Entziehung der Zulassung als Vertragsarzt; Gesundheitszustand; Impfbefreiungen; sachlich-rechnerische Berichtigung
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners vom 14. September
2022, mit dem dieser dem Antragsteller mit sofortiger Wirkung die Zulassung als praktischer Arzt entzogen hat.
Der 1941 geborene Antragsteller ist seit 1977 als praktischer Arzt in H zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Nach Kenntnisnahme von Berichten über von dem Antragsteller ohne Anamnese und Untersuchung ausgestellte Impfbefreiungen und
staatsanwaltliche Ermittlungen bat der Antragsgegner den Antragsteller am 14. März 2022 um Stellungnahme mit vorsorglicher
Beifügung einer Verzichtserklärung. Der Antragsteller reagierte darauf zunächst nicht.
Die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KV) nahm nach Berechnung und Festsetzung des Honoraranspruchs des Antragstellers
für das Quartal I/2022 (über insgesamt 214.479,69 Euro) mit Bescheid vom 12. Juli 2022 eine sachlich-rechnerische Korrektur
in Höhe von 139.878,38 Euro (nach Abzug des Verwaltungskostenbeitrags) vor. Die Korrektur erfolgte, weil der Antragsteller
im Quartal I/2022 von insgesamt 6.028 abgerechneten Versicherten einen für seine Praxis ungewöhnlich hohen Anteil von 4.741
Patienten als Neupatienten gekennzeichnet habe, von denen 4.413 Patienten mit der gesicherten Diagnose F 41.1 (generalisierte
Angststörung) codiert worden seien. Darüber hinaus sei die KV durch einen Presseartikel des Journalisten F für jedenfalls
einen Fall darauf aufmerksam geworden, dass ohne Anamnese oder Untersuchung ein Attest zur Befreiung von der Impfpflicht übergeben
worden sei, das bereits beim Betreten des Arztzimmers ausgedruckt und unterschrieben gewesen sei. Die idZ vom Antragsteller
abgerechnete Versichertenpauschale setze - wenn auch ohne Mindestzeit - einen Arzt-Patienten-Kontakt mit "direkter Interaktion"
und ein kuratives Tätigwerden voraus. Ein Attest, das eine Kontraindikation für eine Coronaimpfung bescheinige, sei keine
im Anhang 1 des einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM) genannte Leistung und keine kurative Tätigkeit.
Die Versichertenpauschale sei daher nicht abrechenbar gewesen und zu streichen. Angesichts der hohen Anzahl an Neupatienten
in den Quartalen IV/2021 und I/2022 sei davon auszugehen, dass diese auf die Ausstellung von Attesten zur Befreiung von der
Impfpflicht zurückzuführen sei, so dass die Leistungen dieser Fallgruppe unrechtmäßig über sie - die KV - abgerechnet worden
seien. In der Zusammenschau sei festzustellen, dass der Antragsteller regelhaft Patienten ohne die notwendige Anamnese und
entsprechendes Verlangen durch den behandelnden Arzt oder die Krankenkasse Atteste ausgestellt habe. Die KV korrigierte für
4467 Neupatienten die abgerechnete Versichertenpauschale nebst parallel abgerechneter und von Amts wegen zugesetzter EBM-Leistungen.
Dagegen legte der Kläger am 23. Juli 2022 Widerspruch ein. Ihm sei die von dem Reporter F vorgebrachte Symptomatik und ein
Leidensdruck glaubhaft erschienen. Dass die Bescheinigung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nur erschlichen gewesen sei,
sei ihm zu dem Zeitpunkt nicht ersichtlich gewesen.
Vor diesem Hintergrund beschloss der Antragsgegner am 17. August 2022, von Amts wegen ein Verfahren auf Entziehung der Zulassung
wegen gröblichen Pflichtenverstoßes einzuleiten und darüber am 14. September 2022 zu verhandeln. Der Antragsteller ließ über
seinen Prozessbevollmächtigten die Widerspruchsbegründung gegenüber der beigeladenen KV übermitteln. Der Reporter habe falsch
berichtet. In der Vergangenheit habe er eine Praxis mit regelmäßig mehr als 3.000 Patienten betrieben, aus gesundheitlichen
Gründen in den letzten Jahren jedoch weniger Patienten betreut.
Der Antragsteller erschien am 14. September 2022 zu der angesetzten Verhandlung ohne Begleitung seines Prozessbevollmächtigten.
