Gründe:
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer beantragt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die
vom Antragsgegner angeordnete sofortige Vollziehbarkeit der Zulassungsentziehung.
Der Antragsteller wurde 1994 als Orthopäde zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Für die Quartale 2/1996 bis 2/1998
wurde ein Plausibilitätsverfahren durchgeführt, das zur Rückforderung von 111.500 DM führte, für die Quartale 1/2001 bis 4/2002
erbrachte ein weiteres Plausibilitätsverfahren eine Rückforderung von 30.256 EUR. Ein drittes Plausibilitätsverfahren für
die Quartale 1/2003 bis 4/2004 ergab einen Rückforderungsbetrag von 83.000 EUR. Mit Disziplinarbescheid vom 05.07.2000 wurde
dem Antragsteller eine Geldbuße von 10.000 DM auferlegt. Mit weiterem Disziplinarbescheid vom 21.12.2005 erhielt er eine Geldbuße
von 7.000 EUR.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts D. vom 13.08.2008, der rechtskräftig wurde, wurde der Antragsteller zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von einem Jahr verurteilt, ferner zu einer Gesamtgeldstrafe von 46.800 EUR. Dem Antragsteller wurde vorgeworfen, im Zeitraum
vom 01.10.2006 bis 28.03.2007 gesetzliche Leistungen der Krankenversicherung als individuelle Gesundheitsleistungen abgerechnet
zu haben sowie einen nicht genehmigten Assistenten im Zeitraum vom 26.10.2004 bis 07.04.2005 sowie vom 01.10.2006 bis 15.11.2006
beschäftigt zu haben. Die Schadenssumme, die dem Strafbefehl zu Grunde lag, betrug 191.621,79 EUR.
In der Sitzung am 24.02.2010 fasste der Zulassungsausschuss den Beschluss, dem Antragsteller gemäß §
95 Abs.
6 S. 1
SGB V i.V.m. §
27 Ärzte-ZV wegen gröblicher Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten die Zulassung als Vertragsarzt zu entziehen. Der Antragsteller
habe gegen die Pflicht, Vergütungen der Versicherten nur in Ausnahmefällen zu fordern, verstoßen. Außerdem habe er die Pflicht
zur persönlichen Leistungserbringung verletzt sowie die Pflicht zur peinlich genauen Leistungsabrechnung. Im Hinblick auf
die vorangegangenen Plausibilitätsverfahren sowie die bereits durchgeführten zwei Disziplinarverfahren sei das erforderliche
Vertrauensverhältnis zwischen Krankenkassen, Kassenärztlicher Vereinigung und Antragsteller so wesentlich gestört, dass eine
Fortsetzung der Zusammenarbeit nicht zumutbar sei. Eine weitere verhältnismäßig milde Disziplinarmaßnahme sei nicht mehr ausreichend.
Den Widerspruch des Antragstellers wies der Antragsgegner aufgrund der Sitzung am 15.07.2010 zurück. Zugleich ordnete er auf
Antrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns die sofortige Vollziehung der Entscheidung des Zulassungsausschusses Ärzte
Niederbayern vom 24.02.2010 an.
Mit Schreiben vom 31.08.2010 legte der Antragsteller gegen die Entscheidung des Antragsgegners Klage zum Sozialgericht München
ein. Zugleich beantragte er, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Er trug insbesondere vor, dass ein Strafbefehl keine Bindungswirkung für das nachfolgende Zulassungsentziehungsverfahren habe.
Er habe den Strafbefehl nur deshalb akzeptiert, weil bei einer mündlichen Verhandlung sein Renommee in der Öffentlichkeit
beschädigt worden wäre. Im Übrigen habe der von ihm beschäftigte Assistent eine vorübergehende Berufserlaubnis gehabt, die
der Approbation gleichzustellen sei. Ferner sei auch bei offensichtlicher Erfolglosigkeit des Hauptsacheverfahrens die Anordnung
der sofortigen Vollziehung unverhältnismäßig. Aufgrund nachhaltiger Veränderungsmaßnahmen und Kontrollmechanismen seien keine
weiteren Gefahren mehr zu befürchten. Außerdem sei im strafrechtlichen Verfahren von der Möglichkeit der Verhängung eines
Berufsverbots nach §
70 Strafgesetzbuch kein Gebrauch gemacht worden.
Mit Beschluss vom 08.10.2010 ordnete das SG München die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Widerspruchsbescheid bis
zum 01.02.2011 an. Im Übrigen wies es den Antrag ab. Bei einer summarischen Prüfung spreche viel dafür, dass der Bescheid
des Antragsgegners vom 15.07.2010 und damit auch die Zulassungsentziehung rechtmäßig seien. Die Interessenabwägung des Antragsgegners,
die zum Sofortvollzug geführt habe, sei nicht zu beanstanden. Da jedoch die Behandlungen der Patienten zu Ende geführt werden
müssten und letztlich eine geordnete Abwicklung der Praxis stattfinden müsse, sei die aufschiebenden Wirkung befristet wieder
herzustellen. Die großzügige Auslauffrist bis zum 01.02.2011 trage dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angemessen Rechnung.
