Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitssuchende, Rechtsschutzbedürfnis im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, Mitwirkungspflichten
des Leistungsempfängers
Gründe:
I. Die Antragstellerin macht Leistungen für Unterkunft und Heizung geltend.
Die 1969 geborene ledige Antragstellerin ist österreichische Staatsangehörige. Sie bewohnt seit 2001 eine ca. 55 m2 große
2-Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad in H ... Die Kaltmiete für diese Wohnung beläuft sich seit November 2006 auf 240,00 EUR
im Monat. An Nebenkosten hat sie monatlich 59,00 EUR für Kosten der Heizung und der Zubereitung von Warmwasser und 61,00 EUR
für sonstige Betriebskosten (Wasser, Abwasser, Grundsteuer, allgemeine Beleuchtung, Schornsteinfeger und Kehrwoche) als Vorauszahlung
an die Vermieter zu zahlen. Die Antragstellerin erhält seit 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende von der
Bundesagentur (Regelleistung) und der Antragsgegnerin (Kosten der Unterkunft). Die Bundesagentur für Arbeit gewährte der Antragsstellerin
zuletzt mit Bescheid vom 09.08.2007 für die Zeit vom 01.09.2007 bis 29.02.2008 Leistungen in Höhe von monatlich 347,00 EUR.
Auf den Weiterbewilligungsantrag der Antragstellerin vom Juli 2007 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben
vom 05.09.2007 auf, bis zum 20.09.2007 folgende Unterlagen einzureichen:
- eine vom Vermieter ausgefüllte Mietbescheinigung - Kontoauszüge für die letzten drei Monate - eine Gesamtübersicht aller
Bankinstitute, bei denen die Antragstellerin Sparanlagen hat - Verfügungen über Wertpapiere, Bausparverträge, Lebensversicherungen
usw.
Dieser Aufforderung ist die Antragstellerin zunächst nicht nachgekommen. Sie hat stattdessen am 13.09.2007 beim Sozialgericht
Heilbronn (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 7 AS 3379/07 ER) beantragt, mit dem Ziel, ihr die Kosten der Unterkunft vorläufig zu bewilligen. Zur Begründung hat sie vorgebracht, die
Antragsgegnerin verweigere die Bearbeitung ihres bereits im Juli 2007 gestellten Leistungsantrages und verlange Daten, die
ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzten. Alle leistungsrelevanten Belege lägen der Antragsgegnerin
bereits vor. Die von ihr geforderte Mitwirkungspflicht werde überstrapaziert.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegen getreten und hat geltend gemacht, es sei unrichtig, dass sie die Bearbeitung des
Weiterbewilligungsantrages verweigere. Sie habe in ihrem Schreiben vom 05.09.2007 lediglich darauf hingewiesen, dass bis zur
Vorlage der angeforderten Unterlagen über den Antrag nicht entschieden werden könne. Seit Vorlage der Mietbescheinigung vom
24.08.2004 seien drei Jahre vergangen. Auch lasse sich die Antragsgegnerin in regelmäßigen Abständen von den Leistungsempfängern
deren Kontoauszüge für die letzten drei Monate vorlegen. Dies diene der Überprüfung, ob Geldzuflüsse vorhanden sind, die der
Antragsgegnerin nicht bekannt gegeben worden seien oder ob Vermögen existiere, von dem die Antragsgegnerin keine Kenntnis
besitze. Auch die Vermögenssituation könne sich im Laufe der Jahre verändert haben.
Nach einem Hinweisschreiben des Kammervorsitzenden hat die Antragstellerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom
10.10.2007 u. a. die Kontoauszüge Nr. 13 bis 22 für die Zeit vom 12.06.2007 bis zum 11.09.2007 in beglaubigter Kopie zu den
Gerichtsakten gegeben. Auf diesen Kontosauszügen ist allerdings der Text zu den Ausgabenbuchungen geschwärzt worden; lediglich
der Zahlbetrag der getätigten Ausgaben ist erkennbar. Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass sie zu diesen Schwärzungen
berechtigt ist. Dieser Auffassung hat sich das SG angeschlossen und die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 30.10.2007 verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Arbeitslosengeld
II in Form von Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.09.2007 bis zum 29.02.2008 in Höhe von monatlich
348,00 EUR zu zahlen. Im Übrigen, d.h. soweit die Antragstellerin monatliche Leistungen in Höhe von 360,00 EUR erstrebt hat,
hat es den Antrag zurückgewiesen. Das SG hat in seinem Beschluss dargelegt, dass und weshalb die Antragstellerin zur Schwärzung des Ausgabentextes auf den Kontoauszügen
berechtigt sei. Der Beschluss des SG ist der Antragsgegnerin am 31.10.2007 zugestellt worden. Am 08.11.2007 hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt, der
das SG nicht abgeholfen hat.
II. Die gemäß den §§ 172ff
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Das SG war nicht berechtigt, der Antragstellerin im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig Leistungen bis Februar 2008
zuzusprechen. Ein Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass einer Regelung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist nicht
gegeben. Außerdem hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf
ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie
die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch)
und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art
19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG), wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen
entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen,
wenn es - wie hier - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten
Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum
nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren
erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928). Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die
Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1236, 1237; BVerfG NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens
übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte
zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller
eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller
mit seinen Begehren verfolgt (BVerfG NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Außerdem müssen die Gerichte Fragen des Grundrechtsschutzes
einbeziehen (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928).
Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung
zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen.
Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1236, 1237). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen
Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Diese
besonderen Anforderungen an Eilverfahren schließen andererseits nicht aus, dass die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen
Vorwegnahme der Hauptsache vermeiden, indem sie zum Beispiel Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (vgl. BVerfG 12.05.2005
NVwZ 2005, 927, 928; SG Düsseldorf, NJW 2005, 845, 847).
Nach dem Vorbringen der Beteiligten und dem Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten (S 7 AS 866/07, S 7 AS 2759/06, S 7 AS 1325/06, S 7 AS 2075/06, S 7 AS 3379/07 ER) fehlt es bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis für ein Tätigwerden des Gerichts. Denn die Antragsgegnerin hat das Begehren
der Antragstellerin noch nicht förmlich abgelehnt (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Aufl. 2005 RdNr. 29). Das
Schreiben vom 05.09.2007, mit dem die Antragstellerin aufgefordert worden ist, bestimmte Unterlagen vorzulegen, ist weder
seinem Inhalt noch seiner Form nach ein Verwaltungsakt. Das Schreiben enthält zwar einen Hinweis nach §
66 Abs.
3 SGB I. Ein solcher Hinweis ist aber noch kein anfechtbarer Verwaltungsakt. Abgesehen davon, dass auch der Erlass einer einstweiligen
Anordnung ein streitiges Rechtsverhältnis voraussetzt (Krodel aaO. Fußnote 95), ist mangels Vorliegen einer behördlichen Entscheidung
unklar, nach welchen Kriterien eine Prüfung der Rechtslage erfolgen soll. Die Antragsgegnerin könnte z. B. die Leistung nach
§
66 SGB I versagen. Mit einer solchen Entscheidung würde nicht der Leistungsantrag abgelehnt, sondern nur die Verletzung einer Mitwirkungspflicht
sanktioniert. In Betracht käme aber auch eine Versagung der Leistung, weil die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin nicht
nachgewiesen ist. In diesem Fall wäre zu prüfen, ob die Anspruchsvoraussetzungen für die Leistung vorliegen. Eine ggf. vorliegende
Verletzung von Mitwirkungspflichten hätte dann nur Bedeutung für die Frage der Beweislastverteilung.
Ob inzwischen ein (anfechtbarer) Verwaltungsakt ergangen ist, kann dahin gestellt bleiben, weil es nach Ansicht des Senats
auch an einem Anordnungsanspruch fehlt, und zwar unabhängig davon, ob die Antragsgegnerin einen Verwaltungsakt auf der Grundlage
von §
66 SGB I erlassen oder die Leistung versagt hat. Denn die Antragstellerin ist nach Auffassung des Senats verpflichtet, ungeschwärzte
Kontoauszüge vorzulegen, weil nur dadurch geprüft werden kann, ob die für eine Leistungsgewährung erforderliche Hilfebedürftigkeit
gegeben ist. Verweigert die Antragstellerin die Vorlage dieser Unterlagen, verletzt sie nicht nur ihre Mitwirkungspflicht,
die Antragsgegnerin kann in einem solchen Fall auch davon ausgehen, dass eine Hilfebedürftigkeit, für deren Vorliegen die
Antragstellerin die Beweislast trägt, nicht nachgewiesen ist.
