Gründe:
I. Die Parteien streiten um die Gewährung eines Schreibtelefons.
Die bei der Beklagten freiwillig krankenversicherte Klägerin hat seit der Kindheit lediglich eine an der Taubheitsgrenze liegende
Resthörfähigkeit im Tieftonbereich auf beiden Ohren. Mit einem Hörgerät können zwar akustische Empfindungen vermittelt werden,
nicht aber das Hören von Sprache. Ihr Ehemann und ihre beiden sechs und neun Jahre alten Kinder sind ebenfalls gehörlos. Der
Ehemann arbeitet beim Landesvermessungsamt in Koblenz; die Kinder besuchen einen Sonderkindergarten für Gehörlose und Schwerhörige
in Neuwied, sechzig Kilometer vom Wohnort Dommershausen-Dorweiler entfernt. Wenige Meter von der Wohnung der Klägerin entfernt
wohnt ihre nicht hörgeschädigte Schwiegermutter. Am Arbeitsplatz des Ehemannes und in dem Sonderkindergarten befindet sich
ein Schreibtelefon.
Schreibtelefone gibt es in unterschiedlichen Ausführungen. Eine Standardausführung von Telekom (Delegatik, Preis ca. 780,00
DM) muß über den normalen Telefonanschluß betrieben werden. Andere teurere Ausführungen wie die von der Klägerin beantragte
können wegen ihres Akkubetriebes auch über eine öffentliche Fernsprechzentrale betrieben werden und verfügen über die Möglichkeit,
längere Mitteilungen zu speichern und dann erst abzusenden. Zudem bestehen für Schreibtelefone im Bereich Koblenz Vermittlungsstellen,
die Mitteilungen zwischen Schreibtelefon und Telefon übermitteln.
Den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Schreibtelefons lehnte die Beklagte ab. Der Widerspruch blieb erfolglos. Die anschließende
Klage beim Sozialgericht (SG) hatte Erfolg.
Das zuständige Landessozialgericht (LSG) hat - auf die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten - das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen
wird u.a. ausgeführt: Das Schreibtelefon sei zwar ein Hilfsmittel. Es sei aber nicht erforderlich i.S. des §
33 Abs.
1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V), da es nicht zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt werde. Noch immer kämen Millionen
von Haushalten ohne Telefon aus, und wegen der geringen Anschlußdichte sei ein Schreibtelefon auch nicht zur Herstellung von
Kommunikation geeignet. Dies gelte auch, wenn die Hilfe von Vermittlungsstellen in Anspruch genommen werde, denn diese seien
oft nur zeitweise besetzt. Die Klägerin könne sich zur Kommunikation ihrer Schwiegermutter als Vermittlerin bedienen. Außerdem
sei die Klägerin auf die Möglichkeit zum schriftlichen Nachrichtenaustausch zu verweisen. Soweit es um die Möglichkeit gehe,
im Notfall reagieren zu können, sei nicht erkennbar, worauf dieses gestützt werde, da konkrete Gefahrmomente (wie Anfallsleiden)
nicht vorlägen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des §
33 Abs.
1
SGB V. Sie macht geltend: Was zu den elementaren Lebensbetätigungen gehöre, unterliege einem Auffassungswandel. Im Hinblick auf
die hohe Anschlußdichte müsse die Möglichkeit der Telefonbenutzung heute als ein elementares Grundbedürfnis angesehen werden.
Auch Behinderten biete das Telefon die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes, von fremder Hilfe unabhängiges Leben zu führen.
Insbesondere innerhalb des Lebensverbandes, dem sie, die Klägerin, zuzuordnen sei, d.h. Ehemann und Kindern, müsse auch bei
Ortsabwesenheit eine unmittelbare Kommunikation möglich sein.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. September 1992 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen
das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 19. März 1992 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II. Die Revision hat Erfolg. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin ein Schreibtelefon in einer Standardausführung zur
Verfügung zu stellen.
Versicherte haben im Rahmen der Krankenbehandlung (vgl. §
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
3
SGB V) u.a. Anspruch auf Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen (§
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V). Das von der Klägerin begehrte Schreibtelefon stellt für Gehörlose ein Hilfsmittel i.S. des Krankenversicherungsrechts dar.
