Erbringung des Haftungshöchstbetrages des Haftpflichtversicherers durch Abschluß eines Abfindungsvergleichs über eine geringere
Summe mit Erlaß der Restschuld
Tatbestand:
Der Kläger, ein Sozialhilfeträger, verlangt aus übergeleitetem Recht des Schülers Andreas G. von dem beklagten Haftpflichtversicherer
den Ersatz von Hilfeleistungen. Der am 21. Mai 1962 geborene Andreas G. (künftig: der Geschädigt) war am 11. November 1974
auf dem Heimweg von der Schule von einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw angefahren und so schwer verletzt worden,
daß er sein Leben lang behindert bleiben wird. Die Beklagte ist aufgrund rechtskräftigen Urteils verpflichtet, den Unfallschaden
gemäß den Bestimmungen des Straßenverkehrsgesetzes zu 60 % zu ersetzen. Der nach diesem Gesetz für den Unfallzeitpunkt geltende
Haftungshöchstbetrag beläuft sich auf 250.000 DM.
Nach dem Schadensfall erbrachte zunächst der örtlich zuständige Gemeinde-Unfallversicherungsverband (künftig: GUV) Sozialleistungen
für den Geschädigten. Zwischen ihm und der Beklagten bestand ein auf 20.000 DM limitiertes Teilungsabkommen. Auf der Grundlage
dieses Abkommens und der rechtskräftig festgestellten Haftungsquote schloß die Beklagte mit dem GUV im Jahre 1983 einen Abfindungsvergleich,
in dem sie sich zur Zahlung von 150.000 DM verpflichtete. An den Geschädigten selbst zahlte die Beklagte mindestens weitere
44.364 DM. Die Aufwendungen des GUV für den Geschädigten, für den er auch weiterhin Leistungen erbringt, beliefen sich bis
zum 31. August 1989 auf mehr als 417.000 DM.
Ab September 1989 erwuchsen auch dem Kläger Aufwendungen für den Geschädigten, der nunmehr in einer Behindertenwerkstatt beschäftigt
wurde. Mit Schreiben an die Beklagte vom 10. August 1989 leitete der Kläger die Ansprüche des Geschädigten mit Wirkung ab
1. September 1989 in Höhe seiner Aufwendungen auf sich über. Nach seiner Behauptung beliefen sich seine Leistungen bis zum
31. März 1994 auf 87.009, 17 DM. Davon verlangt der Kläger gemäß der Haftungsquote 60 %, also 52.205, 50 DM, von der Beklagten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt
er sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht meint, der nach §
12 Abs.
1 Nr.
1
StVG a.F. auf 250.000 DM begrenzte und gemäß § 1542
RVO a.F. im Zeitpunkt des Unfalls auf den GUV übergegangene Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen die Beklagte sei spätestens
dann erloschen, als der GUV Leistungen von 416.666, 67 DM erbracht gehabt habe, die dem gleichen Zweck gedient hatten wie
der von der Beklagten zu leistende Schadensersatz. Denn mit Aufwendungen des GUV in dieser Höhe sei bei einer Einstandspflicht
der Beklagten von 60 % die Haftungshöchstsumme von 250.000 DM ausgeschöpft gewesen. Derart hohe Leistungen habe der GUV aber
bereits erbracht, bevor der Beklagten die Überleitungsanzeige des Klägers vom 10. August 1989 zugegangen sei. Zu dieser Zeit
habe daher dem Geschädigten gegen die Beklagte kein Ersatzanspruch mehr zugestanden, der auf den Kläger habe übergehen können.
Auf die von der Beklagten an den GUV aufgrund des Vergleichs erbrachten Zahlungen komme es ebensowenig an wie auf die Leistungen
der Beklagten an den Geschädigten selbst. Ohne Bedeutung sei, daß die Beklagte wegen des Teilungsabkommens und des Vergleichs
an den GUV und den Geschädigten nicht insgesamt 250.000 DM habe zahlen müssen. Schließlich könne auch die Erwägung des Klägers,
da Haftpflichtversicherer nach Eintritt eines Versicherungsfalles üblicherweise Rücklagen bildeten, nicht zu einer Erhöhung
des Haftungshöchstbetrages um die für solche Rücklagen erzielbaren Zinsen führen.