Im Anschluss beschloss der Antragsgegner - mitgeteilt am 20. September 2022 und mit Begründung ausgefertigt am 5. Oktober
2022 -, dem Antragsteller mit sofortiger Wirkung die Zulassung als praktischer Arzt für H zu entziehen und ordnete den Sofortvollzug
der Entscheidung an. In der Begründung schilderte der Antragsgegner den Anlass der Sitzung - Korrekturbescheid der beigeladenen
KV vom 12. Juli 2022 und Presseberichte über von dem Antragsteller ohne erforderliche Anamnese und Untersuchung ausgestellte
Impfatteste in erheblichem Umfang - und den Eindruck der ärztlichen Mitglieder des Antragsgegners, dass der Antragsteller
an Parkinson erkrankt sei, was dieser bestätigt habe. Der Antragsteller habe auf Nachfrage zur hohen Anzahl von über 4.000
Neupatienten mit der gesicherten Diagnose Angststörung mitgeteilt, keine Reklame gemacht zu haben. Er habe erklärt, die Situation
sei durch den Lockdown während der Corona-Pandemie entstanden, die Patienten seien stark verängstigt gewesen und einige hätten
Todesangst vor der bevorstehenden Impfung gehabt. Er habe viel gearbeitet, die Patienten seien in großer Not zu ihm gekommen.
Er habe keine Medikamente verordnet, sondern nur Atteste ausgestellt. 40 Jahre lang habe er Patienten behandelt, die zufrieden
gewesen seien. Er sei in der Lage, Notfälle zu erkennen und zu versorgen. Der Antragsgegner beschrieb, Rücksicht auf erkennbare
Sprachprobleme des Antragstellers genommen und ihm ausreichend Zeit für Äußerungen gegeben zu haben. Für ihn - den Antragsgegner
- sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen der Rückforderungsbescheid der KV vom 12. Juli 2022 rechtswidrig sein solle. Als
Antragsgegner müsse er weder die Bestandskraft dieser Entscheidung abwarten noch Einsicht in die staatsanwaltlichen Ermittlungsakten
nehmen. Er könne eigene Rückschlüsse ziehen. Der Antragsteller habe das Ausstellen von Attesten zur Befreiung von der Impfpflicht
nicht bestritten bzw in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Er habe erstens ärztliche Atteste ausgestellt, ohne dabei die
erforderliche Sorgfalt walten zu lassen, und zweitens diese Gefälligkeitsatteste letztlich auch noch zur Abrechnung gebracht.
Dadurch sei das Vertrauen der Institutionen der vertragsärztlichen Versorgung in eine peinlich genaue Abrechnung durch den
Antragsteller erschüttert. Darüber hinaus stehe für ihn - den Antragsgegner - fest, dass der Antragsteller bereits so schwer
an Parkinson erkrankt sei, dass er sich freiwillig einer Fahrtauglichkeitsprüfung unterziehen solle und darüber hinaus den
Belastungen einer hausärztlichen Tätigkeit nicht mehr gewachsen und zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ungeeignet
iSv § 21 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) sei. Den in der Sitzung erkennbaren Erkrankungszustand des Antragstellers könne er aufgrund der Besetzung des Gremiums mit
Ärzten ohne die Einholung eines Sachverständigengutachtens einschätzen. Der Umgang des Antragstellers mit dem Patientenandrang
im Quartal I/2022 deute darauf hin, dass er der hohen Nachfrage nach ärztlichen Impfattesten zur Befreiung von der Impfpflicht
nicht gewachsen gewesen sei und sich aufgrund seiner Erkrankung nicht dazu in der Lage sah, die Patienten abzuweisen. Die
Diagnose einer Angststörung erfordere mehr als nur ein kurzes Gespräch und sei davon zu trennen, dass eine Person vor einem
Ereignis Angst habe. Ein ärztliches Aufklärungsgespräch über die Risiken der Impfung hätte einige Personen möglicherweise
davon abgehalten, sich ohne eine entsprechende Indikation ein Attest zu beschaffen. Dem Antragsteller habe aber wohl die Behauptung
ausgereicht, vor der Impfung große Angst zu haben, um massenweise entsprechende Atteste auszustellen. Der Antragsteller habe
nicht dezidiert zu den einzelnen Fällen der diagnostizierten Angststörungen Stellung nehmen können. Er sei daher nach Einschätzung
des Antragsgegners nicht mehr in der Lage, den Vortrag gesetzlich Versicherter über ihre Befindlichkeiten durch eine Anamnese
zu objektivieren und daraus medizinisch korrekte Schlussfolgerungen zu ziehen. Der Antragsteller sei daher seines Erachtens
nicht mehr in der Lage, schwerwiegende Erkrankungen oder gar Notfälle zu diagnostizieren und der richtigen Behandlungsebene
zuzuführen. Da es für die Annahme eines Entziehungsgrundes nicht auf Verschulden ankomme, sei es weder entscheidend, ob der
