I. Der Steuerpflichtige V und die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) -eine Bank- zeigten dem Finanzamt (FA) die Abtretung
des Anspruchs des V auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1978 an ("Abtretungsanzeige" vom 13. Februar 1979). Als Abtretungsgrund
wurde in der Anzeige "Sicherungsabtretung" angegeben. Mit Bescheid vom 30. Oktober 1979 setzte das FA den Erstattungsanspruch
des V aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich 1978 auf 1.340 DM fest. Den Antrag der Klägerin, den festgesetzten Betrag an sie
auszuzahlen, lehnte das FA ab, da der Erstattungsanspruch nach §
37 Abs.
2 der
Abgabenordnung (AO 1977) nach § 47
AO 1977 durch Aufrechnung erloschen sei. V schulde dem Land Berlin, vertreten durch das Bezirksamt, Unterhaltsbeiträge (Teilbetrag)
in Höhe von 1.340 DM. Das Land Berlin, vertreten durch das Bezirksamt, habe mit Verfügung vom 25. September 1979 die Aufrechnung
in Höhe von 1.340 DM gegenüber dem Neugläubiger (der Klägerin) erklärt. Die der Aufrechnung zugrunde liegende Forderung gegen
V sei bereits 1966, also vor Eingang der Abtretungserklärung, entstanden und fällig geworden.
Den gegen diese Verfügung entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung eingelegten Einspruch wies das FA als unbegründet zurück.
Die Klage blieb erfolglos. Zur Begründung seiner Entscheidung vom 16. März 1982 VII 311/81 (Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 1983, 6) führte das Finanzgericht (FG) im wesentlichen aus, der Anspruch des V auf Zahlung des Lohnsteuererstattungsbetrags sei durch
Aufrechnung erloschen. Das Bezirksamt habe der Tochter des V Unterhalt in Höhe von 5.542,75 DM geleistet und deren Unterhaltsanspruch
gegen V durch Überleitungsanzeige vom 13. Mai 1966 gemäß § 90 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) auf das Land Berlin übergeleitet. Das Bezirksamt habe schließlich gegenüber V am 25. September 1979 die Aufrechnung erklärt
und dem FA sowie der Klägerin beglaubigte Durchschriften dieser Erklärung zugestellt. Hierin liege eine wirksame zivilrechtliche
Aufrechnungserklärung, die das Bezirksamt im Namen des Landes Berlin abgegeben habe.
Das FG ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu. Mit der Revision beantragt die Klägerin, die
Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben. Sie rügt unrichtige Anwendung des § 226
AO 1977. Das FA sei nicht befugt gewesen, mit Gegenforderungen des Landes Berlin aufzurechnen, die nicht aus dem Steuerschuldbereich
stammten.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Denn den vom FG getroffenen Feststellungen läßt sich weder entnehmen, daß die Voraussetzungen einer wirksamen Abtretung
vorliegen, noch sind die Umstände vollständig erkennbar, die zu einem Erlöschen des Erstattungsanspruchs durch Aufrechnung
geführt haben.
1. Ein geschäftsmäßiger Erwerb von Erstattungsansprüchen zum Zwecke der Einziehung oder sonstigen Verwertung auf eigene Rechnung
ist nur zulässig, wenn es sich um Fälle der Sicherungsabtretung handelt (§ 46 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AO 1977). Selbst Bankinstitute sind nur zum geschäftsmäßigen Erwerb und zur geschäftsmäßigen Einziehung von zur Sicherung abgetretenen
Ansprüchen befugt (§ 46 Abs. 4 Satz 3 AO 1977). Auf die Streitfrage, ob diese Befugnis auch anderen Unternehmern zusteht (vgl. dazu Tipke/Kruse,
Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10.Aufl., Tz.8 zu § 46
AO 1977, m.w.N.), braucht der Senat nicht einzugehen, da die Klägerin ein Bankinstitut ist.
Unklar ist, ob im Streitfall eine Sicherungsabtretung vorliegt. Das FA hat dies bestritten. Die Vorentscheidung spricht diese
Frage nur mittelbar durch Bezugnahme auf die Abtretungsanzeige an. Der Inhalt des Abtretungsvertrags wurde vom FG nicht festgestellt.