II. Das Berufungsurteil halt einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Mit Recht nimmt das Berufungsgericht
an, daß die Überleitungsanzeige des Klägers an die Beklagte vom 10. August 1989 ins Leere ging, weil im Zeitpunkt ihres Zugangs
dem Geschädigten keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte mehr zustanden, die der Kläger nach § 90 Abs. 1
BSHG auf sich hatte überleiten können.
1. Wie das Berufungsgericht zutreffend darlegt und auch die Revision nicht in Frage stellt, bewirkt die Vorschrift des §
12 Abs.
1 Nr.
1
StVG eine echte Begrenzung der vom Schädiger geschuldeten Leistung (vgl. Senatsurteil vom 2. April 1957 - VI ZR 4/56 - VersR 1957, 427, 428). Nur in der in dieser Vorschrift bestimmten Höhe, die für den Streitfall 250.000 DM betragt, konnte der Geschädigte
gemäß §
7 Abs.
1
StVG i.V.m. § 3 Nr. 1
PflVG auch die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Schädigers in Anspruch nehmen. Dieselbe Beschränkung gilt für soziale Leistungsträger,
die als Rechtsnachfolger des Geschädigten an dessen Stelle getreten sind.
2. Die Frage, ob neben dem GUV auch dem Kläger innerhalb des vorgenannten Leistungsrahmens der Beklagten Schadensersatzforderungen
des Geschädigten zugewachsen sind, kann allerdings nicht schon, wie das Berufungsgericht meint, mit der Begründung verneint
werden, daß mit den Leistungen des GUV von mehr als 417.000 DM bei einer Haftungsquote von 60 % der Haftungshöchstbetrag der
Beklagten von 250.000 DM ausgeschöpft gewesen sei. Eine Schuldbefreiung war auf Seiten der Beklagten vielmehr nur dann eingetreten,
wenn sie durch den Abschluß des Abfindungsvergleichs mit dem GUV und die an diesen geleisteten Zahlungen ihrer Einstandspflicht
in vollem Umfang gegenüber dem richtigen Gläubiger nachgekommen war, wenn also nicht etwa außer dem GUV auch noch dem Geschädigten
selbst Schadensersatzansprüche zugestanden haben, die ebenfalls aus der Haftungshöchstsumme der Beklagten von 250.000 DM zu
befriedigen waren und die dann, weil sie nicht erfüllt worden sind, auf den Kläger übergehen konnten (vgl. BGHZ 28, 68, 71 ff, 51, 226, 228 ff, Senatsurteil vom 26. März 1968 - VI ZR 188/66 - VersR 1968, 786, 787 f). Die Voraussetzungen, unter denen dem Kläger auf solche Weise Ansprüche des geschädigten hätten zuwachsen können,
liegen jedoch entgegen der Ansicht der Revision nicht vor.
a) Ersatzansprüche des Geschädigten gegen die Beklagte, die von vornherein nicht auf den GUV übergegangen waren, sondern dem
Geschädigten mit der Möglichkeit eines späteren Übergangs auf den Kläger verblieben sind, sind nicht ersichtlich.
aa) Insoweit könnte es sich schon wegen des ansonsten eingreifenden sog. Quotenvorrechts des Sozialversicherungsträgers (s.
dazu Senatsurteile vom 25. Februar 1958 - VI ZR 44/57 - VersR 1958, 324 und vom 29. Oktober 1968 - VI ZR 280/67 - VersR 1968, 1182, 1183 ff, vgl. auch BGHZ 84, 151, 154 und Senatsurteil vom 7. November 1978 VI ZR 86/77 - VersR 1979, 30, 31, zu Einschränkungen s. BGHZ 70, 67, 69 ff) nur um solche Ansprüche des Geschädigten handeln, die den Aufwendungen des GUV nicht sachlich kongruent, d.h. auf
den Ersatz anderer Schaden gerichtet gewesen wären, als sie durch die Leistungen des GUV ausgeglichen werden sollten (vgl.
