Unfallversicherungsrecht
Berufskrankheit Nr. 4301
Wie-BK
Bestandskraft unanfechtbarer Verwaltungsakte
Ausnahmen von der Bindungswirkung
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Beschwerden der Klägerin als Berufskrankheit
(BK) Nr. 4301 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) oder "wie eine Berufskrankheit"(als sogenannte "Wie-BK") nach §
9 Abs.
2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) anzuerkennen. Die Klägerin führt ihre Beschwerden auf die Belastung durch Tonerstaub zurück.
Die BK Nr. 4301 umfasst durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie),
die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben
der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Bei der Beklagten wurde erstmals am 17.10.2007 durch Dr. P. (HNO-Arzt) das Vorliegen der BK Nr. 4301 angezeigt. Der HNO-Arzt
beschrieb folgende Beschwerden: Atemnot, deutlich behinderte Nasenatmung, Husten, starke Abgeschlagenheit, fehlende Belastbarkeit,
wiederholte Entzündungen der oberen Atemwege einschließlich rezidivierender Sinusitiden, massive Kopfschmerzen und wiederholte
Rhinorroe. Von externer Seite seien Asthma bronchiale und Rhinitis allergica sowie positive Reaktionen im Epikutantest gegenüber
Nickel, Kolophonium, Zinn und Quecksilber sowie gegenüber Amalgam und mitgebrachtem Tonerstaub festgestellt worden. Die Beschwerden
bestünden ganzjährig und seien insbesondere nach inhalativen Kontakten mit Tonerstaub im Rahmen der beruflichen Tätigkeit
aufgetreten.
Der Präventionsdienst der Beklagten stellte in seinem Bericht vom 17.03.2008 fest, dass die Klägerin bis zu ihrer dauerhaften
Erkrankung am 24.09.2007 in verschiedenen Büros gearbeitet habe, die jeweils mit Laserdruckern, Faxgeräten und Kopiergeräten
ausgestattet gewesen seien. Ihre berufliche Tätigkeit habe im März 1998 begonnen. Die letzte Arbeitsstelle vor Beginn der
Arbeitsunfähigkeit bei der Firma F. habe sie seit Dezember 2004 innegehabt. Sie habe sich dort bis zur Erkrankung im September
2007 über die gesamte Schicht in einem Büro aufgehalten, in welchem drei Laserdrucker und ein kombiniertes Fax-Kopiergerät
betrieben worden seien. Bedingt durch die eingesetzten Toner komme es beim Drucken zur Freisetzung von Stäuben und flüchtigen
organischen Verbindungen (TVOC). Genaue Angaben zur Höhe der Exposition seien nicht möglich.
Die Fachärztin für Innere Medizin Dr. S., Gewerbeaufsichtsamt der Regierung von Oberbayern, teilte in ihrer Stellungnahme
vom 24.07.2008 mit, dass es derzeit keine neuen gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber gebe, dass
eine bestimmte Personengruppe durch berufliche Einwirkung von Tonerstäuben in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung
an Atemwegserkrankungen oder anderen Gesundheitsstörungen erkranke. Unabhängig davon sei bekannt, dass es bei einem hyperreagiblen
Bronchialsystem in Zusammenhang mit unspezifischen Reizen durchaus zu nachvollziehbaren Beschwerden kommen könne. Diese seien
jedoch nicht im Rahmen einer BK zu berücksichtigen. Im Übrigen sei festzustellen, dass eine freie Testung, wie sie hier mit
Tonerstaub durchgeführt worden sei, nicht verwertbar sei und nicht als Befund herangezogen werden könne. Eine klare Aussage
könne nur mit standardisierten Tests erfolgen.
Mit Bescheid vom 27.08.2008 entschied die Beklagte, dass die Beschwerden der Klägerin (Übelkeit, Brechreiz, Kopfschmerz, Herz-Kreislauf-Beschwerden,
Durchfall, Atemnot, Haarausfall, Halskratzen, Halsschmerzen und Fließschnupfen) keine Berufskrankheit im Sinne des §
9 Abs.
1 SGB VII darstellten. Sie seien auch nicht wie eine Berufskrankheit anzuerkennen (§
9 Abs.
2 SGB VII). In den Gründen des Bescheides hat die Beklagte ausgeführt, dass weder die BK Nr. 4301 noch eine BK nach einer anderen Nummer
der Anlage 1 zur
BKV vorliege.
Auf den Widerspruch der Klägerin hin holte die Beklagte das Gutachten des Internisten, Nephrologen und Umweltmediziners Prof.