Lag entgegen der Angabe in der Abtretungsanzeige keine Sicherungsabtretung vor, so ist die Abtretung grundsätzlich nichtig
(§ 46 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 letzter Halbsatz AO 1977; siehe hierzu u.a. Dietz, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A -DStZ/A- 1978, 475 m.w.N.). Lag eine Sicherungsabtretung vor,
so sind die von der Zivilrechtsprechung entwickelten Grundsätze zu beachten. Insbesondere sind im wesentlichen die Vorschriften
der §§
1279 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches -
BGB- (betreffend die Verpfändung von Forderungen) entsprechend heranzuziehen (Urteil des Bundesgerichtshofs -BGH- vom 27. Oktober
1960 II ZR 89/59, Wertpapier-Mitteilungen -WM- 1961, 25, 26; Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des Bundesgerichtshofes -
BGB-RGRK- zu §
398 Rdnr.136). Nach diesen Vorschriften ist der Abtretungsempfänger (hier die Klägerin), wenn keine anderweitige Abrede vorliegt,
nur dann zur Einziehung der abgetretenen Forderung befugt, wenn der Abtretende mit der Erfüllung seiner Zahlungspflichten
ihm gegenüber in Verzug kommt (Urteil des Reichsgerichts -RG- vom 19. September 1933 II 70/33, RGZ 142, 139, 141). Feststellungen hat das FG insoweit nicht getroffen. Die Klägerin hat hierzu nichts vorgetragen. Ob eine anderweitige
Abrede in diesem Sinne vorliegt, wird zu ermitteln sein. Denkbar ist, daß ein Sonderfall des sog. "unechten" Factoring vorliegt,
der ebenfalls dadurch gekennzeichnet ist, daß aufgrund einer zwischen dem Factor und dem Abtretenden getroffenen Abrede der
Factor in erster Linie Befriedigung aus der abgetretenen Forderung suchen muß, bevor er sich an den Abtretenden hält (vgl.
hierzu BGH-Urteil vom 3. Mai 1972 VIII ZR 170/71 , BGHZ 58, 364, 367). Schließlich wird nicht unaufgeklärt bleiben können, inwieweit ein Zusammenwirken und/oder eine Rechtsbeziehung zwischen
der Klägerin und einem Verein vorliegt, dessen Vereinszweck in der Durchsetzung von Steuererstattungsansprüchen besteht (vgl.
BGH-Urteil vom 6. November 1973 VI ZR 194/71 , BGHZ 61, 318).
2. Das FG hat ohne Rechtsverstoß entschieden, daß grundsätzlich gegen den Anspruch auf Erstattung zuviel entrichteter Lohnsteuer
mit einem auf das Land Berlin übergeleiteten Unterhaltsanspruch aufgerechnet werden konnte.
a) Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß eine wirksame Aufrechnungserklärung des Landes Berlin vorliegt. Eine besondere
Form für die Ausübung des der Aufrechnung zugrunde liegenden Gestaltungsrechts schreibt das Gesetz nicht vor. Nach dem Urteil
des RG vom 17. Oktober 1904 VI 587/03 (RGZ 59, 207, 211) und dem Urteil des BGH vom 20. Juni 1962 V ZR 219/60 (BGHZ 37, 233, 244), denen sich das Schrifttum angeschlossen hat (
BGB-RGRK, §
388 Tz.2), kann die Aufrechnung sogar durch schlüssige Handlungen erklärt werden. Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung.
Danach hat unabhängig von Aufrechnungserklärungen seitens des Bezirksamts das Land Berlin, vertreten durch das FA, spätestens
im angefochtenen Verwaltungsakt die Aufrechnung gegenüber der Klägerin erklärt.
b) § 226 Abs. 1
AO 1977 läßt schlechthin die Aufrechnung sowohl mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis als auch gegen solche Ansprüche zu.
Dabei gilt als Gläubiger oder Schuldner eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis die Körperschaft, die die Steuer verwaltet
(§ 226 Abs. 4
AO 1977). Die Bedeutung dieser Vorschrift liegt ausschließlich darin, die Person des Gläubigers oder des Schuldners festzulegen,
soweit es sich um den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis handelt. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Absatz
4 des § 226
AO 1977 nicht als Einschränkung des Absatzes 1 der Vorschrift in dem Sinne zu verstehen, daß beide Ansprüche, die sich aufrechenbar
gegenüberstehen, aus einem Steuerschuldverhältnis herrühren müßten.
Grundsätzlich kann jede Seite gegen Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis mit anders begründeten Gegenforderungen aufrechnen.
So darf der Steuerpflichtige mit zivil- und öffentlich- rechtlichen Gegenansprüchen aller Art aufrechnen, sofern sie unbestritten
oder rechtskräftig festgestellt sind (§ 226 Abs. 3
AO 1977; vgl. dazu Tipke/Kruse, a.a.O., Tz.15 zu § 226
AO 1977).
