Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
Verfahrensrüge
Vermeintlich fehlerhafte Besetzung des LSG
Einsatz von nicht planmäßigen abgeordneten Richtern bei einem Obergericht
Zwingende Gründe für den Einsatz nicht planmäßiger Richter an oberen Gerichten
Eignungserprobung
1. Der Einsatz von nicht planmäßigen, abgeordneten Richtern bei einem Obergericht ist dem Grunde nach zulässig; sie ist aber
nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherung der Unabhängigkeit der Richter und der weiteren Garantien aus Art.
92 GG auf das zwingend gebotene Maß zu beschränken.
2. Ein zwingender Grund für die Abordnung planmäßiger Richter unterer Gerichte an obere Gerichte ist die Eignungserprobung.
3. Die Notwendigkeit Nachwuchs auszubilden und Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen, erlaubt
die Heranziehung von Richtern an einem Gericht, auch wenn sie nicht planmäßige Richter dieses Gerichts sind.
4. Zudem liegen zwingende Gründe für den Einsatz nicht planmäßiger Richter an oberen Gerichten vor, wenn vorübergehend ausfallende
planmäßige Richter, deren Arbeit von dem im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertreter neben den eigenen Aufgaben nicht
bewältigt werden kann, vertreten werden müssen oder ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist.
Gründe:
I
In der Sache sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für mehrere Bewilligungszeiträume streitig; insbesondere ist fraglich, ob die Kläger zu 1. bis 8. in Bedarfsgemeinschaft
lebten.
Die Klägerin zu 1. ist Mutter der Kläger zu 2., 4. und 5., der Kläger zu 6. ist Vater der Kläger zu 7. und 8. Des Weiteren
haben die Kläger zu 1. und 6. den Kläger zu 3. als gemeinsames Kind, er wurde am 4.8.2009 geboren. Der Kläger zu 6. ist im
Oktober 2008 mit den Klägern zusammengezogen, nach den hier fraglichen Zeiten haben sie wieder getrennt gewohnt. Der Beklagte
hat den Klägern Leistungen nach dem SGB II bewilligt und sie dabei als Bedarfsgemeinschaft angesehen. Die dagegen erhobene Klage und die Berufung sind ohne Erfolg geblieben
(Beschluss des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 24.7.2017).
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügen die Kläger die fehlerhafte Besetzung des LSG bei dessen Beschlussfassung. Der an der
Entscheidung mitwirkende Richter am SG S. sei im Zeitpunkt der Entscheidung bereits seit dem 1.1.2016 an das LSG abgeordnet gewesen. Die Zeit von neun Monaten für
eine übliche Erprobungsabordnung an das LSG sei überschritten gewesen. Andere Gründe für die Mitwirkung des fraglichen Richters,
insbesondere die Überlastung des LSG sei nicht ersichtlich. Ein Beruhen der Entscheidung auf dem Mangel sei nicht darzulegen,
da es sich um einen absoluten Revisionsgrund handele.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da der geltend
gemachte Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene
Entscheidung beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Daran fehlt es, weil die fehlerhafte Besetzung des LSG nicht hinreichend mit Tatsachen belegt worden ist.
Der Einsatz von nicht planmäßigen, abgeordneten Richtern bei einem Obergericht ist dem Grunde nach zulässig (§
29 Abs
2 GVG). Sie ist aber nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherung der Unabhängigkeit der Richter und der weiteren Garantien
aus Art
92 GG auf das zwingend gebotene Maß zu beschränken (BVerfG vom 3.7.1962 - 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 - BVerfGE 14, 156; vgl auch BAG vom 18.6.2015 - 8 AZN 881/14 - RdNr 6). Ein zwingender Grund für die Abordnung planmäßiger Richter unterer Gerichte an obere Gerichte ist die Eignungserprobung.
Die Notwendigkeit Nachwuchs auszubilden und Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen, erlaubt
die Heranziehung von Richtern an einem Gericht, auch wenn sie nicht planmäßige Richter dieses Gerichts sind (BVerfG vom 22.6.2006
- 2 BvR 957/05 - RdNr 7 mwN). Zudem liegen zwingende Gründe für den Einsatz nicht planmäßiger Richter an oberen Gerichten vor, wenn vorübergehend
ausfallende planmäßige Richter, deren Arbeit von dem im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertreter neben den eigenen Aufgaben
nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen oder ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist
(BVerfG vom 3.7.1962 - 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 - BVerfGE 14, 156).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe haben die Kläger einen Besetzungsmangel des LSG nicht hinreichend bezeichnet. Sie stützen
ihre Verfahrensrüge lediglich auf den Verdacht einer falschen Besetzung des LSG, ohne diese durch substantiierten Tatsachenvortrag
zu untersetzen oder zumindest anzugeben, aus welchen Gründen ihnen - trotz eines entsprechenden Aufklärungsversuchs - ein
substantiierter Tatsachenvortrag nicht möglich ist (vgl BAG vom 14.9.2016 - 4 AZN 540/16 - NZA 2016, 1423; juris, RdNr 4). Sie tragen keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Besetzung vor, wenn sie ausführen, die
Abordnung des Richters am SG S habe "(wohl) ursprünglich [der] Abordnung zur Eignungserprobung" gedient, sie habe aber länger gedauert als eine Regelabordnung
(neun Monate). Die Kläger vermuten lediglich, Richter am SG S sei zum Zwecke der Erprobung an das LSG abgeordnet gewesen, und stellen nur die Behauptung auf, die Erprobung beim LSG
dauere in der Regel neun Monate. Auch für das Fehlen eines ungewöhnlichen Arbeitsanfalls oder eines Ausfalls planmäßiger Richter
beim LSG wird nur die "Kenntnis der Kläger" angeführt. Ein substantiierter Vortrag zu den Tatsachen, die den Einsatz des Richters
am SG S bei der Beschlussfassung des LSG als unzulässig erscheinen lassen, ist nicht deshalb entbehrlich, weil gerichtsinterne
Vorgänge betroffen sind. Insoweit ist es Klägern regelmäßig zumutbar, ein Auskunftsersuchen an die Leitung des LSG zu richten,
um Verdachtsmomente zu klären. Dass die Kläger eine solche Aufklärung versucht hätten, machen sie nicht geltend.
Die nicht formgerecht begründete Beschwerde war daher nach §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des §
193 SGG.