Antragsteller die Patienten mit ihrem Anliegen einer Impfbefreiung aufgrund seiner Erkrankung nicht abgewiesen habe, noch
könne die Erkrankung dazu führen, von einer Entziehung abzusehen. Die Zulassungsentziehung sei angesichts des im Bescheid
der beigeladenen KV festgestellten Schadens in Höhe von 139.878,38 Euro und des Umstandes, dass die ausgestellten Atteste
regelmäßig gegenüber Arbeitgebern, insbesondere in Einrichtungen des Gesundheitswesens, vorgelegt worden sein dürften, um
arbeitsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden, nicht unverhältnismäßig. Ein Ruhen der Zulassung komme aufgrund der fortschreitenden
Parkinsonerkrankung nicht in Betracht, eine Existenzgefährdung sei aufgrund der langjährigen Praxistätigkeit und einer dadurch
geschaffenen ausreichenden finanziellen Absicherung nicht zu erwarten. Der Sofortvollzug sei bei nicht angenommener Existenzgefährdung
und trotz einer nicht ganz einfachen hausärztlichen Versorgung im Umfeld von H anzuordnen, um eine weitere Schädigung der
Versichertengemeinschaft und Gefährdungen des Patientenwohls durch die latente Gefahr von Fehleinschätzungen und Fehlmedikationen
zu vermeiden. Zwar behandele der Antragsteller wohl größtenteils ältere chronisch erkrankte Versicherte, die lediglich die
Verordnung von Medikamenten in Anspruch nehmen würden. Auch bei diesen Patienten könnten aber Notfälle auftreten und es sei
zu befürchten, dass der Antragsteller Verordnungen ausstelle, ohne aktuelle Befunde zu erheben bzw in zeitlichen Abständen
Kontrolluntersuchungen durchzuführen und er ernsthaft erkrankte Patienten nicht nach den Regeln der medizinischen Kunst behandele.
Gegen die Entscheidung legte der Antragsteller am 21. September 2022 Widerspruch ein.
Die beigeladene KV informierte den Antragsteller mit Schreiben vom 19. September 2022, seit dem 15. September 2022 nicht mehr
zur Erbringung und Abrechnung von Leistungen berechtigt zu sein.
Gegen die Entscheidung des Antragsgegners vom 14. September 2022 stellte der Antragsteller am 21. September 2022 beim Sozialgericht
den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 21. September 2022 gegen den zu diesem
Zeitpunkt nur mündlich verkündeten Sofortvollzug hinsichtlich des Entzugs seiner Zulassung als Vertragsarzt. Er sei zu einer
Anordnung des Sofortvollzugs nicht angehört worden. Seine Parkinson-Erkrankung führe zwar zu körperlichen Symptomen wie Bewegungsstörungen,
verlangsamten Bewegungen, Zittern und einer instabilen Körperhaltung. Seine geistige Verfassung sei von der Erkrankung allerdings
nicht betroffen. Für die von dem Antragsgegner aus seinen körperlichen Symptomen gezogenen Rückschlüsse auf seine geistige
Verfassung und auf seine Eignung als Vertragsarzt fehle es an einer ausreichenden Grundlage, selbst wenn an der Entscheidung
ein Allgemeinmediziner, eine Urologin und ein Laborarzt mitgewirkt haben. Die Voraussetzungen für die Anordnung des Sofortvollzugs,
der faktisch wie ein vorläufiges Berufsverbot wirke, würden nicht vorliegen. Die Grundlagen der Entscheidung des Antragsgegners
- angeblich nicht ordnungsgemäß ausgeführte Anamnesen im Zusammenhang mit dem Ausstellen von Impfattesten - seien nicht nachgewiesen.
Dem selbsternannten investigativen Journalisten sei es um eine Sensationsmeldung gegangen; als Einzelfall komme ihm keinerlei
Beweiswert zu. Die Zulassungsentziehung habe Zukunftsbezug, jedoch habe sich die Thematik "Impfatteste" zwischenzeitlich erledigt.
Angesichts weiterhin anfallender laufender Praxiskosten habe die Anordnung des Sofortvollzugs für ihn verheerende wirtschaftliche
Konsequenzen.
In seiner Erwiderung hat der Antragsgegner den Ablauf der mündlichen Verhandlung am 14. September 2022 geschildert und seine
daran anschließende Entscheidung bekräftigt. Insbesondere die ärztlichen Mitglieder habe das Abrechnungsverhalten und die
Einlassungen des Antragstellers verwundert und sie hätten nicht den Eindruck gehabt, dass der Antragsteller den Anforderungen
einer ärztlichen Praxis noch gewachsen sei. Der Antragsteller habe nicht geschildert, wieviel Zeit er sich für die Patienten
genommen habe und welche Untersuchungen er durchgeführt habe, um die Angststörungen feststellen zu können. Da der Erkrankungszustand
des Antragstellers nicht bekannt gewesen sei, habe er dazu und zu der Anordnung des Sofortvollzugs nicht angehört werden können.
