Verfassungswidrigkeit der Anrechnung des Einkommens eines dauernd getrennt lebenden Ehegatten bei der Ausbildungsförderung
Gründe:
A.
Gegenstand der Vorlage ist die Frage, ob es verfassungsrechtlich geboten ist, im
Bundesausbildungsförderungsgesetz (
BAföG) das bei der Bedarfsermittlung eines Auszubildenden anzurechnende Einkommen und Vermögen des dauernd getrennt lebenden Ehegatten
auf den Betrag zu begrenzen, der aufgrund der bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht tatsächlich realisierbar ist.
I.
Im Ausgangsverfahren wendet sich die Klägerin gegen eine Berechnung ihrer Ausbildungsförderung, weil ihr das Einkommen ihres
dauernd getrennt lebenden Ehemannes über die tatsächlich gewährten - titulierten - Unterhaltsleistungen hinaus bedarfsmindernd
angerechnet worden ist.
Als die Klägerin ihr Studium begann, galt für die Anrechnung von Vermögen und Einkommen auf die Ausbildungsförderung folgende
Regelung des Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung (
Bundesausbildungsförderungsgesetz -
BAföG -):
§ 11 Umfang der Ausbildungsförderung
(1) Ausbildungsförderung wird für den Lebensunterhalt und die Ausbildung geleistet (Bedarf).
(2) Auf den Bedarf sind nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Einkommen und Vermögen des Auszubildenden, seines Ehegatten
und seiner Eltern in dieser Reihenfolge anzurechnen; ...
(2a) Einkommen und Vermögen des Ehegatten bleiben außer Betracht, wenn er von dem Auszubildenden dauernd getrennt lebt. ...
(3) Einkommen und Vermögen der Eltern bleiben ferner außer Betracht, wenn der Auszubildende
1. ein Abendgymnasium oder Kolleg besucht,
2. bei Beginn des Ausbildungsabschnitts das 30. Lebensjahr vollendet hat,
3. bei Beginn des Ausbildungsabschnitts nach Vollendung des 18. Lebensjahrs fünf Jahre erwerbstätig war,
4. bei Beginn des Ausbildungsabschnitts nach Abschluß einer vorhergehenden, zumindest dreijährigen berufsqualifizierenden
Ausbildung drei Jahre oder im Falle einer kürzeren Ausbildung entsprechend länger erwerbstätig war oder
5. eine weitere in sich selbständige Ausbildung beginnt, nachdem seine Eltern ihm gegenüber ihre Unterhaltspflicht erfüllt
haben. Satz 1 Nr. 3 und 4 gilt nur, wenn der Auszubildende in den Jahren seiner Erwerbstätigkeit in der Lage war, sich aus
deren Ertrag selbst zu unterhalten.
(4) ...
Demnach blieben Einkommen und Vermögen eines vom Auszubildenden dauernd getrennt lebenden Ehegatten bei der Gewährung von
Ausbildungsförderung außer Betracht.
§
11 Abs.
2 a Satz 1
BAföG ist durch das Siebente Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (7. BAföGÄndG) vom 13. Juli 1981 (BGBl.
I S. 625) mit Wirkung für alle Bewilligungszeiträume aufgehoben worden, die nach dem 31. Juli 1981 begonnen haben (Art. 1
Nr. 6 i. V. m. Art. 7 Abs. 3 des 7. BAföGÄndG). Seit dieser gesetzlichen Änderung wird auch das Einkommen und Vermögen des
dauernd getrennt lebenden Ehegatten eines Auszubildenden bei der Bedarfsprüfung anspruchsmindernd berücksichtigt. Die Einkommensanrechnung
erfolgt wie bei intakten Ehen nach §§
21 ff.
BAföG pauschaliert in Anlehnung an den Einkommensbegriff des Einkommensteuergesetzes, ohne daß die Höhe des bürgerlich-rechtlichen
Unterhaltsanspruchs im Einzelfall berücksichtigt wird. Ist die Ehe geschieden, werden hingegen die tatsächlichen Unterhaltsleistungen
dem Auszubildenden als eigenes Einkommen bedarfsmindernd angerechnet.
Durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (9. BAföGÄndG) vom 26. Juni 1985 (BGBl. I S.
1243) wurde §
11 Abs.
2 BAföG in seinem zweiten Halbsatz neu gefaßt; diese Änderung ist zur Beurteilung der im Ausgangsverfahren gestellten Vorlagefrage
ohne Belang.
II.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist verheiratet und Mutter dreier Kinder. Sie lebt seit dem 1. April 1979 von ihrem Ehemann
dauernd getrennt. Beide Ehepartner bewohnen verschiedene Wohnungen; die Kinder sind in Internaten untergebracht.
Durch Beschluß des Amtsgerichts vom 13. November 1980 wurde der Ehemann der Klägerin verpflichtet, an diese ab dem 1. Februar
1980 einen monatlich im voraus zahlbaren Unterhaltsbetrag von 300 DM zu entrichten. In den Gründen dieses Beschlusses ist
ausgeführt, daß der Ehemann aufgrund der vorgelegten Einnahmen- und Ausgabenberechnung nicht in der Lage sei, höhere Unterhaltsleistungen
zu erbringen. Mit Beschluß vom 13. Januar 1983 wurde der Unterhaltsbetrag ab 11. August 1982 auf 350 DM monatlich erhöht.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens studiert seit dem Wintersemester 1979/80 in der Fachrichtung Sozialpädagogik. Zur Durchführung
dieses Studiums erhielt sie in den Bewilligungszeiträumen 1979/80 sowie 1980/81 Leistungen zur Ausbildungsförderung ohne Anrechnung
von Einkommen und Vermögen ihres dauernd getrennt lebenden Ehemannes. Auf ihren Wiederholungsantrag hin erteilte das im Ausgangsverfahren
beklagte Studentenwerk einen Förderungsbescheid für den Bewilligungszeitraum Oktober 1981 bis September 1982; hierbei wurde
das Einkommen des Ehemannes der Klägerin bedarfsmindernd berücksichtigt. Für die Zeit von Oktober 1981 bis März 1982 rechnete
das Studentenwerk Einkommen in Höhe von 596,32 DM, für die Zeit April bis Juli 1982 in Höhe von 428,57 DM und für August sowie
September 1982 in Höhe von 348,06 DM an.
III.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Bewilligung von Ausbildungsförderung unter Anrechnung des Einkommens ihres getrennt
lebenden Ehemannes lediglich in Höhe des vom Amtsgericht festgesetzten Unterhaltsbetrages. Zur Begründung führt sie aus, daß
sie in dem hier maßgeblichen Bewilligungszeitraum keine Möglichkeit besessen habe, einen höheren Unterhaltsanspruch geltend
zu machen; gleichwohl sei ihr ein erheblich höheres Einkommen des Ehegatten angerechnet worden.
Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt,
ob § 11 Abs. 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes insoweit mit dem
Grundgesetz vereinbar ist, als das Einkommen des vom Auszubildenden getrennt lebenden Ehegatten generell ohne Härteregelung als dessen
Einkommen angerechnet wird.
Die Regelung des §
11 Abs.
2 BAföG, nach der Einkommen und Vermögen des dauernd getrennt lebenden Ehegatten auf den Bedarf eines Auszubildenden unabhängig davon
angerechnet werden müsse, ob der Anrechnungsbetrag auch tatsächlich realisierbar sei, benachteilige diese Gruppe der Auszubildenden
willkürlich gegenüber denjenigen Gruppen von Auszubildenden, die geschieden seien oder deren Ausbildung - ausnahmsweise -
ohne Anrechnung des Elterneinkommens gefördert werde (§
11 Abs.
3 BAföG). Eine weitere Benachteiligung erfolge gegenüber solchen, welche Vorausleistungen von Ausbildungsförderung erhielten, weil
die Unterhaltsverpflichteten trotz Einkommensanrechnung den maßgeblichen Betrag nicht leisteten (§
