Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Erstattung von Krankenbehandlungskosten
Gründe:
I
Die klagende Stadt begehrt als Sozialhilfeträger von der beklagten Krankenkasse die Erstattung von 106,81 DM, die sie für
eine im September 1993 durchgeführte ambulante Behandlung des beigeladenen Sozialhilfeempfängers aufgewendet hat. Diesem wurde
mit Bescheid vom 25. November 1993 von der Bundesanstalt für Arbeit rückwirkend ab 28. Juli 1993 Arbeitslosenhilfe bewilligt,
was zur Folge hatte, daß er - ebenfalls rückwirkend - versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten wurde. Dem daraus abgeleiteten
Erstattungsbegehren der Klägerin hielt die Beklagte entgegen, sie habe sämtliche aus der vertragsärztlichen Behandlung ihrer
Versicherten resultierenden Zahlungsverpflichtungen durch die Entrichtung der Gesamtvergütung an die Kassenärztliche Vereinigung
(KÄV) erfüllt, so daß gegen sie keine Ansprüche mehr bestünden.
Die Vorinstanzen haben einen Erstattungsanspruch bejaht und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Nach Auffassung des Landessozialgerichts
scheitert der Anspruch aus § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht daran, daß die Beklagte die Gesamtvergütung für die vertragsärztliche Behandlung ihrer Versicherten im Quartal III/1993
an die KÄV überwiesen hatte, bevor sie von der Leistung der Klägerin an den Beigeladenen Kenntnis erhielt. Die mit der Entrichtung
der Gesamtvergütung gemäß §
85 Abs
1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) verbundene schuldbefreiende Wirkung trete nur im Verhältnis zur KÄV und zu den Vertragsärzten, nicht aber im Verhältnis
zu erstattungsberechtigten Dritten ein. Abgesehen davon sei die nach dem Kopfpauschalsystem berechnete Gesamtvergütung anhand
der durchschnittlichen Mitgliederzahl im Zeitraum von Juli bis Oktober 1993 ermittelt worden, so daß die rückwirkende Mitgliedschaft
des Beigeladenen keine Berücksichtigung gefunden haben könne.
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Durch die Regelung des §
85 Abs
1
SGB V solle sichergestellt werden, daß mit der Entrichtung der Gesamtvergütung sämtliche Verpflichtungen der Kasse aus der vertragsärztlichen
Behandlung ihrer Mitglieder abgegolten seien. Dieser Zweck werde gesetzeswidrig unterlaufen, wenn daneben noch Einzelvergütungsansprüche
bestehen blieben, die im Rückgriffswege erfüllt werden müßten. Bei seinen Ausführungen zur Berechnungsgrundlage habe das Berufungsgericht
verkannt, daß die Ermittlung der Gesamtvergütung auf der Grundlage von Kopfpauschalen nach Stichtagen nicht auf die individuelle
Mitgliedschaft des einzelnen Versicherten abstelle und insofern naturgemäß einen Fehlerausgleich beinhalte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. Juni 1996 und das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom
9. Mai 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben im Revisionsverfahren keine Anträge gestellt.
II
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben der Zahlungsklage zu Recht stattgegeben.
Der Erstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 104 Abs 1
SGB X. Danach ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne daß die Voraussetzungen
des § 103
SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit
dieser Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis
erlangt hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung
eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (Satz 2). Vorliegend ist durch die rückwirkende
Bewilligung der Arbeitslosenhilfe ein Anspruch des Beigeladenen gegen die Beklagte auf Gewährung der in Rede stehenden vertragsärztlichen
Behandlung begründet worden. Dieser Anspruch hat Vorrang vor dem gleichzeitig bestehenden Anspruch gegen die Klägerin; denn
Leistungsverpflichtungen der Sozialhilfeträger auf dem Gebiet der Krankenhilfe sind im Hinblick auf § 2 Abs 1
Bundessozialhilfegesetz gegenüber den gleichgerichteten Leistungspflichten der Krankenkassen grundsätzlich nachrangig, was auch die Revision nicht
in Abrede stellt.
Dem Erstattungsbegehren kann die Beklagte nicht entgegenhalten, sie habe mit der Überweisung der Gesamtvergütung für die vertragsärztlichen
Behandlungen im 3. Quartal 1993 ihre Leistungspflicht gegenüber dem Beigeladenen erfüllt, bevor sie von der Leistung der Klägerin
Kenntnis erlangt habe. Denn die Krankenkasse erbringt mit der Entrichtung der Gesamtvergütung an die KÄV keine Leistung an
den Versicherten im Sinne des § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X.
Die Gewährung der ambulanten medizinischen Versorgung als Sachleistung geschieht in der Weise, daß die Krankenkasse die benötigte
Behandlung durch einen Vertragsarzt kostenfrei zur Verfügung stellt (vgl §
2 Abs
2 Satz 1
SGB V). Zur vollständigen Abwicklung des Leistungsfalls gehört auch die Bezahlung des Leistungserbringers, die jedoch mit der Leistungsgewährung
als solcher nicht gleichzusetzen ist. Soweit das Bundessozialgericht (BSG) im Rahmen von § 111
SGB X den Zeitpunkt der Zahlung als den maßgeblichen Zeitpunkt der Leistungserbringung angesehen hat (BSG SozR 1300 § 111 Nr 3
S 11; BSG USK 9334; zum früheren Recht: BSGE 50, 68, 69; aA: BSGE 65, 31, 38 = SozR 1300 § 111 Nr 6 S 24), hat es damit nicht ausgesprochen, daß sich die Leistungsgewährung in der Kostenübernahme
erschöpft. Vielmehr ist geprüft worden, welchem Leistungsträger die vorherige Erbringung der Leistung rechtlich zuzurechnen
war (vgl BSG SozR 1300 § 111 Nr 3 S 10). Ob und unter welchen Voraussetzungen der Entrichtung einer Vergütung die Bedeutung
beigemessen werden kann, daß der zahlende Leistungsträger die zunächt zu Lasten eines anderen Trägers erbrachte Leistung als
eigene übernimmt, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls kann davon nicht ausgegangen werden, wenn die Vergütung der
ärztlichen Leistungen wie hier nicht direkt gegenüber dem Arzt und bezogen auf den konkreten Behandlungsfall, sondern durch
Zahlung einer für die gesamte vertragsärztliche Versorgung eines Quartals an die KÄV zu entrichtenden Gesamtvergütung erfolgt.
Bei dieser Art der Abwicklung läßt sich die Vergütung der ärztlichen Leistungen durch die Krankenkasse nicht dem einzelnen
Versicherten zuordnen. Das versteht sich bei allen pauschalierenden Vergütungsformen (Berechnung der Gesamtvergütung als Festbetrag,
nach einer Kopfpauschale, nach einer Fallpauschale oder nach einem System, das sich aus der Verbindung dieser Berechnungsformen
ergibt; vgl derzeit: §
85 Abs
2 Satz 9
SGB V) von selbst, da dort nicht die jeweilige Leistung, sondern ein pauschaler Berechnungsfaktor Anknüpfungspunkt ist. So hat
die Beklagte im konkreten Fall bei der Zahlung der nach dem Kopfpauschalsystem berechneten Gesamtvergütung nicht mit Bezug
auf die tatsächlich durchgeführten Behandlungen geleistet. Nicht die gegenüber dem Beigeladenen und anderen Versicherten erbrachten
Leistungen, sondern die für das Abrechnungsquartal ermittelte durchschnittliche Mitgliederzahl der Beklagten bildete die Grundlage
für die Berechnung der Gesamtvergütung. Deren Höhe konnte durch die nachträgliche Begründung der Mitgliedschaft des Beigeladenen
nicht beeinflußt werden. Nichts anderes gilt aber auch, wenn die Vergütung auf der Grundlage des Bewertungsmaßstabs nach Einzelleistungen
berechnet wird. Auch dann zahlt die Krankenkasse nicht für einzelne, individualisierbare Behandlungen, sondern für die Gesamtheit
aller vertragsärztlichen Leistungen. Erst im Zuge der anschließenden Honorarverteilung durch die KÄV wird die Vergütung für
den einzelnen Leistungsfall konkretisiert.
Da die Gesamtvergütung alle vertragsärztlichen Leistungen eines Quartals erfaßt, erstreckt sich die befreiende Wirkung der
Zahlung (§
85 Abs
1
SGB V) allerdings auch auf solche Behandlungen, die - wie hier durch eine Änderung des Versichertenstatus - erst zu einem späteren
Zeitpunkt rückwirkend in die Leistungspflicht der Krankenkasse einbezogen werden. Jedoch beschränkt sich die schuldbefreiende
Wirkung auf das Verhältnis zur KÄV und zu den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten. Erstattungsberechtigte
Dritte, wie der hier klagende Sozialhilfeträger, werden davon nach dem Sinn und Zweck der Erstattungsvorschriften der §§ 102 ff SGB X nicht erfaßt. Die Regelung in § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X, wonach ein Erstattungsanspruch entfällt, wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger in Unkenntnis der Leistung des
nachrangig verpflichteten Trägers bereits selbst geleistet hat, bezweckt den Schutz des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers
vor doppelter Inanspruchnahme. Für die Berechnung und die Zahlung der Gesamtvergütung an die KÄV hat die Kenntnis oder Unkenntnis
der Krankenkasse von der Leistung des Sozialhilfeträgers aber keinerlei Bedeutung. Die nachträgliche Einbeziehung weiterer
Behandlungen in die Leistungspflicht der Krankenkasse wirkt sich tatsächlich auf die Höhe der Gesamtvergütung nicht aus; daß
der Vergütungsanspruch der KÄV rechtlich auch insoweit als erfüllt gilt, kann dem erstattungsberechtigten Sozialhilfeträger
nicht entgegengehalten werden.
Wegen der Höhe der Erstattungsforderung hat die Beklagte im Revisionsverfahren keine begründeten Einwände erhoben. Anhaltspunkte
für Unterschiede in den Leistungsverpflichtungen des Sozialhilfeträgers auf der einen und der Krankenkasse auf der anderen
Seite bestehen nicht. Sie ergeben sich insbesondere nicht daraus, daß der zwischen der Beklagten und der KÄV geschlossene
Gesamtvertrag über die Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine Berechnung
der Gesamtvergütung nach Kopfpauschalen und damit keine Einzelleistungsvergütung vorsieht. Zwar richtet sich der Erstattungsanspruch
des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers gemäß § 104 Abs 3
SGB X nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Die gesamtvertraglichen Vereinbarungen
zwischen der Beklagten und der KÄV über die Berechnung der Gesamtvergütung sind aber keine nach außen wirkenden Rechtsvorschriften
iS dieser Vorschrift, die den Erstattungsbetrag nach oben begrenzen.