Denn bei der Fernkommunikation gleicht es die Gehörlosigkeit aus (BSG SozR 2200 § 182b Nr. 26 und 30; siehe auch BSG SozR
3100 § 13 Nr. 6). Der Gehörlose kann mit dem Schreibtelefon an einen Dritten, der ebenfalls ein solches Telefon hat, Texte
übermitteln und von dem Empfänger schriftlich konzipierte Antworten entgegennehmen.
Zwar ist die Gewährung eines Hilfsmittels gemäß §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V dann ausgeschlossen, wenn es zu den Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens zählt, deren Anschaffung in den eigenwirtschaftlichen
Bereich des Versicherten fällt. Darunter fallen die Gegenstände, die allgemein im täglichen Leben verwendet, d.h. üblicherweise
von einer großen Zahl von Personen regelmäßig benutzt werden (vgl. BSG SozR 2200 § 182 Nr. 86; Höfler in Kasseler Kommentar,
§
33
SGB V RdNr. 22; Gerlach in Hauck/Haines,
SGB V, Kommentar, K §
33 RdNr. 14). Das ist bei Schreibtelefonen aber nicht der Fall. Sie werden in der Regel nur eingesetzt, wenn entweder ein oder
beide Teilnehmer an der Fernkommunikation gehörlos sind.
Der geltend gemachte Anspruch scheitert auch nicht an dem Begriff der Erforderlichkeit i.S. von §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V. Ein Hilfsmittel ist nach der Rechtsprechung (BSG SozR 3-2500 §
33 Nr. 3) erforderlich, wenn sein Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird. Zu
den allgemeinen Grundbedürfnissen ist dabei auch ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum zu rechnen, der die Teilnahme
am gesellschaftlichen Leben umfaßt (BSGE 66, 245, 246 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 1). Hilfsmittel, die dazu dienen, lediglich die Folgen und Auswirkungen der Behinderung in den
verschiedenen Lebensbereichen, insbesondere auf beruflichem, wirtschaftlichem und privatem Gebiet, zu beseitigen oder zu mildern,
müssen die gesetzlichen Krankenkassen jedoch nicht zur Verfügung stellen (BSGE 50, 77, 78 = SozR 2200 § 182b Nr. 17). Der Begriff der Erforderlichkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne ist inhaltlich
enger als i.S. des § 13
Bundesversorgungsgesetz [BVG] (BSG SozR 2200 § 182b Nr. 30 und 3100 § 1300 Nr. 6) und i.S. des § 40
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) i.V.m. § § 9 und 10 Eingliederungshilfe-VO. Das Versorgungsrecht und das Sozialhilferecht gleichen nämlich - im Gegensatz zum Krankenversicherungsrecht
- auch die Nachteile aus, die aufgrund einer Behinderung in unterschiedlichen Lebensbereichen auftreten (BSG SozR 2200 § 182b
Nr. 30).
In seinem Urteil vom 22. Mai 1984 (BSG SozR 2200 § 182b Nr. 30) hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) vor allem
hervorgehoben: Das Schreibtelefon wäre Gehörlosen von den gesetzlichen Krankenkassen nur dann generell zur Verfügung zu stellen,
wenn man die Benutzung des Telefons den elementaren Lebensbetätigungen zuzurechnen hätte, wenn der Versicherte also für notwendige
Verrichtungen des täglichen Lebens auf die telefonische Verständigung angewiesen wäre. Das sei indessen nicht - jedenfalls
derzeit noch nicht - der Fall. In der Bundesrepublik Deutschland verzichteten immer noch mehrere Millionen Haushalte auf den
Telefonanschluß als Mittel der Fernverständigung. Dementsprechend diene das Telefon gegenwärtig in der Regel nur den besonderen
privaten, beruflichen oder allgemein-gesellschaftlichen Bedürfnissen, nicht aber den elementaren Lebensbetätigungen seiner
Benutzer. Das Schreibtelefon stelle für einen Gehörlosen nur dann ein notwendiges Hilfsmittel i.S.d. Krankenversicherungsrechts
dar, wenn der Versicherte wegen seiner Behinderung aufgrund besonderer Umstände auf das Telefonieren mit anderen Schreibtelefonbenutzern
unumgänglich angewiesen sei (ebenso Urteil des 3. Senats des BSG vom 26. Oktober 1982 - SozR 2200 § 182b Nr. 26).
