Anspruch der Großeltern auf Übernahme der Aufwendungen für die Vollzeitpflege von Enkelkindern gegenüber dem Träger der Jugendhilfe
Gründe
I
Die Klägerin begehrt jugendhilferechtlichen Aufwendungsersatz für die Vollzeitpflege ihrer beiden Enkel im Zeitraum vom 12.
Mai 2011 bis zum 21. März 2012.
Für die im Januar 2008 bzw. Oktober 2009 geborenen Kinder stand zunächst ihrer leiblichen Mutter, der Tochter der Klägerin,
das alleinige Sorgerecht zu. Nach Angaben der Klägerin lebten die Kinder aber bereits seit Ende Februar 2008 bzw. Mai 2010
durchgehend bei ihr, da ihre Tochter nicht in der Lage gewesen sei, genügend für sie zu sorgen. Die Klägerin erhielt für sich
und die Kinder Grundsicherungsleistungen. Mit Beschluss vom 20. Januar 2011 übertrug ihr das Amtsgericht die elterliche Sorge
für beide Kinder. Am 12. Mai 2011 beantragte die Klägerin bei dem Jugendamt der Beklagten die Bewilligung von Vollzeitpflege
für beide Kinder bei ihr als Pflegeperson. Anfang Januar 2012 teilte sie dem Jugendamt auf Nachfrage schriftlich mit, dass
sie nicht gewillt sei, die Kinder kostenlos zu betreuen.
Mit Bescheid vom 19. Januar 2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der dagegen erhobene Widerspruch der Klägerin wurde mit
Widerspruchsbescheid vom 9. März 2012 zurückgewiesen. Es bestehe kein Hilfebedarf, weil die Kinder schon vor Antragstellung
beim Jugendamt von der Klägerin gut betreut worden seien. Eine Herausgabe der Kinder habe die Klägerin durchgängig abgelehnt.
Das Verwaltungsgericht hat der von der Klägerin erhobenen Klage stattgegeben und die Beklagte antragsgemäß verpflichtet, der
Klägerin wirtschaftliche Jugendhilfe für beide Kinder für den streitigen Zeitraum zu gewähren.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung der Vorinstanz geändert und die Klage abgewiesen.
Auf der Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung - auch wenn diese im Ergebnis unbefriedigend sei - stehe
der Klägerin kein Anspruch auf Gewährung wirtschaftlicher Jugendhilfe in Form von Unterhaltsleistungen für ihre Enkel zu.
Danach habe, weil sie diese zunächst unentgeltlich betreut habe, ein erzieherischer Bedarf nur entstehen können, wenn die
Klägerin ihre Bereitschaft zur unentgeltlichen Pflege zurückgezogen und das Jugendamt der Beklagten ernsthaft vor die Alternative
gestellt hätte, für ihre Entlohnung zu sorgen oder auf ihre Betreuungsdienste verzichten zu müssen. Das habe sie jedoch nicht
getan.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie rügt eine Verletzung der §§ 27, 33 und 39 SGB VIII.
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich an dem Verfahren und unterstützt die Rechtsauffassung der Klägerin.
II
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§
137 Abs.
1 Nr.
1 VwGO). Die entscheidungstragende Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass ein personensorgeberechtigter Großelternteil, der den
erzieherischen Bedarf eines Enkels zunächst unentgeltlich deckt, nur dann einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung haben kann,
wenn er seine Bereitschaft zu unentgeltlicher Pflege zurückzieht und das Jugendamt ernsthaft vor die Alternative stellt, für
seine Entlohnung zu sorgen oder aber auf seine Betreuungsdienste verzichten zu müssen, steht mit § 27 Abs. 1 und 2a des Achten Buches Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - (Art. 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) - SGB VIII - i.d.F. der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022) nicht in Einklang. Das angegriffene Urteil beruht auf dieser Verletzung von Bundesrecht und stellt sich auch nicht im Ergebnis
als richtig dar (§
144 Abs.
4 VwGO). Da der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§
144 Abs.
3 Satz 1 Nr.
1 VwGO).
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte aus § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII auf Übernahme ihrer erforderlichen Aufwendungen für die von ihr in der Zeit vom 12. Mai 2011 bis zum 21. März 2012 erbrachte
Vollzeitpflege ihrer Enkel.
