Amtspflicht bei Bewilligung von Sozialhilfe - Amtshaftung, Sozialhilfe, Pflegeheim
Tatbestand:
Die Klägerin betreibt ein Altenheim mit angegliederter Pflegeabteilung. Am 21.11.1991 nahm sie den schwer pflegebedürftigen
Rentner P.F. auf. Zur Abdeckung der Pflegekosten sollte neben der Altersrente F.s Sozialhilfe in Anspruch genommen werden.
Ein entsprechender Antrag wurde am 11.11.1991 bei der Beklagten zu 1) eingereicht und Ende Dezember 1992 an den Beklagten
zu 2) als zuständigen Sozialhilfeträger weitergeleitet. Dort wurde bis zum Tode F.s. am 12.03.1992 nicht über den Antrag entschieden.
Danach wurde die Übernahme der Kosten unter Hinweis auf die höchstpersönliche Natur der Sozialhilfeansprüche abgelehnt.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklagten auf Erstattung der ungedeckt gebliebenen Heimpflegekosten in Höhe von 10.413,57
DM in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat gemeint, der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch
aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung nicht zu, weil die den Bediensteten der Beklagten obliegende Pflicht, den
Sozialhilfeantrag zügig zu bearbeiten, nur gegenüber dem Sozialhilfeempfänger selbst bestanden habe, nicht aber im Verhältnis
zur Klägerin, die insoweit nicht "Dritter" im Sinne des §
839 Abs.
1 Satz 1
BGB gewesen sei. Da kein Eilfall vorgelegen habe, stehe ihr auch kein Aufwendungsersatzanspruch nach § 121
BSHG zu. Eine Geschäftsführung ohne Auftrag sei deshalb zu verneinen, weil die Klägerin kein Geschäft der Beklagten geführt habe;
jedenfalls fehle es an einem entsprechenden Geschäftsführungswillen.
Mit ihrer Berufung ermäßigt die Klägerin die Klageforderung um einen Betrag von 1.366,64 DM, der ihr zwischenzeitlich aus
der Auflösung eines Sparguthabens zugeflossen ist. Im übrigen verfolgt sie ihren erstinstanzlichen Antrag weiter. Die Beklagten
treten der Berufung entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache auch teilweise Erfolg. Sie führt im Ergebnis zu einer Verurteilung des Beklagten
zu 2), während sie gegenüber der Beklagten zu 1) erfolglos bleibt.
I. Gegen den Beklagten zu 2) steht der Klägerin ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§
677,
683 Satz 1,
670
BGB zu.
Mit der Beherbergung und Pflege F.s. nahm die Klägerin auch ein Geschäft des Beklagten zu 2) war. Daß F. ein Anspruch auf
Sozialhilfe zustand, ist zwischen den Parteien außer Streit. Auch die Beklagten stellen nicht in Abrede, daß die Heimpflegekosten
hätten übernommen werden müssen, wenn noch zu Lebzeiten F.s. über den Antrag entschieden worden wäre. Der Auffassung des Landgerichts,
die Beklagten hätten nur die Finanzierung, nicht aber die Pflege als solche geschuldet, kann nicht gefolgt werden. Formen
der Sozialhilfe sind nach § 8
BSHG persönliche Hilfe, Geldleistung und Sachleistung. Die von der Klägerin erbrachten Leistungen stellen sich als Hilfe zur Pflege
im Sinne der §§ 68 f BSHG dar, die nur im Falle der häuslichen Pflege nach § 69
BSHG als Pflegegeld oder Erstattung von Pflegeaufwendungen in Form von Geldleistungen gewährt wird. Im übrigen ist die gesetzliche
Form der Pflege die Sachleistung. Dem steht nicht entgegen, daß auch Pflegeleistungen in der Regel durch Dritte erbracht werden,
deren Aufwendungen der Sozialhilfeträger in Form von Geld erstattet. Insoweit gilt für die Sozialhilfe nichts anderes als
für die Krankenpflege, die von den Kassen ebenfalls als Sachleistung geschuldet wird, obwohl in der Praxis regelmäßig nur
die Kosten erstattet werden (BGHZ 33, 251, 254 f). Davon abgesehen ist für die Annahme einer Fremdgeschäftsführung nicht einmal erforderlich, daß der Geschäftsführer
die Leistung in derselben Form erbringt wie der primär Verpflichtete, da Natural- und Geldleistungen nach ihrem Verwendungszweck
