Krankenversicherung - Beitragspflicht; ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Bescheides; Fahrtkostenerstattung; Kilometerpauschale;
unbillige Härte
Gründe:
I. Der Antragsteller begehrt im Rahmen eines Eilverfahrens die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen einen
Beitragsbescheid.
Der Antragsteller betreibt u. a. in N. seit 1991 einen Pizza-Service. Die Auslieferung der Pizzen erfolgt durch Fahrer, die
von ihm im Rahmen geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse eingestellt werden, mit deren eigenen Fahrzeugen.
Im August 2010 führte die Antragsgegnerin beim Antragsteller eine Betriebsprüfung über den Zeitraum 1. Dezember 2005 bis 31.
Dezember 2009 durch. Nach Anhörung machte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 21. März 2011 eine Nachforderung in Höhe von
32.145,00 EUR mit der Begründung geltend, dass die Antragsgegnerin für die Fahrten der Auslieferungsfahrer keine Kilometernachweise
vorgelegt habe. Deshalb könnten die bezahlten Kilometergelder nicht sozialversicherungsfrei berücksichtigt werden. Damit hätten
einige Arbeitnehmer im Prüfzeitraum die zulässige Entgeltgrenze für geringfügig Beschäftigte überschritten. Außerdem könnten
Arbeitsverträge nicht vorgelegt werden. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch und begründete diesen damit, dass die
Fahrtätigkeit der Angestellten vergleichbar sei mit Tätigkeiten eines Taxifahrers oder Botenfahrers. Sie seien allein beruflich
veranlasst und damit steuer- und sozialversicherungsfrei. Zudem liege der Pauschalbetrag mit 0,26 EUR noch unter dem gesetzlichen
von 0,30 EUR. Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb würden nicht mitgerechnet. Das Führen eines Fahrtenbuches sei unzumutbar,
insbesondere in beruflichen Hochphasen. Sein Schema zur Berechnung der Kilometerpauschale berücksichtige, dass jeder Angestellte
während seiner Tätigkeit pro geleistete Stunde eine bestimmte durchschnittliche Anzahl an Kilometern beruflich fahre und trage
dem Rechnung, dass die Kunden in unterschiedlichen Entfernungen zur Betriebsstätte wohnten. So werde von seinem Schema erfasst,
dass ein Angestellter für die Auslieferung an einen weit entfernten Kunden die gleiche Zeit benötige, die ein anderer Angestellter
zur Auslieferung an z. B. drei in der Nähe befindlichen Kunden brauche. Hinzu komme, dass Wartezeiten im Betrieb möglichst
vermieden würden und die Angestellten während ihrer Tätigkeit durchgehend auf Tour seien. Erläuternd legte der Antragsteller
sein Berechnungsschema mit Mail vom 6. Mai 2011 mit folgendem Wortlautvor:
"Sehr geehrte Frau P.,
nachfolgend das Rechenschema von Herrn K. zur Berechnung der Gehälter:
gearbeitete Stunden x 2,56 = x
gefahrene Touren x 0,77 = y
(x + Y) : 0,26 = Kilometer
Kilometer x 0,26 + x = Gesamtlohn
Für weitere Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
A.GmbH
H. S."
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2011 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück. Bei der Pauschalvergütung
des Antragstellers für die Fahrkosten sei von einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitslohn auszugehen. Nutze ein Arbeitnehmer
zur Ausführung seiner Auswärtstätigkeit sein eigenes Fahrzeug, so könne der Arbeitgeber die dabei entstandenen Fahrkosten
steuer- und sozialversicherungsfrei ersetzen. Das setze allerdings einen entsprechenden Nachweis über die Fahrtätigkeit des
einzelnen Angestellten voraus, der hier nicht geführt worden sei. Schriftliche Arbeitsverträge und gesonderte Fahrkostenabrechnungen
mit den Fahrern seien ebenfalls nicht vorhanden. Das vom Antragsteller erarbeitete Schema, in dem jeder Angestellte während
seiner Tätigkeit pro geleistete Stunde eine bestimmte durchschnittliche Anzahl an Kilometern beruflich fahre, entbehre jeglicher
gesetzlicher Grundlage. Das bisher bei Betriebsprüfungen diese Abrechnungsweise nicht aufgefallen sei, entlaste den Antragsteller
nicht, da lediglich Stichprobenprüfungen erfolgten.
Der Antragsteller hat am 18. Oktober 2011 beim Sozialgericht Lübeck Klage erhoben und am 21. November 2011 dort Antrag auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Die Antragsgegnerin
hat ausgeführt, der Antragsteller habe einen Nachweis über die konkreten Fahrten seiner Arbeitnehmer weder durch ein ordnungsgemäß
geführtes Fahrtenbuch noch durch eine jährliche exakte Abrechnung geführt. Auch bei steueroptimierten Entlohnungsmodellen
gelte nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass pauschale Zuschläge nur dann und insoweit steuerfrei seien,
als sie den tatsächlich geleisteten Stunden entsprächen. Im Übrigen sei bei der vorangegangenen Prüfung Gegenstand das Vorliegen
von ca. 50 geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen gewesen, nicht hingegen der Fahrkostenersatz.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 28. Dezember 2011 den Antrag abgelehnt, den Streitwert dabei auf 10.715,00 EUR festgesetzt
und zur Begründung ausgeführt: Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung bestünden keine
ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheides. Damit gebühre dem Vollzugsinteresse der Vorrang, da
so gesetzlich bestimmt. Bei den an die Fahrer gezahlten pauschalen Kilometergeldern handele es sich mangels Lohnsteuerfreiheit
um Arbeitsentgelt. Steuerfrei seien nach §
3 Nr. 16 des Einkommensteuergesetzes (
EStG) nur so gut wie ausschließlich beruflich veranlasste Reisekosten. Dabei seien die Kosten grundsätzlich nachweisgebunden,
um auch private Angelegenheiten in nicht nur geringfügigem Umfang davon trennen zu können. Nachweise habe der Antragsteller
aber nicht erbracht. Die pauschale Aufwandsentschädigung sei nicht auf eine Zuordnung zu konkret abzurechnenden Kosten gerichtet,
was dazu führe, dass eine nachträgliche Zuordnung ausgeschlossen sei. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Rechtsstreit
aufgrund der eventuell noch vorhandenen Ermittlungsmöglichkeiten im Hauptsacheverfahren im Ergebnis offen wäre, führe dies
aufgrund der dann vorzunehmenden Interessenabwägung nicht zu einem anderen Ergebnis. Es fehle nämlich an der dann notwendigen
unbilligen Härte des Antragstellers. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass ihm von der Antragsgegnerin angeboten
worden sei, einen Antrag auf Stundung zu stellen. Die Streitwertentscheidung beruhe darauf, dass im Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes in Beitragsangelegenheiten der Streitwert regelmäßig nur mit einem Drittel des Wertes der Hauptsache anzusetzen
sei, weil das vorläufige Rechtsschutzverfahren im Regelfall nur eine geringere Bedeutung als das Hauptsacheverfahren habe.
Gegen den ihm am 4. Januar 2012 zugestellten Beschluss einschließlich der darin vorgenommenen Festsetzung des Streitwertes
richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, die er durch Hinweis auf den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 13.
