Übernahme der Vergütung für eine den Pflegebedürftigen nahestehende Pflegeperson durch den Träger der Sozialhilfe
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob der Sozialhilfeträger die Kosten der angemessenen Vergütung für eine Pflegeperson
zu übernehmen hat, die dem Pflegebedürftigen nahe steht.
I. 1. Das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) enthält in den §§
68 f. Regelungen über die Hilfe zur Pflege. In der vor dem In-Kraft-Treten des
SGB XI geltenden Fassung vom 20. Januar 1987 (BGBl I S. 401) lautete der hier maßgebliche § 69
BSHG (im Folgenden: BSHG a.F.):
(1) Reichen im Falle des § 68 Abs. 1 häusliche Wartung und Pflege aus, so gelten die Absätze 2 bis 6.
(2) Der Träger der Sozialhilfe soll darauf hinwirken, daß Wartung und Pflege durch Personen, die dem Pflegebedürftigen nahe
stehen, oder im Wege der Nachbarschaftshilfe übernommen werden. In diesen Fällen sind dem Pflegebedürftigen die angemessenen
Aufwendungen der Pflegeperson zu erstatten; auch können angemessene Beihilfen gewährt und Beiträge der Pflegeperson für eine
angemessene Alterssicherung übernommen werden, wenn diese nicht anderweitig sichergestellt ist. Ist neben oder anstelle der
Wartung und Pflege nach Satz 1 die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft erforderlich, so sind die angemessenen Kosten
hierfür zu übernehmen.
(3) bis (6) ...
Die Vorschriften über die Hilfe zur Pflege wurden mit dem In-Kraft-Treten des
SGB XI an dessen Regelungen angepasst.
Nach der Vorschrift des § 69 Abs. 2 Satz 2 BSHG a.F. erhielt ein Pflegebedürftiger bei einer Versorgung durch nahe stehende Personen lediglich Erstattung von Aufwendungen
der Pflegeperson; auch konnten angemessene Beihilfen gewährt und Beiträge zur Alterssicherung der Pflegeperson übernommen
werden. Dagegen wurden die Kosten der ambulanten Pflege durch besondere Pflegekräfte in vollem Umfang finanziert, soweit eine
solche erforderlich war (§ 69 Abs. 2 Satz 3 BSHG a.F.). Schwerpflegebedürftige erhielten nach § 69 Abs. 3 Satz 3 BSHG a.F. daneben ein Pflegegeld, das für die Betroffenen die Pflege in ihrer häuslichen Umgebung sichern sollte (vgl. BTDrucks
III/2673, S. 2).
2. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Praxis bestätigt. Nach seiner Auffassung ist ein Angehöriger oder ein Nachbar stets
eine nahe stehende Person im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 1 BSHG a.F. (vgl. BVerwG, Buchholz 436.0 § 69 Nr. 15). Die Pflege durch solche Personen könne nicht mit Leistungen nach § 69 Abs. 2 Satz 3 BSHG a.F. gefördert werden. Diese seien auch in den Fällen ausgeschlossen, in denen die nahe stehende Person eine Erwerbstätigkeit
aufgegeben habe, um zu pflegen (vgl. Buchholz 436.0 § 69 Nr. 14).
3. Die 1958 geborene Beschwerdeführerin ist mehrfach schwer behindert. Sie steht unter Betreuung. Sie wurde über viele Jahre
von ihrer Mutter gepflegt. Im August 1992 erklärte sich ihre Schwester zur Übernahme der Pflege bereit, falls ihr der durch
Aufgabe der bisherigen Beschäftigung entstehende Verdienstausfall in Höhe von 1.600 DM netto ersetzt werde. Der damalige Betreuer
schloss mit der Schwester eine Vereinbarung, in der sich die Beschwerdeführerin verpflichtete, als Gegenleistung für die Pflege
diesen Betrag nebst Sozialversicherungsbeiträgen zu zahlen.
Im August 1993 beantragte die Beschwerdeführerin beim Träger der Sozialhilfe, ihr die vertragsgemäßen Aufwendungen für die
Pflegeperson zu erstatten. Der Träger der Sozialhilfe lehnte den Antrag ab. Dagegen legte die Beschwerdeführerin Widerspruch
ein. Im Februar 1994 stellte sie beim Verwaltungsgericht den Antrag, den Träger der Sozialhilfe im Wege der einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, ihr rückwirkend seit Antragstellung und für die Zukunft monatlich die Kosten der selbst organisierten
Pflegekraft zu erstatten. Das Verwaltungsgericht wies den Antrag zurück. Die hiergegen erhobene Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Das Oberverwaltungsgericht zeigte allerdings Wege auf, die finanzielle Lage der Pflegeperson zu verbessern.
4. Mit der Verfassungsbeschwerde greift die Beschwerdeführerin den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts an. Sie rügt die
Verletzung von Art.
3 Abs.
1
GG und Art.
6
GG. Es verletze den Gleichheitssatz, dass die Kosten einer Pflegekraft nicht übernommen würden, wenn es sich um eine dem Pflegebedürftigen
nahe stehende Person handele. Die Entscheidung diskriminiere die Familie, weil die Kosten übernommen würden, falls die Pflegeperson
nicht ein Familienangehöriger sei. Pflegekräfte würden daher in ihrer Eigenschaft als Familienangehörige benachteiligt.
5. Zur Verfassungsbeschwerde haben sich das Bundesministerium für Gesundheit namens der Bundesregierung, die Bayerische Staatsregierung
sowie der Sozialhilfeträger geäußert. Sie halten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Der Deutsche Städtetag und der
Deutsche Landkreistag als Verbände der örtlichen Träger der Sozialhilfe sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen
Sozialhilfeträger haben Fragen zur Praxis der Kostenerstattung an Pflegepersonen in den Jahren vor 1995 beantwortet.
II. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne des § 93 a Abs. 2
BVerfGG liegen nicht vor.
1. Die Verfassungsbeschwerde hat - unbeschadet ihrer Zulässigkeit - keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (vgl.
§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Bedeutung des Art.
6 Abs.
1
GG für die Auslegung von Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
ebenso geklärt (vgl. BVerfGE 61, 18 [25 f.]) wie die Bedeutung des Gleichheitssatzes für die Gewährung von Sozialleistungen (BVerfGE 102, 41 [54]; stRspr).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte der
Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Insbesondere liegt eine Verletzung von Art.
3 Abs.
1
GG nicht vor.
a) Art.
3 Abs.
1
GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine
Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE
102, 41 [54]; stRspr). Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, generalisierende, typisierende und
pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz
zu verstoßen. Allerdings setzt eine zulässige Generalisierung voraus, dass diese Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar
wären, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr
intensiv ist (vgl. BVerfGE, 100, 59 [90]).
b) Die angegriffene Entscheidung sowie die darin vorgenommene Auslegung und Anwendung des § 69 Abs. 2 Satz 3 BSHG a.F. sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
Zwar bewirkt die Vorschrift eine ungleiche Behandlung der Pflegebedürftigen, die von nahe stehenden Personen gepflegt werden,
gegenüber den Pflegebedürftigen, die besondere Pflegekräfte einsetzen. Diese Vergleichsgruppe erhält, soweit Pflege durch
eine Fachkraft erforderlich ist, die Kosten in Höhe einer angemessenen Pflegevergütung erstattet. Der Gruppe, zu der die Beschwerdeführerin
gehört, stehen dagegen nur Aufwendungsersatz, angemessene Beihilfe und Beiträge zur Alterssicherung der Pflegekraft zu.
Diese Differenzierung ist gerechtfertigt. Zwischen den Gruppen des Vergleichspaares bestehen Unterschiede, an die eine gesetzliche
Regelung anknüpfen durfte, ohne damit gegen Art.
3 Abs.
1
GG zu verstoßen. Der Gesetzgeber hat sich ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht von der Vorstellung leiten lassen, dass nahe stehende
Pflegepersonen nicht zum eigenen Erwerb, sondern auf Grund familiärer Verbundenheit tätig werden. Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses
zwischen dem Pflegebedürftigen und der nahe stehenden Pflegeperson hat er deshalb nicht als sachgerecht erachtet. Demgegenüber
wird die Vergleichsgruppe von berufsmäßig tätigen Pflegekräften betreut, deren Einsatz üblicherweise nur gegen eine Vergütung
zu erwarten ist (vgl. §
612 Abs.
1
BGB). Sie ist gegenüber der Pflege durch nahe stehende Personen subsidiär. Die Leistungen des Bundessozialhilfegesetzes für nahe
stehende Personen sollen nicht die geleistete Pflege vergüten. Mit ihrer Gewährung wird vielmehr das Ziel verfolgt, den Pflegebedürftigen
ein Leben in ihrem gewohnten persönlichen und räumlichen Umfeld zu ermöglichen. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Regelung ist zudem dadurch sachlich gerechtfertigt, dass sie Vereinbarungen zwischen sich nahe stehenden Personen über
die Vergütung von Pflegeleistungen verhindert, die den Sozialhilfeträger unangemessen belasten. Da es bei der Begründung solcher
Dienstverhältnisse an dem typischen Interessengegensatz zwischen Vertragspartnern fehlt, ist die Gefahr missbräuchlicher Vereinbarungen
nicht zu leugnen. Zwar sind damit auch Pflegebedürftige betroffen, bei denen Hinweise auf Missbrauch - wie im vorliegenden
Fall - nicht vorhanden sind. Die Regelung ist jedoch gerechtfertigt, weil sie erhebliche Beweisprobleme vermeidet (vgl. BVerfG,
Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. September 2000 - 1 BvR 444/00, S. 3 f.).
Auch das Ausmaß der vorgenommenen Differenzierung ist nicht unverhältnismäßig. Sie bewirkt nicht, dass Pflegebedürftige bei
Pflege durch nahe stehende Personen von Leistungen ausgeschlossen sind. Vielmehr haben sie Anspruch auf Leistungen nach §
69 Abs. 2 Satz 2 BSHG a.F. Diese bieten einen nicht unerheblichen finanziellen Anreiz und sind daher geeignet, die Pflegebereitschaft zu festigen
(vgl. auch BSG SozR 3-3300 § 77 Nr. 2 S. 15 f.). Die angegriffene Entscheidung zeigt zudem Wege auf, die Pflegesituation der
Beschwerdeführerin zu stabilisieren. Danach könnte die Pflegeperson Leistungen mindestens in der begehrten Höhe - jedoch nicht
als Verdienstausfall - erhalten.
c) Fraglich könnte sein, ob ein Anspruch nahe stehender Personen nach § 69 Abs. 2 Satz 3 BSHG a.F. auch in den Fällen zu verneinen ist, in denen die nahe stehende Person eine Pflegekraft im Sinne des Satzes dieser Regelung
ist (vgl. Buchholz 436.0 § 69
BSHG Nr. 15; BSG, SozR 3-3300 § 77 Nr. 2). Dies bedarf im vorliegenden Fall aber keiner Entscheidung. Denn die Beschwerdeführerin setzt für ihre Pflege keine
Pflegekraft im Sinne des § 69 Nr. 2 Satz 3 BSHG a.F. ein.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.