Kindergeld; Berufsausbildung; Krankheitszeiten - Vorbereitung auf eine Wiederholungsprüfung in Eigenverantwortung als Berufsausbildung
Tatbestand:
Strittig ist, ob der Kläger für seinen am 21. März 1984 geborenen Sohn "A" für die Zeit von September 2005 bis Dezember 2005
Anspruch auf Kindergeld hat.
"A" befand sich vom 1. September 2001 bis zum 28. Februar 2005 bei der "B"AG in einer Berufsausbildung zum Chemielaboranten
(Kindergeldakte - KG-Akte - Bl. 23, 29 u. 49). Die Ausbildung wurde bis zum 31. August 2005 verlängert (KG-Akte Bl. 60). "A"
nahm, weil er die Abschlussprüfungen nicht bestanden hatte, sowohl im Sommer 2005 als auch im Winter 2005/06 an ersten Wiederholungsprüfungen
der Abschlussprüfungen teil. Er bestand auch diese, vor der Industrie- und Handelskammer abzulegenden Prüfungen nicht (Gerichtsakte
Bl. 31 ff.). Seine bis August 2005 von der "B" AG bezogene Ausbildungsvergütung belief sich abzüglich der Arbeitnehmeranteile
zur gesetzlichen Sozialversicherung auf 5.426,57 Euro. Die "B" Betriebskrankenkasse bestätigte ihm mit Schreiben vom 22. Dezember
2005, dass er in der Zeit vom 29. Juni 2005 bis zum 31. Dezember 2005 arbeitsunfähig krank gewesen sei. Er habe vom 11. August
2005 bis zum 31. Dezember 2005 Krankengeld in Höhe von 2.746,68 Euro erhalten, von dem Beiträge zur Renten- und Pflegeversicherung
sowie zur Bundesagentur für Arbeit in Höhe von insgesamt 439,92 Euro einbehalten worden seien (Gerichtsakte Bl. 40).
Die Beklagte hob die Festsetzung des Kindergeldes für "A" durch Bescheid vom 30. Juni 2006 ab September 2005 auf (KG-Akte
Bl. 96 f.). Sie begründete dies damit, dass "A" seine Berufsausbildung beendet habe. Für die Zeit von Januar 2005 bis August
2005 verfügte sie am selben Tag die Auszahlung des Kindergeldes in Höhe von 1.232 Euro (KG-Akte Bl. 98). Den Einspruch, mit
dem der Kläger unter Hinweis auf die Erkrankung des "A" von Juni bis Dezember 2005 den Anspruch auf Kindergeld für die Zeit
von September bis Dezember 2005 weiterverfolgte, wies sie durch Einspruchsentscheidung vom 28. September 2006 als unbegründet
zurück.
Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass "A" Berufsausbildung erst beendet gewesen sei, nachdem
er auch die Prüfung im Dezember 2005 nicht bestanden habe. Die Erkrankung habe keinen Einfluss darauf, dass er sich bis dahin
in Berufsausbildung befunden habe (H 32.5 [Unterbrechungszeiten] des Amtlichen Einkommensteuer-Handbuchs - EStH - 2005). Wegen
seines weiteren Vorbringens wird auf die Klageschrift und den Schriftsatz vom 12. April 2007 verwiesen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 30. Juni 2006 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 28. September 2006 aufzuheben und die Beklagte
zu verpflichten, für seinen Sohn "A" für die Zeit von September 2005 bis Dezember 2005 Kindergeld festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zwar könne ein Kind, das während einer Ausbildung krank werde, weiterhin berücksichtigt werden, wenn es die Absicht habe,
die Ausbildung nach der Erkrankung zum frühestmöglichen Zeitpunkt wieder aufzunehmen. Die Erkrankung selbst sei jedoch kein
Berücksichtigungstatbestand. Die Vorbereitung auf eine Wiederholungsprüfung außerhalb eines Ausbildungsverhältnisses stelle
zudem keine Ausbildung i. S. von §
32 Abs.
4 Satz 1 Nr.
2 Buchstabe a
EStG mehr dar. "A" Ausbildungsverhältnis, das planmäßig ausgestaltet und auf ein bestimmtes Ausbildungsziel gerichtet gewesen
sei, sei zu Beginn des Monats September 2005 bereits beendet gewesen. Die eigeninitiativ durchgeführte Vorbereitung auf die
Wiederholungsprüfung Ende 2005 sei keine (weitere) Berufsausbildung im Sinne der gesetzlichen Bestimmung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet. Die im Bescheid vom 30. Juni 2006 ausgesprochene Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab September
2005, die als Ablehnung auszulegen ist, Kindergeld für September 2005 bis Dezember 2005 festzusetzen, ist rechtswidrig. Sie
verletzt den Kläger in seinen Rechten. "A" befand sich auch während dieses Zeitraums in Berufsausbildung. Da auch alle sonstigen
Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch erfüllt sind, war die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für diesen Zeitraum
festzusetzen.
1. Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wurde - solange es das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat - nach §
32 Abs.
4 Satz 1 Nr.
2 Buchstabe a
EStG in der während des Streitzeitraums geltenden Fassung berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wurde.
a) Berufsausbildung i. S. von §
32 Abs.
4 Satz 1 Nr.
2 Buchstabe a
EStG ist jede Ausbildung für einen künftigen Beruf. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht
hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich
um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs
geeignet sind. Die Ausbildungsmaßnahme muss nicht in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sein. Die steuerliche
Leistungsfähigkeit der Eltern ist auch dann gemindert, wenn sich Kinder unabhängig von vorgeschriebenen Studiengängen in Ausbildung
befinden und von ihren Eltern unterhalten werden (vgl. dazu Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFHE - 189, 88, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1999, 701; VI R 34/98, BFHE 189, 95, BStBl II 1999, 705; VI R 50/98, BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706; VI R 92/98, BFHE 189, 103, BStBl II 1999, 708; VI R 143/98, BFHE 189, 107 , BStBl II 1999, 710, und VI R 16/99, BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713).
Die Vorbereitung auf eine Wiederholungsprüfung gehört auch dann noch zur Berufsausbildung, wenn der Auszubildende während
dieser Zeit nicht mehr in einem Ausbildungsverhältnis steht, sondern sich eigenverantwortlich darauf vorbereitet. Nach § 21 Abs. 3 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) in der ab dem 1. April 2005 geltenden Fassung (zuvor: § 14 Abs. 3 BBiG a. F.) verlängert sich ein Berufsausbildungsverhältnis bei Nichtbestehen der Abschlussprüfung auf Verlangen des Auszubildenden
zwar nur bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung, höchstens um ein Jahr, weshalb "A" Ausbildung bei der "B" AG mit Ablauf
des Monats August 2005 beendet war. Auch §
15 Abs.
3 Nr.
4 des Berufsausbildungsförderungsgesetzes (
BAföG) sieht Ausbildungsförderung für den Fall, dass die Förderungshöchstdauer infolge des erstmaligen Nichtbestehens der Abschlussprüfung
überschritten wird, nur für eine "angemessene Zeit" vor. Aus diesen Vorschriften folgt jedoch nicht, dass die Ausbildung i.
S. von §
32 Abs.
4 Satz 1 Nr.
2 Buchstabe a
EStG nach Ablauf des Berufsausbildungsverhältnisses bzw. der angemessenen Zeit beendet ist. Nach §
15 b Abs.
3 Satz 1
BAföG endet die Ausbildung erst mit dem Bestehen der Abschlussprüfung des Ausbildungsabschnitts oder, wenn eine solche nicht vorgesehen
ist, mit der tatsächlichen planmäßigen Beendigung des Ausbildungsabschnitts. Dies gilt nach Auffassung des Gerichts über den
Bereich der Ausbildungsförderung hinaus auch für die Bestimmungen über das steuerrechtliche Kindergeld und nicht nur für Ausbildungsabschnitte,
sondern darüber hinaus für die Ausbildung im Ganzen. Auch nach den die Beklagte bindenden Weisungen des vormaligen Bundesamtes
für Finanzen ist ein Auszubildender, der die Abschlussprüfung nicht besteht, weiter als Kind in Berufsausbildung zu berücksichtigen,
wenn sich das Ausbildungsverhältnis auf sein Verlangen bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung verlängert, er zur Prüfung
zugelassen wird und - wie im Streitfall - seine Berufsausbildung nicht durch Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit unterbricht
(vgl. DA 63.3.2.6. Abs. 5 Satz 4 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt
des Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG - vom 5. August 2004, BStBl I 2004, 742). Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, die Vorbereitung auf eine Wiederholungsprüfung im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses
anders zu behandeln als die Vorbereitung auf eine solche Prüfung ohne Fortbestehen des Ausbildungsverhältnisses. Sollte eine
derartige Differenzierung im Hinblick auf die Anweisung in DA 63.3.2.1 DA-FamEStG gewollt sein, so könnte sich das Gericht
ihr aus den im Urteil vom 21. Februar 2006 10 K 171/03 Kg (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2006, 1073) dargelegten Gründen nicht anschließen. Das Gericht folgt vielmehr den Entscheidungen des Finanzgerichts (FG) Baden-Württemberg
vom 22. April 1999 (6 K 137/98, nicht veröffentlicht, juris) und des Hessischen FG vom 23. Februar 2006 (2 K 644/03, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst - DStRE - 2006, 1452), wonach es für die Frage, ob sich ein Kind, das sich auf eine Wiederholungsprüfung vorbereitet, kindergeldrechtlich weiterhin
in Berufsausbildung befindet, nicht auf das Fortbestehen des Ausbildungsverhältnisses ankommt, sondern nur darauf, ob es sich
ernstlich auf die Wiederholungsprüfung vorbereitet.
