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BGH, Beschluss vom 08.01.2008 - VIII ZB 18/06
Berücksichtigung des Arbeitslosengeldes II im Rahmen der Prozesskostenhilfe; Berücksichtigung von Strom- und Wasserkosten
»a) Im Hinblick auf die Festsetzung von Raten nach §
115
Abs.
2
ZPO
ist das Arbeitslosengeld II (§§
19
ff. SGB II) jedenfalls dann als Einkommen im Sinne von §
115
Abs.
1
Satz 1 und
2
ZPO
zu berücksichtigen, wenn die Prozesskostenhilfe begehrende Partei neben dem Arbeitslosengeld II weitere Einkünfte hat, die ihrerseits einzusetzendes Einkommen sind und die zusammen mit dem Arbeitslosengeld II die nach §
115
Abs.
1
Satz 3
ZPO
vorzunehmenden Abzüge übersteigen.
b) Allgemeine Strom- und Wasserkosten gehören nicht zu den Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von §
115
Abs.
1
Satz 3 Nr.
3
ZPO
, sondern fallen bereits unter den Freibetrag nach §
115
Abs.
1
Satz 3 Nr.
2
Buchst. a
ZPO
.«
Fundstellen:
AnwBl 2008, 304, BGHReport 2008, 513, FamRB 2008, 141, 142, FamRB 2008, 142, FamRZ 2008, 1346, FamRZ 2008, 781, HFR 2008, 768, MDR 2008, 523, NJW-RR 2008, 595, NZM 2008, 221, RVGreport 2008, 240, Rpfleger 2008, 263, WuM 2008, 157, ZFE 2008, 231
Normenkette:
ZPO
§
115
Abs.
1
,
2
,
SGB II §§ 19 ff.
Vorinstanzen:
LG Hof 09.01.2006 21 T 160/05 , AG Hof 27.07.2005 13 C 668/05
Entscheidungstext anzeigen:
Gründe:
I. Durch Beschluss vom 27. Juli 2005 hat das Amtsgericht der Beklagten, die seinerzeit monatlich Arbeitslosengeld II in Form der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 345 EUR und der Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 175 EUR, insgesamt 520 EUR, und daneben das von ihrer Mutter an sie weitergeleitete Kindergeld in Höhe von 154 EUR bezog, Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt. Auf die sofortige Beschwerde der Bezirksrevisorin hat das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts dahin abgeändert, dass die Beklagte monatliche Raten in Höhe von 45 EUR zu zahlen hat. Dabei ist das Landgericht davon ausgegangen, dass das von der Beklagten bezogene Arbeitslosengeld II einzusetzendes Einkommen im Sinne von §
115
Abs.
1
Satz 1
ZPO
sei und dass die von der Beklagten geltend gemachten Kosten für Strom und Wasser in Höhe von monatlich 44 EUR bereits durch den Freibetrag nach §
115
Abs.
1
Satz 3 Nr.
2
ZPO
abgegolten seien. Hiergegen richtet sich die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beklagten, über deren Vermögen nach Einlegung des Rechtsmittels das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden ist.
II. 1. Der Senat entscheidet über die Rechtsbeschwerde der Beklagten, obwohl über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers wird das Verfahren der Prozesskostenhilfe nicht nach §
240
ZPO
unterbrochen (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2006 - IX ZA 26/04, NJW-RR 2006, 1208; Senatsbeschluss vom 17. Mai 2006 - VIII ZB 15/06, juris, jeweils m.w.N.; aA für den Steuerprozess BFHE 214, 293). Das gilt unabhängig davon, in welchem Stadium sich das Verfahren der Prozesskostenhilfe befindet, mithin auch dann, wenn insoweit - wie hier - Rechtsbeschwerde eingelegt worden ist.
2. Die Rechtsbeschwerde ist nach §§
574
,
575
ZPO
zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, weil das Beschwerdegericht sie gemäß §
574
Abs. 1 Satz 1 Nr.
2
, Abs.
2
Nr.
1
, Abs. 3 Satz 1
ZPO
wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat. Daran ist der Senat nach §
574
Abs.