36 Abs.
1 BAföG).
Mit der Einkommensanrechnung trage das
Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grundsatz der Subsidiarität Rechnung. Daneben habe der Gesetzgeber aber auch sicherstellen wollen, daß der Auszubildende
eine seiner Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung tatsächlich durchführen könne. Dabei habe sich der Gesetzgeber
eng an das bürgerliche Unterhaltsrecht angelehnt. Dies rechtfertige es, daß Einkommen und Vermögen eines Ehegatten bei einer
intakten Ehe ohne Ausnahme angerechnet würden; die Ehegatten seien sich wechselseitig zum Unterhalt verpflichtet und trügen
in aller Regel die Lasten des Familienhaushalts gemeinsam. Etwas anderes müsse aber bei getrennt lebenden Ehegatten zumindest
dann gelten, wenn sie keine gemeinsame Wohnung besäßen. Der Gesetzgeber habe demgemäß ursprünglich aus sachlich gerechtfertigten
Gründen zwischen zusammen und getrennt lebenden Ehegatten differenziert. Der getrennt lebende Ehepartner habe in der Regel
kein Interesse an der Ausbildung des anderen, beide wirtschafteten nicht gemeinsam und führten keinen gemeinsamen Haushalt.
Nachdem die Regelung geändert worden sei, hätte der Gesetzgeber eine Härteregelung vorsehen müssen, soweit der Anrechnungsbetrag
den bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch übersteige.
Die ersatzlose Streichung des §
11 Abs.
2 a Satz 1
BAföG durch das Siebente Änderungsgesetz lasse sich auch nicht mit dem Hinweis darauf rechtfertigen, daß dies zur Vermeidung von
Leistungsmißbräuchen erforderlich gewesen sei. Hierzu hätte der Gesetzgeber auch weniger einschneidende Maßnahmen treffen
können - etwa die Einführung einer widerlegbaren Vermutung oder spezieller Mißbrauchstatbestände. Verwaltungsmäßige Schwierigkeiten
bei der Leistungsfeststellung allein könnten es jedenfalls nicht rechtfertigen, die Gruppe der getrennt lebenden Auszubildenden
wie zusammen lebende Ehegatten und nicht wie Geschiedene zu behandeln.
Die zur Prüfung gestellte Regelung verstoße im übrigen auch gegen das Rückwirkungsverbot. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens
habe ihre Ausbildung zu einem Zeitpunkt begonnen, als sie darauf habe vertrauen können, daß das Einkommen ihres dauernd getrennt
lebenden Ehegatten nicht angerechnet werde. Dieses Vertrauen sei verletzt worden. Die Klägerin habe nicht damit zu rechnen
brauchen, durch eine Gesetzesänderung während der Ausbildung gezwungen zu werden, einen finanziellen Fehlbetrag durch Arbeit
decken zu müssen.
IV.
Zu der Vorlage haben der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft namens der Bundesregierung, das Bundesverwaltungsgericht
und die Klägerin des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.
1. Der Bundesminister hält die getroffene Neuregelung für verfassungsgemäß. Sie sei unter Berücksichtigung der Systematik
des Bundesausbildungsförderungsgesetzes sachlich gerechtfertigt, verletze nicht den Gleichbehandlungsgrundsatz und verstoße
zudem nicht gegen das Prinzip des Vertrauensschutzes.
Die Streichung des §
11 Abs.
2 a Satz 1
BAföG a. F. sei erforderlich gewesen, weil der Gesetzgeber beim Siebenten Änderungsgesetz infolge der ungünstigen Haushaltslage
zu Einsparungen gezwungen gewesen sei. Das Gesetz habe Einsparungen in Höhe von insgesamt 560 Millionen DM erbracht. Außerdem
sei es erforderlich gewesen, in der Vergangenheit verstärkt aufgetretenen Mißbrauchsfällen zu begegnen. Der Förderungsverwaltung
sei es nahezu unmöglich gewesen, anhand objektiver Kriterien ein Getrenntleben innerhalb der ehelichen Wohnung zu überprüfen.