Dr. H., H-Stadt, vom 16.09.2009 ein, der das Vorliegen einer BK Nr. 4301 seit Dezember 2003 bejahte. Es bestehe bei der Klägerin
eine behinderte Nasenatmung, Husten, starke Abgeschlagenheit, fehlende Belastbarkeit, wiederholte Entzündungen der oberen
Atemwege einschließlich rezidivierender Sinusitiden, massive Kopfschmerzen, wiederholte Rhinorroe, Polynosis, Asthma bronchiale.
Die Symptomatik werde nach inhalativem Kontakt mit Tonerstaub hervorgerufen. Labordiagnostisch sei eine deutlich erhöhte Entzündungsaktivität
nachgewiesen. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Tonerstaubbelastung und Entzündungsreaktion der Schleimhäute sei eindeutig.
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) liege bei 30 v.H.
Die Beklagte wies mit Schreiben vom 12.10.2009 den Sachverständigen Prof. Dr. H. auf das Ergebnis der gesundheitlichen Bewertung
des Bundesinstituts für Risikobewertung Nr. 14/2008 vom 31.03.2008 hin, wonach die Berufskrankheit nicht hinreichend wahrscheinlich
zu machen sei.
Der Sachverständige Prof. Dr. H. bekräftigte seine Meinung in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13.01.2010. Das Bundesinstitut
für Risikobewertung habe in seiner ergänzenden Stellungnahme Nr. 17/2005 vom 02.03.2005 formuliert, aufgrund der vorliegenden
Befunde zur gesundheitlichen Beeinträchtigung von Exponierten könne nicht ausgeschlossen werden, dass es durch die Exposition
gegenüber Emissionen an Büromaschinen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommen könne.
Die Beklagte schloss sich dem Gutachten des Prof. Dr. H. nicht an und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.2010
zurück.
Dagegen erhob die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Landshut Klage (Az. S 9 U 147/10).
Das SG ernannte Prof. Dr. V. M., ärztlicher Direktor des Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum,
F-Stadt, zum Sachverständigen, der in seinem Gutachten vom 28.11.2011 das Vorliegen einer Berufserkrankung verneinte. Im Rahmen
seiner Untersuchungen nahm der Sachverständige insbesondere drei Provokationstests gegenüber Laserdruckeremissionen und Tonerstaub
in drei Varianten und Intensitäten vor. Bei jedem Provokationstest gab die Klägerin subjektive Beschwerden wie Brennen im
Hals und der Nase und ein allgemeines Unwohlsein an. Die anschließende Untersuchung ergab jedoch jeweils eine Unauffälligkeit
der Nase und keine Veränderung der statischen und dynamischen Lungenfunktionsparameter, insbesondere keinen Hinweis für eine
Obstruktion. Deshalb kam der Sachverständige zu dem Schluss, dass die berufliche Tätigkeit der Klägerin zu einer nur subjektiven
Überempfindlichkeit gegenüber Tonerstaub geführt habe. Ein organisches oder kausales Korrelat der von der Klägerin geäußerten
Beschwerden gebe es jedoch nicht, so dass auch Ursachen außerhalb des Faches Umweltmedizin für die Befindensstörungen der
Klägerin in Erwägung gezogen werden sollten. Es handle sich bei der Erkrankung der Klägerin nicht um eine Berufskrankheit
im Sinne der
BKV, insbesondere auch nicht um eine solche nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur
BKV. Da obstruktive Veränderungen der Atemwege zu keinem Zeitpunkt während der Untersuchung ohne und mit Provokation nachweisbar
waren, sei die Auslösung solcher Veränderungen durch Tonerstaub bei der Klägerin unwahrscheinlich. Die Provokation gegenüber
Tonerstaub sei zudem mit Tonerstaub-Mengen erfolgt, die in der Regel ein Vielfaches der täglichen Exposition im Büro betragen
hätten. Bei Vorliegen einer spezifischen Allergisierung gegenüber Tonerstaub hätte es zu einer deutlichen Reaktion kommen
müssen, was jedoch nicht geschehen sei, auch zur Verwunderung der Klägerin. Die Zeitdauer der Exposition (1 Stunde 18 Minuten
zwischen Lungenfunktion in Ruhe und Lungenfunktion nach Exposition Nr. 3) sei für eine zuverlässige Beurteilung ausreichend
gewesen, da die für die Klägerin typischen Beschwerden in diesem Zeitraum aufgetreten seien. Die in der Anamnese und während
und nach der Provokation geäußerten Symptome der Klägerin seien außerdem nicht typisch für eine Obstruktion der Atemwege.
