Tatbestand
Streitig ist die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung von Auskunft über Leistungs- und Abrechnungsvorgänge durch Vorlage
von Kundenunterlagen und -daten. Die Klägerin nimmt den Beklagten im Wege der Stufenklage in Anspruch und begehrt nach Auskunftserteilung
die Erstattung gegebenenfalls überzahlter Rechnungsbeträge.
Der Beklagte ist Augenoptiker. In der Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2003 versorgte er Mitglieder der Klägerin sowie (unter
anderem) der Barmer Ersatzkasse (BEK, seit 01.01.2010 durch Vereinigung mit der Gmünder Ersatzkasse: "Barmer-GEK") und der
Kaufmännischen Krankenkasse (KKH, seit 01.04.2009 durch Aufnahme der BKK Allianz: "KKH-Allianz") mit Sehhilfen. In der Zeit
vom 01.07.1994 bis 31.12.2003 galt der Vertrag vom 30.06.1994 zwischen dem Zentralverband der Augenoptiker (ZVA), dessen Mitglied
der Beklagte ist, und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) bzw. Arbeiterersatzkassen-Verband (AEV). VdAK und
AEV sind seit dem 01.01.2009 im Verband der Ersatzkassen (VdEK) zusammengeschlossen. Die Klägerin, die BEK und die KKH waren
Mitglieder des VdAK, die Klägerin, die Barmer GEK und die KKH-Allianz sind jetzt Mitglieder des VdEK. Gemäß § 1 Abs. 2 des
Vertrages wurden die Vertragsleistungen - Versorgung der Versicherten mit Sehhilfen - entweder aufgrund vertragsärztlicher
Verordnung oder aufgrund von "Berechtigungsscheinen" abgegeben. Nach Anlage 1 Abs. 1 zum Vertrag stellten die Krankenkassen
ihren Versicherten auf Anforderung einen Berechtigungsschein zur Verfügung. Der Augenoptiker konnte nach Maßgabe der Anlage
1 Abs. 2 u. a. die Vergütung für Augenglasbestimmungen, den Betrag für erforderliche Brillengläser bzw. Brillenfassungen,
den Betrag für Reparaturen, den Betrag für Trifokal-Gläser und die Vergütung für Kunststoffgläser abrechnen. Bei Verwendung
von Berechtigungsscheinen war eine vertragsärztliche Verordnung nicht erforderlich.
Nach Angaben der Klägerin erhielt sie erstmals im Jahr 2005 von einer AOK einen Hinweis auf Falschabrechnungen durch Optiker.
Sie begann daraufhin mit der Überprüfung der Abrechnungen von Augenoptikern aus den Jahren 2001 bis 2003. Am 25.08.2005 schlossen
die Ersatzkassen eine "Kooperationsvereinbarung über die Wahrnehmung der Aufgaben bei der Bekämpfung von Abrechnungsmanipulationen".
Gegenstand dieser Vereinbarung war u.a. die Prüfung der Erbringer von Hilfsmitteln im Hinblick auf Abrechnungsmanipulationen.
Hierin wurde vereinbart, dass grundsätzlich für jeden Leistungserbringer, gegen den Regressansprüche geltend gemacht werden
sollen, eine Ersatzkasse zur Bearbeitung des Falles umfassend beauftragt wird. Am 23.04.2007 beschloss der "Steuerungsausschuss
Abrechnungsmanipulation", in Nordrhein-Westfalen ein Sonderprüfverfahren von Optikern durchzuführen. Am 26.07.2007 beschloss
der Steuerungsausschuss, dass die Klägerin das Projekt federführend übernimmt.
Am 29.12.2007 hat die Klägerin gegen den Beklagten Klage erhoben auf Erteilung von Auskunft "über sämtliche Leistungs- und
Abrechnungsvorgänge, in denen der Beklagte im Abrechnungszeitraum 2001 bis 2003 Leistungen über Berechtigungsscheine sowie
aufgrund vertragsärztlicher Verordnungen abgerechnet hat, durch Vorlage der diesbezüglichen Kundenunterlagen und -daten, insbesondere
Karteikarten und Lieferscheine" sowie "der Klägerin die überzahlten Rechnungsbeiträge, deren Gesamthöhe nach Erfüllung des
Klageantrags zu 1) beziffert werden wird, zu erstatten".
Statistische Vergleichsdaten und die Sichtung von Berechtigungsscheinen und Verordnungen begründen nach Meinung der Beklagten
den dringenden Verdacht auf Falschabrechnungen: Der Beklagte habe bei den insgesamt abgerechneten Leistungspositionen einen
weit überdurchschnittlichen Anteil über Berechtigungsscheine abgerechnet (84,79% gegenüber 68,95% im Landesdurchschnitt).
Der Umsatz je Versichertem und Berechtigungsschein liege beim Kläger bei durchschnittlich 102,27 EUR, während er im Landesdurchschnitt
nur 65,22 EUR betrage. Auch seien überdurchschnittlich viele Sehhilfen für Versicherte, die bereits eine Versorgung erhalten
haben, über Berechtigungsscheine abgerechnet worden (38,66% gegenüber 12,65% im Landesdurchschnitt), gleiches gelte für Abrechnungen
von Dreistärkengläsern (32,37% gegenüber 11,64% im Landesdurchschnitt) und "harten" Kontaktlinsen (2,24% gegenüber 0,47% im
Landesdurchschnitt). Diese statistischen Auffälligkeiten begründeten den Verdacht, dass Versorgungen erbracht und abgerechnet
worden seien, auf die der Versicherte keinen Anspruch gehabt hat bzw. Leistungen abgerechnet worden seien, die (jedenfalls
in dieser Form) nicht erbracht worden sind. Gleiches gelte für die Analyse der Berechtigungsscheine: Bei insgesamt 61 Berechtigungsscheinen
fehlten die erforderlichen Angaben zu den vertraglichen Voraussetzungen mit Sehhilfen. In 65 Fällen sei die Sehhilfeversorgung
mit der Angabe "Bruch/Reparatur/Verlust" begründet worden, erfahrungsgemäß werde tatsächlich häufig nicht eine von Bruch oder
Verlust betroffene Brille ersetzt, sondern mit dieser Begründung die Lieferung von nicht abrechenbaren Zweit- oder Sonnenbrillen
verdeckt. Auf 34 Berechtigungsscheinen sei angegeben worden, dass sich die Sehschärfe um mindestens 0,5 Dioptrien geändert
habe, ohne dass die Glasstärke sich entsprechend verändert habe. In 21 Fällen habe der Beklagte Trifokalgläser abgerechnet,
ohne dass die leistungsrechtlichen Voraussetzungen (Vollendung des 51. Lebensjahres und Dioptriendifferenz von Nah- und Fernbereich)
vorgelegen hätten. In vier Fällen habe die medizinische Indikation für die Versorgung mit Kontaktlinsen und in zwei Fällen
die medizinische Indikation für die Versorgung mit Kunststoffgläsern nicht vorgelegen. In acht Fällen sei eine unzulässige
Doppelversorgung mit Ein- und Mehrstärkengläsern erfolgt. Zum Beleg dieser Ausführungen hat die Klägerin ein aufgrund eines
Prüfauftrages vom 21.02.2008 am 04.03.2008 erstelltes Gutachten der Augenoptikermeisterin E vorgelegt.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die genaue Feststellung, ob und ggfs. in welcher Höhe Falschabrechnungen tatsächlich vorliegen,
sei nur durch einen Vergleich der abgerechneten Leistungen mit den Unterlagen des Beklagten möglich. Sie hat gemeint, sie
sei berechtigt, auch für die Barmer GEK und die KKH-Allianz Ansprüche geltend zu machen. Der Auskunfts- und Erstattungsanspruch
folge aus ihrer vertraglichen Beziehung zum Beklagten und sei nicht verjährt.