Gegen diesen Beschluss legte der Antragsteller am 05.11.2010 Beschwerde ein.
Er beantragt,
den Beschluss des Sozialgericht München vom 08.10.2010 aufzuheben und im Hinblick auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 15.07.2010 betreffend der Entziehung
der vertragsärztlichen Zulassung wieder herzustellen.
Die Anordnung des Sofortvollzugs greife in die durch Art.
12 Grundgesetz gewährleistete Berufsfreiheit ein. Es sei nicht hinreichend dargetan und von der Antragsgegnerin begründet, in wieweit die
Anordnung des Vollzugs zur Abwehr konkreter Gefahren erforderlich sei.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde vom 04.11.2010 kostenpflichtig zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen bezüglich des einstweiligen Rechtsschutzes Bezug
genommen.
II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Sie war zurückzuweisen.
Die formelle und materielle Rechtmäßigkeitskontrolle der Anordnung des sofortigen Vollzugs nach §
97 Abs.
4 SGB V durch den Antragsgegner ergibt, dass diese nicht zu beanstanden ist. Dies hat das Sozialgericht München im angefochtenen
Beschluss vom 08.10.2010 zutreffend festgestellt. Soweit es zu Gunsten des Antragstellers die aufschiebende Wirkung bis 01.02.2011
angeordnet hat, ist der Senat wegen des Verbots der reformatio in peius im Beschwerdeverfahren daran gebunden.
Die Anordnung des Sofortvollzuges ist formell rechtmäßig und insbesondere vom Antragsgegner ausreichend begründet.
Hinsichtlich der Anordnung des Sofortvollzuges ist entsprechend der zu §
86 b Abs.
1 Nr.
3 SGG entwickelten Grundsätze aufgrund einer Rechtmäßigkeitsprüfung des zu Grunde liegenden Verwaltungsakts, das heißt der Zulassungsentziehung,
festzustellen, ob im konkreten Einzelfall wegen dessen Rechtswidrigkeit das Vollzugsinteresse entfällt oder wegen dessen Rechtmäßigkeit
grundsätzlich das Suspensivinteresse zurückzutreten hat und ob die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse notwendig
ist (§
97 Abs.
4 SGB V, vgl. auch BVerfG vom 27.10.2009, 1 BvR 1876/09, Rn. 14).
Eine summarische Überprüfung der Zulassungsentziehung vom 24.02.2010 ergibt, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig
ist, so dass das Suspensivinteresse entfällt.
Rechtsgrundlage der Zulassungsentziehung ist §
95 Abs.
6 SGB V i.V.m. §
27 der Ärzte-ZV. Danach ist die Zulassung zu entziehen, wenn ein Vertragsarzt seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt
(§
95 Abs.
6 S. 1
SGB V).
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Antragsteller seine vertragsärztlichen Pflichten grob verletzt hat. Dabei
legt der Senat die Feststellungen im Strafbefehl zu Grunde. Dies ist entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers möglich,
da der Strafbefehl einem Strafurteil gemäß §
410 Abs.
3 Strafprozessordnung gleichsteht (vgl. hierzu BSG vom 27.06.2007, B 6 KA 20/07 B).
Eine Pflichtverletzung ist gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragsärztlichen
Versorgung notwendig ist. Davon ist auszugehen, wenn durch sie das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die ordnungsgemäße
Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit der Abrechnung durch den Vertragsarzt so gestört ist, dass ihnen eine
weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden kann (Schallen, Zulassungsverordnung, 7. Aufl., § 27 Rn. 17, 18 m.w.N.).
Als gröbliche Verletzung vertragsärztlicher Pflichten kommt insbesondere die unrichtige Leistungsabrechnung in Betracht, die
auch dann vorliegt, wenn gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung verstoßen wird. Da der Antragsteller einen Assistenten
ohne die erforderliche Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung beschäftigte, wie aufgrund des Strafbefehls nachgewiesen
ist, liegt insoweit ein Verstoß gegen die persönliche Leistungserbringung vor.
Ferner hat der Antragsteller vom Einheitlichen Bewertungsmaßstab erfasste Leistungen als individuelle Gesundheitsleistungen
erbracht und abgerechnet. Auch dies ist eine gröbliche Verletzung vertragsärztlicher Pflichten (Schallen, aaO., Rn. 28).
Diese Verstöße rechtfertigen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes grundsätzlich eine Zulassungsentziehung.
Nachdem der Antragsteller bereits mehrfach wegen inplausibler Leistungen in Regress genommen wurde und darüber hinaus bereits
zwei Mal in Disziplinarverfahren zur Zahlung einer Geldbuße verurteilt wurde, ohne dass sich sein Verhalten als Vertragsarzt
wesentlich geändert hätte, war auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nunmehr eine Zulassungsentziehung als
ultima ratio erforderlich.
