Rechtsschutzbedürfnis, Sozialhilfe: Darlehen, Erbteil, maßgeblicher Zeitpunkt, Rechtsschutzbedürfnis, Vermögen
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Gewährung von Sozialhilfe als Darlehen statt als Zuschuss.
Er erhielt von der Beklagten seit Jahren, zuletzt auf Grund eines Bewilligungsbescheids vom 11.09.2000, Hilfe zum Lebensunterhalt
als Zuschuss. Am 24.11.2000 erfuhr die Beklagte von der Nachlasspflegerin des 1999 verstorbenen Großvaters des Klägers E.
B., dass der Vater des Klägers, H. B. sen., als Erbe ermittelt worden, aber seinerseits am 30.01.2000 verstorben sei; der
Erbteil von H. B. sen. habe ca. 90.000,-- DM betragen. Darauf setzte die Beklagte den Kläger gegen seine Unterschrift (siehe
Aktenvermerk vom 30.11.2000 - 2115.013424 -) davon in Kenntnis, dass die Sozialhilfe ab 01.12.2000 als Darlehen gewährt werde.
Durch Anwaltsschriftsatz vom 20.03.2001 ließ der Kläger Widerspruch einlegen mit der Begründung, gegenwärtig stehe lediglich
fest, dass er Erbe sei, völlig offen sei aber, ob er im Hinblick auf eine mögliche Überschuldung überhaupt etwas aus dem Nachlass
erhalten könne und ob der Schonbetrag überschritten werde; es sei nicht zulässig, ein Vermögen auf Verdacht zu fingieren.
Gleichwohl schlossen die Beteiligten am 30.03.2001 einen Darlehensvertrag, in dem sie vereinbarten, dass ab 01.11.2000 die
Hilfe zum Lebensunterhalt wegen des Erbanspruchs als Darlehen gewährt werde und die Rückzahlungsverpflichtung des Klägers
auf die Höhe des Nachlasses unter Beachtung des Vermögensfreibetrages von 3.000,-- DM beschränkt sei; ferner heißt es im Darlehensvertrag
auch, er werde gegenstandslos, falls nach öffentlichem Recht die darlehensweise Sozialhilfegewährung nicht möglich sein sollte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte u.a. aus, dem Erbteil komme unbeschadet
der unklaren Erbquote die Qualität verwertbaren Vermögens im Sinne von § 88 Abs. 1 BSHG zu, da er übertragen oder verpfändet oder ein Nießbrauch bestellt werden könne. Selbst wenn der Kläger nicht Erbe geworden
sein sollte, stünde ihm jedenfalls ein Pflichtteilsanspruch zu. Zwar nehme die Verfügung über einen Erbteil eine gewisse Zeit
in Anspruch, jedoch sehe § 89 BSHG für solche Fälle die darlehensweise Sozialhilfegewährung vor; von dieser Ermächtigung sei beim Kläger Gebrauch gemacht worden.
Am 23.08.2001 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erheben lassen mit dem Antrag, die Bescheide vom 30.11.2000
und vom 09.08.2001 aufzuheben, und vortragen lassen: Verwertbares Vermögen habe erst im Juli 2001 vorgelegen, denn die Nachlasspflegerin
habe, nachdem dem Kläger am 12.06.2001 ein Erbschein ausgestellt worden sei, den Erbteil mit einem am 19.07.2001 eingegangenen
Schreiben beziffert und ihn am 10.08.2001 überwiesen. Die Umstellung auf darlehensweise Sozialhilfegewährung sei bis dahin
unzulässig gewesen, weil nicht habe feststehen können, ob der Kläger überhaupt ein sozialhilferechtlich relevantes Vermögen
erben würde. Das zeige der weitere Verlauf der Angelegenheit, denn mit Schreiben vom 06.11.2001 habe der Bezirk Schwaben eine
Aufwendungs- und Kostenersatzforderung angekündigt, weil H. B. sen. seit 01.11.1989 bis zu seinem Tod Hilfe zum Lebensunterhalt
in Einrichtungen gewährt worden sei. Bei Bestandskraft der angefochtenen Bescheide hätte der Kläger zusätzlich zu dieser Forderung
auch die als Darlehen erhaltene Sozialhilfe (Stand 01.12.2001: 26.000,-- DM) zurückzuzahlen.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und erwidert, der Vermögenserwerb eines Erben vollziehe sich im Todeszeitpunkt des
Erblassers und nicht erst, wenn die Erbfolge geklärt oder der Nachlassbestand feststellbar sei. Bei einer künftigen Darlehensrückforderung
hätte die Beklagte den Wert des Nachlasses sowie eventuell bestehende Nachlassverbindlichkeiten selbstverständlich zu berücksichtigen.