Senatsurteile vom 10. April 1979 - VI ZR 268/76 - VersR 1979, 640, 641 und vom 24. Februar 1981 - VI ZR 154/79 - VersR 1981, 477, 478). Derartige Ansprüche des Geschädigten versucht zwar die Revision mit ihrer Rüge aufzuzeigen, daß die Leistungen des
GUV allein der Wiederherstellung der Gesundheit des Geschädigten und dem Ausgleich seines Erwerbsschadens gedient hatten,
während die vom Kläger erbrachten Leistungen zum Ausgleich verletzungsbedingter Mehraufwendungen bestimmt gewesen sei en (zur
Kongruenz bei unterschiedlichen Schadensgruppen s. auch BGH, Urteil vom 13. Juli 1972 - III ZR 150/69 - VersR 1972, 1020, 1021). So liegen die Dinge hier aber nicht. Nach dem vom Kläger unbestrittenen Sachvortrag der Beklagten hat der GUV dem
Geschädigten vielmehr fortlaufend auch Pflegegeld nach § 558 Abs. 3
RVO gezahlt, und der Anspruch des GUV auf dessen Erstattung ist mit dem Ersatzanspruch des Geschädigten wegen vermehrter Bedürfnisse
(§
11
StVG), zu deren Ausgleich seit September 1989 auch der Kläger Leistungen erbringt, sachlich deckungsgleich (Senatsurteil vom 8.
November 1977 - VI ZR 117/75 - VersR 1978, 149).
bb) Zudem hatten etwaige vom Rechtsübergang auf den GUV unberührt gebliebene Ersatzansprüche des Geschädigten wegen vermehrter
Bedürfnisse, die vor dem Beginn der Sozialhilfeleistungen fällig geworden waren, auch deshalb nicht auf den Kläger übergeleitet
werden können, weil sie dem Geschädigten nicht, wie nach dem in § 90 Abs. 1 S. 1 BSHG normierten Grundsatz der zeitlichen Kongruenz erforderlich, "für die Zeit, für die Hilfe gewährt wird" zugestanden haben
(s. dazu auch Senatsurteil vom 3. April 1973 - VI ZR 58/72 - VersR 1973, 711, 713). Und für die Zeit nach dem 1. September 1989, für die der Kläger Hilfe geleistet hat, standen dem Geschädigten gegen
die Beklagte schon unbeschadet des Nachrangs des Sozialhilfeträgers (§ 2
BSHG) keine auf den Kläger übergangsfähigen Ersatzansprüche wegen vermehrter Bedürfnisse mehr zu, weil - wie sich ergänzend auch
aus den nachstehend zu 2 b) dargelegten Gründen ergibt - durch den früheren Rechtsübergang auf den GUV der Haftungshöchstbetrag
bereits ausgeschöpft war. Es kann des halb für die Entscheidung dahinstehen, welche Ansprüche des Geschädigten durch die an
ihn selbst erbrachten Zahlungen der Beklagten von mindestens 44.364 DM erfüllt worden sind.
b) Entgegen der Rüge der Revision konnte der Kläger im August 1989 auch nicht auf Ersatzansprüche des Geschädigten zugreifen,
die zwar zunächst nach § 1542
RVO a.F. auf den GUV übergegangen waren, mit dem Abschluß des Abfindungsvergleichs vom GUV dann aber konkludent auf den Geschädigten
zurückübertragen worden waren, weil sie über die von der Beklagten an den GUV geleisteten Zahlungen hinausgingen. Solche Ansprüche
des Geschädigten gab es nicht.
aa) Für die Erfüllung der auf 250.000 DM begrenzten Leistungspflicht der Beklagten bereits vor der Überleitungsanzeige des
Klägers vom 10. August 1989 war es entgegen der Ansicht der Revision nicht erforderlich, daß die Beklagte tatsächlich Zahlungen
in dieser Höhe erbrachte. Das zwischen der Beklagten und dem GUV bestehende Leistungsverhältnis konnte vielmehr, wie jedes
Schuldverhältnis, auch in anderer Weise zum Erlöschen gebracht werden, insbesondere durch einen Schulderlaß nach §
397
BGB. So liegen die Dinge hier.