Diese Bestimmung verleiht einen Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für selbst beschaffte Hilfen. Das sind
Hilfen, die - wie hier - vom Leistungsberechtigten selbst abweichend von § 36a Abs. 1 und 2 SGB VIII erbracht werden, ohne dass eine Entscheidung des Trägers der Jugendhilfe oder eine Zulassung durch diesen vorangegangen ist.
Der Übernahmeanspruch setzt nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII voraus, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf
in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 1), die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen (Nr. 2) und die Deckung des Bedarfs
keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
1. Die Klägerin, die als Personensorgeberechtigte anspruchsberechtigt im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII und mithin Leistungsberechtigte ist, hat die Beklagte zu Beginn des Zeitraums, für den die Übernahme der Aufwendungen beansprucht
wird, von dem Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt (§ 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII). Dies geschah spätestens mit dem Antrag der Klägerin vom 12. Mai 2011, mit dem diese die Gewährung von Hilfe zur Erziehung
in Form der Vollzeitpflege bei der Beklagten beantragt hat.
2. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe lagen im streitgegenständlichen Zeitraum vor. Der Klägerin stand ein Anspruch
auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Gestalt der Vollzeitpflege (§§ 27, 33, 39 SGB VIII) zu.
§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gewährt dem Personensorgeberechtigten bei der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung,
wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet (a) und die Hilfe für seine
Entwicklung geeignet (b) und notwendig (c) ist. Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt (§ 27 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Nach § 33 Satz 1 SGB VIII soll Hilfe zur Erziehung in Gestalt der Vollzeitpflege Kindern oder Jugendlichen unter anderem entsprechend den Möglichkeiten
der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe
oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten. Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses
erforderlich, so entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person
bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen (§ 27 Abs. 2a Halbs. 1 SGB VIII). Wird Hilfe zur Erziehung unter anderem in Form der Vollzeitpflege gewährt, so ist auch der notwendige Unterhalt des Kindes
oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses sicherzustellen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Danach konnte die Klägerin die Gewährung von Vollzeitpflege einschließlich des Unterhalts für ihre Enkel beanspruchen.
a) Ein erzieherischer Bedarf im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII war gegeben. Die Vorschrift setzt voraus, dass eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht
gewährleistet ist. Sie verlangt damit, dass infolge einer erzieherischen Defizit- bzw. Mangelsituation ein entsprechender
erzieherischer Bedarf begründet worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 2005 - 5 B 56.05 - JAmt 2005, 524 f.; OVG Münster, Beschluss vom 22. September 2011 - 12 A 1596/10 - [...] Rn. 18). Dabei ist danach zu fragen, ob diese Mangelsituation infolge des erzieherischen Handelns bzw. Nichthandelns
der leiblichen Eltern des Minderjährigen eingetreten ist, diese also nicht in der Lage sind, den Bedarf zu decken (vgl. BVerwG,
Urteil vom 1. März 2012 - 5 C 12.11 - BVerwGE 142, 115 Rn. 19).
Nicht maßgeblich für die Feststellung des erzieherischen Bedarfs im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts, ob ein Verwandter - wie hier die Klägerin als Großmutter - den Bedarf
des Kindes (im Einvernehmen mit den Eltern) freiwillig deckt. Dadurch kann nicht der aus der Mangelsituation in der Herkunftsfamilie
herrührende Bedarf als solcher, sondern nur die Notwendigkeit seiner Deckung durch den Träger der Jugendhilfe entfallen (vgl.
BVerwG, Urteil vom 12. September 1996 - 5 C 31.95 - FEVS 47, 433 <437> = Buchholz 436.511 § 27 SGB VIII Kinder- und Jugendhilfegesetz Nr. 3 S. 10 f.). Soweit der Senat in dem vorgenannten Urteil vom 12. September 1996 (a.a.O.) für die soeben bezeichnete Konstellation
der freiwilligen Verwandtenpflege auch schon ein Entfallen des erzieherischen Bedarfs erwogen bzw. angenommen hat, wird daran
nicht mehr festgehalten. Die Frage, ob eine erzieherische Mangelsituation besteht, ist nicht mit Blick auf denjenigen zu beantworten,
der sich als Verwandter um das Kind kümmert und der deshalb ggf. die elterliche Sorge vom Familiengericht übertragen bekommen
und ein Kind in Pflege genommen hat. Es kommt vielmehr darauf an, ob die vor dem In-Pflege-Nehmen oder einer sorgerechtlichen
Entscheidung des Familiengerichts verantwortlichen Eltern oder anderen Sorgeberechtigten eine dem Wohl des Kindes förderliche
Erziehung gewährleistet haben (vgl. etwa Schmid-Obkirchner, in: Wiesner <Hrsg.>, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 27 Rn. 16 m.w.N.).
Gemessen daran lag hier ein erzieherischer Bedarf im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vor. Die Beteiligten gehen - wie in der mündlichen Verhandlung erörtert - auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts
zu Recht übereinstimmend davon aus, dass sich weder die Väter noch die alleinstehende und zunächst sorgeberechtigte Mutter
der Kinder tatsächlich in dem erforderlichen Maße um die Pflege und Erziehung der Kinder gekümmert haben, so dass eine erzieherische
Mangelsituation in der Herkunftsfamilie bestand.
b) Die Hilfe durch die Klägerin war auch geeignet im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, den bestehenden erzieherischen Bedarf im Hinblick auf die Entwicklung der Kinder zu decken.
Die Geeignetheit ist dabei nicht nur allgemein, sondern auch im Hinblick auf die konkrete Form der Hilfe zur Erziehung - hier
der in Rede stehenden Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) - zu überprüfen. Dabei kann die Vollzeitpflege durch Großeltern nur dann ein geeignetes Mittel zum Ausgleich eines Erziehungsdefizits
sein, wenn die Großeltern ihrerseits als Pflegepersonen geeignet sind. Zur Geeignetheit im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gehört also auch, dass die Pflegepersonen zum einen eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung gewährleisten können
und sich zum anderen auf die Kooperation mit dem Jugendamt einlassen und gegebenenfalls zur Annahme unterstützender Leistungen
bereit sind (DIJUF-Rechtsgutachten vom 1. März 2006, JAmt 2006, 129; Kunkel, in: ders. <Hrsg.>, LPK-SGB VIII, 5. Aufl. 2014, § 27 Rn. 36 jeweils m.w.N.). Dies folgt auch ausdrücklich aus § 27 Abs. 2a Halbs. 2 SGB VIII, wonach die Person geeignet und bereit sein muss, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe
zu decken. Großeltern - wie die Klägerin - bedürfen zwar keiner Pflegeerlaubnis (§ 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII), ihre persönliche Eignung ist jedoch anhand der Vorgaben des § 44 Abs. 2 SGB VIII und damit insbesondere daran zu messen, ob das Kindeswohl in der Pflegestelle gewährleistet ist.
Hieran gemessen bestehen auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts keine durchgreifenden Zweifel daran,
dass die in Rede stehende, von der Klägerin selbst geleistete Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) geeignet war, den erzieherischen Bedarf ihrer beiden Enkelkinder zu decken. Die Geeignetheit dieser Hilfeform lässt sich
insbesondere aus den vom Oberverwaltungsgericht in Bezug genommenen Umständen schließen, die im Ablehnungsbescheid der Beklagten
vom 19. Januar 2012 und im Widerspruchsbescheid vom 9. März 2012 festgestellt worden sind. Danach waren die Kinder bei der
Klägerin gut untergebracht und betreut und ihre Erziehung sichergestellt. An der persönlichen Eignung der Klägerin, für die
Pflege und Erziehung der Kinder zu sorgen, hat auch die Beklagte weder im Verwaltungs- noch im gerichtlichen Verfahren Zweifel
aufkommen lassen. Ebenso wenig ist die Bereitschaft der Klägerin, die Vollzeitpflege ihrer Enkelkinder nach § 27 Abs. 2a SGB VIII in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt der Beklagten entsprechend einem Hilfeplan zu leisten, ernsthaft in Frage gestellt worden.
c) Die Hilfe durch die Klägerin in Form der Vollzeitpflege war auch zur Deckung des erzieherischen Bedarfs ihrer Enkelkinder
notwendig im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII.