Das Sozialgericht Kiel hat den Antrag mit Beschluss vom 16. Oktober 2022 unter Hinweis auf die Begründung des Antragsgegners
für dessen Entscheidung abgewiesen.
Gegen den am 18. Oktober 2022 zugestellten Beschluss richtet sich die am 27. Oktober 2022 eingegangene Beschwerde des Antragstellers,
mit der er sein Anliegen aufrechterhält. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei nur unter den vom Bundesverfassungsgericht gezogenen
engen Voraussetzungen zulässig, die hier nicht vorliegen würden.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichtes Kiel vom 16. Oktober 2022 abzuändern und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen
den mündlichen Bescheid des Antragsgegners vom 14. September 2022 und den schriftlichen Bescheid des Antragsgegners vom 5.
Oktober 2022, mit dem der Sofortvollzug der Aufhebung seiner Vertragsarztzulassung angeordnet wurde, wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hat angemerkt, dass der Berufungsausschuss voraussichtlich am 15. Dezember 2022 über den Widerspruch entscheiden werde.
Im Übrigen verkenne der Antragsteller die Auswirkungen seiner fortgeschrittenen Erkrankung an Parkinson auf seine Entscheidungen
als Arzt. Selbst wenn die jetzigen Virusvarianten seltener einen schweren Krankheitsverlauf verursachten, sei zu berücksichtigen,
dass der Antragsteller am 14. September 2022 keine vertiefte Diskussion habe führen können, keine Einsicht gezeigt und den
Eindruck vermittelt habe, der Situation nicht gewachsen zu sein. Es sei davon auszugehen, dass er auch weiterhin entsprechende
Atteste ausstellen werde. Darüber hinaus sei zu bedenken, dass für über 4.400 Patienten mit einer unterstellten Kontaktzeit
von 10 Minuten - ohne längere Gespräche für die Diagnose einer generalisierten Angststörung - eine Quartalsarbeitszeit von
733,33 Stunden bzw bei 65 Arbeitstagen eine tägliche Arbeitszeit von 11,28 Stunden erreicht werde.
Der Antragsgegner hat auf Anfrage des Gerichts ergänzend mitgeteilt, dass es kein Protokoll der Sitzung vom 14. September
2022 gebe, ihm damals keine ärztlichen Unterlagen über den Antragsteller und keine Unterlagen über Patienten des Antragstellers
vorgelegen hätten. Im Mittelbereich I seien aktuell noch eineinhalb Stellen nicht besetzt, jedoch liege keine Unterversorgung
vor. In einem Umkreis von 10 km gebe es Hausarztpraxen in H1, K und I.
Dem Gericht haben die Verwaltungsvorgänge des Antragstellers, die Entscheidung der beigeladenen KV vom 12. Juli 2022 nebst
Anlagen sowie die aktenkundigen Unterlagen und Schriftsätze der Beteiligten vorgelegen.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, die aufschiebende
Wirkung des von dem Antragsteller eingelegten Widerspruchs wiederherzustellen.
1. Nach §
86b Abs
1 S 1 Nr
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen ganz oder teilweise anordnen, in denen
Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Dies ist hier der Fall. Der Antragsgegner hat mit seiner
Entscheidung vom 14. September 2022 - ausgefertigt am 5. Oktober 2022 - auf der Grundlage von §
86a Abs
2 Nr
5 SGG die sofortige Vollziehung des Entzugs der vertragsärztlichen Zulassung angeordnet. Damit entfällt die grundsätzlich in §
86a Abs
1 Satz 1
SGG vorgesehene aufschiebende Wirkung eines dagegen vom Antragsteller eingelegten Widerspruchs. Der Antrag nach §
86b Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGG - gerichtet auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs - ist statthaft zur vorläufigen Abwehr
von Rechtsbeeinträchtigungen, die durch die sofortige Vollziehbarkeit eines noch nicht bestandskräftigen Verwaltungsaktes
drohen.
2. a) Die rechtlichen Maßstäbe, nach denen über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels
entschieden wird, sind dem Gesetz selbst nicht zu entnehmen. Es ist aber anerkannt, dass das Gericht - entsprechend der Vorgabe
in §
86a Abs
2 Nr
5 SGG - zunächst die formelle Rechtmäßigkeit der Vollzugsanordnung prüft und bei einem möglichen Mangel die aufschiebende Wirkung
des eingelegten Rechtsmittels wiederherstellt. Entsprechendes gilt für die Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der Vollzugsanordnung.