Dezember 2011 in gleicher Sache begründet. Außerdem hätte die Vollziehung für ihn die Vernichtung der wirtschaftlichen Grundlage
seiner kleinen Firma zur Folge. Die Antragsgegnerin trägt vor, gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg sei Beschwerde
ihrerseits erhoben worden. Die unbillige Härte sei nicht substantiiert dargelegt worden, sondern nur pauschal mit einer drohenden
Insolvenz. Das reiche nicht aus. Es bestehe die Möglichkeit einer Stundung durch die Einzugsstellen, deren Zweck gerade der
Ausgleich von wirtschaftlichen Härtefällen sei bzw. die Möglichkeit des Abschlusses einer Ratenzahlungsvereinbarung beinhalte.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig aber unbegründet. Es besteht in Übereinstimmung mit dem
Sozialgericht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den angefochtenen Beitragsbescheid
herzustellen.
Wie das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, ist in Beitragssachen wie vorliegend die aufschiebende
Wirkung der Klage nach einer Interessenabwägung des Gerichts im Rahmen einer summarischen Prüfung anzuordnen, wenn ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung bestehen oder die Bescheidvollziehung eine unbillige Härte darstellt. Diese
Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Senat nimmt insoweit auf die ausführlichen und in der Begründung sowie im Ergebnis rechtlich
zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug und verweist hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen (§
142 Abs.
2 Satz 3
Sozialgerichtsgesetz -
SGG -). Ergänzend weist der Senat in diesem Zusammenhang noch auf Folgendes hin:
Steuerfrei und damit sozialversicherungsbeitragsfrei sind die hier streitigen Auslagenerstattungen in Form von Kilometergeldern
dann, wenn sietatsächlich angefallen und nur durch die berufliche Tätigkeit des Arbeitnehmers außerhalb seiner Wohnung und
seiner ortsgebundenen regelmäßigen Arbeitsstelle veranlasst sind. Um dies im Einzelnen feststellen zu können, hat der Arbeitgeber
die Pflicht, entsprechende Nachweise darüber zu führen, um den Rentenversicherungsträgern wie der Antragsgegnerin nach § 28p
des Vierten Sozialgesetzbuches (
SGB IV) oder den Einzugsstellen (§
28h SGB IV) eine Überprüfung zu ermöglichen. Die entsprechenden Aufzeichnungen sind gemäß §
28f Abs.
1 SGB IV geordnet aufzubewahren und im Rahmen der Prüfung vorzulegen (hinsichtlich der steuerrechtlichen Überprüfung siehe BFH vom
7. April 1992 - VI R 113/88 -). Eine von den tatsächlich entstandenen Kosten losgelöste Reisekostenerstattung ist nicht vorgesehen. Die Pflicht zur konkreten
Berechnung der tatsächlich entstandenen Kosten begründet sich auch nach dem vom Sozialgericht hervorgehobenen Gesichtspunkt,
dass andernfalls beruflich und privat veranlasste Aufwendungen nicht voneinander zu trennen sind. Außerdem ist nur so eine
Überprüfung möglich, ob die Kilometer tatsächlich gefahren wurden und sich die Kostenerstattung im Rahmen der Freibeträge
hält. Ist das nicht - auch nicht durch Schätzung - leicht und einwandfrei möglich, so gehören die gesamten Aufwendungen zu
den abziehbaren Aufwendungen für die Lebensführung (LSG Sachsen-Anhalt vom 17. Mai 2010 - L 3 R 408/09 B ER -, zitiert nach juris Rz. 59).
Das vom Antragsteller verwendete "Schema" zur Berücksichtigung der Kilometerpauschale lässt eine solche konkrete Berechnung
nicht zu. Indem dieses Schema nicht die betrieblich veranlassten Kilometer zur Grundlage macht, sondern bei der Berechnung
allein die Anzahl der gearbeiteten Stunden und gefahrenen Touren als Faktoren berücksichtigt, fehlt es an diesem konkreten
Bezug zwischen tatsächlich betrieblich gefahrenen Kilometern und der Zahlung der 0,26 EUR pro Kilometer. Das bestätigt letztendlich
auch der Antragsteller, der bei der Anwendung des Schemas davon ausgeht, dass jeder Arbeitnehmer während seiner Tätigkeit
pro geleistete Stunde eine bestimmte durchschnittliche Anzahl an Kilometern unter Einbeziehung unterschiedlicher Entfernungen
zur Betriebsstätteberuflich fährt. Die sich daraus ergebenden Beträge mögen sich im Durchschnitt den tatsächlich gefahrenen
Kilometern aller Arbeitnehmer annähern; an einem konkreten Bezug zu jedem einzelnen Arbeitnehmer fehlt es gleichwohl. Dem
kommt hier insbesondere deshalb eine erhöhte Bedeutung zu, als es sich um grundsätzlich geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer
handelt, die durch einen höheren Lohn versicherungs- und beitragspflichtig werden.