Die Vielzahl der angegebenen Symptome in verschiedenen Funktionssystemen (Kopfschmerz, Muskelschwäche, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen,
Brennen der Nase, trockene Nase, Reizhusten, Kältegefühl, Durchfall) spreche vielmehr für eine unspezifische, vermutlich psychovegetative
Genese der Beschwerden.
Zu den Einwänden der Klägerin gegen das Gutachten äußerte sich der Sachverständige Dr. M. in seiner ergänzenden Stellungnahme
vom 30.05.2012.
Das SG Landshut wies mit Urteil vom 01.08.2012 (Az. S 9 U 147/10) die Klage gegen den Bescheid vom 27.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 ab.
Die Klägerin legte gegen dieses Urteil, das ihr am 10.09.2012 zugestellt wurde, am 22.10.2012 beim Bayerischen Landessozialgericht
(LSG) Berufung ein. Gleichzeitig beantragte sie wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Im Erörterungstermin vom 08.05.2013 schlossen die Beteiligten beim LSG einen Vergleich (Az. L 3 U 429/12), in dem sich die Beklagte bereit erklärte, den Schriftsatz vom 22.10.2012 als Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu werten und einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen.
Mit Bescheid vom 26.06.2013 lehnte die Beklagte es ab, den Verwaltungsakt vom 27.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 08.06.2010 nach § 44 SGB X zurückzunehmen. In den Gründen führte die Beklagte aus, sie werte in Ausführung des beim LSG geschlossen Vergleiches vom
08.05.2013 den Schriftsatz vom 22.10.2012 als Antrag auf Rücknahme nach § 44 SGB X. Die Klägerin habe jedoch mit diesem Schreiben keine Tatsachen vorgetragen, die für die Entscheidung erheblich bzw. die bei
der Erteilung des Verwaltungsaktes nicht schon berücksichtigt worden wären. Die Beklagte berufe sich auf die Bestandskraft
des Bescheides vom 27.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010.
Dagegen legte die Klägerin am 05.07.2013 Widerspruch ein und berief sich in ihrer Widerspruchsbegründung vom 24.09.2013 auf
das Gutachten des Prof. Dr. H. vom 19.10.2009 und dessen ergänzende Stellungnahme vom 13.01.2010.
Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2014 als unbegründet zurück. In der Begründung führte
sie aus, auch nach erneuter Überprüfung hätten sich keine neuen Tatsachen ergeben, die für die Unrichtigkeit des den bestandskräftigen
Bescheiden zu Grunde liegenden Sachverhalts oder für die Rechtswidrigkeit dieser Bescheide sprächen.
Dagegen hat die Klägerin am 28.02.2014 beim SG Landshut Klage (Az. S 15 U 61/14) erhoben.
In der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2014 hat die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 26.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom "26.01.2014"
(richtig: 30.01.2014) den Bescheid vom 27.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 zurückzunehmen und
eine Berufskrankheit nach der Nr. 4301 der Anlage 1 zur
BKV anzuerkennen.
Das SG Landshut hat mit Urteil vom 02.12.2014 (Az. S 15 U 61/14) die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 26.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2014 abgewiesen.
In den Entscheidungsgründen hat das SG ausgeführt, dass die Klägerin keine neuen Tatsachen oder Beweismittel benannt habe und die Verwaltung aus diesem Grunde eine
weitere Sachprüfung zu Recht abgelehnt habe.
Die Klägerin hat gegen das Urteil des SG Landshut vom 02.12.2014, das ihr am 15.12.2014 zugestellt worden ist, am 13.01.2015
beim LSG Berufung eingelegt.
Mit ihrer Berufung hat die Klägerin zunächst das Verständnis des SG hinsichtlich des § 44 SGB X gerügt. Das Gericht sei zu einer umfassenden Überprüfung der Bescheide verpflichtet, ohne auf die von der Klägerin benannten
Tatsachen und Beweismittel beschränkt zu sein. Ein entsprechendes Verständnis sei auch dem Vergleichsvorschlag des LSG im
Erörterungstermin am 08.05.2013 zu Grunde gelegen.
Weiter hat die Klägerin den Ausdruck einer E-Mail der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Informationszentrum
Dortmund, gerichtet an den Vorsitzenden von Nano-Control, A. S., vom 26.05.2014 vorgelegt. Darin geht es um die Auslegung
des Tatbestandes der BK Nr. 4301.
