Ersetzung der Einwilligung in die Kindesannahme durch das Vormundschaftsgericht
Gründe:
Der Beteiligte zu 1) ist das eheliche Kind aus der am 12.08.1982 geschlossenen Ehe der Beteiligten zu 2) und 3). Die Eltern
trennten sich im März 1983; die Beteiligte zu 3) hielt sich danach bis zum Sommer 1985 in H auf. Die Ehe der Beteiligten zu
2) und 3) wurde durch rechtskräftiges Verbundurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Siegen vom ... geschieden; die elterliche
Sorge für das Kind wurde der Beteiligten zu 3) übertragen.
Die Beteiligte zu 3) lernte im Sommer 1986 den Beteiligten zu 4) kennen, mit dem sie am 04.03.1988 die Ehe schloß. Aus dieser
Ehe stammt das am 17.08.1988 geborene Kind. Der Beteiligte zu 4) hat im Oktober 1988 den Abschluß zum Diplom-Physikingenieur
an der Gesamthochschule ... - erreicht, war danach zunächst als Laboringenieur an einem Institut der Universität ... beschäftigt
und hat seit dem 01.09.1989 eine Tätigkeit bei einem privaten Unternehmen in ... übernommen.
Der Beteiligte zu 2) lebt nach eigenen Angaben seit längeren Jahren in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit Frau ...
J zusammen. Aus dieser Verbindung stammt ein im Jahre 1988 geborener Sohn. Frau J ist neben ihrem Bruder Gesellschafterin
und Geschäftsführerin der Firma J, die sich u. a. mit der Verwertung unfallbeschädigter Pkw befaßt. Der Beteiligte zu 2) übt
für diese Gesellschaft eine Tätigkeit aus, deren Umfang nicht näher festgestellt ist. Die Zahlung des durch Vergleich vom
18.05.1984 titulierten Kindesunterhalts des Beteiligten zu 1) in Höhe von monatlich 235,-- DM erfolgte bis einschließlich
1987 über die Eltern des Beteiligten zu 2). Danach stellte der Beteiligte zu 2) weitere Zahlungen mit der Begründung ein,
er sei leistungsunfähig und beziehe selbst Sozialhilfe. Ein durch anwaltliches Schreiben vom 18.05.1988 angeforderter Unterhaltsrückstand
von 595,74 DM wurde von den Eltern des Beteiligten zu 2) mit einem mit anwaltlichem Schreiben vom 08.06.1988 überreichten
Scheck beglichen. Weitere Zahlungen des Beteiligten zu 2) erfolgten dann bis zum Anhörungstermin vor dem Landgericht vom 07.08.1990
in der vorliegenden Sache nicht mehr. Die Beteiligte zu 3) hat im Jahre 1988 für das Kind T vorübergehend während eines Zeitraumes,
als der Beteiligte zu 4) noch Student war, Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen. Danach hat der Beteiligte zu 4) den
Unterhalt des Kindes sichergestellt.
Jedenfalls seit Oktober 1987 ist es zu persönlichen Kontakten zwischen dem Beteiligten zu 2) und T nicht mehr gekommen. Für
den davor liegenden Zeitraum ist zwischen den Beteiligten streitig, in welchem Umfang solche Kontakte stattgefunden haben.
Die Beteiligte zu 3) hat in einem Schreiben an den Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 2) vom 24.06.1988 zum Ausdruck
gebracht, sie lehne Besuche des Beteiligten zu 2) bei dem Kind ab. Falls dieser ein gerichtliches Verfahren über sein Besuchsrecht
anhängig machen wolle, möge er damit bis zu ihrer Entbindung im August 1988 warten.