3
Satz 2
ZPO
gebunden. Wegen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde allerdings nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (BGH, Beschluss vom 21. November 2002 - V ZB 40/02, NJW 2003, 1126, unter II 1; Beschluss vom 26. Januar 2005 - XII ZB 234/03, NJW 2005, 2393, unter II 1, jeweils m.w.N.). Letzteres ist hier indessen der Fall. Das Landgericht hat die Rechtsbeschwerde wegen der Frage zugelassen, ob das Arbeitslosengeld II zum Einkommen der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei im Sinne des §
115
Abs.
1
ZPO
gehört.
3. Die Rechtsbeschwerde ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das Beschwerdegericht angenommen, dass der Beklagten nach §§
114
,
115
Abs.
1
und
2
ZPO
Prozesskostenhilfe mit der Maßgabe zu gewähren ist, dass sie monatliche Raten in Höhe von 45 EUR zu zahlen hat.
a) Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist nach §
114
Satz 1
ZPO
unter anderem, dass die betreffende Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Gemäß §
115
Abs.
1
Satz 1
ZPO
hat die Partei ihr Einkommen einzusetzen. Zu diesem gehören nach §
115
Abs.
1
Satz 2
ZPO
alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Ob Einkommen in diesem Sinne auch das - von der Beklagten bezogene - Arbeitslosengeld II nach §§ 19 ff. SGB II ist, wie das Beschwerdegericht angenommen hat, ist insbesondere wegen des Zwecks des Arbeitslosengeldes II, den Lebensunterhalt von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu sichern (amtliche Begründung zu § 19 Satz 1 SGB II, BT-Drs. 15/1516, S. 56), in Rechtsprechung und Schrifttum streitig (dafür: OLG Stuttgart, OLGR 2007, 967; OLG Zweibrücken, OLGR 2005, 947; Baumbach/Lauterbach/Hartmann,
ZPO
, 66. Aufl., §
115
Rdnr. 17 "Arbeitsloser"; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl., Rdnr. 218; dagegen: OLG Karlsruhe, FamRZ 2007, 155; wohl auch Saenger/Pukall,
ZPO
, 2. Aufl., §
115
Rdnr. 6).
Diese Frage bedarf hier keiner allgemeinen Entscheidung. Denn das Arbeitslosengeld II, das die Beklagte zu dem nach §
115
Abs.
1
Satz 4
ZPO
maßgebenden Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe in den Tatsacheninstanzen bezogen hat, beträgt für sich allein betrachtet weniger als das, was ohnehin nach §
115
Abs.
1
Satz 3
ZPO
vom Einkommen abzusetzen ist. So ist die der Beklagten gewährte Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 SGB II) mit 345 EUR niedriger als der Freibetrag nach §
115
Abs.
1
Satz 3 Nr.
2
Buchst. a
ZPO
, der sich seinerzeit gemäß Nr. 2 der Bekanntmachung vom 23. März 2005 (BGBl. I S. 924) auf 380 EUR belaufen hat. Weiter sind die von der Beklagten bezogenen Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) in Höhe von 175 EUR nach §
115
Abs.
1
Satz 3 Nr.
3
ZPO
im vollen Umfang abzusetzen.
Danach stellt sich hier lediglich die Frage, ob das Arbeitslosengeld II im Hinblick auf die in Rede stehende Festsetzung von Raten aus dem nach den Abzügen gemäß §
115
Abs.
1
Satz 3
ZPO
verbleibenden Einkommen (§
115
Abs.
2
ZPO
) dann als Einkommen im Sinne des §
115
Abs.
1
Satz 1 und
2
ZPO
zu berücksichtigen ist, wenn die Prozesskostenhilfe begehrende Partei - wie hier die Beklagte mit dem von ihrer Mutter an sie weitergeleiteten Kindergeld - neben dem Arbeitslosengeld II weitere Einkünfte hat, die ihrerseits einzusetzendes Einkommen sind und die zusammen mit dem Arbeitslosengeld II die nach §
115
Abs.
1
Satz 3
ZPO
vorzunehmenden Abzüge übersteigen. Dieser Fall ist hier gegeben. Die Beklagte hat zu dem maßgebenden Zeitpunkt neben dem Arbeitslosengeld II das von ihrer Mutter an sie weitergeleitete Kindergeld in Höhe von monatlich 154 EUR bezogen. Hierbei handelt es sich um Einkommen der Beklagten im Sinne von §
115
Abs.