Darüber hinaus hat die Klägerin zwei Abstracts zu wissenschaftlichen Artikeln über die Auswirkungen künstlich emittierter
Nanopartikel aus Druckern, publiziert bei Nano-Control, Harvard-Studien 11/2014, beigelegt. Darin wird auf die gesundheitliche
Bedenklichkeit der von Druckern emittierten Nanopartikel hingewiesen.
Schließlich hat die Klägerin den Abschlussbericht zur Pilotstudie "Screening biologischer Effekte bei Exposition gegenüber
Emissionen aus Laserdruckern - eine Probandenstudie" vom 30.05.2015 vorgelegt, durchgeführt seitens des Instituts für Umweltmedizin
und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum F-Stadt, Direktor: Prof. Dr. M., Studienleitung: Dr. G ... Dabei handelte es
sich um eine Pilotstudie mit vier gesunden Probanden und vier Probanden mit "selbst berichteten Beschwerden" nach LSD-E-Exposition.
Die Ziele der Pilotstudie bestanden darin, eine Arbeitshypothese für eine groß angelegte Probanden-basierte Hauptstudie zum
Nachweis einer Induktion biologischer Effekte nach Exposition gegenüber LSD- E zu generieren.
Mit Schriftsatz vom 05.11.2015 hat die Klägerin ihren Anwälten aus dem Vorprozess und jetzigen Nebenintervenienten bzw. Beigeladenen
zu 1 und 2 den Streit verkündet mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beizutreten. Hintergrund sei
ein möglicher Schadensersatzprozess wegen der Versäumung der Berufungsfrist im Vorprozess für den Fall, dass im hiesigen Prozess
eine sachliche Überprüfung aufgrund der Auslegung des § 44 SGB X scheitere. Das LSG hat mit Schreiben vom 24.11.2015 den Schriftsatz der Klägerin beiden Streitverkündeten zugestellt und
sie aufgefordert mitzuteilen, ob sie der Streitverkünderin beiträten. Mit Schreiben vom 04.03.2016 haben beide Streitverkündete
erklärt, dass sie dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beiträten.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 14.12.2015 umfangreiche weitere Unterlagen über neuere Forschungsergebnisse und Publikationen
zu den Auswirkungen von Tonerstaub-Belastungen vorgelegt. Auf die Anlagen zu dem Schriftsatz wird verwiesen. Mit Schriftsatz
vom 29.03.2016 hat die Klägerin erneut eine Fülle von Unterlagen vorgelegt, auf die Anlagen des Schreibens wird verwiesen.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2017 die Nebenintervenienten beigeladen.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2017 zum Beweis der Tatsache, dass bei der Klägerin eine Berufskrankheit
nach Ziffer 4301 der Anlage I zur
BKV bzw. eine Berufskrankheit nach §
9 Abs.
2 SGB VII vorliegt, die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen sowie die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme
durch Herrn Prof. Dr. H. (H-Straße, H-Stadt) beantragt. Sie hat hierzu auch auf die Anträge bezüglich des Sachverständigengutachtens
und der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme durch Herrn Prof. Dr. H. sowie auf die Ausführungen im Rahmen des Berufungsschriftsatzes
vom 21.04.2015 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 02.12.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides
vom 26.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2014 den bestandskräftigen Bescheid vom 27.08.2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 zurückzunehmen und bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr.
4301 der Anlage I zur
BKV bzw. eine Berufskrankheit nach §
9 Abs.
2 SGB VII anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Die Berufung bedarf gemäß §
144 SGG keiner Zulassung.
Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.
Soweit die Klägerin die Feststellung einer Wie-BK nach §
9 Abs.
2 SGB VII beantragt, ist die Klage bereits unzulässig, weil die angefochtenen Verwaltungsakte insoweit dadurch bestandskräftig geworden
sind, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung beim SG am 02.12.2014 die Feststellung einer Wie-BK nicht mehr beantragt hat.
Zulässig ist die Klage dagegen, soweit die Klägerin unter Aufhebung des eine Überprüfung ablehnenden Bescheides vom 26.06.2013
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2014 beantragt, den bestandskräftigen Bescheid vom 27.08.2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 nach § 44 SGB X zurückzunehmen und bei der Klägerin die Berufskrankheit Nr. 4301 der Anlage 1 zur
BKV festzustellen. Insoweit ist die Klage jedoch unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch, dass gemäß § 44 Abs. 1 SGB X der bestandskräftige Verwaltungsakt vom 27.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 zurückgenommen wird.