Sofern die Prüfung keinen Fehler bei der behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs oder bei dem dieser Anordnung zugrundeliegenden
Verwaltungsakt ergibt, hat das Gericht im Rahmen einer eigenen Entscheidung eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen,
in die die betroffenen Interessen des Antragstellers und das öffentliche Interesse an der Vollziehung einzubeziehen sind (Landessozialgericht <LSG> Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17. Juli 2012 - L 3 KA 48/12 B ER - juris Rn 19; Beschluss vom 4. März 2020 - L 3 KA 2/20 B ER).
b) Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben kann die Entscheidung des Antragsgegners, die sofortige Vollziehung des Zulassungsentzugs
anzuordnen, keinen Bestand haben.
aa) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Entzugs der vertragsärztlichen Zulassung in dem Beschluss des Antragsgegners
vom 14. September 2022 greift in die von Art
12 Grundgesetz (
GG) geschützte Berufsfreiheit des Antragstellers ein. Die Abweichung von der im Gesetz grundsätzlich vorgesehenen aufschiebenden
Wirkung des Rechtsbehelfs (§
86a Abs
1 Satz 1
SGG) - hier des Widerspruchs des Antragstellers vom 21. September 2022 gegen die Entscheidung des Antragsgegners vom 14. September
2022 - stellt einen selbständigen Eingriff in das Grundrecht aus Art
12 Abs
1 GG dar. Dem Antragsteller wird schon vor der rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache die Möglichkeit genommen, sich weiterhin
vertragsärztlich zu betätigen. Damit liegt jedenfalls eine der Berufswahl nahekommende Berufsausübungsregelung vor, die nur
zur Sicherung besonders wichtiger Interessen der Allgemeinheit zulässig ist. Da die durch den Sofortvollzug bewirkten Beschränkungen
angesichts des hohen Anteils der gesetzlich krankenversicherten Patienten einem vorläufigen Berufsverbot zumindest nahekommen,
sind sie - wie dieses - nur unter strengen Voraussetzungen zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter und
unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft. Allein die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren
zum Nachteil des Betroffenen ausgehen wird, reicht mithin nicht aus. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung setzt vielmehr
voraus, dass überwiegende öffentliche Belange es auch mit Blick auf die Berufsfreiheit des Betroffenen rechtfertigen, seinen
Rechtsschutzanspruch gegen die Grundverfügung einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen
Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände
des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens
- und damit während der Dauer des Hauptsacheverfahrens - konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt
oder nicht (Bundesverfassungsgericht<BVerfG>, Stattgebender Kammerbeschluss vom 8. November 2010 - 1 BvR 722/10 - Rn 12, 13). Dabei müssen sowohl für als auch gegen den antragstellenden Vertragsarzt sprechenden Umstände sorgfältig gewürdigt und gegeneinander
abgewogen werden und es müssen Feststellungen zur Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts getroffen werden (BVerfG aaO Rn 16,18).
bb) Zwar ist die formelle Rechtmäßigkeit der in der am 5. Oktober 2022 ausgefertigten Entscheidung vom 14. September 2022
getroffenen behördlichen Anordnung nach §
86a Abs
2 Nr
5 SGG zu bejahen. Die Anordnung durch die Behörde ist zu begründen, jedoch kein Verwaltungsakt, denn sie schließt kein Verwaltungsverfahren
ab (§ 8 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X) und enthält auch keine "Regelung" iSd § 31 SGB X. Sie kann mit dem Verwaltungsakt verbunden werden oder später ergehen. Da es sich bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, ist auch eine Anhörung nach
§ 24 SGB X nicht erforderlich. Darüber hinaus würde eine vorherige Anhörung unter Berücksichtigung einer Anhörungsfrist Sinn und Zweck
der sofortigen Vollziehung entgegenstehen (Jüttner/Wehrhahn in: Fichte/Jüttner,
SGG, 3. Aufl. 2020, §
86a SGG [Aufschiebende Wirkung bei Verwaltungsakten], Rn 33; vgl Richter in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 2. Aufl., §
86a SGG <Stand: 15. Juni 2022>, Rn 52, 56).
Der Antragsgegner hat außerdem die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Entzugs der Zulassung formell in ausreichender
Weise damit begründet, dass der Antragsteller in einer hohen Zahl von Fällen ohne ausreichende Anamnese eine generalisierte
Angststörung diagnostiziert und Atteste zur Befreiung von der Impfpflicht ausgestellt habe, diese Vorgänge mit der KV abgerechnet
habe und dadurch zum einen das Vertrauen der an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Institutionen nachhaltig gestört
sei und zum anderen Zweifel daran bestünden, dass der Antragsteller aufgrund seiner Parkinsonerkrankung in der Lage sei, zuverlässige
ärztliche Feststellungen zu treffen.
cc) Davon, dass mit dieser Begründung der Sofortvollzug der mit sofortiger Wirkung entzogenen Zulassung zur vertragsärztlichen
Versorgung zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter erforderlich ist, ist der Senat allerdings nicht überzeugt.