Die Anrechnung von Einkommen und Vermögen des getrennt lebenden Ehegatten ohne Rücksicht darauf, ob der Auszubildende gegenüber
seinem Ehegatten einen durchsetzbaren Unterhaltsanspruch in Höhe dieses Anrechnungsbetrages besitze, verletze nicht den allgemeinen
Gleichheitssatz. Das
Bundesausbildungsförderungsgesetz orientiere sich zwar an der zivilrechtlichen Unterhaltsregelung, knüpfe aber nicht an eine konkrete Unterhaltsverpflichtung
an. Der Nachrang öffentlich-rechtlicher Förderung werde nicht durch deren Koppelung an das Bestehen sowie den Umfang der Unterhaltspflicht
im jeweiligen Einzelfalle gesichert. Der dem Unterhaltsverpflichteten zugemutete Beitrag zu den Ausbildungskosten werde vielmehr
als typisierende Regelung unter Zubilligung von Freibeträgen vom Einkommen und Vermögen in einer Höhe pauschaliert, die dem
Umfang der Unterhaltspflicht in der Regel entspreche. Das um die Freibeträge gekürzte Einkommen müsse dann aber ohne Rücksicht
darauf angerechnet werden, ob im Einzelfall eine der Höhe des Anrechnungsbetrages entsprechende bürgerlich-rechtliche Unterhaltspflicht
bestehe.
Von Verfassungs wegen sei es auch nicht zu beanstanden, daß der von der Klägerin repräsentierten Personengruppe weder ein
Anspruch auf Vorausleistung gemäß §
36 BAföG zuerkannt werde noch eine ehegattenunabhängige Förderung in entsprechender Anwendung des §
11 Abs.
3 BAföG in Betracht komme. Der Gesetzgeber habe in beiden Fällen für das Verhältnis zwischen Eltern und Kind Ausnahmetatbestände
geschaffen, die auf das Verhältnis von getrennt lebenden Ehegatten nicht übertragbar seien.
Auch verstoße die zur Prüfung gestellte Regelung nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Das Vertrauen auf das Fortbestehen einer
günstigen Regelung werde nicht geschützt.
2. Das Bundesverwaltungsgericht weist darauf hin, daß es im
Bundesausbildungsförderungsgesetz bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen Dritter generell nicht darauf ankomme, ob Unterhaltsansprüche bestünden und
durchsetzbar seien. Das Gesetz bestimme das anrechenbare Einkommen vielmehr selbst durch eigene Vorschriften. Das rechtfertige
sich, weil es dem Amt für Ausbildungsförderung verwehrt sei, Inhalt und Umfang der Unterhaltspflicht durch Verwaltungsakt
festzulegen. Auch sei es verfassungsrechtlich unbedenklich, daß der Gesetzgeber die in §
11 Abs.
3 und §
36 BAföG geregelten Ausnahmetatbestände nicht auf alle Ausbildungsfälle erstreckt habe. Eine verfassungswidrige Rückwirkung liege
nicht vor.
3. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens weist darauf hin, daß sie sich eine neue Lebensgrundlage schaffen wolle und daher schon
während der Dauer des Getrenntlebens die hierzu notwendigen Schritte eingeleitet habe. Sie stehe einer bereits geschiedenen
Auszubildenden gleich, bei der nur die tatsächlich geleisteten Zahlungen anrechenbar wären.
B.
Die Vorlage ist im wesentlichen zulässig.
Entgegen der vom vorlegenden Gericht vertretenen Auffassung ist es jedoch nicht entscheidungserheblich, ob das Einkommen und
Vermögen des vom Auszubildenden dauernd getrennt lebenden Ehegatten "generell ohne Härteregelung" bei der Bedarfsermittlung
anzurechnen ist. Im Ausgangsfall besteht ein gerichtlich titulierter Unterhaltsanspruch. Ob auch in anderen Fällen der Ausbildungsförderung
die Einkommens- und Vermögensanrechnung bei dauernd getrennt lebenden Ehegatten auf den bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch
zu begrenzen ist, bleibt für die vom Verwaltungsgericht zu treffende Entscheidung ohne Belang. Die Vorlage ist demnach nur
insoweit zulässig, als sie die Frage betrifft, ob die eine gerichtlich titulierte Unterhaltsforderung überschreitende Anrechnung
von Einkommen und Vermögen des von einem Auszubildenden dauernd getrennt lebenden Ehegatten verfassungsgemäß ist.
