedeckter Unterhaltsbedarf
Antragsgegnerin zu 1.
Antragsgegnerin zu 2.
verfügbares Eink.
Anspruch
Zahlung
Rückstand
vefügbares Eink.
Anspruch
Zahlung
Rückstand
4/2012
150,64
1.390,00
117,70
0,00
117,70
389,00
32,94
0,00
32,94
5/2012
268,46
1.390,00
209,76
0,00
209,76
389,00
58,70
0,00
58,70
6/2012
173,82
1.390,00
135,81
0,00
135,81
389,00
38,01
0,00
38,01
7/2012
286,44
1.390,00
195,84
0,00
195,84
389,00/634,00
72,62
0,00
72,62
8/2012
286,44
1.390,00
184,37
660,00
-475,63
634,00
84,09
370,00
-285,91
9/2012
716,52
1.390,00
492,08
132,00
360,08
634,00
224,44
74,00
150,44
10/2012
829,25
1.390,00
569,49
132,00
437,49
634,00
259,76
74,00
185,76
11/2012
716,52
1.390,00
492,08
132,00
360,08
634,00
224,44
74,00
150,44
12/2012
829,25
1.272,00
553,41
132,00
421,41
634,00
275,84
74,00
201,84
1/2013
819,26
1.003,00
500,44
132,00
368,44
639,00
318,82
74,00
244,82
2/2013
481,13
1.003,00
293,89
132,00
161,89
639,00
187,24
74,00
113,24
3/2013
819,26
1.003,00
500,44
132,00
368,44
639,00
318,82
74,00
244,82
4/2013
706,55
1.003,00
431,59
132,00
299,59
639,00
274,96
74,00
200,96
5/2013
819,26
1.003,00
500,44
132,00
368,44
639,00
318,82
74,00
244,82
6/2013
706,55
1.003,00
431,59
132,00
299,59
639,00
274,96
74,00
200,96
7/2013
817,13
1.003,00
499,14
132,00
367,14
639,00
317,99
74,00
243,99
8/2013
817,13
1.003,00
499,14
132,00
367,14
639,00
317,99
74,00
243,99
9/2013
704,42
1.003,00
431,53
132,00
299,53
639,00
272,89
74,00
198,89
10/2013
817,13
1.228,00
537,46
132,00
405,46
639,00
279,67
74,00
205,67
11/2013
704,42
1.228,00/885,00
435,31
132,00
303,31
639,00
269,11
74,00
195,11
12/2013
817,13
885,00/1.104,00
500,90
132,00
368,90
639,00
316,23
74,00
242,23
1/2014
839,09
923,00
573,69
132,00
441,69
427,00
265,40
74,00
191,40
2/2014
499,07
923,00
341,22
132,00
209,22
427,00
157,85
74,00
83,85
3/2014
839,09
923,00
573,69
132,00
441,69
427,00
265,40
74,00
191,40
4/2014
866,11
923,00
592,16
132,00
460,16
427,00
273,95
74,00
199,95
5/2014
984,60
923,00
697,46
132,00
565,46
380,00
287,14
74,00
213,14
6/2014
866,11
923,00
613,52
132,00
481,52
380,00
252,59
74,00
178,59
7/2014
933,24
923,00
661,07
132,00
529,07
380,00
272,17
74,00
198,17
8/2014
933,24
923,00
661,07
132,0
529,07
380,00
272,17
74,00
198,17
9/2014
833,95
923,00
590,74
132,00
458,74
380,00
243,21
74,00
169,21
10/2014
953,08
923,00
675,13
132,00
543,13
380,00
277,95
74,00
203,95
11/2014
833,95
923,00
590,74
132,00
458,74
380,00
243,21
74,00
169,21
12/2014
953,08
923,00
675,13
132,00
543,13
380,00
277,95
74,00
203,95
1/2015
938,27
754,00
505,69
132,00
373,69
645,00
432,58
74,00
358,58
2/2015
578,78
754,00
311,94
132,00
179,94
645,00
266,84
74,00
192,84
3/2015
938,27
754,00
505,69
132,00
373,69
645,00
432,58
74,00
358,58
4/2015
818,44
754,00
441,10
132,00
309,10
645,00
377,34
74,00
303,34
5/2015
938,27
754,00
505,69
132,00
373,69
645,00
432,58
74,00
358,58
6/2015
818,44
754,00
441,10
132,00
309,10
645,00
377,34
74,00
303,34
Rückstand insg.
