Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Verletzung der Amtsermittlungspflicht
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der im Jahr 1969 geborene Kläger war zuletzt als Industrieschweißer versicherungspflichtig beschäftigt. Seit September 2016
war er arbeitsunfähig erkrankt, seit dem 15.3.2018 arbeitslos. Sein im Juni 2018 gestellter Rentenantrag blieb im Verwaltungsverfahren
ohne Erfolg (Bescheid vom 5.7.2018, Widerspruchsbescheid vom 17.10.2018). Im Klageverfahren hat das SG Befundberichte der behandelnden Ärzte, Unterlagen der Krankenkasse sowie der Bundesagentur für Arbeit beigezogen und ein
medizinisches Sachverständigengutachten der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie W eingeholt. Diese hat
in ihrem Gutachtem vom 26.3.2019 noch ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
bei Beachtung gewisser qualitativer Leistungseinschränkungen festgestellt. Auf Antrag des Klägers ist der Facharzt für Orthopädie
B1 gehört worden, der festgestellt hat, der Kläger könne nur noch weniger als drei Stunden täglich erwerbstätig sein. Das
SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17.10.2019). Im Berufungsverfahren sind aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie ein Gutachten des Facharztes für Neurologie
und Psychiatrie B2 eingeholt worden. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 5.2.2021 im Wesentlichen dem Ergebnis
der Begutachtung durch W gefolgt und hat ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
unter Leistungseinschränkungen bestätigt. Auf Antrag des Klägers hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Sch1 ein
Gutachten mit neuropsychologischer Zusatzbegutachtung erstellt, ein quantitatives Leistungsvermögen von unter drei Stunden
täglich festgehalten (Gutachten vom 17.1.2022) und dieses in einer ergänzenden Stellungnahme vom 1.4.2022 bestätigt. Das LSG hat weitere Ermittlungen abgelehnt und die
Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 6.4.2022).
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht Verfahrensmängel geltend (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Form begründet ist. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Der Kläger hat einen Verfahrensfehler nicht hinreichend bezeichnet. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass
ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
es erforderlich, darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
Der Kläger hat eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) gerügt, aber dazu nicht alles erforderliche vorgetragen. Wird ein solcher Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht
geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht
ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt
ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen
müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben
hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum
die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis
des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer
günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 28.6.2022 - B 5 R 79/22 B - juris RdNr 5). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht in allen Punkten gerecht.
Der bereits im Berufungsverfahren von einem Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger führt aus, er habe in der mündlichen
Verhandlung am 6.4.2022 zu Protokoll beantragt, hinsichtlich seiner schweren Depression und zu der Tatsache, dass seine verbliebenen
Fähigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen dazu führten, dass seine Leistungsfähigkeit komplett fehle, die Zeuginnen K und Frau
St anzuhören. Die Anhörung der beiden Medizinerinnen sei geeignet zur Klärung, ob und inwieweit er noch in der Lage sei, sich
auf eine neue Arbeitstätigkeit umzustellen und sich entsprechend anzupassen. Auch habe er beantragt, J "für die wirbelsäulen-
und orthopädischen Leiden" zu vernehmen. Damit hat er nicht vorgetragen, ordnungsgemäße Beweisanträge vor dem LSG gestellt
zu haben.
Zur Darlegung solcher Beweisanträge muss aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte (vgl §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
403 bzw §
373 ZPO) und mit welchem Ziel Beweis erhoben werden sollte und dass es sich damit ihrem Inhalt nach nicht nur um eine Beweisanregung
gehandelt hat. Im Rahmen eines Verfahrens auf Erlangung einer Erwerbsminderungsrente muss dazu der negative Einfluss von weiteren,
dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene Leistungsvermögen behauptet und möglichst genau dargetan werden.
Je mehr Aussagen von Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der
Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 5.11.2019 - B 13 R 40/18 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6). Der Beschwerde lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass die angeführten Beweisanträge auf Zeugeneinvernahme von K, Frau St
und J auf die Ermittlung konkreter Leistungseinschränkungen aufgrund bislang nicht berücksichtigter Erkrankungen gezielt hätten.