§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sieht vor, dass ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen
ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt
ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge
zu Unrecht erhoben worden sind.
Ausgangspunkt ist die gesetzliche Regelung des §
77 SGG, wonach ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend wird, wenn ein Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt
wird. Diese Bestandskraft (Unanfechtbarkeit) ist ein wesentliches Prinzip der Rechtsordnung. Mit der Bestandskraft wird Rechtssicherheit
geschaffen, weil die Beteiligten wissen, woran sie sind, nämlich dass die Regelung des Verwaltungsakts sie bindet, und Rechtsfrieden
garantiert, weil weiterer Streit über den Verwaltungsakt ausgeschlossen ist. Für den Adressaten des Verwaltungsakts ist damit
keine unangemessene Benachteiligung verbunden, hat er doch die Möglichkeit, sich im Rahmen der zur Verfügung stehenden Rechtsmittel
gegen einen Bescheid zu wehren und dessen Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Schöpft er diese Mittel nicht aus oder akzeptiert
er den Verwaltungsakt, weil er selbst keinen überzeugenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit hat, müssen die Beteiligten die getroffene
Regelung in der Zukunft für und gegen sich gelten lassen.
Die Regelung des § 44 SGB X ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen eine ausnahmsweise Abweichung von der Bindungswirkung (Bestandskraft) unanfechtbarer
und damit für die Beteiligten bindend gewordener sozialrechtlicher Verwaltungsakte, um damit materielle Rechtmäßigkeit herzustellen.
§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X eröffnet dazu zwei Alternativen. Entweder muss bei der bestandskräftig gewordenen Entscheidung das Recht unrichtig angewandt
worden (erste Alternative) oder die Behörde muss beim Erlass des bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts von einem Sachverhalt
ausgegangen sein, der sich nachträglich aufgrund des Bekanntwerdens neuer Tatsachen als unrichtig erwiesen hat (zweite Alternative).
Nicht Sinn und Zweck des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist es, Fristenregelungen im Zusammenhang mit der Frage der Bestandskraft von Entscheidungen der Verwaltung oder auch der
Gerichte auszuhebeln und die mit der Bestandskraft bezweckte Rechtssicherheit und den Rechtsfrieden in das Belieben der Beteiligten
zu stellen. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann kein Mittel sein, um durch wiederholte Anträge bei der Behörde diese immer wieder zu Sachentscheidungen (deren Ergebnis
wegen der bereits getroffenen Entscheidung absehbar ist) zu zwingen, die dann wiederum gerichtlich in der Sache überprüfbar
wären. Würde man dies zulassen, hätte eine Behörde keinerlei Möglichkeit, sich vor wiederholenden Anträgen mit dem sich daraus
ergebenden möglicherweise massiven Verwaltungsaufwand, der nicht nur Personal bindet, sondern auch Kosten verursacht, zu schützen.
Bei der oben genannten ersten Alternative handelt es sich um eine rein rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der bestandskräftig
gewordenen Entscheidung, bei der es auf den Vortrag neuer Tatsachen nicht ankommt und die von Amts wegen zu erfolgen hat (vgl.
Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 05.09.2006, Az.: B 2 U 24/05 R). Eine derartige Überprüfung bedeutet jedoch nicht, dass eine vollständige Überprüfung des Sachverhalts mittels neuer Ermittlung
des Sachverhalts und neu einzuholender Gutachten durchzuführen wäre. Vielmehr ist lediglich aus rein rechtlicher Sicht zu
würdigen, ob der der bestandskräftig gewordenen Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt rechtlich zutreffend beurteilt
und rechtlich in nicht zu beanstandender Weise bewertet worden ist.
Weitergehende Sachermittlungen sind im Rahmen der ersten Alternative nicht geboten. Dies ergibt sich eindeutig aus der Systematik
der gesetzlichen Regelung in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Denn mit der Differenzierung zwischen den aufgezeigten zwei Alternativen (unrichtige Rechtsanwendung einerseits und ursprünglich
unrichtig zu Grunde gelegter Sachverhalt andererseits) hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass nicht in jedem Fall eine
vollständige Überprüfung unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Dem liegt die Überlegung zu Grunde,
dass die Verwaltung nicht durch aussichtslose Überprüfungsanträge, die beliebig oft wiederholt werden können, immer wieder
zu einer neuen Sachprüfung gezwungen werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 06.03.1991, Az.: 9b RAr 7/90). Würde hingegen bereits im Rahmen der ersten Alternative eine umfassende Sachprüfung,
d.h. mit einer umfassenden Neuermittlung des zugrunde liegenden Sachverhalts, vorausgesetzt, so stünde dies im Widerspruch
zu den gesetzlichen Anforderungen für die zweite Alternative, für die die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel vorausgesetzt
wird. Im Rahmen der ersten Alternative sind daher die tatsächlichen Feststellungen, wie sie dem bestandskräftigen Bescheid
zu Grunde gelegen haben, auch im Überprüfungsverfahren zu beachten und lediglich zu prüfen, ob auf diesen Tatsachen aufbauend,
unabhängig von ihrer Richtigkeit, die rechtlichen Schlussfolgerungen zutreffend sind. In dem Verfahren erfolgt eine rein rechtliche
Überprüfung der Rechtmäßigkeit, zu der von Seiten des Klägers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich
umfassend von Amts wegen erfolgen muss.
