Ablehnung von Richtern im sozialgerichtlichen Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit
Anforderungen an das Vorliegen herabsetzender Formulierungen des Richters in der mündlichen Verhandlung
Gründe
Das Ablehnungsgesuch ist begründet.
Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen
gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§
42 Abs.
2 Zivilprozessordnung i.V.m. §
60 Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Entscheidend ist, ob der Antragsteller von seinem Standpunkt aus nach objektiven Maßstäben befürchten muss, der von
ihm abgelehnte Richter werde nicht unparteilich entscheiden (BVerfG, NJW 1993, 2230; BSG, NJW 1993, 2262; BVerwG, NJW 1988, 722). Es kommt nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder aber sich selbst für befangen hält.
Auch die subjektive Überzeugung des Antragstellers ist irrelevant. Entscheidend ist ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter
bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BVerfG, NJW 1993,
2230 m.w.N.). Das ist hier jedoch der Fall.
Evident unsachliche oder unangemessene sowie herabsetzende oder beleidigende Äußerungen des Richters in der mündlichen Verhandlung
sind grundsätzlich geeignet, die Besorgnis seiner Befangenheit zu begründen (BFH, Beseht, v. 29.08.2001 - IX B 117/00 ; OLG Hamburg, NJW 1992, 2036; OLG Düsseldorf, AnwBI 1999, 236; OLG Brandenburg, MDR 2000, 47, 48; Bork in Stein/Jonas,
ZPO, 21. Aufl. <1992>, §
42 Rdnr. 11; Feiber in MünchKomm,
ZPO, 2. Aufl. <2000>, §
42 Rdnr. 25; Vollkommer in Zöller,
ZPO, 22. Aufl. <2001 >, §
42 Rdnr. 22). Denn der betroffene Beteiligte wird und darf solche Äußerungen regelmäßig dahin verstehen, dass der Richter zu
einer sachlichen Auseinandersetzung mit seinem Vorbringen nicht gewillt ist.
Das Wort "Unsinn" ist schon im allgemeinen Sprachgebrauch, erst recht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung, in der vom Richter
auch in sprachlicher Hinsicht eine gesteigerte Zurückhaltung erwartet wird, eine solche unsachliche und herabsetzende Äußerung
(vgl. Feiber a.a.O.). Es unterscheidet sich insoweit erheblich vom Begriff "unsinnig", wie er sich gelegentlich auch in höchstrichterlichen
Entscheidungen findet. Dort meint "unsinnig" nämlich "sinnwidrig", "inkonsequent" oder auch "unzweckmäßig" und kennzeichnet
die Unschlüssigkeit von Gedankengängen, ohne sie unsachlich herabzusetzen geschweige denn ihren Urheber auch persönlich zu
verletzen.
Eine solche Herabsetzung ist mit der Bezeichnung eines als unzutreffend erachteten Tatsachenvortrags als "Unsinn" jedoch schon
nach allgemeinem Sprachverständnis verbunden.
Hierfür ist ein rechtfertigender Grund im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
Die Verwendung des Begriffs "Unsinn" lässt sich nicht als spontane Unmutsäußerung in einer heftigen Diskussion erklären. Denn
die Einwände des Klägers gegen das Gutachten des Sachverständigen U waren bereits aus den früheren Schriftsätzen seines Prozessbevollmächtigten
absehbar und hatten dem abgelehnten Richter auch schon Anlass zu Nachfragen bei der Beklagten und dem Sachverständigen selbst
gegeben.
Mit der Verwendung des Wortes "Unsinn" hat der abgelehnte Richter den Sachvortrag des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten
auch dann nicht in angemessener Weise gekennzeichnet, wenn er sich nach dem Ergebnis seiner Recherchen als abwegig erwiesen
hat. Auch aus Sicht des Senates bestehen zwar keine Bedenken, dass ein Richter grob unzutreffenden oder fernliegen, den Vortrag
als solchen bezeichnen darf, ohne damit die berechtigte Besorgnis seiner Befangenheit auszulösen. Damit darf aber nicht gleichzeitig
eine unsachliche Herabwürdigung des Vortrags des Betroffenen oder seiner Person verbunden werden, wie dies schon nach allgemeinem
Sprachverständnis in Gestalt des Wortes "Unsinn" geschieht.
Im Übrigen verkennt der Senat nicht, dass es in einer engagierten Verhandlung zu Meinungsverschiedenheit zwischen dem Richter
und den Beteiligten kommen kann, die eine gereizte Reaktion im Einzelfall verständlich machen kann. Stellt sich jedoch heraus,
dass der Beteiligte oder sein Prozessbevollmächtigter hierdurch gekränkt worden sind und aufgrund dessen Zweifel an der Unvoreingenommenheit
des Richters haben, so muss dieser gegebenenfalls klar stellen, dass seine Äußerung der Verhandlungssituation zuzuschreiben
ist und eine Abwertung des Beteiligten oder seines Klagebegehrens nicht beabsichtigt war (ebenso OLG Hamburg, NJW 1992, 2036). Daran fehlt es jedenfalls dann/wenn - wie im vorliegenden Fall in Gestalt der dienstlichen Stellungnahme - der abgelehnte
Richter auch im Nachhinein und nach reiflicher Überlegung an seiner Äußerung festhält.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§177
SGG).