Die Klägerin hatte zunächst auch Ansprüche weiterer Krankenkassen geltend gemacht, die insoweit erhobene Klage aber mit Schriftsatz
vom 30.09.2009 zurückgenommen. Sie hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
1. den Beklagten zu verpflichten, Auskunft zu erteilen über sämtliche Leistungs- und Abrechnungsvorgänge, in denen der Beklagte
im Abrechnungszeitraum 01.01.2001 bis 31.12.2003 Leistungen über Berechtigungsscheine sowie aufgrund vertragsärztlicher Verordnungen
für Versicherte der Techniker Krankenkasse, der Barmer Ersatzkasse und der Kaufmännischen Krankenkasse abgerechnet hat, durch
Vorlage der diesbezüglichen Kundenunterlagen und -daten, insbesondere der betreffenden Auszüge aus der Kundenkartei, Lieferscheine,
Lieferantenrechnungen und Kundenrechnungen, in denen zu den in der Anlage A des Schriftsatzes vom 23.11.2009 aufgelisteten
- nach Name und Geburtsdatum der Versicherten, Ausstellungsdatum der Verordnung oder des Berechtigungsscheins und der zuständigen
Krankenkasse spezifizierten - Sehhilfenversorgungen folgende Angaben enthalten sind: - Befundwerte, (Fern- und Nahbereich;
rechts und links; sphärisch, Zylinder; Achse; Prisma) inklusive Refraktionsprotokoll, - Grund der Abgabe der Sehhilfe, - Art
und Umfang der erbrachten Leistung inklusive Fassungs- und Glashersteller, - die mit dem Versicherten abgerechnete Leistung,
- Datum und Bestellung der Sehhilfe beim Lieferanten, sowie (aus dem jeweiligen Lieferschein des Lieferanten): - genaue Bezeichnung
des gelieferten Artikels nach Artikelnummmer, Artikelbezeichnung und Material, - technische Spezifizierungen und Werte des
Artikels, wie z. B. Radien- Brechwert-Zylinder, Achse oder Durchmesser, - Anzahl der jeweils gelieferten Artikel.
2. der Klägerin die nach Erfüllung des Antrags zu 1. gegebenenfalls zu beziffernden und überzahlten Rechnungsbeträge zu erstatten.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat gemeint, für den geltend gemachten Auskunftsanspruch fehle eine Anspruchsgrundlage. Jedenfalls für die Jahre 2001 und
2002 sei der Anspruch wegen des Ablaufs einer vierjährigen Verjährungsfrist verjährt. Die Klägerin habe den Anspruch zudem
insgesamt verwirkt. Sie - bzw. die Barmer GEK und die KKH-Allianz - seien in der Lage gewesen, bei Erhalt der Berechtigungsscheine
zu prüfen, ob diese plausibel sind und dem Versicherten ein entsprechender Leistungsanspruch zusteht. Da die Klägerin und
die Barmer GEK bzw. die KKH-Allianz auf diese Prüfung verzichtet hätten, sei es treuwidrig, den Anspruch nunmehr klageweise
geltend zu machen.
Am 27.03.2008 haben die BEK und die KKH folgende im Wesentlichen gleichlautende Erklärungen abgegeben:
"Die Techniker Krankenkasse wurde von uns am 26. Juli 2007 beauftragt, die Abrechnungen von Augenoptikern aufgrund von Berechtigungsscheinen
sowie vertragsärztlichen Verordnungen in dem Zeitraum 2001 bis 2003 zu überprüfen, soweit Kunden unserer Krankenkasse betroffen
sind.
Die Techniker Krankenkasse wurde in diesem Zusammenhang von uns am 26. Juli 2007 ermächtigt, alle aus ihrer Sicht notwendigen
Schritte nach eigenem Ermessen durchzuführen. Hierzu gehört auch die Ermächtigung zum Einzug unserer Forderungen und die gerichtliche
Geltendmachung von Auskunfts- und Zahlungsansprüchen, im eigenen Namen im Wege der Prozessstandschaft.
Nunmehr treten wir an die dies annehmende Techniker Krankenkasse zu Einziehungszwecken alle eventuellen Ansprüche gegen Optiker
im Bundesland Nordrhein-Westfalen auf Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beträge ab."
Die BEK und die KKH-Allianz haben am 18.09.2009 bzw. 22.09.2009 erklärt:
"Höchstvorsorglich ermächtigen wird hiermit nochmals die Techniker Krankenkasse zur Durchsetzung unserer Ansprüche auf Rückforderung
zu Unrecht geleisteter Zahlungen aufgrund von Berechtigungsscheinen und vertragsärztlichen Verordnungen im Zeitraum von 2001
bis 2003 gegen den Optiker B. E. vor dem Sozialgericht Aachen in eigenem Namen und nach eigenem Ermessen. Die Ermächtigung
umfasst ausdrücklich das Vorgehen der Techniker Krankenkasse in dem bezeichneten Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Aachen.
Sie umfasst insbesondere die gerichtliche Geltendmachung von Auskunfts- und Zahlungsansprüchen im Wege der Prozessstandschaft.
Die Techniker Krankenkasse nimmt diese Ermächtigungserklärung an."
Mit Urteil vom 08.12.2009 hat das Sozialgericht Aachen den Beklagten dem Antrag zu 1. gemäß verurteilt. Auf Tatbestand und
Entscheidungsgründe des Urteils wird insoweit verwiesen. Den Antrag zu 2. hat das Sozialgericht nicht abgewiesen, sondern
in den Urteilsgründen ausdrücklich einer Entscheidung im Rahmen der zweiten Stufe der Stufenklage vorbehalten.
Gegen diese am 14.12.2009 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 24.12.2009 erhobene Berufung des Beklagten.
Der Beklagte rügt, er habe keine ausreichende Akteneinsicht erhalten. Der Urteilstenor sei prozessordnungswidrig, weil dieser
nicht nur auf Erteilung von Auskünften gerichtet sei, sondern die Herausgabe von Gegenständen umfasse. Diese seien nicht hinreichend
bestimmt bezeichnet. Unklar sei, was nach der Vorlage mit den Unterlagen zu geschehen habe. Auch sei es möglich, dass der
Beklagte keine entsprechenden Unterlagen mehr vorliegen habe. Die Klägerin sei nicht befugt, im Wege der Prozessstandschaft
auch die Ansprüche der beiden anderen Krankenkassen geltend zu machen, denn sie habe kein eigenes schutzwürdiges Interesse
hieran. Es sei keine Anspruchsgrundlage für das Auskunftsbegehren vorhanden, insbesondere sei der Vertrag zwischen dem ZAV
und dem VdAK/AEV einer ergänzenden Auslegung nicht zugänglich. Selbst wenn es eine Anspruchsgrundlage gäbe, wäre die vierjährige
Verjährungsfrist abgelaufen. Der Beklagte ist - übereinstimmend mit dem 16. Senat des Landessozialgerichts NRW (Beschluss
vom 06.07.2010 - L 16 KR 266/09, Bl. 764 ff GA) - der Auffassung, dass hinsichtlich des Beginns der Verjährung nicht auf §
199 Abs.
1 BGB abzustellen sei. Die Verjährungsvorschriften des
BGB seien nach §
45 Abs.
2 SGB I (ebenso § 113 Abs. 2 SGB X) nur hinsichtlich der Frage der Hemmung, der Ablaufhemmung, des Neubeginns und der Wirkung der Verjährung heranzuziehen.