Der Kläger macht zwar geltend, es liege eine "dramatische Verschlechterung" seiner Leiden vor. Woraus sich diese im Einzelnen
ergeben soll, zeigt er jedoch nicht auf. Die bloßen Hinweise auf eine neu begonnene Behandlung bei J, auf eine Verschlimmerung
der Wirbelsäulenbeschwerden und der psychischen Situation sowie eine "vorgehabte Schmerztherapie" genügen in dieser pauschalen
Form nicht. Auch welche neuen Erkenntnisse eine Zeugenbefragung von K und Frau St vor dem Hintergrund hätte erbringen können,
dass von beiden bereits Befundberichte und ärztliche Unterlagen im gerichtlichen Verfahren beigezogen worden waren, ergibt
sich aus der Beschwerdebegründung nicht, zumal der Kläger selbst auf eine Mitteilung von St vom 29.12.2020 verweist. Aus seinem
weiteren Vorbringen, das Berufungsgericht habe in seinen Entscheidungsgründen Zweifel an dem Ergebnis der Begutachtung von
Sch1 geäußert, erschließt sich dem Senat nicht, aus welchem Grund sich das LSG deshalb "einer weiteren Ermittlung von Amts
wegen einer Anhörung von K und St nicht verschließen" hätte dürfen. Soweit der Kläger damit im Ergebnis auch die Beweiswürdigung
durch das Berufungsgericht rügt (§
128 Abs
1 Satz 1
SGG), kann nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde hierauf nicht gestützt werden.
Mit seinem Vortrag, er habe beantragt, zum Beweisthema "anspruchsbegründende Erwerbsminderung" den Sachverständigen Sch1 nebst
Zusatzgutachterin Frau Sch2 "als sachverständige Zeugen" zu laden und zu vernehmen, rügt er sinngemäß eine Verletzung seines
Rechts auf Befragung der Sachverständigen (vgl §
116 Satz 2, §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §§
397,
402, §
411 Abs
4 ZPO; s hierzu BSG Beschluss vom 21.10.2021 - B 5 R 148/21 B - juris RdNr 6 ff). Sollte der Kläger zunächst eine unterbliebene Rückfrage nach §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
411 Abs
3 ZPO rügen wollen und damit eine Verletzung der tatrichterlichen Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§
103 Satz 1 Halbsatz 1
SGG), wird auch insoweit kein prozessordnungsgemäß gestellter Beweisantrag vorgetragen. Auch hat der Kläger eine Verletzung seines
eigenen Fragerechts aus §
116 Satz 2
SGG iVm §§
397,
402,
411 Abs
4 ZPO und damit seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) nicht aufgezeigt. Dafür hätten noch erläuterungsbedürftige Punkte hinreichend konkret bezeichnet, zB auf Lücken oder Widersprüche
hingewiesen werden müssen. Solche Einwendungen sind dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen (§
411 Abs
4 Satz 1
ZPO). Der Kläger trägt jedoch nicht vor, seinerseits alles getan zu haben, um sich mit zumutbarer Ausschöpfung der vom Prozessrecht
eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen (vgl dazu auch BSG Beschluss vom 7.10.2021 - B 5 R 172/21 B - juris RdNr 9).
Soweit der Kläger geltend macht, ein (zusätzliches) orthopädisches bzw psychisches Gutachten hätte möglicherweise ein weiteres
Herabsinken der Leistungsfähigkeit (auch nach weiteren psychologischen Testverfahren) ergeben, geht aus der Beschwerdebegründung
nicht hervor, dass ein entsprechend konkretisierter Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens vor
dem LSG gestellt worden ist. Liegen bereits mehrere Gutachten zum Gesundheitszustand und zum verbliebenen Leistungsvermögen
vor und hat sich dadurch schon ein gewisses Leistungsbild manifestiert, bedarf es zudem besonderer Angaben, weshalb die Einholung
eines weiteren Gutachtens erforderlich sein soll. Hierfür muss der Beschwerdeführer gezielt zusätzliche Auswirkungen auf das
verbliebene (quantitative und/oder qualitative) Leistungsvermögen durch weitere - oder (ggf auch in ihrem Zusammenwirken)
anders zu beurteilende - dauerhafte Gesundheitsbeeinträchtigungen möglichst genau bezeichnen (vgl BSG Beschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr 12 mwN). Auch dazu enthält die Beschwerdebegründung keine Ausführungen.
Mit seinem Vorbringen, der Vortrag in der mündlichen Verhandlung am 6.4.2022 zum Vorliegen einer schweren Depression sei in
dem Berufungsurteil überhaupt nicht bewertet worden, hat er ebenfalls keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
(§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) hinreichend bezeichnet. Wie die Beschwerdebegründung selbst ausführt, war eine Depression zuletzt im Gutachten von Sch1 vom
17.1.2022 diagnostiziert und leistungsmindernd berücksichtigt worden.
Soweit der Kläger schließlich geltend macht, er erlebe seit mehr als fünf Jahren die im einzelnen angegebenen Beschwerden
und sei deshalb nicht mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, wendet er sich gegen eine vermeintliche Fehlerhaftigkeit
der Berufungsentscheidung in der Sache. Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht gestützt werden (vgl BSG Beschluss vom 20.10.2021 - B 5 R 230/21 B - juris RdNr 6 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.