und in ihrer Wirkung übereinstimmen (vgl. MK-Seiler,
BGB 2. Aufl., §
677 Rdnr. 25).
Unerheblich ist auch, ob die Klägerin mit F. einen wirksamen Vertrag abgeschlossen hatte. Es ist anerkannt, daß die Besorgung
eines fremden Geschäfts nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil der Geschäftsführer seine Leistungen aufgrund eines mit dem
Leistungsempfänger geschlossenen Vertrags erbringt (BGHZ 101, 393, 399). Maßgebend ist die Interessenlage, die unter den hier gegebenen Umständen entscheidend dadurch geprägt ist, daß die
in dem Vertrag vereinbarte Gegenleistung von dem Leistungsempfänger gar nicht aufgebracht werden kann. Im Hinblick darauf
braucht sich die Klägerin auch nicht entgegenhalten zu lassen, sie habe sich ihren Vertragspartner freiwillig ausgesucht und
damit auch ein entsprechendes Insolvenzrisiko übernommen. Die Insolvenz ihres Vertragspartners stand bereits mit Vertragsabschluß
fest. Das Vertragsverhältnis war deshalb von Anfang an darauf angelegt, daß die Klägerin die vereinbarte Gegenleistung, von
der Rente abgesehen, nicht von ihrem Vertragspartner, sondern vom Beklagten zu 2) als dem zuständigen Kostenträger erhalten
würde. Hierdurch erhielt die von ihr gewährte Pflege das Gepräge eines - teilweise - objektiv fremden Geschäfts (vgl. MK-Seiler,
aaO. Rdnr. 26). Daß der Anspruch auf Sozialhilfe öffentlich-rechtlicher Natur ist, steht der Anwendung des § 677 nicht entgegen
(vgl. zu ähnlich gelagerten Fällen: BGHZ 33, 251; BSGE 67, 100). Da es sich objektiv um ein teilweise fremdes Geschäft handelt, ist ein entsprechender Geschäftsführerwille zu vermuten
(BGHZ 98, 235, 340). Den Umständen nach kann auch nicht zweifelhaft sein, daß die Übernahme des Geschäfts dem Willen des Beklagten zu 2)
entsprach.
Die Anwendung der §§
677 ff.
BGB ist durch die Sonderregelung des § 121
BSHG nicht ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift hat derjenige, der einem Hilfebedürftigen in einem Eilfall Beistand leistet
(sog. Nothelfer), einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen gegen den Sozialhilfeträger. Der Anspruch setzt voraus, daß
der Nothelfer tätig geworden ist, bevor der Sozialhilfeträger von dem Hilfefall Kenntnis erlangt (BVerwGE 77, 181, 185 f). Der hier vorliegende Fall, daß der Sozialhilfeträger trotz Kenntnis untätig bleibt, wird von der Vorschrift nicht
erfaßt. Da die Hilfe als solche aber im Falle der Untätigkeit der Behörde nicht weniger dringlich ist als im Falle der Unkenntnis,
erscheint es sachlich nicht gerechtfertigt, dem Hilfeleistenden Ersatz seiner Aufwendungen nur deshalb zu versagen, weil die
Behörde von dem Fall Kenntnis erlangt hat. Das wäre insbesondere dann unbillig, wenn der Hilfeleistende noch nicht einmal
weiß, daß der Fall der Behörde bekannt ist. Es wäre auch ein sozialpolitisch nicht wünschenswerter Effekt, wenn der Nothelfer
seine Hilfstätigkeit nur deshalb einstellt, weil die zuständige Behörde von dem Fall erfährt, ohne sofort tätig zu werden.
Im Hinblick darauf kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber mit der Einführung des § 121
BSHG eine lex specialis schaffen wollte, neben der für die Anwendung der allgemeinen Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag
kein Raum mehr sein sollte. Dagegen spricht nicht zuletzt der Gesichtspunkt, daß die Rechtsstellung des Nothelfers nicht verschlechtert,
sondern verbessert werden sollte. Insoweit gilt für den § 121
BSHG der gleiche Gedanke wie für die Nothilferegelungen des § 539 Nr. 9
RVO, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ebenfalls nicht die Wirkung haben, daß die allgemeinen Regeln über die
Geschäftsführung ohne Auftrag ausgeschlossen sind (BGHZ 33, 251, 257).
Der Anspruch richtet sich allerdings nur gegen den Beklagten zu 2), der als Kreis nach § 96 Abs. 1 Satz 1 BSHG örtlicher Träger der Sozialhilfe ist (ein Fall des § 100
BSHG oder des § 2 AG-BSHG NW, für den der Landschaftsverband als überörtlicher Träger der Sozialhilfe zuständig wäre, § 1 Abs. 2 AG-BSHG, liegt nicht vor). Die Beklagte zu 1) ist allenfalls im Rahmen einer Heranziehung nach § 96 Abs. 1 Satz 2 BSHG tätig geworden (vgl. § 3
AGBSHG). Kostenträger ist auch insoweit der Beklagte zu 2) (§ 5 Abs. 2 AG-BSHG).