Dabei wird nicht verkannt, dass die von dem Antragsgegner vorgebrachten Gründe zumindest abstrakt geeignet sind, die Entziehung
einer Zulassung zu rechtfertigen; auch könnte sich die Entscheidung vom 14. September 2022 nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens
noch als rechtmäßig erweisen. So ist nach §
95 Abs
6 Satz 1
SGB V eine vertragsärztliche Zulassung zu entziehen, wenn die Voraussetzungen dafür - insbesondere die gesundheitliche Eignung
im Sinne von § 21 Ärzte-ZV - nicht mehr vorliegen oder der Vertragsarzt seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt hat. Gröbliche Pflichtverletzungen
im Sinne von §
95 Abs
6 Satz 1
SGB V rechtfertigen eine Entziehung der Zulassung (aber nur) dann, wenn sie den Arzt als ungeeignet für die Teilnahme an der vertragsärztlichen
Versorgung erscheinen lassen. Eine Ungeeignetheit liegt daher in der Regel vor, wenn die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen
Versorgung durch das Verhalten des Arztes in erheblichem Maße verletzt wird und das Vertrauensverhältnis zu den Krankenkassen
und den Versicherten tief und nachhaltig gestört ist. Ungeeignetheit kann sich dabei insbesondere aus manipulierten Abrechnungen
ergeben, die das zur reibungslosen Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung als Verwaltungsaufgabe notwendige Vertrauensverhältnis
so schwer stören, dass den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet
werden kann (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 26. September 2016 - 1 BvR 1326/15 - juris Rn 40).
Danach können sowohl eine Vielzahl fehlerhaft abgerechneter Leistungen als auch eine neurodegenerative Erkrankung wie Parkinson
geeignet sein, den Entzug einer Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zu rechtfertigen. Ob auch das ungerechtfertigte
Ausstellen von Attesten über medizinische Kontraindikationen für eine COVID-19-Schutzimpfung iSv § 20a Abs 1 Satz 2, Abs 2 Nr 4 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) abstrakt geeignet sein kann, das Vertrauen der Institutionen der vertragsärztlichen Versorgung in die Zusammenarbeit mit
dem Vertragsarzt zu erschüttern, ist jedoch offen und muss im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen
Prüfung der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. .
Zu bedenken ist allerdings, dass sich auf der derzeit von dem Antragsgegner herangezogenen Tatsachengrundlage weder abschließend
prüfen noch bei summarischer Prüfung prognostizieren lässt, ob sich die Entscheidung vom 14. September 2022 in einem Hauptsacheverfahren
als rechtmäßig oder rechtswidrig erweisen wird. Die Annahme massenhaft ohne ausreichende Anamnese oder Untersuchung ausgestellter
Atteste über medizinische Kontraindikationen für eine COVID-19-Schutzimpfung und der damit einhergehenden fehlerhaften Abrechnung
der Versichertenpauschalen für diese Patienten beruht auf dem Bericht eines Journalisten, der den Antragsteller an einem bestimmten
Tag mit dem Ziel der Recherche und Dokumentation seiner Erfahrung aufgesucht hat und nach eigenen Angaben an dem Tag als vorletzter
Patient die Praxis verlassen hat. Dieser Bericht ist nicht selbstredend geeignet, eine valide Tatsachengrundlage für den Rückschluss
zu bilden, dass der Antragsteller das geschilderte Verhalten tatsächlich gezeigt hat und darüber hinaus in über 4.000 Fällen
so verfahren ist mit der Folge, dass in über 4.000 Fällen die Versichertenpauschale fehlerhaft abgerechnet worden ist. Die
Annahme einer fehlerhaften Honorarabrechnung und erst Recht ein Rückschluss auf massenhafte Fehlabrechnungen bedürfen einer
belastbaren Grundlage. Insoweit sind auch die allgemeinen Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zu berücksichtigen,
die besagen, dass jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von
ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl hierzu Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG 13. Aufl, § 103 Rn 19a mwN; für eine Rückforderung BSG, Beschluss vom 28. Juni 2017 - B 6 KA 81/16 B - Rn 9, juris; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Januar 2013 - L 3 KA 34/12 B ER - Rn 30, juris). Eine belastbare Tatsachengrundlage könnte sich beispielsweise aus der Auswertung der Patientendokumentation zu der Behandlung
des Journalisten sowie der Patientendokumentation für einen oder mehrere Tage ergeben, an denen Neupatienten die Praxis aufgesucht
haben und der Verdacht besteht, der Antragsteller habe ohne hinreichende Anamnese oder Untersuchung eine generalisierte Angststörung
diagnostiziert und in der Folge eine Kontraindikation für eine COVID-19-Schutzimpfung attestiert. Ergänzend dazu könnte das
medizinische Personal des Antragstellers befragt werden, um den typischen Ablauf innerhalb der Praxis bei der Ausstellung
derartiger Atteste zu klären. Dabei können mathematisch begründete Plausibilitätsüberlegungen zu einem auffälligen Anstieg
der Fallzahlen, einem auffällig hohen Anteil an Neupatienten mit der Angabe einer bestimmten gesicherten Diagnose und zum
Zeitaufwand für 4.400 Neupatienten oder gar mehr als 6.000 Patienten ein Einstieg in eine Prüfung sein, ob fehlerhafte Abrechnungen
vorliegen, die so schwer wiegen, dass das Vertrauensverhältnis in eine weitere Zusammenarbeit mit einem Vertragsarzt nachhaltig
gestört ist. Die Schaffung einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage durch Einsicht in die Patientendokumentationen und/oder
durch eine Befragung von Zeugen können sie jedoch nicht ausschließen oder ersetzen.