Durch Urteil vom 07.10.2002 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt:
§ 89 Satz 1 BSHG betreffe gerade den Fall, dass die sofortige Verwertung eines Vermögens z.B. wegen vorübergehender Verfügungsbeschränkungen
nicht möglich sei. Im Fall des Klägers sei die Erbfolge mit dem Tod des Erblassers am 30.01.2000 eingetreten, so dass er Vermögen
besessen habe, wenn auch in noch nicht bestimmter Höhe. Auch wenn durch die Anordnung einer Nachlassverwaltung gemäß §§
1975 ff.
BGB eine Verfügungsbeschränkung des Klägers eingetreten sei (§
1984 BGB), habe die vorübergehende Unverwertbarkeit des aus der Erbschaft bestehenden Vermögens die darlehensweise Hilfegewährung
nicht ausgeschlossen. Zwar setze § 89 BSHG voraus, dass der Hilfesuchende über Vermögen verfüge, das im Sinne des § 88 BSHG verwertbar sei, aber eine vorübergehende Vermögensbeschränkung und damit eine absehbar endende Nichtverwertbarkeit eines
Vermögens schließe eine nur darlehensweise Gewährung der Hilfe nicht aus. § 89 Satz 1 BSHG betreffe gerade den Fall, dass die sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich sei. Bei zeitlich befristeten Verfügungsbeschränkungen
liefe diese gesetzliche Regelung sonst leer. Im Zeitpunkt der Umstellung auf darlehensweise Sozialhilfegewährung habe festgestanden,
dass der Kläger Erbe geworden sei. Die Höhe der Erbschaft sei auf einen Betrag von 20.000,-- bis 30.000,-- DM veranschlagt
worden. Es sei absehbar gewesen, dass das Erbe demnächst zur Auszahlung kommen und die Nachlasspflegschaft enden würde.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 26.02.2003 - 12 S 32/03 - die Berufung gegen das Urteil zugelassen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 07.10.2002 - 5 K 2140/01 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 30.11.2000 und ihren Widerspruchsbescheid vom 09.08.2001 aufzuheben.
Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass es sich bei dem Erbteil im entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht um Vermögen
in wirtschaftlichem Sinne gehandelt habe.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie hat mitgeteilt, der Kläger habe den ihm zugegangenen Nachlassbetrag mittlerweile
zur Deckung seines Lebensunterhalts verwendet; während des entsprechenden Zeitraums sei ihm keine Hilfe zum Lebensunterhalt
gewährt worden. Ein Anspruch auf Darlehensrückzahlung sei von ihr nicht geltend gemacht worden, und auch künftig sei damit
nicht zu rechnen; ein solcher Anspruch sei zudem nicht Streitgegenstand.
Dem Senat liegen die einschlägigen Behördenakten und die Gerichtsakten erster Instanz vor. Auf sie und auf die im Berufungsverfahren
gewechselten Schriftsätze wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§
125 Abs.
1,
101 Abs.
2 VwGO).
Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Ihm fehlt insbesondere nicht das Rechtsschutzbedürfnis an der Aufrechterhaltung
seines Begehrens. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte nicht damit rechnet, die Erstattung der ab Dezember 2000 als
Darlehen gewährten Beträge geltend zu machen. Diese Mitteilung stellt schon nach ihrem Erklärungswert keinen Verzicht auf
eine Erstattung dar, mit ihr bringt die Beklagte lediglich ihre Einschätzung zum Ausdruck, dass ein Erstattungsverlangen wegen
fehlender Leistungsfähigkeit des Klägers aussichtslos wäre, nachdem er seinen Erbteil verbraucht hat; sie kann sich ändern,
falls der Kläger, was nicht ausgeschlossen werden kann, nochmals zu Geld kommen sollte. Einem dann erhobenen Erstattungsanspruch
könnte der Kläger auch nicht entgegenhalten, dass sein Widerspruch und seine Klage auf Grund ihrer aufschiebenden Wirkung
der Weitergewährung des bis dahin geleisteten Zuschusses als Darlehen entgegengestanden hätten. Die aufschiebende Wirkung
von Widerspruch und Anfechtungsklage tritt nach §
80 Abs.
1 VwGO nur bei belastenden Verwaltungsakten ein. Die angefochtene Mitteilung an den Kläger vom 30.11.2000 ist zwar ein Verwaltungsakt,
wovon die Beteiligten und das Verwaltungsgericht zu Recht ausgegangen sind (vgl. etwa OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 04.06.1997
- 5 L 115/96 -, Juris; Schellhorn, BSHG, 16. Aufl., §§ 30 und 89 RdNr. 13 bzw. RdNr. 9; LPK-BSHG, 6. Aufl., § 15b RdNr. 14; wohl auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.08.1992 - 6 S 2139/90 -, Juris); Verwaltungsakte in Sozialsachen dürfen auch mündlich erlassen werden (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Sie hat aber keine belastende Wirkung, weil sie nicht in eine Rechtsposition des Klägers unmittelbar eingreift. Die Bewilligung
laufender Hilfe zum Lebensunterhalt als Zuschuss war im Bescheid vom 11.09.2000 nicht für einen bestimmten künftigen Zeitraum
ausgesprochen. Weil laufend geleistete Sozialhilfe keine rentengleiche Dauerleistung mit Versorgungscharakter darstellt, sondern
Hilfe in einer gegenwärtigen Notlage, deren Notwendigkeit ständig überprüft werden muss, ist eine Änderung für die Zukunft
grundsätzlich keine Rücknahme oder kein Widerruf der ursprünglichen Bewilligung, sondern ohne weiteres zulässig, sobald Umstände
eintreten, die eine andere Beurteilung des Hilfefalles rechtfertigen; dies gilt auch für den Wechsel von der Gewährung eines
Zuschusses zur Gewährung eines Darlehens (VGH Baden-Württemberg, a.a.O.).
In der Sache sind die Bescheide der Beklagten rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, so dass sie aufzuheben
sind (§§
125 Abs.
1,
113 Abs.
1 Satz 1
VwGO).
Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, bei dem dem Kläger zugefallenen Erbteil handele es sich um ein einzusetzendes, aber
nicht sofort verwertbares Vermögen mit der Folge, dass die Sozialhilfe nach § 89 Satz 1 BSHG als Darlehen gewährt werden soll, folgt der Senat nicht. Die Bestimmung ordnet die Darlehensgewährung als Regelfolge an,
soweit nach § 88 BSHG für den Bedarf des Hilfesuchenden Vermögen einzusetzen ist, jedoch der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung
des Vermögens nicht möglich ist oder für den Einsatzpflichtigen eine Härte bedeuten würde. Da nach § 88 Abs. 1 BSHG zum Vermögen im Sinne dieses Gesetzes das gesamte verwertbare Vermögen gehört, wird auch ein Vermögen erfasst, welches mit
dem Tod einer Person auf ihren oder ihre Erben übergeht (vgl. §
1922 Abs.
1 BGB), also auch ein Erbteil (Abs.
2 dieser Bestimmung). Die gesamthänderische Bindung der Miterben in einer ungeteilten Erbengemeinschaft (§
2032 Abs.
1 BGB) steht nicht entgegen, denn jeder Miterbe kann, anders als bei den Gesamthandsgemeinschaften der Gesellschaft und der Gütergemeinschaft,
über seinen Erbteil verfügen (§§
719,
1419 BGB einerseits, §
2033 Abs.
1 Satz 1
BGB andererseits), ihn also veräußern, zur Sicherung übertragen, verpfänden oder einen Nießbrauch an ihm bestellen, ohne dass