Ein im vorliegenden Falle der Aufrechnung entgegenstehender allgemeiner Rechtssatz ist weder den Vorschriften des § 226
AO 1977 noch denen des bürgerlichen Rechts zu entnehmen. Insbesondere kann der Klägerin nicht gefolgt werden, wenn sie meint, bei
den Stadtstaaten bestünden aufgrund ihrer vielfältigen wirtschaftlichen Verknüpfungen mit ihren Bürgern so viele Aufrechnungsmöglichkeiten,
daß es als unzulässig angesehen werden müsse, mit außerhalb des Steuerrechts begründeten Forderungen einer solchen öffentlich-rechtlichen
Körperschaft gegen Steuererstattungsansprüche aufzurechnen. Denn bei der Vielfalt der Rechtsbeziehungen, in denen der Bürger
eines Stadtstaates steht, ergeben sich andererseits auch für ihn als Steuerpflichtigen entsprechend vermehrte Aufrechnungsmöglichkeiten,
so daß die gesetzliche Regelung auch im Hinblick auf diese Verhältnisse als ausgewogen anzusehen ist und keiner Einschränkung
bedarf. Daher handelt auch eine Behörde nicht rechtsmißbräuchlich, wenn sie unter diesen Umständen von einem Aufrechnungsrecht
Gebrauch macht. Die Aufrechnung des FA gegen Steuererstattungsansprüche ist grundsätzlich keine unzulässige Rechtsausübung,
und zwar auch dann nicht, wenn es sich um lohnsteuerrechtlich begründete Ansprüche handelt (Urteil des erkennenden Senats
vom 19. Oktober 1982 VII R 64/80 , BFHE 138, 308, BStBl II 1983, 541).
3. Das FG hat indes zu Unrecht unterstellt, daß gegenüber V Unterhaltsansprüche in der vom FA behaupteten Höhe bestanden haben
und daß diese Ansprüche auf das Land Berlin durch Überleitungsanzeige vom 13. Mai 1966 des Bezirksamts gemäß § 90 Abs. 1
BSHG übergeleitet worden seien. Insoweit ist die Entscheidung des FG schon deshalb nicht zu bestätigen, weil die getroffenen Feststellungen
nicht ausreichen, um die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nachprüfen zu können (vgl. dazu Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 118 Anm. 13).
Eine Aufrechnung setzt voraus, daß sich zwei Forderungen gegenüberstehen (§
387
BGB). Vom Bestehen und der Höhe dieser Forderungen, insbesondere derjenigen, mit welcher aufgerechnet zu haben das FA behauptet,
hängt der Ausgang des Rechtsstreits ab. Vom Bestand dieser Forderung könnte allenfalls dann ohne nähere Ermittlungen ausgegangen
werden, wenn der Entstehungsgrund und das Fortbestehen des Anspruchs bis zum Zeitpunkt der Aufrechnung ohne Schwierigkeiten
überblickbar wären. Dies ist hier indessen nicht der Fall. Die Frage, ob ein Unterhaltsanspruch gegen V jemals entstanden
ist und in welcher Höhe er ggf. fortbesteht, ist bisher nicht geprüft worden. Dies wird nachzuholen sein. Hinzu kommt, daß
auch der Übergang des Anspruchs vom ursprünglich berechtigten Abkömmling des V auf das Bezirksamt zweifelhaft erscheint. Nach
den im FG-Urteil enthaltenen tatsächlichen Feststellungen "beansprucht den Erstattungsbetrag ebenfalls das Bezirksamt ...,
das der Tochter des V Unterhalt in Höhe von 5.542,75 DM geleistet und ihren Unterhaltsanspruch gegen den Vater durch Überleitungsanzeige
vom 13. Mai 1966 gemäß § 90 Abs. 1
BSHG auf das Land Berlin übergeleitet hat". Diese Feststellung reicht schon deshalb nicht aus, das Bestehen eines Anspruchs des
Bezirksamts zu rechtfertigen, weil nicht erkennbar ist, ob die behaupteten Unterhaltszahlungen vor oder nach dem 13. Mai 1966
geleistet wurden. Soweit sie nicht vor dem 13. Mai 1966 geleistet worden waren, ist zu beachten, daß gemäß § 90 Abs. 2
BSHG die schriftliche Anzeige den Übergang des Anspruchs nur für die Zeit bewirkt, für die dem Hilfeempfänger die Hilfe ohne Unterbrechung
gewährt wird; als Unterbrechung gilt ein Zeitraum von mehr als zwei Monaten. Dies hat zur Folge, daß im Falle einer Unterbrechung
jeweils eine neue Überleitungsanzeige zugestellt worden sein müßte (vgl. u.a. Oestreicher, Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, § 90 Rdnr.16). Das FG hat nicht festgestellt, daß ohne Unterbrechung im vorgenannten Sinne geleistet wurde. Allein aus dem Vorhandensein
der Überleitungsanzeige kann dies schon deshalb nicht geschlossen werden, weil die Anzeige vom 13. Mai 1966 im Zeitpunkt der
Aufrechnungserklärung (25. September 1979) mehr als 13 Jahre zurücklag, andererseits aber nur 5.542,75 DM vom Bezirksamt an
Unterhalt geleistet worden sein sollen. Bei dem Vergleich dieser langen Zeitdauer mit dem relativ geringen Betrag drängt sich
die Vermutung auf, daß die Zahlungen nur mit Unterbrechung im oben genannten Sinne geleistet worden sind. Die Vorinstanz wird
die tatsächlichen Feststellungen, die das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs in der behaupteten Höhe und dessen Übergang auf
das Bezirksamt rechtfertigen, noch zu treffen haben.