Eine unrichtige Rechtsanwendung im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGB X ist hinsichtlich der eine Berufskrankheit ablehnenden Bescheide vom 27.08.2008 und vom 08.06.2010 weder ersichtlich noch
von der Klägerin dargelegt.
Hinsichtlich der Frage, ob die Beklagte im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB X bei Erlass des Verwaltungsaktes von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist, ist die Behörde nach
der Rechtsauffassung des Senats nur dann verpflichtet, in eine Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen zum Sachverhalt
einzutreten, wenn der Antragsteller neue Tatsachen oder Beweismittel vorbringt, die zum Zeitpunkt des Erlasses der bestandskräftigen
Bescheide bzw. bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eines darüber geführten Rechtsstreits noch nicht vorlagen
oder bekannt waren. Solche neuen Tatsachen oder Beweismittel können nur bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens und nicht
mehr im nachfolgenden Gerichtsverfahren vorgebracht werden. Es liegt in der Hand der Behörde, ob sie sich auf diesen eingeschränkten
Prüfungsmaßstab beruft; nimmt sie eine erneute Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung vor, obwohl der Antragsteller
keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht hat, ist sie daran gebunden, und der Antragsteller hat einen auch vor
Gericht einklagbaren Anspruch auf vollumfängliche Überprüfung der bestandskräftigen Bescheide auch in tatsächlicher Hinsicht.
Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des 15. Senats des BayLSG (BayLSG, Urteil vom 19.11.2014 - L 15 VS 4/13), der sich der erkennende 2. Senat anschließt.
Für die zweite Alternative kommt es also auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel im Rahmen eines abgestuften Verfahrens
an (vgl. BSG, Urteil vom 03.02.1988, Az.: 9/9a RV 18/86, das auch im Urteil des BSG vom 05.09.2006, Az.: B 2 U 24/05 R nicht infrage gestellt worden ist). Die Prüfung bei dieser zweiten Alternative hat sich an den rechtlichen Vorgaben zu orientieren,
wie sie auch im Rahmen eines gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahrens zu beachten sind. Es liegt daher der zweiten Alternative
ein Verfahren zugrunde, bei der es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel ankommt (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006, Az.: B 2 U 24/05 R).
Ergibt sich bei diesem Verfahren nichts Neues, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die
Verwaltung ohne jede weitere Sachprüfung auf die Bindungswirkung der bestandskräftigen Entscheidung berufen. Werden zwar neue
Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte
nicht tatsächlich vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Behörde ebenfalls auf die
Bindungswirkung stützen.
Eine Behörde ist daher nur dann, wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht bekannte Tatsachen oder Erkenntnisse
vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, oder wenn sich herausstellt, dass das Recht unrichtig angewandt worden
ist, dazu verpflichtet, ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 03.02.1988, Az.: 9/9a RV 18/86).
Hat eine Behörde unter zutreffender Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine erneute Sachprüfung und Sachentscheidung abgelehnt, kann sich das Gericht über diese Entscheidung nicht hinwegsetzen
und den gesamten Sachverhalt einer wiederholten Sachprüfung unterziehen. Denn § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X gibt nur der Verwaltung selbst, nicht aber dem Gericht die Möglichkeit, sich über eine frühere negative Entscheidung zu Gunsten
des Antragstellers hinwegzusetzen (vgl. BSG, Beschluss vom 09.08.1995, Az.: 9 BVg 5/95; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 11.04.2004, Az.: L 8 U 115/02; ständige Rspr. des 15. Senats des BayLSG, vgl. z.B. Urteil vom 18.02.2014, Az.: L 15 VK 3/12).