Demgemäß seien bei Klageerhebung am 29.12.2007 mögliche die Jahre 2001 und 2002 betreffende Erstattungsansprüche verjährt.
Zudem seien auch die das Jahr 2003 betreffenden Ansprüche der Barmer GEK und der KKH-Allianz verjährt, denn die verjährungshemmende
Wirkung einer Klage (§
45 Abs.
2 SGB I i. V. m. §
204 Abs.
1 Nr.
1 BGB) trete im Falle der gewillkürten Prozessstandschaft erst in dem Augenblick ein, in dem diese prozessual offengelegt werde
oder offensichtlich sei. Offengelegt habe die Klägerin die Prozessstandschaft erst im Jahre 2008. Der Beklagte ist darüber
hinaus der Meinung, dass - wenn man hinsichtlich des Verjährungsbeginns §
199 Abs.
1 BGB anwenden würde - jedenfalls Feststellungen dazu fehlten, wann die Klägerin erstmals Kenntnis von eventuellen die Ersatzpflicht
begründenden Umständen gehabt hat. Dies sei möglicherweise weit vor 2005 gewesen, so dass die Verjährung auch bei Anwendung
von §
199 Abs.
1 BGB früher beginnen würde. Außerdem habe die Klägerin den geltend gemachten Anspruch verwirkt. Schließlich sei eine Auskunftserteilung
auch aus datenschutzrechtlichen Gründen unzulässig.
Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 08.12.2009 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Dem Beklagten wurden im Berufungsverfahren die bei der Klägerin vorhandenen Unterlagen über die Prüfung und Kürzung von Rechnungen
des Klägers aus den Jahren 2001 - 2003 (Übersendung mit Schriftsatz der Klägerin vom 06.03.2012), die Unterlagen, die dem
Gutachten der Augenoptikermeisterin E1 (einschließlich Vergleichsstatistik) zugrunde lagen (gerichtliche Verfügung vom 06.03.2012,
Empfangsbekenntnis des Bevollmächtigten des Beklagten vom 23.03.2012) sowie die bei der Klägerin vorhandenen Unterlagen, die
sämtlichen Fällen zugrunde liegen, die Gegenstand der Auskunftsklage sind (Übersendung mit Schriftsatz vom 24.04.2012) zur
Verfügung gestellt. Von der Barmer GEK liegt insoweit eine nach Mitgliedsnummern geordnete Liste der Rückforderungsfälle vor,
dem Bevollmächtigten des Beklagten wurde in der mündlichen Verhandlung die entsprechende Namensliste ausgehändigt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte,
deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe
A. Der Senat konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 16.05.2012 verhandeln und entscheiden. Das rechtliche Gehör des
Beklagten ist gewahrt. Ausdruck des Rechts auf rechtliches Gehör ist die Ermöglichung vollständiger Akteneinsicht (LSG Baden-Württemberg,
Beschluss vom 02.07.2008 - L 12 AL 4535/07; Schulze-Hagenow, in: Breitkreuz/Fichte,
SGG, §
119 Rnr. 10). Die Pflicht zur Vorlage von Akten gem. §
119 SGG umfasst Akten, Dokumente und Urkunden, die sich auf die Streitsache beziehen (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, §
119 Rnr. 6) und deren Inhalt für die im Rahmen des Streitgegenstandes gebotene Sachaufklärung (§
103 SGG) maßgeblich ist (Schulze-Hagenow, in: Breitkreuz/Fichte,
SGG, §
119 Rnr. 10). Dem Beklagten sind die bei der Klägerin vorhandenen Abrechnungsunterlagen und - entsprechend seinem ausdrücklichen
Antrag - Unterlagen über Kürzungsvorgänge aus den Jahren 2001 - 2003 vollständig zur Verfügung gestellt worden. Der Umstand,
dass die Barmer GEK nur eine Liste über alle Fälle, auf die sich das Auskunftsbegehren bezieht, übermittelt hat, nicht aber
- anders als die Klägerin und die KKH Allianz - Verordnungen oder Berechtigungsscheine, steht einer vollständigen Akteneinsicht
nicht entgegen. Denn der Inhalt der auf Versicherte der Barmer GEK bezogenen einzelnen Verordnungen bzw. Berechtigungsscheine
ist für die Entscheidung über den geltend gemachten Auskunftsanspruch nicht relevant (dazu unter B).
B. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Recht zur Auskunftserteilung durch Vorlage
von Unterlagen verurteilt.
I. Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zutreffend im Wege der Stufenklage.
1. Die Zulässigkeit der Stufenklage folgt aus §§
202 SGG,
254 ZPO (zur Zulässigkeit der Stufenklage auch im sozialgerichtlichen Verfahren vergl. BSG, Urteil vom 28.02.2007 - B 3 KR 12/06 R, SozR 4-2500 § 276 Nr. 1 = BSGE 98, 142; Urteil vom 05.05.1988 - 6 RKa 18/87, SozR 5500 § 13 Nr. 1). Hiernach ist die erste Stufe der Stufenklage auf Rechnungslegung oder auf Vorlage eines Vermögensverzeichnisses
oder auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung gerichtet. Die Rechnungslegung ist in §
259 Abs.
1 BGB geregelt und hat zum Gegenstand, dem Berechtigten eine geordnete Zusammenstellung der Einnahmen oder der Ausgaben vorzulegen
und, soweit Belege erteilt zu werden pflegen, Belege beizufügen. Die Klägerin fordert von dem Beklagten Rechnungslegung in
diesem Sinne. Für die Prüfung der Frage, ob die Abrechnungen des Beklagten zu Lasten der Klägerin sowie der Barmer GEK und
der KKH-Allianz ordnungsgemäß erfolgt sind, sind die verlangten Auskünfte maßgeblich, weil sie die Bestimmung des dem jeweiligen
Versicherten zustehenden Leistungsumfangs und der erbrachten Leistungen ermöglichen.
2. Zu Recht hat das Sozialgericht den Beklagten neben der Auskunftserteilung auch zur Vorlage von Unterlagen verpflichtet
hat. Gem. §
259 BGB umfasst die Pflicht zur Auskunftserteilung auch die Vorlage von Belegen, was die körperliche Herausgabe der Unterlagen beinhaltet.
Nach der Rechtsprechung des BSG kann - bei Vorliegen einer entsprechenden Anspruchsgrundlage - auch das Begehren auf Herausgabe
von medizinischen Unterlagen an die Krankenkasse im Wege der Stufenklage verfolgt werden (BSG, Urteil vom 28.02.2007 - B 3 KR 12/06 R, SozR 4-2500 § 276 Nr. 1 = BSGE 98, 142). Wenn schon das Begehren auf Herausgabe von medizinischen Unterlagen - also Unterlagen, die im engeren Sinne keine Rechnungsbelege
sind - mittels der Stufenklage verfolgt werden kann, so gilt dies erst Recht für die von der Klägerin begehrte Vorlage der
Unterlagen über Leistungs- und Abrechnungsvorgänge.