C.
Die zur Prüfung gestellte Regelung ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar, soweit Einkommen und Vermögen des
dauernd getrennt lebenden Ehegatten eines Auszubildenden über gerichtlich titulierte Unterhaltsansprüche hinaus bei der Bedarfsermittlung
berücksichtigt werden.
I.
1. Art.
3 Abs.
1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn
eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen
keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl.
BVerfGE 55, 72 (88); 64, 229 (239); 65, 104 (112 f.); 67, 231 (236)).
2. Die Gruppe der verheirateten, aber dauernd getrennt lebenden Auszubildenden wird anders behandelt als die der geschiedenen.
Seit der ersatzlosen Streichung des §
11 Abs.
2 a Satz 1
BAföG a. F. erfolgt bei dauernd getrennt lebenden Ehegatten - wie bei Auszubildenden in noch intakten Eheverhältnissen - wegen
des eigenständigen Einkommensbegriffs im
Bundesausbildungsförderungsgesetz eine Anrechnung des Einkommens und Vermögens des Ehegatten ohne Rücksicht auf den Umfang der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht
sowie deren konkrete Realisierung. Bei geschiedenen Ehegatten hingegen wird dem Auszubildenden nur der Unterhalt, den er tatsächlich
erhält, als eigenes Einkommen angerechnet (§
11 Abs.
2 BAföG).
3. Diese Differenzierung zwischen geschiedenen und dauernd getrennt lebenden Ehegatten ist von Verfassungs wegen jedenfalls
dann nicht gerechtfertigt, wenn der Auszubildende über eine gerichtlich titulierte Unterhaltsforderung verfügt und damit feststeht,
daß er einen darüber hinausgehenden Unterhaltsbedarf gegenüber seinem dauernd getrennt lebenden Ehepartner nicht realisieren
kann.
a) Grundsätzlich allerdings ist es nicht zu beanstanden, daß das
Bundesausbildungsförderungsgesetz von einem eigenständigen Einkommensbegriff ausgeht, der sich nicht notwendig und in allen Einzelheiten mit den zivilrechtlichen
Bestimmungen zur Ermittlung der jeweiligen Unterhaltsverpflichtung im Einzelfall deckt. Der Gesetzgeber war bei der Konzeption
des Bundesausbildungsförderungsgesetzes nicht verpflichtet, den Nachrang der öffentlich-rechtlichen Ausbildungsförderung in
einer Weise zu verwirklichen, daß diese an Bestehen und Umfang der Unterhaltspflicht im jeweils zu entscheidenden Falle anknüpft.
Der den Ehegatten und Eltern zugemutete Beitrag zu den Ausbildungskosten kann daher allgemein - unter Zubilligung von Freibeträgen
vom Einkommen und Vermögen - in einer Höhe pauschaliert werden, die dem Umfang der Unterhaltspflicht nur im Regelfall entspricht.
Dieses pauschalierte Verfahren zur Bedarfsermittlung eines Auszubildenden findet in allen Fällen gemeinschaftlicher ehelicher
Lebensführung uneingeschränkte Anwendung. Dem liegt vornehmlich die Überlegung zugrunde, daß der eine Ehegatte an der Ausbildung
des anderen interessiert ist, da diese in aller Regel zu einem gesellschaftlichen Aufstieg und einem höheren wirtschaftlichen
Ertrag der Erwerbstätigkeit führt (BTDrucks. VI/ 1975, S. 26).
b) Ein solches gemeinsames Interesse besitzen Geschiedene naturgemäß nicht mehr. Ihre rechtlichen Verpflichtungen zueinander
beschränken sich überwiegend auf die Regelung von Nachwirkungen der früheren ehelichen Lebensgemeinschaft. Demgemäß bleiben
Einkommen und Vermögen des ehemaligen Ehegatten eines Auszubildenden bei der Bedarfsermittlung außer Betracht; nur die dem
Auszubildenden tatsächlich zugewendeten Leistungen werden bedarfsmindernd angerechnet.