Zur Überzeugung des Senats steht auch fest, dass die sofortige Vollziehung der Zulassungsentziehung im öffentlichen Interesse
notwendig ist (§
97 Abs.
4 SGB V).
Nach allgemeiner Meinung muss das öffentliche Interesse, das die Anordnung des Sofortvollzuges rechtfertigt, über das für
den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Interesse hinausgehen. Es ist also grundsätzlich darzulegen, weshalb eine Vollziehung
bereits vor einer möglichen gerichtlichen Überprüfung der Verwaltungsentscheidung geboten ist. Dabei ist es bei Zulassungsentziehungen
in der Regel nicht ausreichend, wenn wirtschaftliche Verfehlungen, insbesondere ein Abrechnungsbetrug, zu Grunde liegen. Eingriffe
in die Berufsfreiheit (Art.
12 Abs.
1 Grundgesetz) sind vor dem rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme nur zur Abwehr konkreter Gefahren
für wichtige Gemeinschaftsgüter zulässig (so in ständiger Rechtsprechung das Bundesverfassungsgericht, vgl. z.B. jüngst Beschluss
vom 27.10.2009, 1 BvR 1876/09). Soweit jedoch Patienten gefährdet werden, ist regelmäßig eine Anordnung des Sofortvollzuges gerechtfertigt (juris PK-SGB
V/Pawlita, § 95 Rn. 495; ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 10.05.2006, L 12 B 12/05 KA ER).
Da der Antragsteller noch im Verfahren vor dem Zulassungsausschuss schriftlich dargelegt hat, weniger als ein Prozent der
Karteieinträge selbst vorgenommen zu haben, steht zu befürchten, dass er auch künftig seiner Dokumentationspflicht nach §
10 Abs. 1 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns nicht im entsprechenden Maße nachkommen wird. Damit ist eine Patientengefährdung durch eine Fehlbehandlung infolge fehlender
oder fehlerhafter Aufzeichnungen in den Krankenakten nicht auszuschließen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Dokumentation
der Therapiesicherung dient. Sie ist eine selbstverständliche therapeutische Pflicht gegenüber dem Patienten und soll eine
sachgerechte Behandlung und Weiterbehandlung ermöglichen (Schlund in Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl., § 55 Rn.
5). Die Äußerung des Antragstellers im Schriftsatz vom 16.12.2010, eine Patientengefährdung habe weder bestanden noch stehe
sie künftig zu befürchten, es handle sich insoweit lediglich um ein Missverständnis bzw. eine Fehlinterpretation seiner Angaben,
hält der Senat nicht für überzeugend.
Bei einer Gesamtwürdigung ist darüber hinaus in Anbetracht der Schwere der dem Antragsteller zur Last gelegten Vorwürfe abweichend
vom Regelfall seine weitere Teilnahme als Vertragsarzt im System der gesetzlichen Krankenkassen auch nicht mehr für eine Übergangszeit
zumutbar. Es steht zu befürchten, dass bei einer weiteren Teilnahme des Antragstellers an der vertragsärztlichen Versorgung
neuerlich ein hoher Schaden nicht nur für die Versichertengemeinschaft, sondern auch für die gesetzlich versicherten Patienten
durch deren persönliche Zahlungen entsteht. Der Senat hält für unwahrscheinlich, dass der Antragsteller tatsächlich zu einer
Verhaltensänderung bereit ist. Insbesondere aus der vorgelegten, allerdings nicht unterschriebenen eidesstattlichen Versicherung
der Praxismitarbeiterin H. vom 1. Oktober 2010 ergibt sich, dass an der Praxis der Abrechnung von individuellen Gesundheitsleistungen
in weitem Umfang festgehalten wird. Dies zeigt auch die vorgelegte Bescheinigung der Steuerberatungskanzlei H. und Kollegen
vom 06.10.2010, die einen Anteil der individuellen Gesundheitsleistungen an den gesamten Praxiseinnahmen von mehr als 25 %
ausweist.
Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht ist eine andere Entscheidung nicht geboten. Die von Antragstellerseite zitierten Entscheidungen
des Bundesverfassungsgerichts vom 28.08.2007 sowie vom 19.12.2007 beziehen sich jeweils auf die sofortige Vollziehung des
Ruhens der Approbation. Beim Antragsteller wird jedoch nicht die Approbation berührt, sondern lediglich die Zulassung zur
vertragsärztlichen Versorgung. Wenngleich insoweit eine bestimmte Ausübungsform der ärztlichen Tätigkeit erschwert wird, darf
nicht verkannt werden, dass ein approbierter Arzt ohne Zulassung zu vertragsärztlichen Versorgung sowohl berechtigt ist, als
niedergelassener Arzt privatärztlich tätig zu sein als auch etwa in der Pharmaindustrie forschend oder als Pharmavertreter
zu arbeiten. Damit ist ihm der Beruf des Arztes anders als beim Ruhen der Approbation nicht verschlossen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung
ist zu berücksichtigen, dass die Ausübung des Arztberufes durch die Zulassungsentziehung nicht beeinträchtigt wird, sondern
lediglich eine besondere Ausübungsforum ausgeschlossen wird. Dieser Eingriff ist im Vergleich zur Entziehung der Approbation
milder. Im Übrigen hält der Senat aufgrund der Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles wie dargelegt konkrete Gefahren
für wichtige Gemeinschaftsgüter, insbesondere die Gesundheit der Patienten, für wahrscheinlich.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, §
177 SGG.