Unabhängig davon weist der Senat darauf hin, dass der Kürzungsbescheid der KV vom 12. Juli 2022 - auf den sich der Antragsgegner
in dem hier streitbefangenen Beschluss über die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Zulassung des Antragstellers
zur vertragsärztlichen Versorgung ua stützt - zumindest nach einer vorläufigen Bewertung die höchstrichterlich aufgestellten
Anforderungen an eine sachlich-rechnerische Berichtigung aufgrund mindestens eines grob fahrlässigen Fehlansatzes im Quartal
durch den abrechnenden Vertragsarzt nicht erfüllen dürfte. So führt die KV dort aus, dass "schon mit der Unrichtigkeit eines
einzelnen Falles (...) die Sammelerklärung für den jeweiligen Zeitraum ihre Garantiefunktion" verlieren würde. Tatsächlich
ist demgegenüber erforderlich, dass die Abrechnung mindestens einen solchen Fehlansatz aufweist, bei dem dem Vertragsarzt
grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (grundlegend dazu BSG, Urteil vom 17. September 1997 - 6 RKa 86/95; vgl auch Clemens in: juris-PK-
SGB V, 4. Aufl 2020, §
106d Rn 342 ff mwN). In dem Kürzungsbescheid vom 12. Juli 2022 wird aber an keiner Stelle ausgeführt, inwiefern die Abrechnung der Versichertenpauschale,
die der Antragsteller im Zusammenhang mit der Ausstellung eines Attests für einen Journalisten angesetzt hat, grob fahrlässig
erfolgt sein soll. Ob der Antragsteller dabei aus Sicht der KV jedem abrechnenden Vertragsarzt bekannte bzw auf den ersten
Blick aus dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab ersichtliche Vorgaben nicht beachtet oder sogar bewusst nicht erbrachte vertragsärztliche
Leistungen abgerechnet hat, ist unklar und von der KV offensichtlich nicht weiter ermittelt worden. Auch insoweit bestehen
daher Zweifel, ob ein mit der sachlich-rechnerischen Berichtigung der KV begründeter (Sofort-)Entzug der vertragsärztlichen
Zulassung auf eine ausreichend belastbare Tatsachengrundlage gestützt werden kann.
Soweit der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner und auch schriftsätzlich im gerichtlichen Antragsverfahren eingeräumt
hat, an Parkinson erkrankt zu sein, liegt derzeit ebenfalls keine belastbare Tatsachengrundlage - hier: über den Gesundheitszustand
des Antragstellers - für die Entziehung der Zulassung vor. Zu bedenken ist, dass nicht allein eine Erkrankung oder dessen
Klassifikation als leichter, mittlerer oder schwerer Verlauf ausreicht, um von einer mangelnden Eignung auszugehen, sondern
die konkreten funktionalen Folgen einer im Einzelfall bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigung für die Fähigkeit zur
ordnungsgemäßen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit festzustellen sind (vgl BSG, Beschluss vom 13. Februar 2019 - B 6 KA 14/18 B - Rn 12, juris). Die Einschätzung der ärztlichen Mitglieder des Antragsgegners mag ein Indiz sein, ist jedoch mangels Dokumentation und eingeholter
Befunde nicht belastbar. Das Gericht kann mangels eigener medizinischer Sachkunde auch im Rahmen einer Inaugenscheinnahme
im Rahmen eines Erörterungstermins keine fundierte Entscheidung über den Gesundheitszustand des Antragstellers treffen. Ein
Zulassungsausschuss kann jedoch nach § 21 Sätze 3 und 4 Ärzte-ZV von dem Betroffenen verlangen, innerhalb einer bestimmten Zeit ein Gutachten eines vom Ausschuss bestimmten Arztes über seinen
Gesundheitszustand vorzulegen. Zumindest dann, wenn keine anderweitigen medizinischen Unterlagen über den Gesundheitszustand
des Betroffenen vorliegen, kann bzw muss der Antragsgegner -aus Sicht des Senats - auch regelmäßig davon Gebrauch machen,
bevor er eine Entscheidung über einen Entzug der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung trifft.