b) "A" Erkrankung hat seine Berufsausbildung nicht unterbrochen. Krankheitszeiten sind nicht als Unterbrechung einer Berufsausbildung
zu werten, wenn die Krankheit nicht so schwerwiegend ist, dass sie ein Erreichen des Ausbildungsziels voraussichtlich verhindert
(vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 47/02, BFHE 203, 106, BStBl II 2003, 848; H 32.5 [Unterbrechungszeiten] EStH 2005; DA 63.3.2.7 DA-FamEStG). Dafür ist im Streitfall nichts ersichtlich. Der Kläger
hat erklärt, dass "A" an einer schmerzhaften Gelenkentzündung litt, die mittlerweile aber wieder abgeheilt ist (Gerichtsakte
Bl. 47). Das Gericht stuft eine derartige Erkrankung nicht als so schwerwiegend ein, dass sie eine Vorbereitung auf eine Prüfung
unmöglich macht. "A" Teilnahme an den Wiederholungsprüfungen zeigt vielmehr, dass die Erkrankung ungeachtet der längeren Dauer
weder seine Ausbildungsfähigkeit noch seine Ausbildungsbereitschaft so beeinträchtigt hat, dass ein ernsthaftes Anstreben
des Ausbildungsziels und damit eine Berufsausbildung i. S. von §
32 Abs.
4 Satz 1 Nr.
2 Buchstabe a
EStG nicht mehr angenommen werden könnte. "A" befand sich vielmehr das ganze Jahr 2005 hindurch im Sinne dieser Vorschrift in
Berufsausbildung.
2. Die Einkünfte und Bezüge des Kindes im Jahr 2005 überschreiten nicht den Grenzbetrag in Höhe von 7.680 Euro. Die Beklagte
hat die Einkünfte für den Zeitraum Januar 2005 bis August 2005 unter Abzug des anteiligen Arbeitnehmer-Pauschbetrags zutreffend
mit einem Betrag von 4.813,24 Euro berechnet (KG-Akte Bl. 95). Die Bezüge in Gestalt des Krankengeldes (vgl. DA 63.4.2.3 Abs.
2 Satz 1 Nr. 1 DA-FamEStG) belaufen sich auf (2.746,68 Euro ./. 439,92 Euro =) 2.306,76 Euro, nach Abzug der zeitanteiligen
Kostenpauschale (180 Euro x 4/12 =) auf 2.246,76 Euro. Einkünfte und Bezüge zusammen betragen demnach 7.060 Euro.
Die Voraussetzungen der §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. 32 Abs.
1 Nr.
1,
64 Abs.
2 Sätze 1 und 2
EStG sind offensichtlich gegeben. Die Sache ist daher spruchreif (§ 101 Satz 1 FGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. den §§
708 Nr.
10,
711 der
Zivilprozessordnung.
Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Der BFH hat im Urteil vom 19. Februar 2002 VIII R 90/01 (Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 2002, 1023) ausdrücklich offen gelassen, ob die Zeit, in der sich ein Kind auf eine Nachprüfung vorbereitet, als Berufsausbildung i.
S. von §
32 Abs.
4 Satz 1 Nr.
2 Buchstabe a
EStG anzusehen ist.