Auferlegung von Verschuldenskosten
Antrag auf Aufhebung der Festsetzung von Verschuldenskosten
Schadensersatzprinzip
Rechtsmissbräuchliche Prozessführung
Gründe
Die Bevollmächtigte der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 22. September 2017 "in beiden Instanzen" die Erledigung
erklärt. Diese einseitige Erledigungserklärung ist als Klagerücknahme auszulegen (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 29. Dezember 2005 - B 7a AL 192/05 B -), die weiter geht als die Rechtsmittelrücknahme (vgl. B. Schmidt in:
Meyer-Ladewig u. a.,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
102 Rn. 6c). Die erstinstanzliche Entscheidung ist damit wirkungslos (B. Schmidt s. o. § 102 Rn. 9). Die Entscheidung des Sozialgerichts
über die Auferlegung von Verschuldenskosten nach §
192 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) wird aber in ihrem Bestand nicht durch die Rücknahme der Klage berührt (§
192 Abs.
3 Satz 1
SGG).
Nach Erledigung des Rechtsstreits war auf Antrag der Kläger nur noch über die Kosten des Verfahrens (§
193 Abs.
1 SGG) sowie über die Festsetzung von Verschuldenskosten zu entscheiden. Die Auferlegung von Verschuldenskosten zählt zur Kostenentscheidung,
so dass die Entscheidung durch Beschluss §
192 Abs.
3 Satz 2
SGG ergeht (vgl. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 14. Februar 2012 - L 9 AL 217/10 - und vom 14. April 2014 - L 9 AL 99/10 - jeweils m. w. N.).
Der Berichterstatter entscheidet über die Kosten, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht (§
155 Abs.
2 Nr.
5, Abs.
4 SGG). Der Begriff "vorbereitendes Verfahren" erfasst auch Fälle, in denen - wie hier - eine Hauptsacheentscheidung nicht mehr
ergeht (Keller in: Meyer-Ladewig u. a.,
SGG, §
155 Rn. 7 m. w. N.).
Bei Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich, Klage-, Antrags- oder Rechtsmittelrücknahme, angenommenes Anerkenntnis und
übereinstimmende Erledigungserklärung entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes
nach Ermessen (B. Schmidt s. o. § 193 Rn. 13 m. w. N.). Maßgebend für die Entscheidung sind insbesondere die Erfolgsaussichten
des Verfahrens und die Gründe für die Antragstellung und die Erledigung. Dabei umfasst die zu treffende Entscheidung nicht
nur die außergerichtlichen Kosten der Kläger im Berufungsverfahren, sondern auch jene des Klageverfahrens. Denn die Kostenentscheidung
im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist durch die Klagerücknahme wirkungslos geworden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss
vom 22. Mai 2012 - L 10 LW 262/11 -).
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien sind den Klägern außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten. Klage und Berufung hatten
keine Aussicht auf Erfolg. Das Sozialgericht hat zutreffend angenommen, dass den Klägern zu 1., 2. und 4. der Anspruch auf
Schülerbeförderungskosten schon im Hinblick auf das im Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) geltende Individualprinzip nicht hat zustehen können. Bei einem Schulweg von deutlich unter 3 km lagen auch die Voraussetzungen
der hier allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage (§ 28 Abs. 4 SGB II) in der Person der Klägerin zu 3. nicht vor. Eine besondere Gefahr für die Sicherheit und die Gesundheit der Klägerin zu
3. ist nicht dargelegt worden. Es entspricht daher nicht der Billigkeit, dem Beklagten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Der Antrag auf Aufhebung der Festsetzung von Verschuldenskosten ist zulässig.
§
144 Abs.
4 SGG steht der sachlichen Überprüfung der Kostenentscheidung nicht entgegen. Die Vorschrift betrifft die Statthaftigkeit der Berufung
im Zeitpunkt der Berufungseinlegung (Leitherer in: Meyer-Ladewig u. a.,
SGG, §
144 Rn. 19). Diese war, da sie sich nicht auf die Anfechtung der Kostenentscheidung beschränkte, zu bejahen.
Der Antrag ist auch begründet.