Ob es verfassungsrechtlich geboten ist, die für Geschiedene geltenden Grundsätze entsprechend dem vor Inkrafttreten des Siebenten
Änderungsgesetzes herrschenden Rechtszustand uneingeschränkt auch auf dauernd getrennt lebende Ehegatten zu übertragen, kann
dahingestellt bleiben. Soweit indessen ein vollstreckbarer gerichtlicher Unterhaltstitel vorliegt, sind die Unterschiede zwischen
dauernd getrennt Lebenden und Geschiedenen nicht von solcher Art und solchem Gewicht, daß sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen
könnten. Denn neben der räumlichen Trennung der Ehegatten stellt insbesondere die Erwirkung eines gerichtlichen Unterhaltstitels
ein entscheidendes Indiz dafür dar, daß die eheliche Lebensgemeinschaft ernsthaft aufgehoben worden ist und damit bereits
ein Status vorliegt, der dem des Geschiedenen nahezu entspricht. In solchen Fällen ist kein ausreichender Grund dafür erkennbar,
daß dem Auszubildenden ein höherer Betrag angerechnet wird, als ihm aufgrund der titulierten Forderung zusteht.
c) Die Differenzierung läßt sich nicht mit dem Hinweis darauf rechtfertigen, daß in letzter Zeit gehäuft aufgetretenen Mißbrauchsfällen
habe begegnet werden müssen, weil ein behauptetes Getrenntleben innerhalb der Ehewohnung anhand objektiver Kriterien nicht
habe überprüft werden können (BTDrucks. 9/410, S. 13). Soweit hier ein Mißbrauch zu befürchten war, hätte der Gesetzgeber
weniger einschneidende Maßnahmen ergreifen können; zumindest hätte es genügt, die zur Prüfung gestellte Regelung auf solche
Fälle zu beschränken, in denen die getrennt lebenden Ehegatten noch in der gleichen Wohnung leben. Im übrigen erscheint die
Gefahr eines Mißbrauchs gerade in solchen Fällen sehr gering, in denen bereits ein gerichtlicher Unterhaltstitel erwirkt worden
ist.
d) Die festgestellte Ungleichbehandlung läßt sich auch nicht aus Gründen der Praktikabilität rechtfertigen. Zwar sind bei
der Ordnung von Massenerscheinungen typisierende Regelungen allgemein als notwendig anerkannt und vom Bundesverfassungsgericht
im Grundsatz als verfassungsrechtlich unbedenklich behandelt worden (vgl. BVerfGE 17, 1 (23) m. w. N.; 63, 119 (128); st. Rspr.). Da jedoch die Einkommensverhältnisse ohnehin in jedem einzelnen Leistungsfall zu
klären sind und die Ermittlung des Anrechnungsbetrages bei einer gerichtlich titulierten Unterhaltsforderung besonders einfach
ist, besteht für eine typisierende Regelung kein erkennbares Bedürfnis.
Schließlich läßt sich die gleichheitswidrige Differenzierung auch nicht mit dem Hinweis darauf rechtfertigen, daß der Staat
die Leistungen zur Ausbildungsförderung in Erfüllung seiner Fürsorgepflichten gewährt und diese von der jeweiligen staatlichen
Finanzsituation abhängig sind. Einer nachhaltigen Verschlechterung der Finanzsituation kann und muß der Gesetzgeber zwar in
gebührender Weise Rechnung tragen; dies darf indessen nicht dazu führen, daß bestimmte Normadressaten im Verhältnis zu anderen
Normadressaten ungerechtfertigt benachteiligt und damit ungleich behandelt werden.
II.
Wortlaut und Sinnzusammenhang des §
11 Abs.
2 BAföG lassen es nicht zu, die verfassungsrechtlich gebotene Gleichstellung durch eine verfassungskonforme Auslegung dieser Norm
herbeizuführen. §
11 Abs.
2 BAföG ist daher insofern mit dem
Grundgesetz unvereinbar, als Einkommen und Vermögen des dauernd getrennt lebenden Ehegatten eines Auszubildenden über eine gerichtlich
titulierte Unterhaltsforderung hinaus bei der Bedarfsermittlung angerechnet werden.