3. Die vorzulegenden Unterlagen sind durch den Antrag der Klägerin und den sozialgerichtlichen Tenor hinreichend bestimmt
worden. Das Sozialgericht hat Name und Geburtsdatum des jeweiligen Versicherten sowie das Datum der Verordnung bzw. des Berechtigungsscheins
genannt. Es hat die benötigten Angaben (Befundwerte, Grund der Abgabe der Sehhilfe, Art und Umfang der erbrachten Leistung,
die mit dem Versicherten abgerechnete Leistung, Datum und Bestellung der Sehhilfen beim Lieferanten, genaue Bezeichnung des
gelieferten Artikels, technische Spezifizierung des Artikels und Anzahl der gelieferten Artikel) konkret bezeichnet. Eine
weitere Spezifizierung der vorzulegenden Unterlagen ist weder möglich noch geboten.
4. Keine Frage der Zulässigkeit des Urteilstenors ist, ob die herauszugebenden Unterlagen beim Beklagten tatsächlich vorhanden
sind und was mit den Unterlagen nach Vorlage zu geschehen hat. Die Behauptung des Schuldners, die Sache, die der Herausgabepflicht
unterliegt, nicht zu besitzen, ist erst im Vollstreckungsverfahren relevant (vergl. hierzu App/Wettlaufer, Praxishandbuch
Verwaltungsvollstreckungsrecht, 5. Aufl. 2011 S. 254; siehe auch §
883 Abs.
2 ZPO). Gleiches gilt für die Frage, was mit den Unterlagen nach Vorlage zu geschehen hat.
II. Die Klägerin ist befugt, auch Ansprüche der BEK (jetzt: Barmer GEK) und der KKH (jetzt KKH-Allianz) im eigenen Namen zu
verfolgen.
Ein der Tatsachenermittlung für einen Zahlungsanspruch dienender Herausgabeanspruch stellt, ebenso wie entsprechende Auskunfts-
und Rechenschaftsansprüche nach den §§
259 ff
BGB, lediglich einen Hilfsanspruch für den zu sichernden Zahlungsanspruch dar (BSG, Urteil vom 28.02.2007 - B 3 KR 12/06 R, SozR 4-2500 § 276 Nr. 1 = BSGE 98, 142). Er kann daher grundsätzlich nur demjenigen zustehen, der auch Gläubiger des Zahlungsanspruchs ist. Ausnahmsweise können
fremde Rechte im eigenen Namen geltend gemacht werden, wenn die Voraussetzungen einer Prozessstandschaft erfüllt sind. Die
auch im sozialgerichtlichen Verfahren zulässige gewillkürte Prozessstandschaft (hierzu und zur Unzulässigkeit einer gewillkürten
Prozessstandschaft wegen des im vorliegenden Fall nicht berührten Ausschlusses der Popularklage im Sozialgerichtsprozess näher
BSG, Urteil vom 02.08.2001 - B 7 AL 18/00 R, SozR 3-1500 § 55 Nr. 34) setzt voraus, dass die Verfolgung fremder Rechte im eigenen Namen im Prozess offen gelegt wird
(BSG, Urteil vom 02.08.2001 - B 7 AL 18/00 R, SozR 3-1500 § 55 Nr. 34). Der Prozessstandschafter muss durch den Inhaber des Rechts ermächtigt sein, die diesem zustehenden
Rechte in eigenem Namen gerichtlich geltend zu machen und ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Rechtsverfolgung haben.
Die BEK und die KKH haben bereits am 27.03.2008 erklärt, dass die Klägerin ermächtigt wird, die diesen Kassen zustehenden
Auskunfts- und Zahlungsansprüche im eigenen Namen geltend zu machen. Mit Schreiben vom 18.09.2009 bzw. 22.09.2009 haben sie
diese Erklärungen wiederholt. Mit dem Sozialgericht sind jedenfalls die beiden letztgenannten Schreiben ausreichend für die
Offenlegung der gewillkürten Prozessstandschaft. Die Ermächtigung der Klägerin, im Wege der Prozessstandschaft auch Ansprüche
der Barmer GEK und der KKH-Allianz gelten zu machen, ergibt sich mindestens aus deren Erklärungen vom 18.09.2009 und 22.09.2009.
Das eigene schutzwürdige Interesse der Klägerin an der Geltendmachung von Ansprüchen anderer Krankenkassen folgt aus der öffentlich-rechtlichen
Verpflichtung der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zur Kooperation bei der Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen.
§
197 a Abs.
3 SGB V verpflichtet die Krankenkassen zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Abs. 1, untereinander zusammenzuarbeiten. In Erfüllung dieser
Verpflichtung haben die BEK und die KKH die Kooperationsvereinbarung mit der Klägerin vom 25.08.2005 abgeschlossen, am 26.07.2007
die Klägerin beauftragt, das Sonderprüfverfahren von Optikern federführend zu übernehmen und schließlich die Klägerin ermächtigt,
Auskunfts- und Zahlungsansprüche gegen den Beklagten im Wege der Prozessstandschaft gerichtlich geltend zu machen. Entgegen
der Meinung des Beklagten stehen der Zulässigkeit der Geltendmachung der Ansprüche im Wege der Prozessstandschaft datenschutzrechtliche
Gesichtspunkte nicht entgegen. Denn nach §
197a Abs.
1 S. 2
SGB V nehmen die nach Satz 1 der Vorschrift eingerichteten organisatorischen Einheiten Kontrollbefugnisse nach § 67 c Abs. 3 SGB X wahr. Hiernach ist die Speicherung, Veränderung oder Nutzung von Sozialdaten zulässig, wenn sie für die Wahrnehmung von Aufsichts-,
Kontroll- und Disziplinarbefugnissen sowie die Rechnungsprüfung oder die Durchführung von Organisationsuntersuchungen erforderlich
ist.
III. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Erteilung der begehrten Auskunft.
1. Dieser ergibt sich bereits aus dem Rahmenvertrag vom 30.06.1994:
a) Die Klägerin, die KKH-Allianz (als Rechtsnachfolgerin der KKH), die Barmer GEK (als Rechtsnachfolgerin der BEK) und der
Beklagte werden durch den Vertrag vom 30.06.1994 zwischen dem ZVA einerseits und dem VDAK und AEV andererseits hinsichtlich
der Versorgung von Versicherten mit Sehhilfen berechtigt und verpflichtet. Rechtsgrundlage für diesen Vertrag ist §
127 Abs.
1 SGB V in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung. Hiernach schließen die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Verbände der
Ersatzkassen auf Landesebene mit Wirkung für ihre Mitgliedskassen Verträge mit Leistungserbringern oder den Verbänden der
Leistungserbringer.
b) Dem Beklagten ist zuzugestehen, dass sich eine Anspruchsgrundlage für das Auskunftsbegehren nicht aus dem Wortlaut des
Vertrages selbst ergibt. Eine Bestimmung zur Rechnungslegung enthält lediglich § 10 des Vertrages. Hiernach sind Abrechnungsgrundlage
für die Bezahlung der Rechnung der Optiker die ärztlichen Verordnungen bzw. die Berechtigungsscheine. Der Versicherte hat
den Empfang der gelieferten Sehhilfe oder der sonstigen Leistungen zu bestätigen. Die Lieferungen sind nach Art, Menge und
Preis zu bezeichnen. Hierüber hinaus gehende Informationen müssen nach § 10 des Vertrages nicht mitgeteilt werden.
c) Die Regelung des § 10 des Vertrages ist jedoch nicht abschließend. Die Krankenkasse hat einen Anspruch auf Vorlage aller
auf einzelne Versicherte bezogenen Unterlagen, die sie benötigt, um die Richtigkeit der Abrechnungen des Optikers und den
Umfang der gesetzmäßig dem Versicherten zustehenden Versorgung mit Hilfsmitteln (§
33 SGB V) prüfen zu können. Dies folgt aus einer ergänzenden Auslegung des Vertrages. Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung
ist, dass eine unbeabsichtigte Lücke im Vertrag vorliegt, also von den Vertragsparteien versehentlich eine Regelung nicht
getroffen worden ist, die unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§§
133,
157 BGB) zu einem vollständigen Vertrag gehört (vergl. nur Ellenberger, in: Palandt,
BGB, 70. Aufl. §
157 m.w.N.). Mit dem Vertrag nach §
127 SGB V ist zwischen den beteiligten Krankenkassen und den beteiligten Optikern eine öffentlich-rechtliche Sonderverbindung geschaffen
worden. Im Rahmen dieser Sonderverbindung gebieten es Treu und Glauben, dem Anspruchsberechtigten (hier der Klägerin) einen
Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der
Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete
(hier der Beklagte) unschwer in der Lage ist, die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (st.
Rechtsprechung des BGH, vergl. nur BGH, Urteil vom 06.02.2007- X ZR 117/04 m.w.N.).
Wenn der Beklagte demgegenüber meint, dass der Vertrag einer ergänzenden Auslegung nicht zugänglich sei, weil die Vertragsparteien
auf Auskunfts- und Herausgabepflichten nicht versehentlich, sondern vielmehr sehenden Auges verzichtet und dabei bewusst in
Kauf genommen hätten, dass in gewissen Bereichen abgerechnet werden kann, obwohl möglicherweise in Einzelfällen der tatsächliche
körperliche Zustand des Versicherten nicht dem entspricht, was vom Vertragspartner in den Berechtigungsscheinen aufgenommen
wurde, steht dieser Meinung bereits die gemeinsame öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Krankenkassen und Leistungserbringer
entgegen, darauf zu achten, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch
genommen werden (§§
31 SGB I, 2 Abs.
4 SGB V). Diese Verpflichtung der Klägerin und des Beklagten ist beiden Parteien des Vertrages nach §
127 SGB V bewusst und Geschäftsgrundlage der entsprechenden Vereinbarung gewesen.
d) "Unschwer" ist eine Auskunft immer dann zu erteilen, wenn die mit der Vorbereitung und Erteilung der Auskunft verbundenen
Belastungen für den Schuldner entweder nicht ins Gewicht fallen oder aber, obwohl sie beträchtlich sind, dem Schuldner unter
Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Gläubigers zumutbar sind (BGH, Urteil vom 06.02.2007 - X ZR 117/04). Die Klägerin verlangt Auskunft über Umstände und die Vorlage von Unterlagen, die der Beklagte im Rahmen seines laufenden
Geschäftsbetriebes ohnehin vorhalten muss. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass allein die verlangte Auskunft die Klägerin
in die Lage versetzt, einen auch im öffentlichen Interesse liegenden Anspruch geltend zu machen, sind die mit der Vorlage
verbundenen Belastungen dem Beklagten zweifellos zumutbar.
2. Der Auskunftsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten ergibt sich zudem aus §§
69 Abs.
1 S. 3
SGB V, 675 Abs.
1,
666 BGB. Hiernach ist der Beauftrage verpflichtet, dem Auftraggeber nach der Ausführung des Auftrags Rechenschaft abzulegen, was
- wie ausgeführt - gem. §
259 Abs.
2 BGB auch die Vorlage von Belegen umfasst.
a) Die Regelungen des
BGB sind auf die Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und dem Beklagten anzuwenden.
Nach §
69 Abs.
1 S. 3
SGB V gelten für die Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und ihren Verbänden einerseits und den Leistungserbringern andererseits
die Vorschriften des
BGB entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des §
70 (Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung) und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem
4. Kapitel des
SGB V vereinbar sind. Der Gesetzgeber hat hiermit einerseits klargestellt, dass die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den
Leistungserbringern ausschließlich dem öffentlichen Recht unterliegen (BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 3 KR 20/06 R, SozR 4-2500 §
33 Nr. 17, Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, §
69 SGB V RdNr. 3a), andererseits die grundsätzliche Anwendung der Vorschriften des
BGB auf die Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern angeordnet.
b) Zwischen der Klägerin und dem Beklagten ist bei Lieferung der Sehhilfen jeweils ein den Regeln des Auftragsrechts unterfallender
Geschäftsbesorgungsvertrag (§
675 BGB) zustande gekommen.
aa) Ein Vertrag zwischen der Krankenkasse und dem Augenoptiker als Leistungserbringer kommt dadurch zustande, dass der Versicherte
nach Maßgabe der vertragsärztlichen Verordnung bzw. des Berechtigungsscheins dem Augenoptiker ein Angebot zur Herstellung
und Lieferung einer bestimmten Sehhilfe unterbreitet und der Augenoptiker das Vertragsangebot annimmt (§
145 BGB). Dabei tritt der Versicherte als Vertreter der Krankenkasse i.S.d. §
164 BGB auf (grundlegend insoweit BSG, Urteil vom 06.09.2007- B 3 KR 20/06 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 17).
bb) Die Versorgung der Versicherten mit Sehhilfen auf der Grundlage des gem. §
127 SGB V geschlossenen Vertrages erfolgt entweder durch den Abschluss von Kaufverträgen (§
433 BGB), wenn es um die Abgabe und Übereignung fertiger Produkte geht, oder durch den Abschluss von Sachlieferungsverträgen (§
651 BGB), wenn die Produkte erst noch herzustellen oder zu erzeugen sind. Bei Sehhilfen kommen beide Möglichkeiten in Betracht. Daneben
ist der Vertrag auch als ein öffentlich-rechtlicher Geschäftsbesorgungsvertrag i.S.d §§
69 Abs.
1 S. 3
SGB V, 675 Abs.
1 BGB anzusehen. Denn der Optiker besorgt im Interesse der Krankenkasse ein Geschäft, das als Sicherstellung der Krankenversorgung
mit Hilfsmitteln (§§
2 Abs.
1,
27 Abs.
1 S. 2 Nr.
3,
33 SGB V) den Krankenkassen (so ausdrücklich §
2 Abs.
1 S. 1
SGB V) obliegt. Die Tätigkeit des Optikers erschöpft sich dabei nicht in der bloßen Herstellung und Lieferung von Sehhilfen (§§
433,
651 S. 1
BGB), sondern er ist in einem umfassenden Sinn in die Realisierung des Leistungsanspruchs des Versicherten auf Versorgung mit
Hilfsmitteln eingebunden. So verpflichtet der Vertrag vom 30.06.1994 den Optiker neben der Sicherstellung der Versorgung mit
funktionsgerechten und technisch einwandfreien Sehhilfen auch zur Beratung und Einweisung durch ausgebildetes Fachpersonal
(§ 5 des Vertrages). Über den Berechtigungsschein kann der Optiker die Vergütung für Augenglasbestimmungen abrechnen (Anlage
1 Abs. 2 Nr. 1 des Vertrages), was sogar eine reine Geschäftsbesorgung ohne Sachlieferung beinhaltet.
c) Vorschriften des
SGB V stehen der Bejahung eines Auskunftsanspruchs nicht entgegen.
