Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der im Jahre 1941 geborene Ehemann der Klägerin O. G. (Versicherter) war bei der Speditionsgesellschaft Buchloe mbH
in B. als Fernfahrer beschäftigt. Am 2. April 1986 belud er in Hamm bis 11.45 Uhr seinen Lkw und trat anschließend eine
Fahrt nach Spanien an. Nach einer zwischenzeitlichen Pause von drei Stunden legte er am 3. April 1986 um 0.30 Uhr auf einer
Autobahnraststätte zwischen Paris und Orleans eine mehrstündige Ruhezeit ein. Gegen 5.00 Uhr verspürte er ausgeprägte Schmerzen
hinter dem Brustbein. In einem französischen Krankenhaus wurden ein Vorderwandinfarkt und eine Lungenembolie diagnostiziert.
Nach einer Verlegung am 5. April 1986 in das Städtische Krankenhaus Winterberg in Saarbrücken verstarb er am 28. April 1986
infolge einer Herzinsuffizienz und rezidivierender Lungenembolien bei ausgedehnter Beckenvenenthrombose.
Mit Bescheid vom 26. August 1986 lehnte es die Beklagte ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren, weil ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit des Versicherten und der am 3. April 1986 erlittenen Herzerkrankung und damit
des Todes nicht bestehe.
Das Sozialgericht (SG) hat die auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 26. Februar 1987), weil zwischen
der betriebsbezogenen Tätigkeit und dem Herzinfarkt kein innerer Zusammenhang bestehe. Das Landessozialgericht (LSG) hat die
Berufung der Klägerin, mit der sie ihren Anspruch auf Witwenrente weiterverfolgt, zurückgewiesen (Urteil vom 28. September
1989). Zur Begründung heißt es im wesentlichen, der Versicherte habe keinen Unfall erlitten, weil ein kausales, zeitlich eng
begrenztes schädigendes Ereignis nicht vorliege. Deshalb sei dem Tod des Versicherten kein Arbeitsunfall (§ 548 Abs 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 der
Reichsversicherungsordnung -
RVO-) vorausgegangen. Der Versicherte sei auch nicht aufgrund einer Berufskrankheit (BK) iS des § 551 Abs 1
RVO verstorben. Die bei ihm festgestellte Erkrankung sei nicht in der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) bezeichnet. Die zum Tode führende Erkrankung des Versicherten sei auch nicht wie eine BK nach § 551 Abs 2
RVO zu entschädigen. Neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über einen möglichen ursächlichen Zusammenhang zwischen
der Tätigkeit als Fernfahrer und Venenerkrankungen, Thrombose und Herzinfarkt lägen nicht vor. Zudem sei die Berufsgruppe
der Fernfahrer bei ihrer Tätigkeit nicht in höherem Maße als die übrige Bevölkerung Einwirkungen gefährdender Arbeitsumstände
ausgesetzt, sondern allenfalls ein begrenzter, bestimmbarer Personenkreis innerhalb einer Berufsgruppe aufgrund eines vorwerfbaren
Verhaltens des Arbeitgebers (Unterlaufen von Arbeitnehmer-Schutzbestimmungen).
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung formellen und materiellen Rechts, insbesondere
der §§
103,
202 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) und des §
286 der Zivilprozeßordnung (
ZPO) sowie der §§ 548, 551
RVO. Die zeitliche Begrenzung des Unfallereignisses auf eine Arbeitsschicht gehöre nicht zu den gesetzlichen Merkmalen des §
548 Abs 1
RVO. Vielmehr müsse bei der Abgrenzung zwischen Arbeitsunfall und BK berücksichtigt werden, daß die gesetzliche Unfallversicherung
einen umfassenden Schutz gegen das Gesundheitsrisiko im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit begründe. Zu Unrecht seien auch
die Voraussetzungen des § 551 Abs 2
RVO verneint worden. Das Berufungsgericht habe den Anwendungsbereich zu eng eingegrenzt. Es wäre daher gehalten gewesen, den
Sachverhalt entsprechend den diesseitigen Beweisangeboten weiter aufzuklären.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 28. September 1989 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts für
das Saarland vom 26. Februar 1987 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 26. August 1986 zu verurteilen,
ihr Witwenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin steht der allein noch den Streitgegenstand bildende Anspruch auf Witwenrente
(§§ 589 Abs 1 Nr 3, 590
RVO) nicht zu, weil der Versicherte den Tod weder durch einen Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 Satz 1
RVO noch durch eine Berufskrankheit iS des § 551 Abs 1
RVO oder eine Krankheit erlitten hat, die nach § 551 Abs 2
RVO wie eine BK entschädigt werden soll.
Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs 1 Satz 1
RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545
RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Der Begriff des Unfalls ist in der
RVO nicht bestimmt. Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum seit langem und im wesentlichen einhellig vertretenen Auffassung
- auch des erkennenden Senats - (s zuletzt Beschluß vom 27. Juli 1989 - 2 BU 29/89 -) ist Unfall ein körperlich schädigendes, zeitlich begrenztes Ereignis (vgl ua BSGE 23, 139, 141; 46, 283; BSG SozR 2200 § 550 Nr 35; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 479; Lauterbach/Watermann,
Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 548 Anm 3; Gitter, SGB-
RVO GK § 548 Anm 6, jeweils mwN). Die von der Rechtsprechung auf höchstens eine Arbeitsschicht beschränkte zeitliche Begrenzung (st Rspr
s Nachweise bei Brackmann aaO S 479f ff) dient der notwendigen Abgrenzung des Unfalls zur Krankheit (s BSG SozR 2200 § 539
Nr 56), bei der nur im - eingeschränkten - Rahmen des § 551 Abs 1 oder Abs 2
RVO Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu leisten ist. Allein schon deshalb sollten - entgegen der Auffassung
der Revisionsklägerin - Überschneidungen zwischen Arbeitsunfall und Berufskrankheit vermieden werden. Daneben ist erforderlich,
daß das Ereignis "von außen" auf den Menschen einwirkt. Damit soll lediglich ausgedrückt werden, daß ein aus innerer Ursache,
aus dem Menschen selbst kommendes Ereignis nicht als Unfall anzusehen ist (s BSG SozR 2200 § 550 Nr 35; Brackmann aaO S 479b).
Wesentlich für den Begriff des Unfalls sind hiernach ein ("äußeres") Ereignis als Ursache und eine Körperschädigung als Wirkung
(BSG SozR 2200 § 548 Nr 56).
Nach den bindenden Feststellungen des LSG stand der Versicherte bei seiner Fahrt nach Spanien gemäß § 539 Abs 1 Nr 1
RVO zwar unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung; jedoch fehlt es, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, an der
Voraussetzung eines körperlich schädigenden, von außen auf ihn einwirkenden Ereignisses. Im Rahmen seines Rechts auf freie
richterliche Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 Satz 1
SGG) hat das Berufungsgericht seine Überzeugung auf die eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten gestützt und darauf
abgehoben, daß ein akutes Unfallgeschehen als Folge der beruflichen Tätigkeit nicht vorliege. Gerade die Tatsache, daß der
Herzinfarkt am frühen Morgen stattgefunden habe, spreche sogar gegen eine singuläre, berufsbedingte Krankheitsauslösung, da
man statistisch einen signifikanten Anstieg der Herzinfarktmanifestation in den frühen Morgen- und Vormittagsstunden feststellen
könne.
Eine Berufskrankheit, die gemäß § 551 Abs 1
RVO als Arbeitsunfall gilt, ist eine Krankheit, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545
RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs 1 Satz 2
RVO). Anders als bei Arbeitsunfällen ist die Entschädigung als BK im Rahmen des § 551 Abs 1
RVO auf solche Krankheiten beschränkt, die in der BKVO aufgeführt sind. Die beim Versicherten festgestellte Krankheit, an deren Folgen er verstarb, ist darin nicht aufgeführt.
Schon deshalb war seine Krankheit keine Berufskrankheit iS des § 551 Abs 1
RVO.