Der zwischen dem GUV und der Beklagten im Jahre 1983 abgeschlossene Abfindungsvergleich enthielt einen Verzicht des GUV auf
die auf ihn übergegangenen Ersatzansprüche, so weit diese den nach dem Vergleich zu zahlenden Abfindungsbetrag überstiegen.
Damit hat der GUV der Beklagten diesen Teil ihrer Zahlungsverpflichtung nach §
397 Abs.
1
BGB mit der Wirkung erlassen, daß das zwischen ihnen bestehende Schuldverhältnis insoweit erloschen ist (Senatsurteil vom 4.
März 1986 - VI ZR 234/84 - VersR 1986, 810, 811).
bb) Der Abfindungsvergleich stellte entgegen der Ansicht der Revision weder einen unzulässigen Vertrag zu Lasten des Geschädigten
dar, noch führte er zu einer Verkürzung der Haftungshöchstgrenze zum Nachteil anderer Sozialleistungsträger. Der Geschädigte
erhielt vom GUV die ihm zustehenden sozialen Leistungen ungeschmälert und in gleicher Weise, als wenn das zwischen der Beklagten
und dem GUV bestehende Schuldverhältnis im Umfang des Haftungshöchstbetrages durch entsprechend hohe Zahlungen der Beklagten
erloschen wäre. Eine Benachteiligung anderer sozialer Leistungsträger konnte durch den Abfindungsvergleich schon deshalb nicht
eintreten, weil der GUV mit diesem nur über solche Ersatzansprüche des Geschädigten verfügt hat, die ihm nach § 1542
RVO a.F. zugewachsen waren (vgl. auch Senatsurteil vom 4. März 1986 - aaO., S. 811). Da der GUV an den Geschädigten soziale Leistungen
von insgesamt mehr als 417.000 DM erbracht hat, ist auch kein Teil der auf den GUV übergegangenen Schadensersatzansprüche
als von diesem nicht (mehr) benötigt auf den Geschädigten mit der Möglichkeit des Zugriffs für andere soziale Leistungsträger
zurückgefallen (zu solcher Rückführung von Ansprüchen s. BGHZ 48, 181, 191, Senatsurteil vom 12. Dezember 1995 - VI ZR 271/94 - VersR 1996, 349, 351, zur Veröffentlichung in BGHZ 131, 274, 283 vorgesehen), die Leistungspflicht des GUV hat nicht geendet, bevor der Haftungshöchstbetrag der Beklagten ausgeschöpft
war.
3. Im Ergebnis zutreffend nimmt das Berufungsgericht schließlich auch an, daß die Haftungshöchstsumme von 250.000 DM nicht
um etwaige Zinsen der Beklagten für Rücklagen aus der Vergangenheit zu erhöhen ist. Die Vorschrift des §
12 Abs.
1 Nr.
1
StVG sieht nicht vor, daß der Ersatzpflichtige in der Zeit zwischen dem Schadensereignis und seiner Ersatzleistung Rücklagen zu
bilden und diese verzinslich anzulegen hatte. Auf welche Weise der Schädiger bzw. der für ihn eintretende Haftpflichtversicherer
sicher stellt, daß er bei Fälligkeit der von ihm zu erbringenden (Teil-) Leistungen zu diesen in der Lage ist, hat auf den
für seine Einstandspflicht geltenden Höchstbetrag keinen Einfluß. Das Erfordernis einer rechtlich anderen Sicht zeigt die
Revision nicht auf, wie sie auch nicht etwa Umstände dafür darlegt, daß im Streitfall im Sinne von Art. Abs. 2 des Gesetzes
zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 16. August 1977 (BGBl. I S. 1577, 1580) eine Überschreitung des Haftungshöchstbetrages
von 250.000 DM aus Billigkeitsgründen erforderlich wäre. Es kann deshalb dahinstehen, ob eine von der Revision erstrebte Anhebung
des Haftungshöchstbetrages überhaupt dem Kläger und nicht etwa dem GUV zugute kommen würde, der als gegenüber dem Kläger vorrangiger
Sozialversicherungsträger ebenfalls weiterhin Leistungen auf vermehrte Bedürfnisse des Geschädigten erbringt.