BAG, Urteil vom 29.04.2008 - 3 AZR 266/06
Betriebliche Altersversorgung; Prozessrecht; Nettolohnvereinbarung - Vorgezogene Inanspruchnahme der Betriebsrente; eine Kürzung für alle Leistungsstörungen; unterschiedliche Altersgrenzen für Männer und Frauen; auf Männer beschränkter Abschlag; Diskriminierung wegen des Geschlechts; europarechtlicher Vertrauensschutz; Umsetzung des Barber-Urteils des EuGH; sozialversicherungsrechtliche Beitragslast der Betriebsrentner; Kranken- und Pflegeversicherung; vertragliche Übernahme der Beitragslast durch den Arbeitgeber; Abtastverfahren; Unklarheitenregel; beschränkte Revisionseinlegung
Orientierungssätze:
1. Sozialversicherungsrechtlich haben die Betriebsrentner Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge aus den Versorgungsbezügen zu tragen. Eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, durch die der Arbeitgeber diese Beitragslasten übernimmt, ist die Ausnahme und muss deshalb deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Dies war im vorliegenden Fall nicht geschehen.
2. Unterschiedliche Altersgrenzen für Männer und Frauen sowie die darauf aufbauenden, auf Männer beschränkten Kürzungen bei Inanspruchnahme der Betriebsrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres verstoßen zwar gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 141 EG (= Art. 119 EG-Vertrag aF). Dies ist aber wegen des vom EuGH befürworteten europarechtlichen Vertrauensschutzes für Beschäftigungszeiten bis einschließlich 17. Mai 1990 hinzunehmen. Deshalb durfte im vorliegenden Fall hinsichtlich des bis zum 17. Mai 1990 erdienten Betriebsrententeils des Klägers der in der Versorgungsordnung für die vorgezogene Inanspruchnahme vorgesehene Abschlag vorgenommen werden.
3. Bei dem in der Versorgungsordnung für jeden vollen Monat des Rentenbeginns vor dem 65. Lebensjahr vorgesehenen Abschlag von 0,6 % handelte es sich nicht ausschließlich um einen versicherungsmathematischen Abschlag. Diese Kürzung berücksichtigte auch, dass der Arbeitnehmer nicht die erwartete Betriebszugehörigkeit bis zur festen Altersgrenze aufweist und damit eine geringere Leistung erbringt als vorgesehen.
4. Der geringeren Betriebszugehörigkeit wird meist durch analoge Anwendung des § 2 Abs. 1 BetrAVG (m/n-Kürzung) Rechnung getragen. § 6 BetrAVG zwingt aber nicht dazu, diesen Weg zu beschreiten. Der fehlenden Betriebszugehörigkeit kann auch durch eine aufsteigende Berechnung oder auf andere angemessene Weise Rechnung getragen werden. Die Erhöhung des rechtlich unproblematischen versicherungsmathematischen Abschlags von 0,5 % pro Monat der vorgezogenen Inanspruchnahme der Betriebsrente um weitere 0,1 % auf insgesamt 0,6 % als Ausgleich der geringeren Betriebszugehörigkeit ist angemessen. Dies ist für die Versorgungsberechtigten günstiger als eine ratierliche Kürzung analog § 2 Abs. 1 BetrAVG.
Fundstellen: AP Nr. 58 zu § 2 BetrAVG, ArbRB 2009, 10, NZA 2008, 1417
Normenkette:
BetrAVG § 2 Abs. 1 § 6
,
EG Art. 141 ( Art. 119 EG-Vertrag a.F.)
,
GG Art. 3 Abs. 2, 3
,
AGG § 2 Abs. 2 S. 2
,
SGB V § 250 Abs. 1 § 256 Abs. 1
,
SGB XI § 54 Abs. 3
,
BGB § 305c Abs. 2
,
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2 § 258 § 307
Vorinstanzen: LAG Niedersachsen 13.01.2006 10 Sa 1115/05 B , ArbG Oldenburg 10.02.2005 1 Ca 166/04 B

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