Die Rechnungslegung durch Leistungserbringer im Bereich der Heil- und Hilfsmittel ist in §
302 SGB V geregelt. Die Leistungserbringer sind gem. §
302 Abs.
1 SGB V verpflichtet, den Krankenkassen im Wege elektronischer Datenübertragung oder maschinell verwertbar auf Datenträgern die von
Ihnen erbrachten Leistungen nach Art, Menge und Preis zu bezeichnen. Sie haben den Tag der Leistungserbringung anzugeben sowie
Angaben zur ärztlichen Verordnung und nach §
291 Abs.
2 Nr.
1 bis 10
SGB V (Inhalt der Krankenversicherungskarte) zu machen. Diese datenschutzrechtliche Regelung hat keinen leistungsrechtlichen Gehalt
(U. Schneider, in: Krauskopf,
SGB V, §
302 RdNr. 3). Sie lässt daher die Befugnis der Krankenkassen unberührt, im Rahmen ihrer vertraglichen Beziehungen zu Leistungserbringern
die Gesetzmäßigkeit erbrachter Versorgungsleistungen durch Einholung weitergehender Auskünfte zu überprüfen.
IV. Der Auskunfts- und Vorlageanspruch ist nicht verjährt. Die von dem Beklagten erhobene Einrede der Verjährung ist unbegründet.
1. Die Klägerin bereitet mit dem Auskunftsverlangen die Geltendmachung einer Erstattung ggfs. überzahlter Rechnungsbeträge
vor. Rechtsgrundlage für eine solche Forderung ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch aufgrund einer analogen Anwendung
von §
812 BGB (BSG, Urteil vom 28.02.2007, B 3 KR 12/06 R, SozR 4-2500 § 276 Nr. 1 = BSGE 98, 142; Urteil vom 01.08.1991, 6 RKa 9/89, SozR 3-1300 § 113 Nr. 1 = BSGE 69,158).
2. Die Verjährung des Auskunftsanspruchs ist mit der Verjährung des Hauptanspruchs insoweit verbunden, als der Auskunftsanspruch
nicht eher verjähren kann, als der Hauptanspruch (BSG, Urteil vom 28.02.2007, B 3 KR 12/06 R, SozR 4-2500 § 276 Nr. 1 = BSGE 98, 142). Eine längere Verjährungsfrist für den Auskunftsanspruch ist hingegen für den Fall denkbar, dass sich gerade aus der erteilten
Auskunft ergibt, dass dem Zahlungsanspruch der Einwand einer kürzeren Verjährung entgegensteht.
3. Der geltend gemachte Hauptanspruch unterliegt (nur) grundsätzlich einer vierjährigen Verjährung.
Das BSG hat außerhalb ausdrücklicher gesetzlicher Anordnungen die vierjährige Verjährung als allgemeines Rechtsprinzip im
Sozialrecht entwickelt und auf diverse Fallkonstellationen öffentlich-rechtlicher Rechtsbeziehungen angewendet (BSG, Urteil
vom 28.02.2007, B 3 KR 12/06 R, SozR 4-2500 § 276 Nr. 1 = BSGE 98, 142; Urteil vom 12.05.2005, B 3 KR 32/04 R, SozR 4-2500 § 69 Nr. 1; Urteil vom 01.08.1991, 6 RKa 9/89, SozR 3-1300 § 113 Nr. 1 = BSGE 69,158). Dabei hat sich das Gericht darauf gestützt, dass die vierjährige Verjährungsfrist
nicht nur in §
45 SGB I für Ansprüche auf Sozialleistungen, sondern auch in den §§
25 und
27 SGB IV, in § 113 SGB X und in § 13 Lohnfortzahlungsgesetz enthalten ist. Der Vergütungsanspruch von Leistungserbringern gegen die Krankenkassen und der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch
der Krankenkassen gegen den Leistungserbringer als Kehrseite des Vergütungsanspruchs unterliegen damit gleichermaßen einer
vierjährigen Verjährungsfrist (BSG, Urteil vom 28.02.2007, B 3 KR 12/06 R, SozR 4-2500 § 276 Nr. 1 = BSGE 98, 142).
4. Die vierjährige Verjährungsfrist gilt nicht uneingeschränkt und ausnahmslos.
Im gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Bereich des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs aufgrund zu Unrecht gezahlter
Vergütungen sind für die Bestimmung der Verjährungsfrist diejenigen Verjährungsvorschriften des öffentlichen und bürgerlichen
Rechts anzuwenden, die ihrem Wesen und Inhalt nach dem streitigen Anspruch vergleichbare Ansprüche betreffen. Es ist von Fall
zu Fall zu prüfen, wie die bestehende Regelungslücke zu schließen ist und ob die Voraussetzungen einer Analogie - Ähnlichkeit
der Sachverhalte in rechtlich wertender Hinsicht - vorliegen (BSG, Urteil vom 01.08.1991,6 RKa 9/89, SozR 3-1300 § 113 Nr. 1 = BSGE 69,158). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Verjährung von öffentlich-rechtlichen
Erstattungsansprüchen ist bei einer nicht ausdrücklich geregelten Verjährungsfrist zu prüfen, welche Verjährungsregelung nach
dem Gesamtzusammenhang der für den jeweiligen Anspruch geltenden Rechtsvorschriften und der Interessenlage als die sachnächste
entsprechend heranzuziehen ist (BVerwG, Urteil vom 24.07.2008- 7 A 2/07, Juris Rdnr. 18).).
5. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist es für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch geboten, bei vorsätzlicher
Erlangung nicht zustehender Vergütung (Abrechnungsbetrug) eine dreißigjährige Verjährung anzunehmen. Der Auskunftsanspruch
als Hilfsanspruch verjährt dem Hauptanspruch folgend in dreißig Jahren, wenn hinreichende Anhaltspunkte für einen Abrechnungsbetrug
vorliegen (hierzu unten 7.) und die Frage, ob dies tatsächlich der Fall ist, durch die verlangte Auskunft geklärt werden soll.
Wie ausgeführt hat das BSG zur Begründung der allgemeinen vierjährigen Verjährungsfrist auch auf §
25 SGB IV abgestellt (BSG, Urteil vom 12.05.2005, B 3 KR 32/04 R, SozR 4-2500 §
69 Nr.
1). Nach §
25 Abs.
1 S. 1
SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche
auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren gem. §
25 Abs.
1 S. 2
SGB IV hingegen in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Das Gesetz differenziert im Beitragsrecht
damit danach, ob eine schuldlose oder fahrlässige Schädigung der Sozialversicherungsträger einerseits oder eine vorsätzliche
Schädigung der Sozialversicherungsträger andererseits stattgefunden hat. Wenn die Schädigung des Beitragsgläubigers schuldlos
oder lediglich fahrlässig erfolgt ist, geht die durch die Bejahung einer kurzen (vierjährigen) Verjährung eintretende Rechtssicherheit
zugunsten des Schuldners dem Beitragsinteresse des Sozialversicherungsträgers vor. Handelt es sich hingegen um eine vorsätzliche
Schädigung (Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen), hält das Gesetz den Schuldner für deutlich weniger schutzwürdig
und ordnet es die lange dreißigjährige Verjährung an.
