Sozialhilferecht: Kostentragung bei stationärer Behandlung eines Strafgefangenen während des Hafturlaubs
Tatbestand:
Der Kläger ist Träger des Krankenhauses S im Stadtgebiet der Beklagten. Er will erreichen, daß die Beklagte als örtlicher
Träger der Sozialhilfe die Kosten für die stationäre Behandlung des damaligen Strafgefangenen H. M. in diesem Krankenhaus
für die Zeit vom 09. bis 25. Februar 1982 im Rahmen der Sozialhilfe übernimmt.
Der Strafgefangene wurde am 05. Februar 1982 durch die Rettungswache als Eilfall in das Krankenhaus S eingeliefert. Er verbüßte
zu diesem Zeitpunkt eine Haftstrafe in einer Justizvollzugsanstalt im Stadtgebiet der Beklagten und hatte für die Zeit vom
04. bis 08. Februar 1982 Hafturlaub erhalten.
Die Untersuchung des Strafgefangenen ergab einen offenen Bruch des linken Oberarms. Der Strafgefangene wurde bis zum 25. Februar
1982 stationär behandelt und kehrte anschließend in die Justizvollzugsanstalt zurück. Bis zu diesem Zeitpunkt war er nach
den Angaben der behandelnden Ärzte nicht transportfähig.
Da der Strafgefangene mittellos und nicht krankenversichert war, wandte der Kläger sich durch die Krankenhausverwaltung sowohl
an die Beklagte als auch an den Leiter der Justizvollzugsanstalt mit dem Begehren, die Kosten für den Krankenhausaufenthalt
des Strafgefangenen in Höhe von 4.110,12 DM zu tragen. Während der Leiter der Justizvollzugsanstalt die Übernahme der Kosten
ablehnte, trug die Beklagte die Kosten für die Zeit des Hafturlaubs vom 05. bis 08. Februar 1982 in Höhe von 782,88 DM. Für
die Zeit nach dem Ende des Hafturlaubs, also für die Zeit vom 09. bis 25. Februar 1982 lehnte die Beklagte die Übernahme der
Kosten mit einem Bescheid vom 19. Juni 1982 ab. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger am 06. Juli 1982 Widerspruch ein,
den die Beklagte mit einem Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1983 zurückwies.
Am 10. August 1983 erhob der Kläger daraufhin bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Klage und begründete diese.
Er beantragte,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 19. Juni 1982 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 1983
zu verpflichten, die stationären Behandlungskosten des Krankenhauses S für Herrn H. M. in der Zeit vom 09. bis 25. Februar
1982 in Höhe von 3.327,24 DM zu übernehmen.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Auch sie begründete ihren Antrag.
Das beigeladene Land als Träger der Justizvollzugsanstalt stellte keinen Antrag.
Mit Urteil vom 12. Juni 1987 wies das Verwaltungsgericht nach mündlicher Verhandlung die Klage mit folgender Begründung ab:
Dem Kläger stehe gegenüber der Beklagten kein Erstattungsanspruch nach § 121 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) zu. Vielmehr sei das beigeladene Land nach den §§
56 und
58 des Strafvollzugsgesetzes (
StVollzG) verpflichtet, die Kosten für die stationäre Behandlung des Strafgefangenen zu tragen.
Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 29. August und dem beigeladenen Land am 31. August 1987 zugestellt wurde, haben der
Kläger und das beigeladene Land Berufung eingelegt. Während die Berufung des Klägers am 23. September 1987 eingegangen ist,
ist die Berufung des beigeladenen Landes am 20. Oktober 1987 eingegangen.
Der Kläger macht geltend: Die Beklagte sei nach § 121 BSHG zur Erstattung der Kosten verpflichtet, da der mittellose Patient keine andere Hilfe habe erlangen können. Die Justizverwaltung
sei hier nicht verpflichtet, diese Kosten nach §
58 StVollzG zu tragen, da die Ausnahmevorschrift des §
60 dieses Gesetzes eingreife. Danach habe der Gefangene während eines Hafturlaubs nur einen Anspruch gegen die Vollzugsbehörde
auf Krankenbehandlung in der für ihn zuständigen Vollzugsanstalt. Diese Vorschrift erfasse hier auch die Zeit nach dem Ende
des Urlaubs, da die Vollzugsbehörde keine Möglichkeit gehabt habe, auf die Behandlung des Strafgefangenen Einfluß zu nehmen
oder auch nur ihre Notwendigkeit zu überprüfen. Die Vorschrift des §
65 Abs.
2 StVollzG sei hier nicht entsprechend anzuwenden.
Das beigeladene Land schließt sich der Argumentation des Klägers an.
Der Kläger und das beigeladene Land beantragen,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 12. Juni 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter
Aufhebung des Bescheids vom 19. Juni 1982 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 1983 die stationären Behandlungskosten
des Krankenhauses S für Herrn H. M. in der Zeit vom 09. bis 25. Februar 1982 in Höhe von 3.327,24 DM zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Sie folgt den Ausführungen des Verwaltungsgerichts und macht ergänzend geltend, das beklagte Land habe die stationären Behandlungskosten
des Strafgefangenen auch dann zu tragen, wenn man hier die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag anwende.
Die Beteiligten sind darauf hingewiesen worden, daß eine Entscheidung durch Beschluß nach §
130a der
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) in Betracht komme, und haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Anlagen
zu diesen Schriftsätzen, das angefochtene Urteil und den Inhalt der beigezogenen Behördenakten der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Da der Senat einstimmig dieser Ansicht ist und er einstimmig eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, kann er die Berufung nach §
130a VwGO durch Beschluß zurückweisen, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten haben, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet angesehen und abgewiesen.
Der Senat ist ebenso wie das Verwaltungsgericht der Ansicht, daß dem Kläger der geltend gemachte Anspruch gegenüber der Beklagten
nicht zusteht, weil der Tatbestand des § 121 Satz 1 BSHG nicht erfüllt ist.
Der Tatbestand dieser Vorschrift, die allein als Grundlage für den geltend gemachten Anspruch in Betracht kommt, ist nur dann
gegeben, wenn ein sozialhilferechtlich zu befriedigender Bedarf bestand. Ein solcher liegt aber nach § 2 BSHG nicht vor, wenn der Hilfesuchende die erforderliche Hilfe von anderen erhält oder jedenfalls einen durchsetzbaren Anspruch
auf die Hilfe anderen gegenüber hat. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hatte der mittellose und nicht
krankenversicherte Strafgefangene für den hier allein umstrittenen Zeitraum vom 09. bis 25. Februar 1982 gegenüber dem Land
Hessen als dem Träger des Strafvollzugs einen Anspruch auf Übernahme der Kosten seiner stationären Behandlung.
Maßgebend sind dafür die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes (
StVollzG) in der Fassung, die in dem umstrittenen Zeitraum galt. Die im folgenden herangezogenen Bestimmungen des Gesetzes galten
im Februar 1982 noch in der ursprünglichen Fassung vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 581).
Nach den Grundsätzen der §§
56 und
58 StVollzG hat der Träger des Strafvollzugs einem Strafgefangenen die notwendige Krankenfürsorge zu gewähren. Diese Krankenfürsorge
ist zwar grundsätzlich durch Personen zu erbringen, die im Strafvollzug tätig sind. Doch ist die Behandlung dann, wenn sie
aus besonderen Gründen des Einzelfalles nicht in Einrichtungen des Strafvollzugs erfolgen kann, außerhalb des Strafvollzugs
vornehmen zu lassen. Auch in diesem Fall hat der Träger des Strafvollzugs für die Kosten der Krankenbehandlung aufzukommen,
und zwar jedenfalls dann, wenn während dieser Behandlung die Strafvollstreckung nicht unterbrochen worden ist. Dies folgt
aus der Vorschrift des §
65 Abs.
2 StVollzG.
Im vorliegenden Verfahren kann offen bleiben, ob dies auch für die ärztliche Behandlung und Pflege während eines Hafturlaubes
des Gefangenen gilt. Denn hier ist allein die Behandlung nach dem Ende des Urlaubs im Streit.
Der Senat ist davon überzeugt, daß der Hafturlaub des Gefangenen M. nicht über den 08. Februar 1982 hinaus verlängert worden
ist und daß die Strafvollstreckung für die Zeit vom 09. bis 25. Februar 1982 nicht unterbrochen worden ist. Denn davon ist
auch das beigeladene Land als der über den Strafvollzug des damaligen Gefangenen M. am besten unterrichtete Verfahrensbeteiligte
in dem gesamten Verfahren ausgegangen. Angesichts dieser Annahme des sachkundigen beigeladenen Landes bestand für den Senat
kein Anlaß zu einer weiteren Aufklärung zu dieser Frage.
Entgegen der Ansicht des Klägers steht der Verpflichtung des Trägers des Strafvollzugs, die Kosten für die stationäre Behandlung
des Strafgefangenen für die Zeit nach dem Ende des Hafturlaubs zu tragen, nicht entgegen, daß diese Behandlung bereits während
des Urlaubs des Gefangenen begonnen hatte. Die Vorschrift des §
60 StVollzG, in der bestimmt ist, daß der Gefangene während eines Urlaubs gegen die Vollzugsbehörde nur einen Anspruch auf ärztliche
Behandlung und Pflege in der für ihn zuständigen Vollzugsanstalt hat, erfaßt nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur die Zeit
des Urlaubs (oder Ausgangs). Auch nach ihrem Zweck kann die Bestimmung bei einem Notfall, wie er hier gegeben war, nicht erweiternd
dahin verstanden werden, daß sie auch die ärztliche Behandlung und Pflege erfaßt, die nach dem Urlaub andauert, nachdem sie
im Urlaub begonnen hat. Denn mit dieser Vorschrift soll verhindert werden, daß der Gefangene während des Hafturlaubs mißbräuchlich
die Gesundheitsfürsorge auf Kosten der Vollzugsbehörde durch einen frei gewählten Arzt durchführen läßt (vgl. Calliess/Müller-Dietz,
Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 5. Aufl. 1991, Anm. 2 zu §
60). Wenn der Gefangene aber bei einem akuten Notfall in der zuständigen Vollzugsanstalt nicht ausreichend medizinisch versorgt
werden kann und ein Transport in das Krankenhaus einer anderen Vollzugsanstalt ausscheidet, so ist die stationäre Behandlung
in einem Unfallkrankenhaus kein Mißbrauch der Rechte des Gefangenen. Ein solcher Notfall war hier gegeben. Der Gefangene M.
konnte mit seinem offenen Oberarmbruch nicht in der zuständigen Vollzugsanstalt medizinisch versorgt werden. Nach dem Urteil
der ihn behandelnden Ärzte sprachen medizinische Gründe gegen einen Transport des Gefangenen in das etwa 200 km entfernte
Anstaltskrankenhaus in K. Dies ergibt die Stellungnahme der Ärzte vom 06. April 1983 (in der Widerspruchsakte der Beklagten).
Der Gefangene wurde deshalb in das Krankenhaus des Klägers, welches in dem Krankenhausbedarfsplan des beigeladenen Landes
als Akutkrankenhaus geführt wird, aufgenommen.
Für solche akuten, schweren Notfälle wird in der Literatur teilweise die Ansicht vertreten, daß sogar für die Behandlung während
des Urlaubs ein Anspruch des Behandelnden gegenüber der Vollzugsbehörde besteht, soweit die Behandlung außerhalb des Vollzugs
unerläßlich ist (so Calliess/Müller-Dietz a. a. O. Anm. 1 zu §
60). Die Vorschrift des §
60 StVollzG wird damit wegen ihres Zwecks einschränkend verstanden (sog. teleologische Reduktion). Jedenfalls folgt aus dem dargestellten
Zweck der Vorschrift, einen Mißbrauch zu verhindern, daß sie bei einem akuten Notfall, bei dem die Behandlung außerhalb des
Vollzugs unerläßlich ist, nicht erweiternd dahin zu verstehen ist, daß sie auch die Behandlung nach dem Hafturlaub des Gefangenen
erfaßt.
Vielmehr gilt hier der aus § 65 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. den §§
56 Abs.
1 Satz 1 und
58 StVollzG herzuleitende Grundsatz, daß in einem solchen Notfall die Behandlungskosten in einem Krankenhaus außerhalb des Vollzugs von
dem Träger des Vollzugs zu übernehmen sind. Zwar regelt § 65 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes nach seinem Wortlaut nur die Verlegung
eines Gefangenen aus einer Vollzugsanstalt in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs. Doch ist daraus -- im Zusammenhang mit
den allgemeinen Grundsätzen der §§
56 Abs.
1 Satz 1 und
58 StVollzG über die Krankenfürsorge -- zugleich der allgemeinere Grundsatz herzuleiten, daß die Vollzugsbehörde verpflichtet ist, die
Behandlung des Gefangenen in einem Krankenhaus außerhalb des Vollzugs zuzulassen, soweit die Behandlung dort unerläßlich ist,
und für diese Kosten aufzukommen, soweit die Strafvollstreckung nicht unterbrochen worden ist (vgl. Calliess/Müller-Dietz
a. a. O. Anm. 4 zu § 65, S. 344). -- Daß die stationäre Behandlung des Gefangenen M. in einem Krankenhaus außerhalb des Strafvollzugs
unerläßlich war und daß die Strafvollstreckung nicht unterbrochen war, ist bereits dargestellt.
Aus den Erwägungen, welche die Unbegründetheit der Berufung des Klägers ergeben, folgt zugleich die Unbegründetheit der Anschlußberufung
des beigeladenen Landes. Bei diesem Ergebnis kann es offen bleiben, ob die Anschlußberufung, die nach dem Ablauf der Berufungsfrist
eingelegt ist, statthaft ist, obwohl der Beigeladene keinen von der Berufung des Klägers abweichenden Sachantrag gestellt
hat (vgl. zur Unzulässigkeit einer Anschlußberufung in einem solchen Fall Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. Mai 1984
-- 8 C 108.82 -- NJW 1985, 393).