II. Gegen die Beklagte zu 1) steht der Klägerin auch kein Anspruch aus Amtspflichtverletzung gemäß §
839
BGB i.V.m. Art.
34
GG zu.
Insoweit ist der Auffassung des Landgerichts, daß die Klägerin nicht "Dritter" im Sinne des §
839 Abs.
1 Satz 1
BGB ist, zu folgen. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Frage, wer im Einzelfall zum Kreis der "Dritten" gehört, nach dem Zweck
der Amtspflicht zu entscheiden. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie
aus der besonderen Natur des Amtsgeschäfts ergibt, daß der Geschädigte zu dem Personenkreis gehört, dessen Belange nach dem
Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert werden sollen, besteht ihm gegenüber bei schuldhafter
Pflichtverletzung eine Schadensersatzpflicht. Dagegen ist anderen Personen gegenüber, selbst wenn die Amtspflichtverletzung
sich für sie mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat, eine Ersatzpflicht nicht begründet. Es muß mithin eine besondere
Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten "Dritten" bestehen. Dabei muß eine Person, der gegenüber
eine Amtspflicht zu erfüllen ist, nicht in allen ihren Belangen immer als "Dritter" anzusehen sein. Vielmehr ist jeweils zu
prüfen, ob gerade das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt
werden soll (BGHZ 100, 313, 318; 106, 323, 331).
Nicht geschützt sind insbesondere diejenigen, die nur infolge ihrer schuldrechtlichen Beziehungen zu dem unmittelbar Betroffenen
in ihren Interessen berührt werden. Die Amtspflicht, Hilfsbedürftige zu unterstützen, besteht ihrer Natur nach nur gegenüber
dem Hilfsbedürftigen selbst und nicht gegenüber denjenigen, die zu dem Hilfsbedürftigen in irgendwelchen Beziehungen stehen,
etwa als Unterhaltsverpflichteter oder Vertragspartner (BGH NJW 1962, 2100, 2102). So besteht keine Schutzpflicht des Sozialhilfeträgers gegenüber Personen, die dem Hilfsbedürftigen häusliche Pflege
gewähren und damit in den Genuß des Pflegegeldes nach § 69 Abs. 3
BSHG kommen (OLG Stuttgart, VersR 1990, 276). Eine günstigere Rechtsstellung kann der Klägerin auch nicht deshalb zugebilligt werden, weil sie auf die Sozialhilfeleistungen
angewiesen war und die Beklagten hiervon Kenntnis hatten. Insoweit ist das Verhältnis der Klägerin zur Person F.s. nicht grundsätzlich
anders zu bewerten als etwa die im Prozeßkostenhilfeverfahren bestehende Beziehung zwischen der bedürftigen Partei und dem
ihr beizuordnenden Anwalt, den der Bundesgerichtshof im Fall einer unrechtmäßigen Verweigerung der Prozeßkostenhilfe nicht
als "Dritten" im Sinne des §
839 Abs.
1 Satz 1
BGB angesehen hat (BGHZ 109, 163). Für einen Amtsmißbrauch, der sich auch im Verhältnis zur Klägerin als Amtspflichtverletzung darstellen würde (weil die
Pflicht, sich des Amtsmißbrauchs zu enthalten, dem Beamten gegenüber jedermann obliegt, vgl.
BGB-RGRK-Kreft, 12. Aufl., §
839 Rdnr. 249), bietet der vorgetragene Sachverhalt keine Anhaltspunkte.
III. Der zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus § 284 Abs. 1 Satz 1, §
286 Abs.
1
BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
91 a,
92,
97 Abs.
1
ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §
708 Nr. 10
ZPO.
Für die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 15.12.1993 angeregte Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung besteht kein
Anlaß. Die Abtretungserklärung des Nachlaßpflegers kann der Klage gegen die Beklagte zu 1) nicht zum Erfolg verhelfen, da
Sozialhilfeansprüche nicht wesentlich sind (BVerwGE 77, 181, 186/187) und ein Schadensersatzanspruch, der hätte vererbt werden können, zu Lebzeiten F.s. noch nicht entstanden war.
Berufungsstreitwert: bis zum 01.12.1993 : 10.413,-DM; sodann: 9.046,36 DM;
Wert der Beschwer: 9.046,36 DM.