er der Zustimmung der anderen Miterben bedarf (vgl. Palandt,
BGB, 60. Aufl., §
2033 RdNrn. 1, 6 - 8 und OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.06.1992, FEVS 43, 78 = NJW 1993, 152).
Diesen dem Kläger am 30.01.2000 zugefallenen Erbteil durfte die Beklagte nicht zum Anlass für die angegriffene Entscheidung
nehmen. Das ergibt sich aus der Auslegung des § 89 Satz 1 BSHG durch das Bundesverwaltungsgericht, der der Senat folgt. Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen dieser Regelung erfüllt
sind, ist der Zeitpunkt maßgeblich, in dem die Darlehensgewährung erfolgen soll. Bei der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit
kommt es stets auf die tatsächlichen Verhältnisse des Einsatzpflichtigen an (BVerwG, Urteil vom 19.12.1997, BVerwGE 106, 105, 111); auch im Anwendungsbereich des § 89 Satz 1 BSHG ist daher die aktuelle Notlage und damit die aktuelle Einkommens- und Vermögenslage des Einsatzpflichtigen in dem Zeitpunkt
in den Blick zu nehmen, in dem die Sozialhilfe, hier also die Darlehensgewährung, eintreten soll (a.a.O. S. 109). In diesem
Zeitpunkt muss überhaupt einzusetzendes Vermögen vorhanden sein, wenn es auch nicht sofort verbrauchbar oder verwertbar ist
oder solches nicht zugemutet werden kann. Ob dies so ist, beantwortet sich nach seiner Verwertbarkeit in wirtschaftlicher
Hinsicht (a.a.O.). Für die Anwendung der Regelung reicht es mit anderen Worten nicht aus, dass dem Hilfesuchenden Vermögen
zusteht, dass es aber im maßgeblichen Zeitpunkt bis auf weiteres (a.a.O.) nicht absehbar ist, ob er einen wirtschaftlichen
Nutzen aus ihm wird ziehen können. So liegt es im vorliegenden Rechtsstreit, denn nach den Umständen des Falles ist auszuschließen,
dass sich ein wirtschaftlich vernünftig handelnder Dritter hätte finden lassen, der dem Kläger Ende November 2000 in Ansehung
des Erbteils Geld gegeben hätte. Zu diesem Zeitpunkt ließ nämlich der Informationsstand noch keine auch nur annähernd zuverlässige
Aussage über den Erbteil zu. Schriftliche Unterlagen waren nicht vorhanden. Es gab lediglich die telefonische Mitteilung einer
Frau H., die im wesentlichen angegeben hatte, dass sie Nachlasspflegerin des verstorbenen Großvaters E. B. - also nicht einmal
des Erblassers H. B. sen. selbst - sei, dass dem Letzteren ein Erbteil von einem Fünftel in Höhe von ca. 90.000 DM zugestanden
habe, dass sich die Erbenermittlung nach ihm sehr schwierig gestalte, und dass sie mit ihr im Übrigen gar nicht betraut sei.
Die Schwierigkeiten ergaben sich daraus, dass H. B. sen. Kinder aus zwei Ehen hatte, die untereinander kaum Kontakte gepflegt
hatten. Unterstrichen wird das Informationsdefizit durch ein Schreiben des Amtsgerichts A. - Nachlassgericht - vom 23.01.2001
des Inhalts, dass noch immer nicht alle Erben von H. B. sen. ermittelt seien, durch ein Auskunftsersuchen der Beklagten vom
02.02.2001 an Frau H. über die voraussichtliche Höhe des Erbteils und wo sie angelegt seien, deren Antwort vom 07.02.2001,
wonach sie ohne Vorlage eines Erbscheins keine weiteren Auskünfte erteilen könne, und das gleichlautende Ergebnis einer fernmündlichen
Anfrage der Beklagten bei Frau H. vom 15.03.2001. Auch der Kläger zeigte sich zu weiterführenden Angaben außerstande, denn
er bekundete bei seiner Vorsprache am 30.11.2000, an diesem Tag erstmals vom Tod seines Vaters H. B. sen. zu hören. Völlig
unbekannt war zudem, ob und in welcher Höhe dessen Nachlass mit Verbindlichkeiten belastet war. Aus den Behördenakten ergibt
sich, dass H. B. sen. im Jahre 1992, erst 56 Jahre alt, Rentner war, in einem Altenheim lebte, unter Pflegschaft stand und
die Bemühungen der Beklagten, von ihm Unterhaltsleistungen für den Kläger zu erhalten, fruchtlos geblieben waren. Es liegt
auf der Hand, dass angesichts solcher Lebensumstände das Risiko von Nachlassverbindlichkeiten nicht ignoriert werden kann,
das zu dem bereits festgestellten Informationsdefizit hinzutritt, so dass sich die Annahme verbietet, dem Kläger hätte damals
es gelingen können, seinen Erbteil dennoch zu Geld zu machen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs.
1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§
188 Satz 2 Halbs. 1
VwGO).
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Zulassungsgründe des §
132 Abs.
2 VwGO gegeben ist.