Notwendig ist die Hilfe zur Erziehung, wenn sie zur Bedarfsdeckung erforderlich ist, weil andere Leistungen oder Maßnahmen
des SGB VIII, die Hilfe Dritter oder die Eigenhilfe der Eltern nicht ausreichen, um den festgestellten erzieherischen Bedarf zu decken
(vgl. Nellissen, in: jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 27 Rn. 46; Tammen/Trenczek, in: Münder/Meysen/Trenczek <Hrsg.>, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 27 Rn. 12; Kunkel, in: ders. <Hrsg.>, LPK-SGB VIII, 5. Aufl. 2014, § 27 Rn. 11). An die Notwendigkeit sind im Fall der Verwandtenpflege - hier der Pflege durch die Großmutter - keine erhöhten Anforderungen
zu stellen. Die gegenteilige entscheidungstragende Annahme des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang
(aa). Die Notwendigkeit der von der Klägerin geleisteten Vollzeitpflege lässt sich auch nicht aus anderen Gründen verneinen
(bb).
aa) Großeltern können gegenüber dem Träger der Jugendhilfe einen Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen für die Vollzeitpflege
von Enkelkindern (§ 27 Abs. 1, § 33 Abs. 1 SGB VIII) auch dann haben, wenn sie das Jugendamt nicht ernsthaft vor die Alternative stellen, für ihre Entlohnung zu sorgen oder
auf ihre Betreuungsdienste zu verzichten. Soweit - woran das Berufungsgericht anknüpft - in der früheren Rechtsprechung des
Senats die Notwendigkeit der Hilfe zur Erziehung im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII von dieser Anforderung abhängig gemacht worden ist (BVerwG, Urteil vom 12. September 1996 - 5 C 31.95 - FEVS 47, 433 <437> = Buchholz 436.511 § 27 SGB VIII Kinder- und Jugendhilfegesetz Nr. 3 S. 10 f.; ebenso Urteil vom 4. September 1997 - 5 C 11.96 - Buchholz 436.511 § 27 SGB VIII Kinder- und Jugendhilfegesetz Nr. 4), hält der Senat daran nicht mehr fest. Die vorgenannte Rechtsprechung verhielt sich zur früheren Gesetzeslage und
ist jedenfalls aufgrund nachfolgender Änderungen, namentlich der Einfügung des § 27 Abs. 2a SGB VIII und des § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) vom 8. September 2005 (BGBl. I S. 2729), überholt. Dies erschließt sich im Wege der Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen.
Zwar ergeben sich aus dem Wortlaut des § 27 Abs. 1 SGB VIII, der durch das vorgenannte Änderungsgesetz nicht modifiziert worden ist, keine näheren Hinweise und Grenzen dafür, wie das
Merkmal der Notwendigkeit im vorliegenden Zusammenhang zu verstehen ist. Dass an den erhöhten Anforderungen, welche der Senat
in seiner früheren Rechtsprechung aufgestellt hat, nicht mehr festzuhalten ist, folgt jedoch aus systematischen (1) und teleologischen
Erwägungen (2) sowie insbesondere aus den Gesetzesmaterialien (3).
(1) Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts lassen sich die in der früheren Rechtsprechung des Senats aufgestellten
erhöhten Anforderungen für die Notwendigkeit von Hilfe zur Erziehung nicht damit rechtfertigen, dass die Bereitschaft zur
unentgeltlichen Pflege der Enkelkinder "aufgrund der engen familiären Verbundenheit zwischen Großeltern und ihren Enkeln regelmäßig
erwartet werden" könne (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. September 1996 - 5 C 31.95 - FEVS 47, 433 <439 f.> = Buchholz 436.511 § 27 SGB VIII Kinder- und Jugendhilfegesetz Nr. 3 S. 11). Dieser Erwägung liegt mehr eine ethische als eine rechtliche Bewertung zugrunde. Sie hat auch als solche im
Gesetz keinen Niederschlag gefunden und vermag daher für sich genommen den rechtlichen Schluss nicht zu tragen. Rechtliche
Wertungen, die sich unter anderem aus der Gesetzessystematik erschließen, legen vielmehr einen Verzicht auf die genannten
Anforderungen nahe. Aussagekräftig ist dabei sowohl der Zusammenhang zwischen Absatz 1 und Absatz 2a des § 27 SGB VIII als auch der systematische Rückschluss aus § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII.
Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich - so stellt § 27 Abs. 2a Halbs. 1 SGB VIII klar -, entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit
ist, diese Aufgabe zu übernehmen. Erhöhte Anforderungen dahingehend, die Notwendigkeit der Gewährung von Hilfe zur Erziehung
im Falle der Vollzeitpflege durch unterhaltspflichtige Großeltern von deren ernsthafter Bereitschaft, ohne wirtschaftliche
Jugendhilfe die Betreuung der Enkel ganz zu beenden, abhängig zu machen, lassen sich weder dieser Regelung noch sonstigen
Vorschriften des Achten Buches des Sozialgesetzbuches entnehmen. Derartige Anforderungen stünden vielmehr mit der Wertung des § 27 Abs. 2a Halbs. 1 SGB VIII in Widerspruch. Denn die Vorschrift erfasst mit dem Begriff der anderen unterhaltspflichtigen Personen gerade auch Großeltern
und will mit der Festlegung, dass deren Unterhaltspflicht einem Anspruch auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung nicht entgegenstehen
soll, die Gewährung an die Großeltern erleichtern, nicht aber durch erhöhte Voraussetzungen erschweren. Gleiches gilt für
die ebenfalls mit § 27 Abs. 1 SGB VIII im Zusammenhang stehende Regelung des § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII. Danach ist, sofern die Pflegeperson in gerader Linie mit dem Kind verwandt ist und diesem Unterhalt gewähren kann, die Höhe
des zu gewährenden Pflegegeldes von einer Prüfung der Einkommensverhältnisse und gegebenenfalls von einer Ermessensentscheidung
des Jugendhilfeträgers abhängig. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass die Unterhaltspflicht (und Fähigkeit zur Unterhaltsleistung)
der Großeltern den Anspruch auf Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege (§§ 27, 33 SGB VIII) grundsätzlich nicht ausschließen, sondern nur dazu führen soll, dass eine Kürzung des Pflegegeldes vorgenommen werden kann.
(2) Zudem sprechen der Sinn und Zweck des § 27 Abs. 1 SGB VIII gegen die erhöhten Anforderungen an die Notwendigkeit im Rahmen der Verwandtenpflege. Zweck der Gewährung von Hilfe zur Erziehung
nach § 27 Abs. 1 SGB VIII ist die Gewährleistung einer dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechenden Erziehung. Sofern die Großeltern aus ideellen
Motiven und persönlicher Verbundenheit die Pflege der Enkelkinder übernehmen, ist die Gewähr für die Orientierung am Kindeswohl
grundsätzlich höher als in Fällen, in denen es ihnen vornehmlich um materielle bzw. finanzielle Aspekte geht. Mit der genannten
Anforderung, dass ein ernsthafter Wille des Großelternteiles bestehen müsse, ohne Gewährung wirtschaftlicher Jugendhilfe die
weitere Pflege seines Enkels tatsächlich einzustellen, wird dieser finanzielle Aspekt jedoch gerade in den Vordergrund gerückt.
Handeln Großeltern allein aus diesem Gesichtspunkt heraus, kann dies eher ihre Eignung für die Vollzeitpflege der Enkelkinder
in Frage stellen. Mithin sprechen der Sinn und Zweck der Vorschrift in gewichtiger Weise gegen die Statuierung der genannten
Anforderungen. Hierauf weist auch das Oberverwaltungsgericht (UA S. 11) zu Recht hin, soweit es ausführt, dass danach Großeltern
nur dann in den Genuss wirtschaftlicher Jugendhilfe gelangten, wenn sie unter allen Umständen allein gegen Entgelt bereit
seien, ihre Enkel zu betreuen (oder wahrheitswidrig diesen Eindruck erweckten), obwohl wegen dieser Einstellung Zweifel an
ihrer Geeignetheit als Pflegeperson bestünden, während Großeltern, die aus persönlichem Verantwortungsgefühl für ihre Enkelkinder
notfalls auch bereit seien, diese unentgeltlich zu betreuen, und die sich deshalb als geeigneter erwiesen als erstere, keinen
Anspruch auf wirtschaftliche Jugendhilfe hätten.
(3) Dieses Gesetzesverständnis, d.h. das Absehen von den genannten erhöhten Anforderungen bei der Verwandtenpflege, wird durch
die Ziele bestätigt, die der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 27 Abs. 2a SGB VIII durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) vom 8. September 2005 (BGBl. I S. 2729) verfolgt hat. Er wollte damit nämlich gerade die Verwandtenpflege unter erleichterten Bedingungen zulassen. In der Begründung
des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 15/3676 S. 35) wird dazu ausgeführt, es entspreche einer jahrzehntelangen Praxis, Vollzeitpflege
als Leistung der Kinder- und Jugendhilfe nicht nur in Haushalten von Personen zu gewähren, die mit dem Kind oder Jugendlichen
nicht (näher) verwandt seien, sondern auch in Haushalten von nahen Verwandten wie insbesondere Großeltern. Überdies hat der
Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, von den erhöhten Anforderungen, welche die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
an die Großelternpflege geknüpft hat (nämlich den im Urteil vom 12. September 1996 - 5 C 31.95 -FEVS 47, 433 = Buchholz 436.511 § 27 SGB VIII Kinder- und Jugendhilfegesetz Nr. 3 statuierten Erfordernissen, dass Großeltern die Betreuung ihres Enkelkindes nicht in Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht
leisten dürfen und zur unentgeltlichen Pflege nicht bereit sein müssen), Abstand nehmen zu wollen. Unter ausdrücklicher Bezugnahme
auf das Urteil vom 12. September 1996 (a.a.O.) heißt es dazu in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/3676 S. 35), dass gegen
diese Rechtsprechung "unter fachlichen und rechtlichen Aspekten Kritik erhoben worden (dazu Happ, NJW 1998, 2409 = NDV 1998, 340)" sei. Darüber hinaus führe der Ansatz dieser Rechtsprechung "zu kaum aufzulösenden Abgrenzungsproblemen mit der Sozialhilfe
(vgl. DIJuF-Rechtsgutachten, JAmt 2003, 473)". Daraus wird die Folgerung gezogen: "Der Entwurf will - anknüpfend an die Diskussion
im Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge - die Vollzeitpflege im Interesse der betroffenen Kinder und Jugendlichen
unter den Voraussetzungen des § 27 auch für Großeltern offenhalten. Durch eine klarstellende Regelung soll künftig erreicht
werden, dass allein die Bereitschaft von Großeltern und anderen unterhaltspflichtigen Personen den Anspruch auf Hilfe zur
Erziehung in Vollzeitpflege bei diesen Personen nicht ausschließt." In dieselbe Richtung deuten die Ausführungen des Gesetzgebers
zur Einfügung des § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII durch dasselbe Änderungsgesetz im Jahre 2005 (BT-Drs. 15/3676 S. 36). Dort wird ausgeführt, es solle sichergestellt werden,
"dass auch künftig Großeltern die Aufgabe von Pflegeeltern im Rahmen von Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 33 übernehmen
können, wenn die Leistungsvoraussetzungen nach § 27 vorliegen und der Hilfebedarf auf diese Weise gedeckt werden kann."
bb) Das angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts, das einen Anspruch der Klägerin auf Hilfe zur Erziehung in Form der
Vollzeitpflege, zu Unrecht aufgrund der genannten überhöhten Anforderungen an die Verwandtenpflege abgelehnt hat, stellt sich
auch nicht im Ergebnis als richtig dar. Zwar ist dem Träger der Jugendhilfe bei der Auswahl der notwendigen Hilfeleistung
ein gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Einschätzungsspielraum zuzuerkennen. Die Beklagte hat die Grenzen dieses Spielraums
jedoch überschritten (1). Bei der Selbstbeschaffung der Jugendhilfeleistung durfte die Klägerin von der Notwendigkeit ihrer
Hilfeleistung ausgehen (2).
(1) Die Beklagte hat die Notwendigkeit der von der Klägerin geleisteten Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege (§
27 Abs. 1, § 33 Satz 1 SGB VIII) nicht mit Erwägungen abgelehnt, die einer gerichtlichen Überprüfung standhalten. Zwar ist die gerichtliche Kontrolldichte
aufgrund der Steuerungsverantwortung des Jugendhilfeträgers (§ 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) beschränkt. Weil danach der Hilfeplan eine unverzichtbare Voraussetzung der Gewährung von Jugendhilfe bildet, ist es für
die Beurteilung der Rechtmäßigkeit entscheidend, ob die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe auch ohne eine schriftliche
Fixierung in einem Hilfeplan festgestellt werden kann. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der Entscheidung über die Notwendigkeit
und Geeignetheit der Hilfe um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des Kindes
bzw. des Jugendlichen und mehrerer Fachkräfte handelt, welches nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, jedoch eine
angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten soll, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar
sein muss. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich dabei darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche und
rechtliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in
umfassender Weise beteiligt worden sind (BVerwG, Urteile vom 24. Juni 1999 - 5 C 24.98 - BVerwGE 109, 155 <167> und vom 18. Oktober 2012 - 5 C 21.11 - BVerwGE 145, 1 Rn. 32).
Auch bei Zugrundelegung dieses Einschätzungsspielraums erweist sich die Ablehnungsentscheidung der Beklagten jedoch als rechtswidrig.
Diese ist nicht durchweg von fachlichen Gründen getragen, welche die Geeignetheit oder die Notwendigkeit der von der Klägerin
geleisteten Hilfe nachvollziehbar verneinen. Vielmehr hat sich das Jugendamt der Beklagten an unzutreffenden rechtlichen Maßstäben
ausgerichtet, indem es die Gewährung von Hilfe zur Erziehung maßgeblich mit der Erwägung abgelehnt hat, dass kein Hilfebedarf
bestehe, weil die Kinder schon vor Antragstellung von der Klägerin gut betreut worden seien. Damit hat das Jugendamt der Beklagten
verkannt, dass es - wie oben dargelegt - bei der Frage, ob eine erzieherische Mangelsituation vorliegt und damit ein erzieherischer
Bedarf besteht, nicht auf die Situation in der Pflegefamilie, sondern auf diejenige in der Herkunftsfamilie (der Eltern) ankommt.
Weil auch sonst fachlich durchgreifende Gründe für die Verweigerung der Leistung fehlten, war die Hilfeplanung der Beklagten
insoweit als defizitär anzusehen, so dass die Steuerungsverantwortung des Jugendamts der Aufwendungserstattung für die selbst
beschaffte Hilfe hier nicht entgegensteht.
(2) Bei der Selbstbeschaffung durfte die Klägerin von der Notwendigkeit der geleisteten Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege
ausgehen.
Hat das Jugendamt nicht rechtzeitig oder - wie hier - nicht in einer den Anforderungen entsprechenden Weise über eine begehrte
Hilfeleistung entschieden und beschafft sich ein Leistungsberechtigter daraufhin die begehrte Leistung im Sinne von § 36a Abs. 3 SGB VIII selbst, so kann er an Stelle des Jugendamtes den sonst diesem zustehenden und nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum
für sich beanspruchen. Denn in dieser Situation ist er - obgleich ihm der Sachverstand des Jugendamtes fehlt - dazu gezwungen,
im Rahmen der Selbstbeschaffung eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme zu treffen
mit der Folge, dass sich die Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbst beschafften
Hilfe auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung des Leistungsberechtigten zu beschränken haben.
Ist die Entscheidung des Leistungsberechtigten in diesem Sinne fachlich vertretbar, kann ihr im Nachhinein nicht etwa mit
Erfolg entgegnet werden, das Jugendamt hätte eine andere Hilfe für geeignet oder notwendig gehalten (BVerwG, Urteil vom 18.
Oktober 2012 - 5 C 21.11 - BVerwGE 145, 1 Rn. 34 m.w.N.).
Daran gemessen bestehen keine Bedenken dagegen, dass die Klägerin von der Notwendigkeit der Hilfe zur Erziehung ausgegangen
ist. Sie durfte die Aufnahme der Kinder in ihren Haushalt und die Gewährung von Vollzeitpflege als erforderlich ansehen, um
das bestehende erzieherische Defizit in der Herkunftsfamilie (ihrer Tochter) zu decken.
3. Die von der Klägerin erbrachte Vollzeitpflege duldete auch keinen zeitlichen Aufschub im Sinne von § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII. Der erkennende Senat ist im Zusammenhang mit der sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt stets davon ausgegangen,
dass schon während des Verwaltungsverfahrens ein unaufschiebbarer Bedarf vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1994 -
5 C 26.92 - BVerwGE 96, 152 <158>). Nichts anderes gilt, wenn es - wie hier - um die Deckung des erzieherischen Bedarfs von Kleinkindern durch jugendhilferechtliche
Maßnahmen und die Sicherstellung des Unterhalts geht (BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 - 5 C 12.11 - BVerwGE 142, 115 Rn. 21).
4. Was die Rechtsfolge des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII betrifft, so ist die Klägerin danach so zu stellen, wie sie stehen würde, wenn die (selbst beschaffte) Jugendhilfeleistung,
auf die ein Anspruch bestand, rechtzeitig bewilligt worden wäre. Denn in Fällen der vorliegenden Art entspricht der Umfang
der nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII von der Beklagten zu übernehmenden erforderlichen Aufwendungen dem Betrag, der bei rechtzeitiger Gewährung der Leistung vom
Jugendhilfeträger nach den zugrunde liegenden öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zu tragen gewesen wäre (BVerwG, Urteil vom
1. März 2012 - 5 C 12.11 - BVerwGE 142, 115 Rn. 22 f.).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
154 Abs.
1 und §
188 Satz 2 Halbs. 1
VwGO.