13.321,24
7.260,59
Begrenzung d. Forderung
13.321,21
--
Dies ist ergänzend wie folgt zu erläutern:
a)
Der von der Antragsgegnerin zu 1. und von der Antragsgegnerin zu 2. zu tragende (Teil-)Anspruch als Haftungsanteil am ungedeckten Bedarf der Hilfeempfängerin errechnet sich auf der Grundlage ihrer zusammengerechneten verfügbaren Einkünfte nach Maßgabe des auf jede von ihnen entfallenden Anteils am Gesamteinkommen, z.B. für April 2012 bezüglich der Antragsgegnerin zu 1. wie folgt:
150,64 € x 1.390 € : (1.390 € + 389 €) = 117,70 €.
b)
Für Juli und August 2012 ist jeweils nicht lediglich der in der tabellarischen Berechnung der Antragstellerin zugrunde gelegte ungedeckte Bedarf von 268,46 € zu berücksichtigen, sondern der in der Antragsschrift vorher - rechnerisch zutreffend - ermittelte Bedarf von 286,44 €, was aber aufgrund der Geltendmachung des Anspruchs in geringerer Höhe keine weitergehenden Ansprüche begründet (vgl. BGH, FamRZ 2013, 109).
c)
Für 2014 ist jeweils nicht das in der tabellarischen Berechnung der Antragstellerin zugrunde gelegte verfügbare Einkommen der Antragsgegnerin zu 1. von monatlich 932 € zu berücksichtigen, sondern das in der Antragsschrift vorher - rechnerisch zutreffend - ermittelte Einkommen von 923 €, das zu den von der Antragstellerin ermittelten Haftungsanteilen führt.
d)
In den Monaten Juli 2012 sowie November und Dezember 2013 haben die Antragsgegnerin zu 2. bzw. die Antragsgegnerin zu 1. - jeweils auf den Monat hochgerechnete - Einkünfte in unterschiedlicher Höhe bezogen. Die gemittelten Einkünfte in dem jeweiligen Monat rechtfertigen die von der Antragstellerin insoweit geltend gemachten (Teil-)Ansprüche.
e)
Der auf die Antragsgegnerin zu 1. entfallende rechnerische Gesamtunterhaltsrückstand liegt geringfügig über dem von der Antragstellerin geforderten Betrag und ist lediglich in der geltend gemachten geringeren Höhe zu berücksichtigen (vgl. BGH, a.a.O.).
7.
Das Begehren auf Rechtshängigkeitszinsen ist in dem zuerkannten Umfang gemäß §
291
BGB
begründet, wobei Rechtshängigkeit gegenüber der Antragsgegnerin zu 1. mit der im Zuge der Einleitung des schriftlichen Vorverfahrens durch das Amtsgericht am 09.06.2016 an den vormaligen Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin zu 1. bewirkten Zustellung und gegenüber der Antragsgegerin zu 2. mangels früherer Zustellung im Verfahren durch die Antragstellung im Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht am 13.12.2016 eingetreten ist.
III.
Die Kostenentscheidung rechtfertigt sich aus § 243 FamFG, wobei der Antragstellerin mit Blick auf den bis auf eine geringfügige rechnerische Korrektur vollständigen Erfolg ihres Begehrens keine Kosten aufzuerlegen waren und sich die auf die Antragsgegnerinnen entfallenden Quoten nach ihrem jeweiligen Anteil an den gesamten Unterhaltsforderungen richten.
Da ausschließlich Unterhaltsrückstände verfahrensgegenständlich sind, sieht der Senat keinen Anlass, gemäß § 116 Abs. 3 Sätze 2 und 3 FamFG die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anzuordnen.
Die Wertfestsetzung hat ihre Grundlage in §§ 40 Abs. 1, 51 FamGKG.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG zuzulassen, weil die Frage, inwieweit im Rahmen des Elternunterhalts Mehrkosten wegen der behinderungsgerechten Heimpflege eines Pflegebedürftigen geschuldet sind und insoweit vom Sozialhilfeträger gezahlte Aufwendungen mit dem Elternunterhaltsanspruch auf den Sozialhilfeträger übergehen, von grundsätzlicher Bedeutung ist.