Die beim Versicherten festgestellte Erkrankung erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 551 Abs 2
RVO. Danach sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKVO bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen
die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs 2
RVO erfüllt sind. Bei dieser Vorschrift handelt es sich nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht um eine "Härteklausel",
nach der nur deshalb zu entschädigen wäre, weil die Nichtentschädigung für den Betroffenen eine individuelle Härte bedeuten
würde (BSGE 44, 90, 93; 59, 295, 297; Brackmann aaO S 492 oI). Diese Vorschrift will auch nicht erreichen, daß jede Krankheit, deren ursächlicher
Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK entschädigt
werden soll (BSG SozR 2200 § 551 Nr 18). Den von der Revisionsklägerin zitierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) in seinem Beschluß vom 22. Oktober 1981 (BVerfGE 58, 369 = SozR 2200 § 551 Nr 19), § 551 Abs 2
RVO ziele "auf Lückenlosigkeit des Schutzes für alle Versicherten, die an einer durch Berufstätigkeit verursachten Krankheit
leiden", kann nicht zugestimmt werden. Die Gründe hierfür sind in der angeführten Entscheidung des Senats (BSGE 59, 295, 297), auf die insoweit verwiesen wird, im einzelnen dargelegt und stehen auch im Einklang mit der nachfolgenden Rechtsprechung
des BVerfG (s BVerfGE 75, 348 = SozR 2200 § 555a Nr 3). Das gleiche gilt für die von der Klägerin zitierte Entscheidung des 8. Senats des Bundessozialgerichts
vom 29. Oktober 1981 (BSGE 52, 272) mit ihren durch die Besonderheiten des Sachverhalts (der damalige Kläger war im wesentlichen als einziger der krankheitsverursachenden
besonderen Einwirkung - Erschütterungen und Prellschlägen bei Schmiedevorgängen - ausgesetzt gewesen) geprägten Rechtsausführungen,
die nach den Feststellungen des LSG den vorliegenden Fall nicht treffen (s BSGE 59, 295, 299).
Sinn des § 551 Abs 2
RVO kann deshalb nur sein, durch schädigende Einwirkungen bei der versicherten Tätigkeit verursachte Krankheiten wie eine BK
zu entschädigen, wenn aufgrund neuer medizinischer Erkenntnisse über die Gefährdung besonderer Personengruppen, die bei der
letzten Fassung der Anlage 1 zur BKVO noch nicht vorhanden oder dem Verordnungsgeber nicht bekannt waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten (BSGE 59,
295, 297; Urteil des Senats vom 24. Januar 1990 - 2 RU 20/89 -), die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs 2
RVO erfüllt sind.
Der Versicherte muß also zu einer bestimmten Berufsgruppe gehören - hier der Gruppe der Fernfahrer -, die im Vergleich zu
der übrigen Bevölkerung in erheblich höherem Grade krankheitsverursachenden Einwirkungen ausgesetzt ist (Brackmann aaO S 492
oI). Ob eine Krankheit in einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der
übrigen Bevölkerung, erfordert den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige
zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder, um daraus schließen zu können, daß die Ursache für die Krankheit in einem
schädigenden Arbeitsleben liegt (BSGE 59, 295, 298 mwN). Diese Voraussetzungen liegen nach den Feststellungen des LSG nicht vor. Nach der vom Berufungsgericht eingeholten
Auskunft des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 27. Juli 1987 wurde anläßlich der Neufassung der BKVO die Frage eines möglichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Tätigkeit der Fernfahrer und Venenerkrankungen, Thrombosen
und Herzinfarkten nicht geprüft, weil hierzu weder aufgrund klinischer Beobachtungen noch aufgrund der Fachliteratur Veranlassung
bestanden habe.
Unabhängig davon liegen auch keine neuen medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnisse über den ursächlichen Zusammenhang zwischen
der Erkrankung des Versicherten und der Fernfahrertätigkeit vor. Neu sind gesicherte arbeitsmedizinische Erkenntnisse und
Erfahrungen, die beim Erlaß der jeweils gültigen BKVO noch nicht vorlagen (s BSGE 59, 295, 300). Hier sind nach den Feststellungen des LSG keine solchen medizinischen Erkenntnisse vorhanden, die nach bewährten Forschungsergebnissen
hinreichend wissenschaftlich gefestigt sind. Dazu heißt es in der erwähnten Auskunft des BMA, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt
keine gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse über einen solchen Ursachenzusammenhang vorlägen.
Der weiteren vom LSG erörterten Frage, ob § 551 Abs 2
RVO überhaupt für Fälle anwendbar sei, in denen durch langjähriges Unterlaufen arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen (zB das Durchführen
internationaler Transporte ohne Beifahrer) körperliche und seelische Dauerbelastungen vorhanden sind, kommt deshalb keine
streitentscheidende Bedeutung bei. Allein schon deshalb sind die von der Revisionsklägerin insoweit erhobenen Verfahrensrügen,
das LSG hätte ihren zu diesem Fragenkomplex gestellten Beweisanträgen nachgehen müssen (§
103 SGG), nicht begründet. Das LSG mußte sich nicht zu einer weiteren Beweiserhebung gedrängt fühlen (s BSG SozR 1500 § 103 Nr 25).
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.