dd) Da vor diesem Hintergrund die voraussichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache von dem Senat als offen bewertet werden,
ist eine Abwägung der für und der gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen durchzuführen, dh ein gesteigertes Bedürfnis
an der sofortigen Vollziehbarkeit ist gegen schwerwiegende oder sogar nicht mehr umkehrbare Folgen abzuwägen (vgl LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17. Juli 2012 - L 3 KA 48/12 B ER - Rn 21 - 22, juris; Jüttner/Wehrhahn in: Fichte/Jüttner,
SGG, 3. Aufl. 2020, §
86a SGG [Aufschiebende Wirkung bei Verwaltungsakten], Rn 31).
Dabei sind die Verlässlichkeit des Abrechnungssystems und die Bereitschaft der teilnehmenden Vertragsärzte zur Einhaltung
der vertragsärztlichen Vorschriften und zur Kooperation mit den vertragsärztlichen Institutionen eine der Bedingungen für
die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung und der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung und
dienen damit der Sicherung eines besonders wichtigen Allgemeininteresses, das Beschränkungen des Art
12 Abs
1 GG grundsätzlich auch im Rahmen des Sofortvollzugs erlaubt (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 8. November 2010 - 1 BvR 722/10 - Rn 15; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 26. September 2016 - 1 BvR 1326/15 - Rn 43, juris). Ferner ist das seitens des Antragsgegners vorgebrachte Patientenwohl ein Grundrecht der von dem Antragsteller gesetzlich
krankenversicherten Patienten auf körperliche Unversehrtheit (Art
2 Abs
2 Satz 1
GG) gleichzeitig ein Gemeinschaftsgut von überragender Bedeutung.
Allerdings sind die im Frühjahr 2022 zu prüfen gewesenen Fragen des Impfstatus durch die zwischenzeitlich abgelaufenen Stichtage
des Infektionsschutzgesetzes derzeit nicht virulent. Derzeit ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich das - als wahr unterstellte - massenhaft fehlerhafte
Attestieren von Kontraindikationen für die COVID-19-Schutzimpfung wiederholt, nicht überragend groß. Ferner steht nicht im
Raum, dass dem Antragsteller nachweislich regelmäßig Fehler bei der Anwendung apparativer Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden
unterlaufen sind, die konkret zu Gesundheitsschäden von Patienten führten und weiterhin führen können. Daher stehen derzeit
keine konkret benennbaren körperlichen Schäden bei Patienten des Antragstellers zu befürchten. Sofern der Antragsgegner den
Antragsteller krankheitsbedingt für unfähig hält, Notfallpatienten zu behandeln, fehlt eine belastbare Tatsachengrundlage,
um den Eingriff in die Berufsfreiheit des Antragstellers zu rechtfertigen. Der Grundrechtsschutz nach Art
12 Abs
1 GG gebietet aber auch schon im Eilverfahren und bei der Anordnung des Sofortvollzugs, dass insoweit hinreichend belastbare Feststellungen
vorliegen, bloße Verdachtsmomente reichen also nicht (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. März 2020, L 3 KA 2/20 B ER; BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2005 - 2 BvR 485/05 - Rn 22, juris).
Einer hier zwar möglichen, aber aktuell nicht konkret gesicherten Gefahr für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter steht
gegenüber, dass die Anordnung des Sofortvollzugs der Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung angesichts der Versorgung
eines hohen Anteils gesetzlich krankenversicherter Patienten die Existenzgrundlage des Antragstellers trotz weiter anfallender
Praxis- und Personalkosten beschneidet und seine von Art
12 GG geschützte Berufsfreiheit stark eingeschränkt wird. Die vom Senat anzustellende und durchgeführte Gesamtabwägung fällt daher
auf der derzeit vorhandenen Tatsachen- und Entscheidungsgrundlage zu seinen Gunsten aus.
4. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus der Anwendung von §
197a Abs
1 Satz 1 Halbs 1
SGG iVm den §§ 47 Abs 1 Satz 1, 52 Abs 1 bis 3 Gerichtskostengesetz (GKG) und berücksichtigt, dass in Zulassungsentziehungsverfahren in der Hauptsache der quartalsbezogene Regelstreitwert von 5.000
Euro als pauschalierter Berechnungsparameter für drei Jahre bzw 12 Quartale anzusetzen ist. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
setzt der Senat ein Drittel des Streitwertes eines Hauptsacheverfahrens als Streitwert fest.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).