Diesen Prüfungsmaßstab, den das BayLSG beispielsweise im Urteil vom 18.03.2013, Az.: L 15 VK 11/11, ausführlich dargestellt
hat, hat das BSG, dessen Rechtsprechung zu § 44 SGB X nicht immer einheitlich ist (vgl. vorgenanntes Urteil des Senats vom 18.03.2013, dort Ziff. 3.3.1. der Gründe), ausdrücklich
bestätigt, wenn es im Anschluss an das vorgenannte Urteil des BayLSG mit Beschluss vom 31.07.2013, Az.: B 9 V 31/13 B eine Abweichung des BayLSG von der Rechtsprechung des BSG verneint hat.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen
zum Sachverhalt, die dem bestandskräftigen Bescheid vom 27.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 zu
Grunde lagen, insbesondere also auch nicht zu der Frage, ob die Klägerin unter einer obstruktiven Atemwegserkrankung einschließlich
Rhinopathie leidet und ob diese Erkrankung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die beruflich bedingte Belastung durch
Tonerstaub zurückzuführen ist. Denn die Klägerin hat bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens am 30.01.2014 keine neuen
Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht, die für den zu beurteilenden Sachverhalt von Relevanz wären:
- In ihrer Berufungsschrift vom 22.10.2012, die nach dem gerichtlichen Vergleich vom 08.05.2013 als Antrag nach § 44 SGB X ausgelegt wurde, haben sich die früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf Ausführungen zur Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand bezüglich der Versäumung der Berufungsfrist beschränkt. Auch im weiteren Berufungsverfahren bis zum Erörterungstermin
vom 08.05.2013 kam es zu keinem neuen klägerischen Vorbringen zur Sache selbst und insbesondere nicht zu den tatsächlichen
Grundlagen der beantragten Feststellung einer Berufskrankheit. Ebenso wenig ergibt sich ein derartiges Vorbringen aus den
Verwaltungsakten bis zum Erlass des Bescheides vom 26.06.2013.
- Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid vom 26.06.2013 keine inhaltliche Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen,
die den bestandskräftigen Bescheiden zu Grunde lagen, vorgenommen. Schon dem Thema nach wurde nur abgelehnt, den Verwaltungsakt
vom 27.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 nach § 44 SGB X zurückzunehmen. In den Gründen hat sich die Beklagte darauf beschränkt, darauf hinzuweisen, dass mit dem Schreiben vom 22.10.2012
keine Tatsachen vorgetragen worden seien, die für die Entscheidung erheblich bzw. die bei der Erteilung des Verwaltungsaktes
noch nicht berücksichtigt worden seien. Die Beklagte berief sich auf die Bestandskraft der aufzuhebenden Bescheide. Aus diesen
Formulierungen ergibt sich weder eine ausdrückliche noch eine konkludente erneute inhaltliche Überprüfung der tatsächlichen
Feststellungen, die den bestandskräftigen Bescheiden zu Grunde lagen.
- Soweit sich die Klägerin in ihrer Widerspruchsbegründung vom 24.09.2013 auf das Gutachten des Prof. Dr. H. vom 12.10.2009
und dessen ergänzende Stellungnahme vom 13.01.2010 berief, hat sie ein Beweismittel geltend gemacht, das in Bezug auf die
zu überprüfenden Bescheide nicht neu war. Denn das Gutachten des Prof. Dr. H. mit ergänzender Stellungnahme vom 13.01.2010
war von der Beklagten auf den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 27.08.2008 hin eingeholt worden und lag im Zeitpunkt
des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 bereits vor. Die Beklagte setzte sich in den Gründen des Widerspruchsbescheides
vom 08.06.2010 ausführlich mit diesem Gutachten auseinander und lehnte es unter Berufung auf die gewerbeärztliche Stellungnahme
der Dr. S. vom 24.07.2008 ab.
- Auch im Widerspruchsbescheid vom 30.01.2014 hat keine inhaltliche Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen stattgefunden,
die den bestandskräftigen Verwaltungsakten zu Grunde lagen.
- Die Pilotstudie von Prof. Dr. M. vom 30.05.2015 wurde erst im Gerichtsverfahren eingeführt. Ebenso wie die weiteren im Berufungsverfahren
vorgelegten Unterlagen sind sie im Rahmen eines Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X nicht zu berücksichtigen.