Die von der Antragsgegnerin angeforderten Kontoauszüge, auf denen auch der Text einer Ausgabenbuchung lesbar ist, enthalten
Sozialdaten iSd § 67 Abs. 1 S. 1 SGB X, die von der Antragsgegnerin als dem zuständigen Leistungsträger nach §
35 Abs.
2 SGB I nur unter den Voraussetzungen der §§ 67ff SGB X erhoben, verarbeitet und genutzt werden dürfen. Der erkennende Senat ist ebenso wie der 12. Senat des LSG Baden-Württemberg
(Beschluss vom 13.03.2007, L 12 AS 5931/06 ER-B) der Auffassung, dass die Vorlage vollständig lesbarer Kontoauszüge erforderlich und geeignet ist, um die Hilfebedürftigkeit
der Antragstellerin iSd § 9 SGB II feststellen zu können. Die Berechtigung zur Erhebung (§ 67 Abs. 5 SGB X) dieser Daten ergibt sich damit aus § 67a Abs. 1 SGB X. Die Zulässigkeit der Verarbeitung (§ 67 Abs. 6 SGB X) und Nutzung (§ 67 Abs. 7 SGB X) dieser Daten folgt aus § 67b Abs. 1 S. 1 iVm § 67c Abs. 1 S. 1 SGB X. Das Lesen der geschwärzten Buchungstexte ist entgegen der Ansicht des SG nicht nur dann erforderlich im Sinne der genannten Vorschriften, wenn der Verdacht besteht, dass der Betroffene falsche Angaben
gemacht hat. Es verstößt weder gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht noch gegen andere Grundrechte des Betroffenen,
wenn der Staat nur solchen Personen steuerfinanzierte Leistungen gewähren will, die auch wirklich bedürftig sind, und er deshalb
dem Leistungsträger das Recht einräumt diejenigen Daten zu erheben, die Aufschluss darüber geben können, ob z. B. Hilfebedürftigkeit
tatsächlich vorliegt. Die in Kontoauszügen enthaltenen Angaben über ein- und ausgehende Zahlungen sind im besonderen Maße
geeignet, Aufschluss über die finanziellen Verhältnisse des Betroffenen zu geben. Auch der Text zu Ausgabenbuchungen kann
in mehrfacher Hinsicht Angaben enthalten, die für die Beantwortung der Frage, ob tatsächlich Hilfebedürftigkeit gegeben ist,
aufschlussreich sind.
So kann z. B. - wie es in einem vor dem Senat anhängigen Verfahren der Fall war - über den Buchungstext in Erfahrung gebracht
werden, ob der Betroffene einer (zunächst verschwiegenen) selbständigen Tätigkeit nachgeht. In dem erwähnten Fall war dies
dadurch erkennbar, dass der vorgeblich Hilfebedürftige per Überweisung Waren bezahlt hat, die er von einer Firma, deren Vertriebspartner
er war, zur Weiterveräußerung erhalten hat. Da er den durch den Weiterverkauf erzielten Erlös bar vereinnahmt hatte, war allein
über die Buchungseingänge nicht erkennbar, dass der Betreffende einer solchen Tätigkeit nachging. Ferner kann das Ausgabeverhalten
Rückschlüsse darauf zulassen, ob der Betroffene mit einem Partner iSd § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II in einer Bedarfsgemeinschaft
zusammenlebt. Ein Indiz dafür kann z.B. der Umstand sein, dass der Antragsteller oder Leistungsempfänger mehrere Verträge
mit Kommunikationsunternehmen (Mobiltelefon) bedient, obwohl er allein mit dem ihm vom Grundsicherungsträger überwiesenen
Geld höchstens einen Vertrag finanzieren könnte. Zwar wird nach § 7 Abs. 3a Nr. 4 SGB II inzwischen ein wechselseitiger Wille,
Verantwortung füreinander zu tragen, vermutet, wenn Partner befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
Dies schließt es aber nicht aus, das Vorliegen einer Partnerschaft auf andere Indizien zu stützen. Da bestimmte Dienstleistungen
nur erbracht werden, wenn das hierfür erforderliche Entgelt per Überweisung oder im Lastschriftverfahren (Einzugsermächtigung)
gezahlt wird, könnten mehrere Mobilfunkverträge auch dann als Indiz für das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft gewertet werden,
wenn die Partner kein gemeinsames Konto haben bzw. nicht befugt sind, über das Konto des anderen zu verfügen. Diese Überlegungen
machen aus Sicht des Senats deutlich, dass die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung auch der Daten, die in Buchungstexten auf
Kontoauszügen enthalten sind, für die Aufgabenerfüllung der Grundsicherungsträger im besonderen Maße geeignet und erforderlich
sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).