Die Voraussetzungen für die Auferlegung von Verschuldenskosten nach §
192 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG waren nicht erfüllt. Danach kann das Gericht im Urteil (bzw. wie hier im Gerichtsbescheid, vgl. §
105 Abs.
3 SGG) oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen,
die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit
der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung
des Rechtsstreites hingewiesen worden ist.
Die Regelung trägt dem Schadensersatzprinzip Rechnung (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 4. Mai 2001 zum 6. SGGÄndG,
BT-Drs. 14/5943 S. 28 zu Nr. 65; B. Schmidt s. o., § 192 Rn. 1a und Rn. 12 m. w. N.). Der Gesetzgeber erwartet, dass die Versicherten
und Sozialleistungsberechtigten das Privileg der Gerichtskostenfreiheit, zu der auch die Freistellung von Kosten für die Erstellung
medizinischer Gutachten rechnet, nicht zur rechtsmissbräuchlichen Prozessführung benutzen. Wo diese Erwartung nachhaltig enttäuscht
wird, ist es im Grundsatz gerechtfertigt, dem Beteiligten die Kosten aufzuerlegen, die ihn treffen würden, wenn Gerichtskosten
erhoben würden bzw. die dann bei wirtschaftlich rationalem Verhalten des betreffenden Beteiligten gar nicht erst angefallen
wären (Wenner, SozSich 2001, 422, 428).
Als verursachter Kostenbetrag gilt nach §
192 Abs.
1 Satz 3
SGG mindestens der Betrag nach §
184 Abs.
2 für die jeweilige Instanz, somit für Verfahren vor dem Sozialgericht ein Betrag von mindestens 150,00 Euro. Im Übrigen können
die anfallenden Gerichtskosten geschätzt werden. Dabei sind neben den bei der Abfassung des Urteils entstehenden Kosten sämtlicher
Richter und Mitarbeiter auch die allgemeinen Gerichtshaltungskosten zu berücksichtigen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil
vom 24. Februar 2017 - L 4 U 632/16 - m. w. N.; B. Schmidt s. o., § 192 Rn. 14; Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 6. SGGÄndG vom 4. Mai 2001 s. o.).
Vorliegend ist zwar davon auszugehen, dass die Rechtsverfolgung der Kläger zu 1. und 2. im Anschluss an das Hinweisschreiben
des Sozialgerichts vom 12. März 2014 missbräuchlich gewesen ist, da den Klägern zu 1. und 2., den Eltern der Klägerin zu 3.,
der Anspruch auf Schülerbeförderungskosten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen konnte. Die Kläger zu 1. und 2.
sind auch auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden. Das Handeln ihrer
Bevollmächtigten ist den Klägern zuzurechnen (§
192 Abs.
2 Satz 2
SGG). Den Klägern zu 1. und 2. durften gleichwohl Verschuldenskosten nicht auferlegt werden, weil durch die Fortführung des Rechtsstreits
zusätzliche Kosten für die weitere Bearbeitung des Rechtsstreits nicht entstanden sind. Denn eine Endentscheidung (hier durch
Gerichtsbescheid) musste das Sozialgericht im Hinblick auf die Ansprüche der Klägerin zu 3. (und des Klägers zu 4.) ohnehin
treffen. Da das Sozialgericht überdies zur Begründung der die Klage abweisenden Entscheidung auf die Ausführungen in dem das
Eilverfahren betreffenden Beschluss vom 5. Dezember 2012 (S 17 AS 1045/12 ER) Bezug genommen hat, ist ein zusätzlicher Bearbeitungssaufwand nicht erkennbar, so dass ein die Auferlegung von Verschuldenskosten
rechtfertigender Schaden nicht eingetreten ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG)