SGB-II-Leistungen
Einstweiliger Rechtsschutz
EU-Ausländer
Besondere Härte
Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der am 00.00.1972 geborene Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger. Er lebt seit Januar 2013 in Deutschland. Von September
2014 bis April 2015 hatte er im Bereich Akustik- und Trockenbau ein Gewerbe angemeldet.
Am 18.04.2016 beantragte er beim Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II. Dabei gab er an, er habe das Gewerbe aufgeben müssen. Er habe keine Aufträge und kein Geld bekommen. Seitdem er das Gewerbe
abgemeldet habe, sei er nicht mehr berufstätig. Er lebe bei einem guten Freund unter der Adresse S-Straße 00 in C.
Mit Bescheid vom 28.04.2016 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
mit der Begründung ab, dass er ein Aufenthaltsrecht in Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitsuche habe. Die Entscheidung
beruhe auf § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II. Auf den am 09.05.2016 eingelegten Widerspruch ergänzte der Antragsgegner die Begründung mit Schreiben vom 07.06.2016 dahingehend,
dass der Antragsteller laut den beim Antragsgegner vorliegenden Unterlagen am 15.01.2013 eingereist sei und im Zeitraum von
September 2014 bis April 2015 selbstständig tätig gewesen sei. Es handele sich dabei um acht Monate. Das Recht auf Freizügigkeit
unter Weiterführung des Arbeitnehmerstatus bleibe nur während der Dauer von sechs Monaten nach Beendigung einer weniger als
ein Jahr andauernden Beschäftigung erhalten.
Am 10.06.2016 wandte der Antragsteller sich mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz an das Sozialgericht Dortmund
(SG). Mit Beschluss vom 11.07.2016 verpflichtete das SG die in diesem Verfahren beigeladene Stadt C zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII i.H.v. 404 EUR monatlich. Auf die daraufhin eingelegte Beschwerde der Beigeladenen änderte das Landessozialgericht (LSG)
Nordrhein-Westfalen diesen Beschluss mit Beschluss vom 06.09.2016 dahingehend ab, dass der Antragsgegner im Wege der einstweiligen
Anordnung verpflichtet werde, Leistungen i.H.v. 404 EUR monatlich vom 16.06.2016 bis zum 31.12.2016, längstens bis zur rechtskräftigen
Entscheidung in der Hauptsache zu zahlen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2016 wies der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 28.04.2016
zurück. Dagegen richtet sich die am 13.10.2016 unter dem Aktenzeichen S 32 AS 4878/16 beim SG erhobene Klage, die weiterhin dort anhängig ist.
Mit einem an den Antragsgegner gerichteten Schreiben vom 28.12.2016 beantragte der Antragsteller, ihm auch ab Januar 2017
weiterhin Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen.
Am 29.12.2016 hat der Antragsteller erneut einstweiligen Rechtsschutz beim SG beantragt mit dem Ziel, Leistungen für die Zeit vom 01.01.2017 bis zum 30.06.2017 zu erhalten. Er befinde sich in ärztlicher
Behandlung, wobei der Verdacht auf einen Tumor in der linken Brust bestehe. Er sei mittellos und auf die Leistungen angewiesen.
Der Antragsteller hat seinem Antrag ein ärztliches Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin N vom 12.12.2016 beigelegt,
das eine spastische Bronchitis und ein Lungenemphysem beidseits bescheinigt. Der Antragsteller sei in konservativer medikamentöser
Behandlung und für die Dauer eines Jahres nicht in der Lage, irgendeine Arbeit auszuüben.
Der Antragsgegner ist weiterhin der Auffassung gewesen, dass der Antragsteller von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei, weil sich sein Recht zum Aufenthalt allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Für den Fall, dass der
Antragsteller - wie im vorgelegten Attest bescheinigt - für die Dauer eines Jahres keinerlei Tätigkeiten ausüben könne, erfülle
er auch die Leistungsvoraussetzungen gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht.
Mit Beschluss vom 01.03.2017 hat das SG den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Der insgesamt zulässige Antrag sei unbegründet. Der Antragsteller
habe weder einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gegenüber dem Antragsgegner noch einen Anspruch auf Sozialhilfe-Leistungen nach dem SGB XII gegenüber der Beigeladenen. Dies gelte unabhängig von der Frage der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers. Der Antragsteller
sei entweder nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) SGB II oder nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a) SGB II in der seit dem 29.12.2016 geltenden Fassung vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Einen Auslegungsspielraum könne das Gericht nicht erkennen. Eine Härtefallregelung halte das SGB II nicht bereit. Auch ein Anspruch auf vorläufige Leistungen aus § 41 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 SGB II bestünde nicht. Hierfür sei derzeit bereits kein "passendes" Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Auch eine
Verpflichtung des Antragsgegners gemäß §
43 SGB I komme nicht in Betracht, da jedenfalls nach der seit dem 29.12.2016 geltenden Rechtslage laufende existenzsichernde Leistungen
auch nach dem SGB XII ausgeschlossen seien. Insofern komme auch die Verpflichtung der Beigeladenen zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB XII nicht in Betracht. Über einen etwaigen Anspruch auf Überbrückungsleistungen oder eine Reisekostenübernahme nach § 23 Abs. 3 S. 3 und Abs. 3a S. 1 SGB XII sei nicht zu entscheiden gewesen, da diese Leistungen im Verhältnis zu laufenden Leistungen zur Existenzsicherung ein aliud
darstellten. Dasselbe gelte für eine Leistungsgewährung aufgrund der Härtefallregelung des § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII.
Der Antragsteller hat gegen den seinem Bevollmächtigten am 06.03.2017 zugestellten Beschluss am 22.03.2017 Beschwerde eingelegt.
Er behauptet, dass er nach der Abmeldung seines Gewerbes bei einem Herrn T von Juni 2015 bis November 2015 gearbeitet habe.
Derzeit sei er längerfristig erkrankt und stehe dem Arbeitsmarkt wegen dieser Erkrankung vorläufig nicht zur Verfügung, so
dass ihm jedenfalls Leistungen der Stadt C zu bewilligen seien. Es liege ein Härtefall vor, da sich der Antragsteller fortlaufend
in ärztlicher Behandlung befinde. Eine Reisefähigkeit von mehr als 100 km bestehe aus ärztlicher Sicht nicht. Darüber hinaus
verschlechtere sich der Zustand des Antragstellers zunehmend.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 01.03.2017 abzuändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung
zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe des Regelbedarfs von 404 EUR monatlich
ab dem 01.01.2017 bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30.06.2017 zu gewähren,
hilfsweise die Beigeladene vorläufig zu verpflichten, ihm monatlich 404 EUR ab dem 01.01.2017 bis zu einer bestandskräftigen
Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30.06.2017 zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beigeladene ist der Auffassung, dass die vorgelegten ärztlichen Atteste zur Glaubhaftmachung eines Härtefalles nicht geeignet
seien.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen
Vorprozessakte L 7 AS 1656/16 B ER, der beigezogenen Klageakte S 32 AS 4878/16 und der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners, der Gegenstand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.
Das SG hat es zu Recht abgelehnt, den Antragsgegner oder die Beigeladene im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem
Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu bewilligen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
ist zulässig, aber unbegründet.
Nach §
86 b Abs.
2 Satz 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für
den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei
Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch)
und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit,
sind glaubhaft zu machen (§
86 Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 ZPO). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde
Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen
Verfahren (BVerfG Beschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen
entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht
nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren
aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden.
Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005
- 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927ff).
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gegen den Antragsgegner, weil er - ungeachtet seiner Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II - gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a) SGB II aus dem Kreis der leistungsberechtigten Personen ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift sind ausgenommen von den Leistungen
nach dem SGB II Ausländerinnen und Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben. Dieser Ausschlusstatbestand ist bei dem Antragsteller erfüllt.
Obgleich es auf diese Unterscheidung nicht ankommt, weil diese Personengruppe ebenfalls vom Leistungsausschluss des § 7 Abs.
1 S. 2 Nr. 2 betroffen ist, geht der Senat davon aus, dass dem Antragsteller kein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche
zusteht. Der Antragsteller hält sich aufgrund seiner Erkrankung nicht für erwerbsfähig und steht der Vermittlung in den Arbeitsmarkt
derzeit nicht zur Verfügung. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Antragsteller über ein anderes Aufenthaltsrecht verfügt.
Insbesondere ist der Antragsteller nicht unter einem anderen Gesichtspunkt als dem der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt.
Der Antragsteller erfüllt keinen der in § 2 Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) genannten Tatbestände. Er ist weder Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU, noch selbständig Erwerbstätiger im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU. Auch erfüllt er nicht die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht für nicht Erwerbstätige nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU, da er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt. Auch die Voraussetzungen von § 2 Abs. 3 FreizügG/EU sind nicht erfüllt. Insbesondere liegt keine durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit oder Einstellung
einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr
Tätigkeit vor. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen scheitert bereits daran, dass der Antragsteller in der Bundesrepublik
Deutschland weder als Arbeitnehmer noch als Selbständiger mehr als ein Jahr tätig war.
Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch gegen die Beigeladene auf Leistungen nach dem SGB XII. Zwar haben Ausländer gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII grundsätzlich Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie
Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII. Jedoch ist der Antragsteller durch § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII von den Leistungen nach Abs. 1 der Vorschrift ausgeschlossen. Danach erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen keine
Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII und nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zwecke der Arbeitssuche ergibt. Dass
der Antragsteller von diesem Leistungsausschluss erfasst wird, ergibt sich aus dem oben gesagten.
Der Antragsteller hat keine Leistungen gemäß § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII beantragt. Danach können Leistungen gewährt werden, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken. Auch im Wege der Auslegung
lässt sich das Vorbringen des Antragstellers nicht dahingehend deuten, dass er alsbald ausreisen will und zur Überbrückung
des Zeitraums bis zur Ausreise eingeschränkte Hilfen gewährt bekommen möchte. Ein Antrag auf derartige Leistungen ist auch
nicht im Antrag auf laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes enthalten (Bayerisches LSG Beschluss vom 24.04.2017
- L 8 SO 77/17 B ER).
Soweit der Antragsteller durch die Vorlage ärztlicher Atteste und die Behauptung seiner fehlenden Reisefähigkeit Leistungen
gemäß § 23 Abs. 3 S. 3, 5 i.V.m. S. 6 2. HS SGB XII über einen Zeitraum von mehr als einem Monat geltend machen will, so besteht auch hierauf - unabhängig von seiner systematischen
Einordnung (vgl. Bayerisches LSG aaO) - kein Anspruch. Gemäß § 23 Abs. 3 S. 6 2. HS SGB XII sind Leistungsberechtigten nach S. 3 der Vorschrift Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit
dies im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten
Bedarfslage geboten ist. Für die Annahme einer besonderen Härte sind außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls erforderlich,
die dem Betroffenen ein eindeutig größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit der gesetzlichen
Regelung stets verbundenen Einschnitte (für viele: BSG Urteil vom 12.10.2016 - B 4 AS 4/16 R = SozR 4-4200 § 12 Nr. 27). Ein eindeutig größeres Opfer als die mit der gesetzlichen Regelung ohnehin verbundenen Einschnitte
sind im Falle des Antragstellers nicht zu erkennen. Regelmäßige Folge der gesetzlichen Regelung ist, dass nicht erwerbstätige
Unionsbürger, die kein anderweitiges Einkommen und kein Vermögen haben, ohne jegliche Sozialleistungen, also ohne existenzsichernde
Mittel verbleiben. Dem betroffenen Personenkreis bleibt in der Regel lediglich die Rückkehr in ihr Heimatland, um auf die
dortigen sozialen Sicherungssysteme zurückzugreifen. Dieselbe mit der gesetzlichen Regelung verbundene (regelmäßige) Härte
trifft hier den Antragsteller. Eine besondere Härte ist auch nicht darin zu erkennen, dass der Antragsteller jedenfalls derzeit
offensichtlich arbeitsunfähig ist, also aus krankheitsbedingten Gründen auch keine Aussicht auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
hat. Auch in diesem Fall trifft den Antragsteller lediglich die mit der Anwendung des Gesetzes ohnehin verbundene Härte, ähnlich
wie im Fall derjenigen, die bei der Beschäftigungssuche auf dem deutschen Arbeitsmarkt gescheitert sind.
Der Antragsteller hat darüber hinaus nicht glaubhaft gemacht, dass er krankheitsbedingt an einer Rückkehr in sein Heimatland
Polen gehindert ist. Anders als von ihm vorgetragen enthalten die vorgelegten ärztlichen Atteste keinerlei Feststellungen
zur Reisefähigkeit. Auch die dort genannten Diagnosen lassen für sich gesehen keine Rückschlüsse auf eine Reiseunfähigkeit
zu. Ohne nähere Angaben zum Schweregrad der Erkrankungen ist im Hinblick auf die genannten Diagnosen eine Reiseunfähigkeit
eher fern liegend. Aus welchem Grund der Antragsteller, wie von ihm behauptet, aufgrund einer spastischen Bronchitis und eines
Lungenemphysems beidseits nicht in der Lage sein soll, eine Zug- oder Autofahrt von mehr als 200 km zurückzulegen, ist für
den Senat nicht nachvollziehbar. Auch die von der Kardiologin Dr. U festgestellte Alkoholabhängigkeit steht einer Rückkehr
des Antragstellers in sein Heimatland nicht ohne weiteres entgegen.
Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass dieses Regelungskonzept der Leistungsausschlüsse für nicht am Arbeitsmarkt
aktive EU-Bürger verfassungswidrig ist. Insbesondere ist der Senat nicht von einem Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung
eines menschenwürdigen Existenzminimums gemäß Art.
1 Abs.
1 i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG überzeugt. Danach hat der Staat im Rahmen seines Auftrags zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen
Gestaltungsauftrages dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen zur Gewährleistung eines menschenwürdigen
Daseins zur Verfügung stehen, wenn Menschen die hierfür notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit
noch aus eigenem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zu erlangen sind (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Urteil vom 09.02.2010
- 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09). Nach der im Hinblick auf die Grundleistungen nach §
3 Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG) ergangenen Rechtsprechung des BVerfG steht dieses Grundrecht als Menschenrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen
gleichermaßen zu. Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize
für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein
kein Absinken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen (BVerfG Urteil
vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 - [...]).
Diese Vorgaben haben das Bundessozialgericht (BSG) dazu veranlasst, im Rahmen der Ermessensleistungen aus § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII im Falle eines verfestigten Aufenthaltes von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen (BSG Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R).
Zwar lässt sich diesem Ansatz des BSG nicht erfolgreich entgegenhalten, dass die Situation eines Asylbewerbers mit der eines EU-Bürgers, der von seinem Freizügigkeitsrecht
zum Zwecke der Arbeitsuche Gebrauch gemacht habe, deshalb nicht vergleichbar sei, weil der Asylbewerber - anders als der EU-Bürger,
für den die Rückkehr in das Heimatland ein zumutbares Mittel der Selbsthilfe darstelle - regelmäßig nicht in sein Herkunftsland
zurückkehren könne (SG Dortmund Beschluss vom 31.01.2017 - S 62 SO 628/16 ER). Dieser Einwand berücksichtigt nicht ausreichend,
dass gemäß §
1 Abs.
1 Nr.
5 AsylbLG auch vollziehbar ausreisepflichtige Personen zu den Leistungsberechtigten nach diesem Gesetz gehören, für die es in der Regel
ebenso gut möglich und zumutbar ist, in ihr Heimatland zurückzukehren und eine Ungleichbehandlung beider Personengruppen nicht
ohne weiteres gerechtfertigt erscheint, zumal eine Ausreisepflicht für EU-Bürger in aller Regel nicht besteht.
Auch die wiederholt vorgetragene Behauptung, der Gesetzgeber habe den Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber
dem des Herkunftslandes normiert, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei (Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz
Beschluss vom 05.11.2015 - L 3 AS 479/15 B ER; Bayerisches LSG Beschluss vom 13.10.2015 - L 16 AS 612/15 ER; SG Dortmund aaO), trägt nicht. Zum einen findet sich weder in den gesetzlichen Regelungen noch in den entsprechenden
Gesetzesmaterialien ein Anhaltspunkt dafür, dass ein solcher Nachrang kodifiziert werden sollte. Vielmehr beabsichtigte der
Gesetzgeber in erster Linie (nur) den Ausschluss des betroffenen Personenkreises aus dem deutschen Sozialleistungssystem.
Zum anderen fehlt in den oben genannten Entscheidungen aber auch jegliche Begründung dafür, warum eine solche Normierung verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden sein sollte, obwohl das BVerfG die Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht
definiert, das Deutschen wie Ausländern gleichermaßen zustehe.
Die Rechtsprechung des BVerfG zum Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II (BVerfG Beschluss vom 03.09.2014 - 1 BvR 1768/11) kann zur Überzeugung des Senates hierfür jedenfalls nicht fruchtbar gemacht werden. Die Situation von Auszubildenden und
Studenten ist nicht vergleichbar mit der hier vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a) SGB II und § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 1. Alt. SGB XII betroffenen EU-Bürger. Insbesondere hat das BVerfG im genannten Beschluss einen Verstoß gegen Art.
1 Abs.
1 GG mit der Begründung verneint, dass der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgehe, dass
das menschenwürdige Existenzminimum, soweit eine durch die Ausbildung bedingte Bedarfslage entstanden sei, vorrangig durch
Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) bzw. dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch zu decken sei. Die Frage, ob durch den darüber hinausgehenden, im BAföG verankerten Leistungsausschluss eine Grundrechtsverletzung zu sehen sei, hat das Gericht ausdrücklich offengelassen. Ein
solcher Rückgriff auf ein alternatives Leistungssystem bleibt aber dem von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossenen EU-Bürger innerhalb der Bundesrepublik Deutschland verwehrt.
Auch die Auffassung, dass die Situation eines Auszubildenden, der seine Ausbildung abbrechen und seine Arbeitskraft zur Beschaffung
seines Lebensunterhaltes einsetzen muss, mit der eines EU-Bürgers dadurch vergleichbar sei, dass dieser dem faktischen Zwang
zur Rückkehr in sein Herkunftsland ausgesetzt ist, überzeugt nicht. Während sich der Auszubildende lediglich einem verhaltensbedingten
Leistungsausschluss ausgesetzt sieht, beruht der Leistungsausschluss für die am Arbeitsmarkt inaktiven EU-Bürger auf einer
in der Person begründeten Eigenschaft des Hilfebedürftigen.
Dem Hinweis darauf, dass der EU-Bürger des Schutzes des Art.
1 GG nicht bedürfe und ebenfalls durch eine Verhaltensänderung eine menschenunwürdige Situation vermeiden könne, da er seine Hilfebedürftigkeit
durch eine Rückkehr in sein Herkunftsland beenden könne, ist entgegenzuhalten, dass jeder Rechtsuchende, der eine Grundrechtsverletzung
geltend macht, durch eine Ausreise aus dem Geltungsbereich des
Grundgesetzes die Grundrechtsverletzung beenden kann. Als verfassungsrechtliches Argument taugt die Aufforderung zur Ausreise im Falle
aufenthaltsberechtigter EU-Bürger für sich genommen genauso wenig wie im Falle Deutscher, die einem Grundrechtseingriff im
Ausland nicht ausgesetzt wären.
Dennoch ist der Senat von einem Verstoß gegen Art.
1 Abs.
1 i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG nicht überzeugt. Zwar ist eine Beeinträchtigung des Art
1 Abs.
1 GG prinzipiell nicht rechtfertigungsfähig mit der Folge, dass bereits die Beeinträchtigung einen verfassungswidrigen Verstoß
impliziert, die Beeinträchtigung selbst der Verstoß ist (vgl etwa Sodan in: Sodan,
GG, 2. Aufl. 2011, Art.
1 Rn. 27). Ob eine solche Beeinträchtigung vorliegt, ist aber nicht allein über die die Leistungen ausschließende Funktion
des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II und § 23 Abs. 3 Nr. 2 1. Alt SGB XII zu beurteilen, die dazu führt, dass eine Bedarfslage, in der einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen
Daseins materiellen Mittel fehlen, nicht beseitigt wird. Für die Frage nach einer Beeinträchtigung des Art.
1 Abs.
1 GG ist vielmehr maßgeblich, ob der (gesamte) einfachgesetzliche Rahmen des Leistungsanspruchs defizitär ausgestaltet ist oder
nicht (BVerfG aaO Rn 133), d.h. ob der Staat im Rahmen seines Auftrags zum Schutze der Menschenwürde und in Ausfüllung seines
sozialstaatlichen Auftrags dafür Sorge getragen hat, dass die materiellen Voraussetzungen zur Gewährleistung eines menschenwürdigen
Daseins zur Verfügung stehen (BVerfG aaO Rn 134). Bei dieser Beurteilung des gesetzlichen Leistungsanspruchs ist das gesamte
Regelungskonzept in den Blick zu nehmen, hierin eingeschlossen jedenfalls auch die europarechtlichen Regelungen, die unmittelbar
geltendes deutsches Recht sind (Art. 288 AEUV, im Übrigen auch nicht durch nationale Gesetze oder Maßnahmen eingeschränkt werden könnten (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Hierzu gehören sowohl die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO EG 883/2004) als auch die der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen,
sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (RL 2004/38/EG) (Unionsbürgerrichtlinie) (s.hierzu auch BVerfG Beschluss vom 06.04.2010 - 2 BvR 2261/06 - RdNr. 53; und EuGH Urteil vom 15.07.1964 - RS 6/64 Costa./. E.N.E.L.)
Demnach ist der Leistungsanspruch zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins auch vor dem Hintergrund des (- in Anspruch
genommenen -) Rechtes auf Freizügigkeit zu beurteilen.
Die anfänglich als reine Arbeitnehmerfreizügigkeit (Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15.10.1968 über die Freizügigkeit
der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft) ausgestalteten Einreise- und Aufenthaltsrechte für EU-Bürger wurde immer weiter
ausgeweitet. Mittlerweile wird das Recht zum Daueraufenthalt nur noch eingeschränkt für im Erwerbsleben inaktive EU-Bürger,
die ihren Lebensunterhalt und ihre Krankenversicherung nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können. Das Recht auf Freizügigkeit
und auf Gleichbehandlung mit Inländern (Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und Art. 24 Abs. 1 der RL 2004/38/EG) wird aber nicht vorbehaltlos gewährt. Aus Sorge vor einer Zuwanderung in die Sozialversicherungssysteme der Mitgliedsstaaten
wird diesen von jeher die Möglichkeit eingeräumt, den Bezug von Sozialhilfeleistungen zu beschränken. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG berechtigt die Mitgliedsstaaten dazu, denjenigen Bürgern eines anderen Mitgliedsstaates, die sich nicht als Arbeitnehmer
oder Selbständige oder deren Familienangehörige im Aufnahmemitgliedsstaat aufhalten, Leistungen der Sozialhilfe zu verweigern.
Eine Verpflichtung zur Gleichbehandlung ihrer Staatsangehörigen und solcher anderer EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen
Anspruch auf Sozialhilfe besteht nicht, wenn der EU-Bürger nicht Arbeitnehmer oder Selbständiger ist oder ihm dieser Status
erhalten geblieben ist (EuGH Rs Alimanovic vom 15.09.2015 - C-67/14). Nur unter diesem Vorbehalt kann das Recht auf Einreise und Aufenthalt von am Arbeitsmarkt inaktiven EU-Bürgern überhaupt
in Anspruch genommen werden. Ohne einen solchen Vorbehalt wären die weitgehenden Rechte auf Einreise und Aufenthalt innerhalb
der Europäischen Union insbesondere im Zuge der fünften und sechsten EU-Erweiterung in den Jahren 2004 und 2007 wohl nicht
denkbar. Anders als bei dem Personenkreis des
AsylbLG sind innerhalb der EU permanente Wanderbewegungen in andere Mitgliedsstaaten und auch wieder zurück in die Heimatländer der
wandernden Arbeitnehmer und Selbständigen vorgesehen und gehören zur europäischen Realität. Entsprechend wurden die Aufenthaltsrechte
der EU-Bürger in anderen Mitgliedsstaaten insoweit beschränkt, als dass nicht am Arbeitsmarkt aktive Hilfebedürftige über
kein (weiteres) Freizügigkeitsrecht verfügen, wenn sie nicht durch langjährigen legalen Aufenthalt oder eine einjährige Beschäftigung
oder Selbständigkeit ein längerfristiges Recht erworben haben.
In Anbetracht der Inanspruchnahme dieses gemeinschaftsrechtlichen Privilegs, das von vornherein in sozialleistungsrechtlicher
Hinsicht nicht frei von Einschränkungen gewährt wird (Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG), ist die Beschränkung des Anwendungsbereichs des Grundrechts auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch
die Leistungsausschlüsse in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a) SGB II und § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 1. Alt. SGB XII zu rechtfertigen. Gerade im Hinblick auf den dort genannten Personenkreis, der - da nicht oder nicht mehr mit hinreichender
Aussicht auf Erfolg auf Arbeitsuche - über kein Freizügigkeitsrecht mehr verfügt, ist eine grenzenlose Fassung des Personenkreises,
der unter dem Schutz des Grundrechts auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums steht, nicht geboten. Das für die
EU-Staaten vereinbarte wichtige strategische Ziel der Fortentwicklung der europäischen Einigung, deren substanzieller Bestandteil
die weitgehende Personenfreizügigkeit ist, beinhaltet auch einen "Aufenthalt ohne Sozialhilfebezug". Es mag sozialpolitisch,
integrationspolitisch oder unter Sicherheitsgesichtspunkten zweifelhaft sein, gegenüber nicht freizügigkeitsberechtigten Personen
auf Verlustfeststellungen gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU und Ausreiseverpflichtungen zu verzichten und gleichzeitig den existenziellen Bedarf nicht sicher zu stellen. Eine inhaltliche
oder auch nur gedankliche Verknüpfung des Leistungsanspruchs zur Gewährleistung des menschenwürdigen Daseins mit der Verlustfeststellung
hält das Gericht jedoch nicht für sachgerecht. Denn gegenüber einer vom Gesetz vorgesehenen Abschiebung als Folge einer solchen
Verlustfeststellung, die auch mit Polizeigewalt durchgesetzt werden könnte und in dieser Form keinen durchgreifenden grundsätzlichen
verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, stellt die Verweigerung von Grundsicherungsleistungen bei Duldung des materiell
rechtswidrigen Aufenthalts unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit jedenfalls die weniger belastende Maßnahme dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG. Angesichts der komplexen Rechtslage hat der Senat hinreichende Erfolgsaussichten iSd. §
114 ZPO angenommen.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, §
177 SGG.