Der erkennende Senat kann offenlassen, ob dieser Rechtsprechung zu folgen ist oder ob nicht generell anerkannt werden muß,
daß das Schreibtelefon für Gehörlose - ohne Rücksicht auf die Zahl der Telefonanschlüsse in der Bundesrepublik - ein erforderliches
Hilfsmittel ist. Bei der Klägerin liegt nämlich eine besondere Situation vor, die es - auch unter Berücksichtigung der vom
3. und 8. Senat entwickelten Grundsätze - rechtfertigt, die Leistungspflicht der Beklagten zu bejahen. Der Ehemann der Klägerin
und ihre Kinder sind ebenfalls gehörlos und halten sich während eines Teils des Tages außerhalb des Hauses an anderen Orten
auf. In dieser Zeit können die Familienangehörigen nur telefonisch miteinander in Verbindung treten. Es mag sein, daß sich
die Klägerin zur Kommunikation einer hörfähigen Person (zB ihrer Schwiegermutter) bedienen und damit ein normales Telefon
benutzen könnte. Die Beklagte darf sie jedoch nicht hierauf verweisen. Denn auch bei der Anwendung sozialrechtlicher Leistungsvorschriften
ist der verfassungsrechtlich garantierte Schutz der Privatsphäre (vgl. dazu Art.
2 Abs.
1 i.V.m. Art.
1 Abs.
1 des Grundgesetzes [
GG]; BVerfGE 35, 35, 39), insbesondere in der Ehe und Familie (vgl. Art.
6 Abs.
1
GG; BVerfGE 42, 234, 236) zu beachten, d.h. es sind diejenigen Leistungen zu gewähren, die der Schutz der Privatsphäre des Versicherten und seiner
Familie erfordert. Dazu gehört aber für einen Gehörlosen die durch ein Schreibtelefon gegebene Möglichkeit, unmittelbar mit
seinem Ehepartner oder seinen Kindern Mitteilungen auszutauschen.
Der begehrten Leistung steht auch nicht das Gebot der Zweckmäßigkeit (§
12 Abs.
1
SGB V) entgegen. Die Kommunikation kann auf die von der Klägerin gewünschte Weise erfolgen. Der Arbeitsplatz des Ehemannes und
der Sonderkindergarten, in dem sich ihre Kinder tagsüber aufhalten, verfügen über Schreibtelefone. Die zusprechende Entscheidung
des SG ist jedoch hinsichtlich des Umfangs der Leistung zu ändern. Die Klägerin kann nur ein Schreibtelefon in einer Standardausführung
(zB das Telekomgerät "Delegatik") verlangen. Dies folgt aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des §
12 Abs.
1 Satz 2
SGB V. Danach können Versicherte Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, nicht beanspruchen, die Leistungserbringer
dürfen sie nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Für die Kommunikation zwischen der Klägerin und ihren Familienangehörigen
genügt ein einfaches Schreibtelefon. Mit diesem Gerät kann sie von ihrer Wohnung aus ihren Ehemann und ihre Kinder erreichen
und Nachrichten an diese übermitteln sowie Mitteilungen von ihren Familienangehörigen empfangen. Es ist nicht notwendig i.S.
von §
12 Abs.
1
SGB V, daß sie ein wesentlich teureres Gerät erhält, das sich auch in Telefonzellen verwenden läßt und mit dem die Klägerin längere
Mitteilungen speichern kann, um die Telefonkosten zu reduzieren.
Daß die Kosten für ein Standardtelefon, das einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens darstellt, abzuziehen sind (vgl.
BSGE 42, 229, 231 f = SozR 2200 § 182b Nr. 2), hat bereits das SG in seiner Entscheidung berücksichtigt.
Nach alledem war - unter Aufhebung des Urteils des LSG - die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Beklagte der Klägerin lediglich ein Schreibtelefon in einer Standardausführung zu
gewähren hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.