Der Vollständigkeit wegen bleibt abschließend ergänzend anzumerken, dass der Überprüfungsantrag auch dann keine Aussicht auf
Erfolg hätte, wenn man in die inhaltliche Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen einsteigen würde. Denn der Sachverständige
Prof. Dr. M. hat im Fall der Klägerin durch drei durchgeführte Provokationstests nachgewiesen, dass es bei der Exposition
der Klägerin mit Tonerstaub weder zu einer Obstruktion noch zu nachweisbaren Veränderungen im Bereich der Nase kommt, sondern
vielmehr ausschließlich zu rein subjektiv empfundenen Beeinträchtigungen, die kein objektivierbares medizinisches Korrelat
haben, sich also rein auf der psychovegetativen Ebene abspielen. Damit kommt die Anerkennung der BK Nr. 4301 ebenso wenig
wie die Anerkennung einer Wie-BK in Betracht, und zwar völlig unabhängig davon, ob und inwieweit Forschungsergebnisse vorliegen,
wonach Tonerstäube abstrakt gesehen in der Lage sind, obstruktive Atemwegserkrankungen, Rhinopathien oder andere gesundheitliche
Beeinträchtigungen auszulösen. Denn auch wenn dies abstrakt gesehen möglich oder sogar wahrscheinlich sein sollte, ist durch
das Gutachten des Prof. Dr. M. nachgewiesen, dass ein solcher ursächlicher Zusammenhang jedenfalls im konkreten Fall der Klägerin
nicht vorliegt.
Im Übrigen ergeben sich auch aus dem von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Abschlussbericht des Instituts für
Umweltmedizin und Krankenhaushygiene Prof. Dr. M. vom 30.05.2015 keine neuen für den Fall relevanten Anhaltspunkte. Es handelt
sich um eine Pilotstudie, die an vier gesunden Probanden und an vier Probanden mit "selbst berichteten Beschwerden" nach LSD-E-Exposition
durchgeführt wurde. Die Pilotstudie dient der Generierung einer Arbeitshypothese für eine groß angelegte Probanden-basierte
Hauptstudie zum Nachweis einer Induktion biologischer Effekte nach Exposition gegenüber LSD-E. Somit ergeben sich aus der
Pilotstudie schon nach ihrer eigenen Zielsetzung noch keine neuen Erkenntnisse bezüglich einer neuen Berufskrankheit. Wie
die Beklagte in ihrer Stellungnahme vom 04.08.2015 zu Recht dargelegt hat, zeigt die Pilotstudie lediglich Möglichkeiten von
bestimmten Kausalzusammenhängen auf, sie nimmt jedoch nicht einmal selbst für sich in Anspruch, bestimmte Kausalzusammenhänge
zu beweisen, und sei es auch nur mit überwiegender Wahrscheinlichkeit.
Den in der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2017 gestellten Beweisanträgen auf Einholung eines Sachverständigengutachtens
bzw. einer ergänzenden Stellungnahme des Prof. Dr. H., H-Stadt, war weder von Amts wegen nach §
106 SGG noch nach §
109 SGG nachzukommen. Das Ergebnis des Gutachtens wäre vorliegend von vornherein nicht berücksichtigungsfähig, weil es im Rahmen
des Verfahrens nach § 44 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. SGB X spätestens bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens bei der Beklagten hätte vorgelegt werden müssen. Soweit die Beklagte
- wie hier - eine wiederholte Sachprüfung zu Recht abgelehnt und sich auf ihren bestandskräftigen Bescheid berufen hat, ist
die dagegen gerichtete Anfechtungsklage unbegründet, ohne dass es einer gerichtlichen Beweisaufnahme zur Klärung des Sachverhalts
bedarf. Mangels Beweiserheblichkeit besteht kein Anspruch auf ein Gutachten nach §
106 oder §
109 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Die Verpflichtung der Klägerin, die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu erstatten, beruht auf der
Erwägung, dass die Klägerin durch die Streitverkündung die Beteiligung der Beigeladenen veranlasst hat und dass die Beigeladenen
dem Rechtsstreit auf Seiten der obsiegenden Beklagten beigetreten waren, so dass die Kostenregelung auch der Vorschrift des
§
101 Zivilprozessordnung entspräche, sofern man die Regelungen über die Nebenintervention gemäß §
202 SGG für entsprechend anwendbar hielte. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beigeladenen ist nicht gemäß §
193 Abs.
4 SGG ausgeschlossen, weil die Beigeladenen nicht zu den in §
184 Abs.
1 SGG genannten Gebührenpflichtigen gehören, da hierunter nur Kläger und Beklagte, nicht aber Beigeladene, fallen (Schmidt, in:
Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt,
SGG, 12. A. 2017, §
193 Rdnr. 11 f.)
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung
des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht
und auf dieser Abweichung beruht (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG).