BVerfG, Beschluss vom 01.10.1998 - 1 BvR 781/98
Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb des die erstmalige Aufenthaltserlaubnis erteilenden Bundeslandes
Im Falle einer Verweigerung laufender Sozialhilfe in Berlin würden der sechsköpfigen Familie, deren Haushaltsvorstand der
Beschwerdeführer zu 1) ist und zu der vor allem auch kleinere sowie schulpflichtige Kinder gehören, die erforderlichen Mittel
zur Deckung ihres Lebensunterhalts entzogen. Außerdem würden die Beschwerdeführer ihre Unterkunft in Berlin verlieren, wie
sich aus der fristlosen Kündigung und dem Räumungsverlangen ihres Vermieters ergibt. Weil sich eine neue Unterkunft für die
große Familie des Beschwerdeführers zu 1) nur schwer finden ließe, würden vollendete Tatsachen geschaffen, die voraussichtlich
nicht rückgängig gemacht werden könnten, wenn sich die angegriffenen Entscheidungen als verfassungswidrig erwiesen.
Fundstellen: AuAS 1999, 34, NVwZ 1999, Beil. 3, 19
Normenkette: BSHG § 120 Abs. 5 Satz 2
,
BVerfGG § 32 Abs. 1 § 93d Abs. 2
,
Vorinstanzen: VG Berlin 27.01.1998 VG 8 A 732.97 , OVG Berlin 02.04.1998 OVG 6 SN 58.98
Entscheidungstext anzeigen:
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen zwischen Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit, für die ein Abschiebungsverbot
besteht und die über eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis in der Bundesrepublik Deutschland verfügen, und einem
Sozialhilfeträger um die Gewährung laufender Sozialhilfe geführten Rechtsstreit. Die Beschwerdeführer greifen die gegen sie
ergangenen verwaltungsgerichtlichen Beschlüsse und die zugrunde liegende Verwaltungsentscheidung im wesentlichen mit der Rüge
an, daß sie hinsichtlich der Gewährung laufender Sozialhilfe nicht auf das Bundesland verwiesen werden dürften, in dem die
Aufenthaltsbefugnis erstmals erteilt worden ist, wenn die Aufenthaltsbefugnis in einem anderen Bundesland verlängert wurde.
Insoweit erscheint die Verfassungsbeschwerde derzeit weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens hängt die Entscheidung darüber, ob eine einstweilige Anordnung ergeht,
nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von einer Folgenabwägung ab. Das Bundesverfassungsgericht hat
die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht ergeht, die angegriffenen Maßnahmen in
dem späteren Verfahren jedoch für verfassungswidrig erklärt werden, gegen die Nachteile, die entstehen würden, wenn die angegriffenen
Maßnahmen vorläufig außer Anwendung gesetzt oder eine Handlungsverpflichtung der Verwaltung begründet wird, die Verfassungsbeschwerde
aber erfolglos bleibt (BVerfGE 12, 276 [279]; 91, 252 [257 f.]; stRspr).
Im vorliegenden Fall fällt die Folgenabwägung zugunsten der Beschwerdeführer aus. Im Falle einer Verweigerung laufender Sozialhilfe
in Berlin würden der sechsköpfigen Familie, deren Haushaltsvorstand der Beschwerdeführer zu 1) ist und zu der vor allem auch
kleinere sowie schulpflichtige Kinder gehören, die erforderlichen Mittel zur Deckung ihres Lebensunterhalts entzogen. Außerdem
würden die Beschwerdeführer ihre Unterkunft in Berlin verlieren, wie sich aus der fristlosen Kündigung und dem Räumungsverlangen
ihres Vermieters ergibt. Weil sich eine neue Unterkunft für die große Familie des Beschwerdeführers zu 1) nur schwer finden
ließe, würden vollendete Tatsachen geschaffen, die voraussichtlich nicht rückgängig gemacht werden könnten, wenn sich die
angegriffenen Entscheidungen als verfassungswidrig erwiesen. Hingegen sind mit der angeordneten Bewilligung laufender Sozialhilfe
im Hinblick auf die zeitliche Begrenzung der Aufenthaltsbefugnis keine vergleichbar gravierenden Folgen zu erwarten.
Wegen der besonderen Dringlichkeit der Entscheidung hat die Kammer nach § 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG von einer vorherigen Anhörung der Beteiligten und Äußerungsberechtigten abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.