1
Satz 1 und
2
ZPO
. Zusammen mit dem von der Beklagten bezogenen Arbeitslosengeld II in Höhe von insgesamt 520 EUR (345 EUR + 175 EUR), nämlich 674 EUR, übersteigt es die vorstehend aufgeführten Abzüge nach §
115
Abs.
1
Satz 3
ZPO
von insgesamt 555 EUR (380 EUR + 175 EUR) um 119 EUR. In diesem Fall ist das Arbeitslosengeld II als Einkommen im Sinne des §
115
Abs.
1
Satz 1 und
2
ZPO
zu berücksichtigen (ebenso OLG Koblenz, FamRZ 2007, 1824). Andernfalls würde die Partei, die Arbeitslosengeld II bezieht, besser stehen als eine Partei, die ein entsprechendes Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Dafür ist eine Rechtfertigung nicht ersichtlich. Der oben angeführte Zweck des Arbeitslosengeldes II, den Lebensunterhalt von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu sichern, wird dadurch nicht berührt, da das Arbeitslosengeld II selbst wegen der Abzüge nach §
115
Abs.
1
Satz 3
ZPO
unangetastet bleibt.
b) Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die geltend gemachten Kosten für Strom und Wasser in Höhe von monatlich 44 EUR nicht nach §
115
Abs.
1
Satz 3 Nr.
3
ZPO
als Kosten der Unterkunft von dem Einkommen der Beklagten abgesetzt hat, sondern davon ausgegangen ist, dass diese Kosten bereits unter den Freibetrag nach §
115
Abs.
1
Satz 3 Nr.
2
Buchst. a
ZPO
fallen. Dies entspricht der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum (unter anderem OLG Nürnberg, FamRZ 1997, 1542; OLG Karlsruhe, FamRZ 2005, 465; OLG Bamberg, FamRZ 2005, 1183; ebenso Musielak/Fischer,
ZPO
, 5. Aufl., §
115
Rdnr. 22; Schoreit/Groß, Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe, 9. Aufl., §
115
ZPO
Rdnr. 58; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, aaO., Rdnr. 273; MünchKomm ZPO/Motzer, 3. Aufl., § 115 Rdnr. 37; Saenger/Pukall, aaO., §
115
Rdnr. 22; nur für Strom: Zöller/Philippi,
ZPO
, 26. Aufl., §
115
Rdnr. 34). Die Gegenmeinung (unter anderem OLG Koblenz, MDR 1995, 1165; OLG Karlsruhe, FamRZ 1999, 599; Thomas/Putzo/Reichold,
ZPO
, 28. Aufl., §
115
Rdnr. 11) verkennt, dass §
115
Abs.
1
Satz 3
ZPO
, wie sich bereits aus Nr.
1
Buchst. a ergibt, an das System der Sozialhilfe anknüpft (vgl. die amtliche Begründung in BT-Drs. 12/6963, S. 1, 7, 12) und danach die Kosten für Strom und Wasser nicht unter die Leistungen für Unterkunft und Heizung fallen, sondern bereits durch die Leistungen für den Regelbedarf abgedeckt werden (Atzler, FamRZ 1997, 1018; ferner LSG BW, Urteil vom 30. August 2005 - L 12 AS 2023/05, juris; Oestreicher/Schmidt, SGB XII/SGB II, Stand September 2006, § 22 SGB II Rdnr. 28). Dies ist in § 20 Abs. 1 SGB II für die Haushaltsenergie ausdrücklich vorgesehen und ergibt sich im Übrigen aus § 2 Abs. 2 Nr. 3 der seinerzeit geltenden Regelsatzverordnung zu § 28 SGB XII. Deswegen sind die Kosten für Strom und Wasser auch nicht bei den der Beklagten gewährten Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II berücksichtigt worden.
c) Ist nach alledem gemäß den vorstehenden Ausführungen davon auszugehen, dass die Beklagte unter Berücksichtigung der Abzüge nach §
115
Abs.
1
Satz 3
ZPO
ein einzusetzendes Einkommen von 119 EUR hat, hat sie nach §
115
Abs.
2
ZPO
monatliche Raten auf die Prozesskosten in Höhe von 45 EUR zu zahlen.