Der Beteiligte zu 5) hat den Beteiligten zu 2) mit Schreiben vom 20.06.1989 darüber unterrichtet, daß der Beteiligte zu 4)
das Kind T adoptieren wolle. Dazu bedürfe es seiner, des Beteiligten zu 2), Einwilligung, die in notariell beurkundeter Form
zu erklären sei. Der Beteiligte zu 2) hat darauf mit Schreiben vom 26.06.1989 an den Beteiligten zu 5) geantwortet, er sei
nicht bereit, seine Einwilligung in die geplante Adoption zu geben. Dazu hat er mit einem weiteren, bei dem Beteiligten zu
5) am 23.08.1989 eingegangenen Schreiben eine nähere Begründung gegeben, in der er auf vorausgegangene Telefongespräche im
Laufe des Monats August Bezug nimmt. Den Inhalt dieser Telefongespräche hat der Mitarbeiter ... des Beteiligten zu 5) im Anhörungstermin
vor dem Landgericht vom 07.08.1990 dahin geschildert, er habe den Beteiligten zu 2) auf die Möglichkeit hingewiesen, daß seine
Einwilligung in die Adoption durch eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts ersetzt werden könne.
Der Beteiligte zu 4) hat in notarieller Urkunde vom 26.09.1989 ... beantragt auszusprechen, daß der Beteiligte zu 1) durch
ihn, den Beteiligten zu 4), als Kind angenommen werde. In derselben Urkunde hat die Beteiligte zu 3) die Einwilligung zu dieser
Kindesannahme erklärt, und zwar sowohl als Mutter des Kindes als auch als dessen gesetzliche Vertreterin. Ferner hat sie namens
des Beteiligten zu 1) gemäß §
1748 BGB beantragt, die Einwilligung des Beteiligten zu 2) zu der Annahme vormundschaftsgerichtlich zu ersetzen.
Der Beteiligte zu 5) hat mit Schreiben vom 19.10.1989 den Ersetzungsantrag unterstützt. Aufgrund der ihm gegebenen Darstellung
der Beteiligten zu 3) sei davon auszugehen, daß Besuchskontakte des Beteiligten zu 2) zu T in der Zeit von Sommer 1983 bis
Sommer 1985 nicht bestanden und danach der letzte Kontakt im Sommer 1986 stattgefunden habe. Ferner leiste der Beteiligte
zu 2) keinen Unterhalt. Das Kind habe eine gesicherte Lebensstellung in der neuen Ehe der Beteiligten zu 3) gefunden. Der
Wunsch der Eheleute, dem Kind durch die Adoption den Familiennamen ... zu geben, sei verständlich und entspreche seinem Wohl.
Der Beteiligte zu 2) habe seine Einwilligung aus Gründen versagt, die mit dem Wohl des Kindes nicht zu vereinbaren seien.
Der Beteiligte zu 2) ist dem Ersetzungsantrag entgegengetreten. In seiner Anhörung vor dem Amtsgericht vom 07.12.1989 hat
er die Gründe für die Verweigerung seiner Einwilligung in die Adoption nochmals dargestellt und ferner in tatsächlicher Hinsicht
behauptet, er habe in dem Zeitraum von Sommer 1983 bis Sommer 1985 gelegentliche Besuchskontakte zu dem Kind ... gehabt. Nach
der Rückkehr der Beteiligten zu 3) hätte weitere Kontakte zu dem Kind bis in das Jahr 1987 stattgefunden, letztmalig am 12.10.1987.
Von einem Antrag auf gerichtliche Regelung des Umgangsrechts habe er bislang lediglich deshalb abgesehen, um das Kind durch
ein solches Verfahren nicht zu belasten.
Das Amtsgericht hat durch Beschluß vom 30.04.1990 den Antrag zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluß hat der Beteiligte zu 1) mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 16.05.1990 Beschwerde
eingelegt, die er im wesentlichen damit begründet hat, der Beteiligte zu 2) habe sich bewußt seiner Unterhaltspflicht entzogen,
indem er sich gesetzlich eingerichtet und auch noch zu Unrecht Sozialhilfeleistungen für sich bezogen habe. Im übrigen habe
er auch Gleichgültigkeit gezeigt, indem er sich tatsächlich um das Kind über Jahre nicht gekümmert habe. Er verweigere seine
Einwilligung in die Adoption lediglich aus einer feindlichen Einstellung gegenüber der Beteiligten zu 3). Der Beteiligte zu
2) ist dem Rechtsmittel entgegengetreten.
Das Landgericht hat am 07.08.1990 alle Beteiligten vor der vollbesetzten Zivilkammer persönlich angehört und sodann durch
Beschluß vom 15.08.1990 die Beschwerde des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1), die durch Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten
vom 25.01.1991 bei dem Landgericht eingelegt ist. Der Beteiligte zu 2) beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Die nicht fristgebundene weitere Beschwerde ist nach § 27 FGG statthaft sowie gemäß § 29 Abs. 1 S. 2 FGG formgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 1) folgt bereits daraus, daß seine erste Beschwerde ohne
Erfolg geblieben ist.
In der Sache ist das Rechtsmittel indessen unbegründet. Die Entscheidung des Landgerichts hält zwar nicht in jeder Hinsicht
rechtlicher Nachprüfung stand, erweist sich jedoch aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig (§§ 27 S. 2 FGG,
563 ZPO).
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von einer zulässigen Erstbeschwerde des Beteiligten zu 1)
ausgegangen. Die Ersetzungsentscheidung kann nach der sachlich-rechtlichen Vorschrift des §
1748 Abs.
1 BGB ausschließlich auf Antrag des Kindes ergehen, so daß auch das Beschwerderecht gemäß § 20 Abs. 2 FGG nur diesem zusteht. Dem trägt die Einlegung der Erstbeschwerde durch den Beteiligten zu 1) Rechnung. Seiner Verpflichtung
zur persönlichen Anhörung der Beteiligten nach den §§ 50 a, 55 c, 50 b FGG hat das Landgericht genügt.
Sachliche Voraussetzung der Ersetzung der Einwilligung in die Kindesannahme durch das Vormundschaftsgericht ist nach §
1748 Abs.
1 S. 1
BGB, daß der Elternteil seine Pflichten gegenüber dem Kind anhaltend gröblich verletzt oder durch sein Verhalten gezeigt hat,
daß ihm das Kind gleichgültig ist. Hinzu kommen muß, daß das Unterbleiben der Annahme dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil
gereichen würde.
Das Landgericht hat sich in seiner Entscheidung zunächst damit befaßt, ob eine anhaltend gröbliche Pflichtverletzung durch
den Beteiligten zu 2) festgestellt werden kann und das Vorliegen dieser Voraussetzung verneint. Seine Ausführungen dazu sind
rechtsfehlerfrei. Beim Tatbestandsmerkmal der "anhaltend gröblichen Pflichtverletzung" handelt es sich um einen unbestimmten
Rechtsbegriff, dessen inhaltliche Bedeutung das Landgericht unter Berücksichtigung der schwerwiegenden Bedeutung des mit einer
positiven Ersetzungsentscheidung verbundenen Eingriffs in das verfassungsrechtlich geschützte Eltern-Kind-Verhältnis richtig
erkannt hat. Insbesondere hat die Kammer zutreffend hervorgehoben, daß bei der Entscheidung über die Ersetzung der Einwilligung
eines Elternteils, dem die elterliche Sorge nicht zusteht, nur noch die Verletzung von Pflichten erheblich ist, die dem Elternteil
verblieben sind, nämlich die Unterhaltspflicht und das Umgangsrecht. Die insoweit von dem Landgericht herangezogene Rechtsprechung
(BayObLG FamRZ 1984, 417; OLG Frankfurt FamRZ 1985, 831) entspricht auch der ständigen Auffassung des Senats (z. B. Beschluß vom 24.04.1989 - 15 W 58/89 -).
Auch die unter diesem Gesichtspunkt angestellten Einzelerwägungen des Landgerichts lassen einen Rechtsfehler nicht erkennen.
Im Hinblick auf die Frage einer etwaigen Verletzung der Unterhaltspflicht durch den Beteiligten zu 2) stellt das Landgericht
zunächst darauf ab, daß der Beteiligte zu 1) ungeachtet der ausgebliebenen Zahlungen tatsächlich gut versorgt war, mag sein
Lebensbedarf auch vorübergehend durch Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen und im übrigen durch den Beteiligten zu 4)
sichergestellt worden sein. Es entspricht der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. OLG Frankfurt
a.a.O. m.w.N.), der sich auch der Senat in seiner bereits angeführten Entscheidung angeschlossen hat, daß die Verletzung der
Unterhaltspflicht als solche eine Ersetzung der Einwilligung in die Kindesannahme nicht zu rechtfertigen vermag, wenn sich
der Unterhaltsrückstand nicht zum Nachteil des Kindes ausgewirkt hat, weil sein Unterhaltsbedarf anderweitig sichergestellt
worden ist. Deshalb war das Landgericht auch nicht gehalten, weitere Feststellungen zur tatsächlichen Leistungsfähigkeit des
Beteiligten zu 2) in dem Zeitraum vom Frühjahr 1988 bis August 1990 zu treffen. Ohne tragende Bedeutung bleiben auch die weiteren
Erwägungen des Landgerichts, nach den Erklärungen des Beteiligten zu 2) im Anhörungstermin vor der Kammer vom 07.08.1990 sei
zu erwarten, daß er künftig seine Unterhaltspflicht erfüllen werde. Prognosen für die zukünftige Entwicklung müssen allerdings
bei der Ersetzungsentscheidung unberücksichtigt bleiben, weil es nach §
1748 Abs.
1 BGB im Gegensatz zu dem bis zum 01.01.1977 geltenden Recht (§
1747 Abs.
3 BGB a.F.) nicht mehr darauf ankommt, ob künftige Pflichtverletzungen zu erwarten sind (vgl. Senat a.a.O.).
Rechtsfehlerfrei sind ferner die Ausführungen des Landgerichts, mit denen es seine Auffassung begründet hat, daß die unterbliebene
Ausübung des Umgangsrechtes durch den Beteiligten zu 2) seit 1987 nicht als anhaltende gröbliche Pflichtverletzung gewertet
werden könne. Unter diesem Gesichtspunkt stellt das Landgericht zutreffend darauf ab, daß die Beteiligte zu 3) die Fortdauer
von Kontakten zwischen den Beteiligten zu 2) und dem Kind abgelehnt hat, wie es auch in ihrem Schreiben vom 24.06.1988 zum
Ausdruck kommt. Der Beteiligte zu 2) hätte deshalb zur Ausübung von Besuchskontakten zunächst eine gerichtliche Umgangsregelung
vor dem Familiengericht herbeiführen müssen. Der Umstand, daß der Beteiligte zu 2) bis zum Zeitpunkt seiner Anhörung vor dem
Landgericht einen solchen Antrag nicht gestellt hat, kann nicht als eine offensichtliche, für den Beteiligten zu 2) selbst
erkennbare Pflichtverletzung schwerer Art und längerer Dauer gewertet werden. Insbesondere kann, wie das Landgericht zutreffend
ausgeführt hat, nicht ausgeschlossen werden, daß der Beteiligte zu 2) zunächst von einer Antragstellung abgesehen hat, um
dem Kind nachteilige Belastungen zu ersparen, die erfahrungsgemäß mit einem solchen Verfahren verbunden sind, wenn es zwischen
den Elternteilen streitig ausgefochten wird.
Rechtlicher Nachprüfung nicht stand hält indessen die Begründung des Landgerichts, soweit es die Voraussetzungen einer Ersetzungsentscheidung
gemäß §
1748 Abs.
1 BGB wegen Gleichgültigkeit des Beteiligten zu 2) verneint hat. Die Kammer stellt unter diesem Gesichtspunkt maßgeblich darauf
ab, daß die nach §
1748 Abs.
2 BGB in diesem Fall zwingend erforderliche Beratung durch das Jugendamt nach Maßgabe des § 51 a Abs. 1 JWG unterblieben sei. Diese Beratung tritt nach §
1748 Abs.
2 S. 1
BGB neben die weiter zwingend vorgeschriebene Belehrung über die Möglichkeit einer gerichtlichen Ersetzungsentscheidung. Diese
darf frühestens drei Monate seit der Belehrung ergehen; in der Belehrung ist auf die Frist hinzuweisen. Der Umstand, daß die
von dem Mitarbeiter H des Beteiligten zu 5) erteilte mündliche Belehrung hier keinen Hinweis auf die genannte Frist enthält,
steht ihrer Wirksamkeit als Voraussetzung für die gerichtliche Ersetzungsentscheidung nicht entgegen. Die Fristbestimmung
soll nämlich lediglich gewährleisten, daß dem Elternteil vor Augen geführt wird, daß eine Adoption des Kindes wegen Gleichgültigkeit
in Betracht kommt, und ihm ausreichende Gelegenheit gegeben wird, seine Einstellung und sein Verhalten gegenüber dem Kind
zu ändern (Senat FamRZ 1977, 415, 418). Diesem Erfordernis ist genügt, wenn tatsächlich von dem Zeitpunkt der Erteilung der Belehrung an bis zur gerichtlichen
Entscheidung über den Ersetzungsantrag eine Frist von mehr als drei Monaten verstrichen ist.
Neben der Belehrung war dem Jugendamt nach § 51 a Abs. 1 JWG die Verpflichtung auferlegt, den Elternteil "über Hilfen zu beraten,
die das Verbleiben des Kindes in der eigenen Familie oder seine Unterbringung in einer geeigneten Familie ermöglichen könnten".
Im Verfahren über die Ersetzung der Adoptionseinwilligung hatte das Jugendamt dem Vormundschaftsgericht mitzuteilen, welche
Hilfen gewährt oder angeboten worden sind. Nach der Rechtsprechung des Senats war die tatsächliche Erfüllung der Beratungspflicht
des Jugendamtes über Hilfen zur Vermeidung der Adoption zwingende Voraussetzung einer Ersetzungsentscheidung wegen Gleichgültigkeit
des Elternteils (FamRZ 1977, 415, 417 f.); diese Auffassung wurde auch von anderen Oberlandesgerichten geteilt (BayObLG FamRZ 1982, 1129, 1130; OLG Köln FamRZ 1987, 203).
Indessen hat der Gesetzgeber durch das am 01.01.1991 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts
(KJHG) vom 26.06.1990 (BGBl I 1163) in § 51 Abs. 2 SGB-VIII die Beratungspflicht des Jugendamtes vor einer Ersetzungsentscheidung des Vormundschaftsgerichts nach §
1748 Abs.
2 S. 1
BGB wegen Gleichgültigkeit lediglich noch als Sollvorschrift ausgestaltet. Die Beratung des Jugendamtes soll sich nach dieser
Vorschrift auf Hilfen erstrecken, die die Erziehung des Kindes in der eigenen Familie ermöglichen können. Einer Beratung bedarf
es insbesondere nicht, wenn das Kind seit längerer Zeit bei den Annehmenden in Familienpflege lebt und bei seiner Herausgabe
an den Elternteil eine schwere und nachhaltige Schädigung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens des Kindes zu erwarten
ist.
Diese Vorschrift hat der Senat bei seiner Entscheidung zugrundezulegen, obwohl sie erst nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung
am 01.01.1991 in Kraft getreten ist. Es entspricht einhelliger Auffassung, daß das Gericht der weiteren Beschwerde bei einem
Wechsel der Gesetzgebung das nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung in Kraft getretene materielle Recht zu berücksichtigen
hat, wenn dieses nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfaßt (Keidel/Kuntze/Winkler - KKW
-, FG, 12. Aufl., § 27 Rdnr. 22; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 27 Rdnr. 15 jeweils m.w.N.). Denn für die Frage, ob im Sinne des § 27 S. 1 FGG die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des Gesetzes beruht, kann es nur darauf ankommen, ob die Entscheidung
objektiv mit dem Gesetz in Einklang steht, so daß die rechtliche Nachprüfung nach Maßgabe des im Zeitpunkt der Entscheidung
des Rechtsbeschwerdegerichts geltenden Rechts vorzunehmen ist. Der Gesetzgeber hat die Bestimmungen des KJHG zum 01.01.1991 in Kraft gesetzt (Art. 24 KJHG). Die davon in den Überleitungsvorschriften der Art. 10 ff. vorgesehenen Ausnahmen betreffen nicht die Bestimmung des § 51 SGB-VIII. Es muß deshalb davon ausgegangen werden, daß
der Gesetzgeber als Voraussetzung für eine nach dem 01.01.1991 ergehende Ersetzungsentscheidung, auch soweit diese im Rechtsmittelverfahren
zu treffen ist, ausschließlich die neugefaßte Bestimmung über die Mitwirkung des Jugendamtes hat maßgeblich sein lassen wollen.
Dafür spricht insbesondere auch die Begründung des Regierungsentwurfes (DT-Drucksache 11/5948). In ihr ist zu der Vorschrift
ausgeführt, daß die zwingende Beratungspflicht nach Maßgabe des § 51 a Abs. 1 JWG zu Unzuträglichkeiten in der Praxis geführt
habe, weil insbesondere in Fällen, in denen das Kind sich bereits längere Zeit in einer Pflegestelle befinde, eine Beratung
über Hilfen zum Verbleib in der eigenen Familie des Elternteils oder zur Unterbringung in einer anderen geeigneten Familie
nur mit dem Ziel des Aufbrechens bisheriger gewachsener intensiver Bindungen des Kindes zu seinem Nachteil in Betracht käme.
Hilfsangebote zum Verbleib des Kindes in der Familie müßten früher angesetzt werden, kämen jedoch bei einer Adoption im Rahmen
eines bereits bestehenden Pflegeverhältnisses zu spät. Für die hier vorliegenden Verhältnisse einer angestrebten Stiefvateradoption
(§
1741 Abs.
2 S. 2
BGB) gilt im Kern nichts anderes. Das Entstehen persönlicher Bindungen des Kindes zu seinem Stiefvater im Rahmen der von einer
geschiedenen Kindesmutter neu eingegangen Verbindung ist Folge der Sorgerechtsentscheidung des Familiengerichts. Auf eine
grundlegende Umkehr der so entstandenen Verhältnisse hinzuwirken, kann nicht Gegenstand einer Beratung des Jugendamtes im
Vorfeld einer gerichtlichen Entscheidung über die Ersetzung der Adoptionseinwilligung des nicht sorgeberechtigten Elternteils
sein.
Allerdings hat der Gesetzgeber es versäumt, zugleich mit der Neugestaltung der Beratungspflicht des Jugendamtes in §
51 Abs.
2 SGB-VIII eine entsprechende Anpassung des Wortlautes des §
1748 Abs.
2 BGB vorzunehmen, der die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts weiterhin von einer Beratung durch das Jugendamt nach § 51 a
Abs. 1 JWG abhängig macht. Insoweit handelt es sich jedoch ersichtlich lediglich um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers,
der trotz der ausführlichen Behandlung der Beratungspflicht des Jugendamtes im Vorfeld einer gerichtlichen Ersetzungsentscheidung
nach §
1748 Abs.
2 S. 1
BGB wegen Gleichgültigkeit in der Begründung des Regierungsentwurfes die Erforderlichkeit einer entsprechenden Anpassung des
§
1748 Abs.
2 BGB übersehen hat, um einen Gleichlauf beider Vorschriften herzustellen. In Anbetracht der vom Gesetzgeber gezielt vorgenommenen
Einschränkung der Beratungspflicht des Jugendamtes muß jedoch angenommen werden, daß dieser auch die gerichtliche Ersetzungsentscheidung
nicht von weitergehenden Voraussetzungen hat abhängig machen wollen. §
1748 Abs.
2 S. 1
BGB muß deshalb seit dem 01.01.1991 so gelesen werden, daß die gerichtliche Ersetzungsentscheidung wegen Gleichgültigkeit eines
Elternteils von einer vorangegangen Beratung durch das Jugendamt nicht mehr zwingend abhängig ist.
Mit der gegebenen Begründung kann die Entscheidung des Landgerichts deshalb nicht aufrechterhalten werden.
Die Entscheidung hängt deshalb davon ab, ob festgestellt werden kann, daß die Einstellung des Beteiligten zu 2) gegenüber
dem Kind als Gleichgültigkeit im Sinne des §
1748 Abs.
1 BGB gewertet werden kann. Das Landgericht hat diese Beurteilung auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung ausdrücklich dahingestellt
sein lassen und lediglich angedeutet, es müsse bereits Gleichgültigkeit bei dem Beteiligten zu 2) angenommen werden. Darauf
kommt es indessen nicht an, weil der Senat aufgrund des anderweitigen Rechtsfehlers der angefochtenen Entscheidung ohnehin
eine eigenständige Sachentscheidung zu treffen hat, ohne an die Würdigung der landgerichtlichen Entscheidung gebunden zu sein.
Der Sachentscheidung des Senats unterliegt dabei der gesamte Akteninhalt einschließlich des im Verfahren der weitern Beschwerde
neu vorgetragenen Tatsachenstoffes (KKW § 27 Rdnr. 59). Eine solche Sachentscheidung ist hier möglich, weil weitere tatsächliche
Ermittlungen nicht erforderlich erscheinen.
Gleichgültig verhält sich ein Elternteil, wenn er gegenüber dem Kind und seiner Entwicklung gänzlich teilnahmslos ist. Dies
ist insbesondere dann anzunehmen, wenn er zu dem Kind über einen längeren Zeitraum hinweg keinen Kontakt pflegt, wenn ihn
das Kind und dessen Schicksal nicht interessieren. Gleichgültigkeit kann allerdings auch dann bejaht werden, wenn der "Besitzanspruch"
des Elternteils auf das Kind keiner echten gefühlsmäßigen Bindung entspricht, sondern anders motiviert ist, z. B. durch Eifersucht,
verletzten Stolz, Neid, Rachsucht, Böswilligkeit oder durch die bloße Besorgnis um das eigene Wohl. Da es sich bei der Gleichgültigkeit
um eine subjektive Einstellung handelt, die oft nur schwer festzustellen ist, knüpft das Gesetz an das äußere Verhalten an
und läßt es genügen, wenn das gesamte Verhalten zu dem Schluß führen muß, daß dem Elternteil das Kind gleichgültig ist (BayObLG
DAVorm 1981, 131, 138 sowie ZBlJugR 1983, 234, 238 f.).
Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze läßt sich eine Gleichgültigkeit des Beteiligten zu 2) gegenüber dem Kind nicht feststellen.
Dies beruht maßgeblich darauf, daß aus den nachstehenden verfassungsrechtlichen Erwägungen das gesamte Verhalten des Beteiligten
zu 2) bis zur Entscheidung des Landgerichts nicht zu seinem Nachteil verwertet werden darf.
Wie bereits oben dargestellt, durfte nach dem bis zum 31.12.1990 geltenden Recht die Einwilligung eines Elternteils in die
Annahme wegen Gleichgültigkeit nicht ersetzt werden, wenn dieser nicht zuvor nach § 51 a JWG beraten worden war. Dieses zwingende
Beratungserfordernis ist, wie der Senat in seiner bereits genannten Entscheidung (FamRZ 1977, 415, 417 f.) ausgeführt hat, durch Gesetz vom 14.08.1973 neu eingeführt worden (§
1747 Abs.
2 a.F.
BGB) und in §
1748 Abs.
2 n.F.
BGB unverändert übernommen worden. Aus der vom Senat in seiner damaligen Entscheidung herangezogenen Gesetzesbegründung ergibt
sich, daß durch die Einführung einer zwingenden Beratungspflicht dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Rechnung getragen werden sollte. Auf der Grundlage der bisherigen Rechtslage konnte danach ein Elternteil darauf vertrauen,
daß seine Einwilligung in die Adoption durch gerichtliche Entscheidung nicht ersetzt werden konnte, bevor er durch das Jugendamt
keine Beratung mit dem Ziel einer "Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsbewußten Verhaltens" erhielt. Der
Elternteil, dessen Einwilligung in eine beabsichtigte Adoption gegebenenfalls ersetzt werden sollte, hatte also danach bisher
einen Anspruch auf Gewährung von Hilfe und Beratung mit dem Ziel, das Entstehen der Voraussetzungen für eine positive Ersetzungsentscheidung
unter dem Gesichtspunkt der Gleichgültigkeit zu vermeiden.
In diesen auf der bisherigen Rechtslage beruhenden Vertrauenstatbestand hat der Gesetzgeber eingegriffen, indem nunmehr für
ab dem 01.01.1991 zu treffende Ersetzungsentscheidungen die Beratungspflicht des Jugendamtes lediglich noch als Sollvorschrift
ausgestaltet ist. Da insoweit eine Übergangsvorschrift fehlt, könnte daher bei der Bewertung unter dem Gesichtspunkt der Gleichgültigkeit
ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten des betroffenen Elternteils herangezogen werden, obwohl dieses nach der bisherigen
Rechtslage wegen einer fehlenden Beratung sanktionslos bleiben mußte. Der Gesetzesänderung kommt deshalb eine sogenannte unechte
Rückwirkung zu, die dadurch gekennzeichnet wird, daß die neue Gesetzeslage auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte
und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt (BVerfGE 69, 272, 309; 72, 175, 196; 79, 29, 45). Nicht abgeschlossen ist der Sachverhalt hier, weil die gerichtliche Ersetzungsentscheidung
nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zu treffen ist und unter Einbeziehung des bisherigen Verhaltens auch die weitere tatsächliche
Entwicklung nach diesem Zeitpunkt zu berücksichtigen hat.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind Gesetze mit einer unechten Rückwirkung zwar grundsätzlich zulässig. Jedoch kann der
Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, der aus dem Rechtsstaatprinzip abzuleiten ist, im Einzelfall der Regelungsbefugnis Schranken
setzen. Danach ist es auch in Fällen unechter Rückwirkung durchaus denkbar, daß der Vertrauensschutz verletzt wird, wenn das
Gesetz einen entwertenden Eingriff vornimmt, mit dem der Staatsbürger nicht zu rechnen, den er also bei seinen Dispositionen
nicht zu berücksichtigen brauchte. Zur Bestimmung der verfassungsrechtlichen Grenze ist das Vertrauen des einzelnen auf den
Fortbestand einer bestimmten gesetzlichen Regelung gegenüber der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der
Allgemeinheit abzuwägen (BVerfG E 51, 356, 363; 69, 272, 310; 79, 29, 46).
Gemessen an diesen Kriterien muß hier der Vertrauensschutz des betroffenen Elternteils den Vorrang genießen. Anlaß für die
gesetzgeberische Neuregelung waren nach der zitierten Begründung des Regierungsentwurfes Unzuträglichkeiten, die sich bei
der Anwendung der zwingenden Beratungspflicht des bisherigen Rechtes in der Praxis ergeben hatten. Darüber hinaus erschien
dem Gesetzgeber die Durchführung einer Beratung in dem durch die Fassung der bisherigen Vorschrift des § 51 a JWG gesteckten
Rahmen in einer Vielzahl der Fälle nicht sinnvoll. In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob die Begründung des
Regierungsentwurfes dem Sinn des zwingenden Beratungserfordernisses des bisherigen Rechtes gerecht wird. Danach sollte die
Beratung des Jugendamtes wohl nicht dem Ziel dienen, die Möglichkeiten einer Umkehr einer zuvor getroffenen Sorgerechtsentscheidung
aufzuzeigen.