Die als Begründung seiner Beschwerde vorgelegte Entscheidung des Sozialgerichts Hamburg überzeugt nicht. Zum einen reichen
"nicht unbedeutende Zweifel" an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aus, um die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Vielmehr bestimmt das Gesetz in §
86 Abs.
3 Satz 2
SGG das Vorliegen "ernstlicher Zweifel" an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes. Diese liegen nach der Rechtsprechung
des Senats erst dann vor, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig,
SGG-Kommentar, §
86a Rz. 27a m. w. N.). Eine konkrete Interessenabwägung fehlt in der Entscheidung des Sozialgerichts Hamburg.
Allerdings sieht es der Senat, ebenso wie das Sozialgericht, nicht für ausgeschlossen an, dass im Rahmen des Hauptsacheverfahrens
noch entsprechende Nachweise nicht zwingend in Form von Fahrtenbüchern erfolgen. Denkbar ist etwa der Nachweis über entsprechende
Pizza-Auslieferungsbelege, wie sie in dem Vermerk vom 23. Mai 2011 über ein Gespräch mit Lohnsteueraußenprüfern angedacht
waren. Gleichwohl gebietet diese Möglichkeit nicht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung, wie das Sozialgericht zutreffend
ausgeführt hat. In der dafür maßgebenden Interessenabwägung ist nämlich zunächst zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber
durch die Bestimmung des §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG den Grundsatz aufgestellt hat, dass die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegenüber Beitragsbescheiden entfällt. Des
Weiteren steht der Annahme einer unbilligen Härte entgegen, dass dem Antragsteller u. a. die Möglichkeit einer Stundung der
Beitragsforderung gegen Ratenzahlung offensteht (vgl. dazu auch LSG Sachsen-Anhalt aaO. Rz. 62). Warum der Antragsteller einen
solchen Stundungsantrag trotz Hinweises der Antragsgegnerin in dem Schreiben vom 8. November 2011 bisher nicht gestellt hat,
ist nicht ersichtlich. Überdies hat der Antragsteller auch bisher in keiner Weise dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht,
dass und in welchem Umfang die Zahlung der von der Antragsgegnerin geforderten Beitragssumme zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten
führen würde. Der bloße Hinweis darauf, eine kleine Firma zu sein und dass die Nachforderung das Eigenkapital der Firma und
auch die finanziellen Mittel übersteige, reicht insoweit nicht (vgl. etwa LSG Nordrhein-Westfalen vom 26. Oktober 2007 - L
16 B 20/07 KL ER -).
Soweit der Antragsteller die Festsetzung des Streitwertes mit seiner Beschwerde angreift, begründet er dies nicht näher. Auch
insoweit ist die Entscheidung des Sozialgerichts nicht zu beanstanden, von dem streitigen Betrag in Höhe von 32.145,00 EUReinen
Abschlag vorzunehmen, da es sich im Rahmen des § 86bSGG nur um eine vorläufige Entscheidung handelt. Die insoweit vorgenommene
Reduzierung auf ein Drittel des im Hauptsacheverfahren streitigen Betrages entspricht auch der Rechtsprechung des Senats (vgl.
etwa Beschluss vom 27. Juli 2009 - L 5 B 378/09 KR ER -).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).