Die Verjährungsregelungen des Beitragsrechts sind bei der im Rahmen der Analogie gebotenen wertenden Betrachtungsweise mit
der Konstellation der Rückforderung überzahlter Vergütungen deutlich besser vergleichbar, als die Regelungen zur Verjährung
von Sozialleistungsansprüchen (§
45 SGB I), da es in beiden Fällen um Ansprüche eines Leistungsträgers gegen einen Nichtleistungsempfänger geht. Dem Sozialrecht ist
zudem auch an anderen Stellen zu entnehmen, dass der vorsätzlich handelnde Schuldner im Rahmen der Verjährung als weniger
schutzwürdig angesehen wird (zur fehlenden Schutzwürdigkeit des vorsätzlichen Schuldners im Sozialrecht auch Segebrecht, in:
Juris PK - §
25 SGB IV RdNr. 11). So kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit der Folge einer Pflicht zur Erstattung
überzahlter Leistungen (§ 50 Abs. 1 SGB X) bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte bösgläubig i.S.d. § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X ist (§ 45 Abs. 3 S. 3 SGB X). Gleiches gilt für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse (§ 48 Abs. 4 SGB X). Die Tatsache, dass der Gesetzgeber auch im Sozialrecht eine dreißigjährige Verjährung als angemessen ansieht, zeigt neben
§
25 Abs.
1 S. 2
SGB IV auch § 52 Abs. 2 SGB X, wonach die Verjährungsfrist dreißig Jahre beträgt, wenn ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung eines
Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen worden ist, unanfechtbar geworden ist.
Die Annahme einer dreißigjährigen Verjährungsfrist bei der Rückforderung von vorsätzlich zu Unrecht erlangter Vergütung ist
schließlich besonders dann unter Berücksichtigung der berechtigten Schutzansprüche des Gläubigers angemessen, wenn man es
mit dem Beklagten und im Anschluss an den Beschluss des LSG NRW vom 06.10.2010 (L 16 KR 266/09) aus rechtssystematischen Gründen für geboten hält, hinsichtlich des Beginns der Verjährung nicht auf §
199 Abs.
1 BGB abzustellen, weil die Verjährungsvorschriften des
BGB gem. §
45 Abs.
2 SGB I nur hinsichtlich der Hemmung, der Ablaufhemmung, des Neubeginns und der Wirkung der Verjährung heranzuziehen seien. Eine
kurze (vierjährige) Verjährung würde dann mit einem kenntnisunabhängigen Beginn der Verjährungsfrist kombiniert, was durch
die mit der Abschaffung der dreißigjährigen Verjährung als Regelverjährungsfrist durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts
ab 01.01.2002 eingefügten Regelung des §
199 Abs.
1 BGB gerade vermieden werden sollte (vergl. hierzu nur Lakkis, in: Juris-PK
BGB §
199 RdNr. 4).
6. Aus dem Urteil des BSG vom 01.08.1991 - 6 RKa 9/89 (BSG, SozR 3-1300 § 113 Nr. 1 = BSGE 69, 158), auf das der Beklagte sich ausdrücklich beruft, folgt nichts anderes: Zwar betrifft diese Entscheidung ebenfalls die Rückforderung
einer überzahlten Vergütung aufgrund eines Abrechnungsbetrugs. Anders als im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch bei
dem dort geltend gemachten Rückzahlungsanspruch nicht um einen Anspruch eines Sozialleistungsträgers gegenüber einem (privaten)
Leistungserbringer, sondern um einen Erstattungsanspruch zwischen öffentlich-rechtlichen Körperschaften. Für diese Konstellation
hat das BSG ausgeführt:
"In entsprechender Anwendung dieser Vorschriften des Sozialgesetzbuchs, insbesondere des § 113 Abs. 1 SGB X, ist daher davon auszugehen, dass der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch einer vierjährigen Verjährung
unterliegt. Unabhängig davon, dass der Anspruch auf Erstattung der Gesamtvergütung keine Sozialleistung im Sinne des §
11 Satz 1
SGB I betrifft und die Beklagte auch kein Leistungsträger im Sinne der §§
12,
18 - 29
SGB I ist, handelt es sich hier dennoch um einen sozialversicherungsrechtlichen und damit öffentlich-rechtlichen Ausgleichsanspruch
zwischen zwei Körperschaften des öffentlichen Rechts. Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei einer Kodifikation
des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs im Sozialrecht seinem selbst gesetzten Prinzip der vierjährigen
Verjährungsfrist gefolgt wäre. Im Übrigen hat die Harmonisierung von Verjährungsvorschriften den Sinn, den handelnden öffentlich-rechtlichen
Körperschaften einen gesicherten Orientierungsrahmen vorzugeben. Eine vierjährige Verjährungsfrist ist aus praktischen und
haushaltsrechtlichen Gründen geboten, um jahrelange Auseinandersetzungen zu vermeiden und Erstattungsansprüche einer beschleunigten
Klärung zuzuführen."
Das für das BSG tragende Argument hinsichtlich der Beteiligung von zwei öffentlich-rechtlichen Körperschaften und der Nähe
zum Regelungsgegenstand des § 113 SGB X - Verjährung von Erstattungsansprüchen - greift für die vorliegende Fallgestaltung gerade nicht.
7. Im vorliegenden Fall gibt es hinreichend belegte Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte durch vorsätzliches Verhalten überhöhte
Vergütungen erhalten hat.
a) Anhaltspunkte für eine Versorgung von Versicherten außerhalb des diesen zustehenden Leistungsanspruchs:
Die Klägerin hat dargelegt, dass in zahlreichen Fällen gravierende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Beklagte Versicherte
zu Lasten der Klägerin bzw. der Barmer GEK und der KKH Allianz mit Sehhilfen versorgt hat, ohne dass die Versicherten einen
entsprechenden Leistungsanspruch hatten. Sie hat diese Darlegungen mit den vorgelegten Berechtigungsscheinen und der plausiblen
Auswertung durch die Augenoptikermeisterin E1 belegt. Auch die von der Klägerin vorgelegte Vergleichsstatistik zwischen den
für den Beklagten geltenden Abrechnungswerten und den landesweiten Abrechnungswerten begründet den hinreichenden Verdacht
darauf, dass Leistungen zu Unrecht abgerechnet worden sind. Der dringende Verdacht vorsätzlich falscher Versorgungen zu Lasten
der Klägerin wird zudem auch dadurch belegt, dass der Bevollmächtigte des Beklagten vorgetragen hat (Schriftsatz vom 17.04.2012):
"Die Klägerinnen haben in buchstäblich 1.000-en von Fällen vorbehaltslos auch die Abrechnungen gezahlt, obwohl sich mindestens
hinsichtlich sehr zahlreicher Fälle bereits aus den eingereichten Unterlagen ergeben hat, dass bestimmte vertraglich vereinbarte
Voraussetzungen, unter denen bestimmte Leistungen von Versicherten beansprucht werden konnten, nicht oder nicht vollständig
vorlagen."
Der Beklagte hat damit zugestanden, dass Leistungen erbracht und abgerechnet wurden, ohne dass die Voraussetzungen dafür vorlagen.
b) Anhaltspunkte für eine Abrechnung von nicht erbrachten Leistungen:
Darüber hinaus besteht ein hinreichender Verdacht darauf, dass der Beklagte auch nicht erbrachte Leistungen zu Lasten der
Beklagten abgerechnet hat: Bereits aus der Auswertung der Vergleichsstatistik resultiert ein entsprechender Verdacht, wenn
die Klägerin vorträgt, dass z.B. der gegenüber dem Landesdurchschnitt deutlich erhöhte Anteil von Versorgungen mit Trifokalgläsern
ein Indiz für die Vermutung ist, dass in vielen Fällen tatsächlich eine andere als die abgerechnete Versorgung erfolgt ist.
Die Klägerin hat zudem u.a. dargelegt und durch das Gutachten von Frau E1 belegt, dass in auffälliger Häufung Sehhilfen mit
der Begründung "Bruch/Reparatur/Verlust" geliefert worden sind, was darauf hindeutet, dass es sich (neben einer unzulässigen
Doppelversorgung) um Werkstattbruch oder fehlerhafte Augenglasbestimmungen handelte. Zudem sind auf mehreren Berechtigungsscheinen
bei Mehrfachlieferungen die Unterschriften der Versicherten auf den Empfangsbestätigungen zweifelhaft.
Die Klägerin hat einzelne Versorgungsfälle beschrieben, bei denen der Verdacht auf Falschabrechnung besonders deutlich ist:
So sei der Versicherte I. D. mit sehr teuren Trifokalgläsern versorgt worden. Nach nur knapp zwei Monaten solle sich die Stärke
beider Augengläser wiederholt um knapp 0,5 dpt. verändert haben, was biologisch praktisch ausgeschlossen sei. Es bestehe damit
der Anschein, dass es sich um einen vollständig fingierten Abrechnungsfall handele. Aus dem ebenfalls beispielhaft genannten
Versorgungsfall M. werde deutlich, dass eine ärztliche Verordnung von Bifokalgläsern in (teurere) Trifokalgläser abgeändert
worden sei. Der nachfolgende Berechtigungsschein weise eine Versorgung mit einem Bifokalglas aus. Hiermit liege in jedem Fall
eine vorsätzliche Falschabrechnung vor. Entweder habe der Beklagte die handschriftliche Änderung der Verordnung nur für die
Abrechnung mit der Klägerin geändert, tatsächlich aber Bifokalgläser geliefert, oder der Versicherte sei ohne Leistungsanspruch
mit Bifokalgläsern und mit Trifokalgläsern versorgt worden. Diese Darlegungen hat die Klägerin mit Vorlage der entsprechenden
Berechtigungsscheine überzeugend belegt.
V. Die beweiskräftige Feststellung, ob es sich tatsächlich um die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen bzw. zu Unrecht zu
Lasten der Krankenkassen erfolgte Versorgungen handelt, ist der zweiten Stufe des Klageverfahrens vorbehalten. Um diese Feststellung
treffen zu können, sind die Auskunft und Vorlage der im Tenor der Entscheidung des Sozialgerichts genannten Unterlagen erforderlich.
Nur hiermit lassen sich der jeweilige Leistungsanspruch des Versicherten und der Umfang der erbrachten Leistungen und damit
der tatsächliche Vergütungsanspruch des Beklagten genau bestimmen.
VI. Der Auskunfts- und evtl. Erstattungsanspruch der Klägerin ist nicht verwirkt.
Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich
darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das
Recht nicht mehr geltend machen werde. Die Verwirkung ist damit ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen
Verhaltens (vergl. nur BGH, Urteil vom 16.06.1982 - IVb ZR 709/80, BGHZ 84, 280; Grüneberg, in: Palandt,
BGB, 70. Aufl. 2011, §
242 RdNr 87). Die Klägerin hat sich bis zur Klageerhebung am 29.12.2007 nicht so verhalten, dass der Beklagte darauf vertrauen
durfte, dass Falschabrechnungen nicht zu Rückforderungen führen und die Geltendmachung des Auskunfts- und Rückforderungsbegehrens
damit rechtsmissbräuchlich wäre. Eine Verwirkung des Auskunfts- und Erstattungsanspruchs folgt insbesondere nicht daraus,
dass die Klägerin die Fehlerhaftigkeit der Abrechnungen bereits bei Durchsicht der eingereichten Berechtigungsscheine und
Verordnungen hätte erkennen können und sie sich so behandeln lassen muss, als habe sie die Abrechnungen konkludent genehmigt.
Abgesehen davon, dass dieser Einwand allenfalls für die Lieferungen von Sehhilfen greifen könnte, hinsichtlich derer sich
bereits aus dem Berechtigungsschein ergibt, dass ein Leistungsanspruch des Versicherten nicht bestehen kann (unschlüssige
Berechtigungsscheine), hat die Klägerin dem Beklagten keinerlei Anlass gegeben, redlich der Auffassung zu sein, sie wäre mit
rechtswidrigen Leistungen einverstanden. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des BSG vom 17.07.2008 - B 3 KR 16/07 R (SozR 4-2500 § 69 Nr. 5 = SGb 2008, 527). Wenn das BSG hierin ausgeführt hat:
"bringt die Krankenkasse durch ihr Verhalten im Rechtsverkehr zum Ausdruck, dass sie mit einer bestimmten Versorgung ihrer
Versicherten auch ohne vorherige Befassung generell einverstanden ist, so erklärt sie damit im Verhältnis zum beteiligten
Leistungsträger zugleich, dass sie die Versorgung und die beanspruchte Vergütung ohne vorherige Prüfung grundsätzlich genehmigt"
ist hiermit - anders als der Beklagte wohl meint - kein Freibrief zu Erstellung falscher Abrechnungen verbunden. Die Entscheidung
des BSG, die sich auf eine im Rahmen einer Bruttopreisvereinbarung erfolgten teilweise zu niedrigen, teilweise zu hohen Berücksichtigung
von Umsatzsteuer bei der Lieferung eines medizinisch-technischen Produktes bezieht, gilt nur für eine Rechtsbeziehung im Rahmen
einer zulässigen Vereinbarung. Für diesen Fall hat das BSG im Sinne einer wechselseitigen Risikozuweisung ausgeführt, dass
der Verkäufer das Risiko trägt, wenn die Umsatzsteuer versehentlich zu niedrig angesetzt wurde und der Käufer das Risiko trägt,
wenn die Umsatzsteuer zu hoch angesetzt wurde. Die Befugnis zur Abrechnung von nicht zustehenden Leistungen ist hingegen unter
keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zulässiger Gegenstand einer Vereinbarung zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer.
Demzufolge hat das BSG in der genannten Entscheidung auch ausdrücklich ausgeführt, dass die gesetzlichen Vorschriften des
Leistungserbringungsrechts die Annahme einer konkludenten Genehmigung ebenso ausschließen, wie Missbrauchsfälle.
VII. Datenschutzbestimmungen stehen dem Klageanspruch nicht entgegen.
Gemäß §
284 Abs.
1 Nr.
8 SGB V dürfen die Krankenkassen Sozialdaten für Zwecke der Krankenversicherung erheben und speichern, soweit diese für die Abrechnung
mit den Leistungserbringern, einschließlich der Prüfung der Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnung, erforderlich
sind. Aufgrund der Kooperationsvereinbarung nach §
197 a SGB V ist die Klägerin - wie ausgeführt - auch zur Erhebung und Speicherung von Daten der anderen Krankenkassen befugt.
Die Kostenentscheidung bleibt - nachdem das Sozialgericht die Entscheidung über die zweite Stufe des Klageantrags ausdrücklich
offen gelassen hat - dem Endurteil vorbehalten (hierzu OLG Frankfurt, Urteil vom 25.03.1998 - 23 U 80/97, NJW-RR 1998, 1536). Auch der Streitwert ist endgültig erst nach Geltendmachung des Zahlungsanspruchs festzusetzen, es sei denn der Rechtsstreit
wird erledigt, ohne dass ein Zahlungsanspruch geltend gemacht wird ("stecken gebliebene" Stufenklage, hierzu OLG Köln, Beschluss
vom 13.07.2009 - 19 W 17/09).
Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG) die Revision zugelassen.