Rechtmäßigkeit einer Überleitungsanzeige nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SBG XII) bzgl. eines Anspruchs auf Rückgabe einer Schenkung; Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange
im Hinblick auf den Nachranggrundsatz
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Aufhebung einer Überleitungsanzeige nach § 93 SGB XII.
Die im September 1928 geborene und inzwischen verstorbene Mutter des Klägers, Frau ..., war seit Juni 2002 im DRK-Pflegeheim
in ... untergebracht und erhielt seit dem 01.10.2002 von der Beklagten Leistungen der Sozialhilfe.
Mit Bescheid vom 27.04.2005 leitete die Beklagte gemäß § 93 SGB XII Rückforderungsansprüche der Mutter aus Schenkungen an
den Kläger auf den Magistrat der Stadt Bremerhaven als Träger der Sozialhilfe über. Der Kläger habe im Frühjahr 2001 von seinen
Eltern einen Betrag von 6.000,00 DM als Geschenk erhalten. In Höhe von 3.000,00 DM (= 1.533,88 Euro, hälftiger Anteil der
Mutter) sei dieser Betrag ein in der Sozialhilfe einzusetzendes Vermögen, das gemäß §
528 BGB wegen Verarmung des Schenkers zurückzufordern sei. Zudem habe der Kläger im Zeitraum von Oktober 2002 bis Dezember 2002 von
seinen Eltern monatlich 100,00 Euro erhalten, obwohl die Mutter zu diesem Zeitpunkt bereits zu Lasten der Sozialhilfe im Pflegeheim
lebte. In Höhe von 150,00 Euro (hälftiger Anteil der Mutter) sei dieser Betrag ebenfalls als zurückzufordernde Schenkung anzusehen.
Zur Sicherung der Aufwendungen der Beklagten werde der Anspruch der Mutter in Höhe der im Bedarfszeitraum seit dem 01.10.2002
entstandenen, ungedeckten Sozialhilfeaufwendungen auf den Magistrat der Stadt Bremerhaven übergeleitet. Im Interesse einer
sparsamen Bewirtschaftung öffentlicher Mittel und unter Beachtung des Nachrangigkeitsprinzips der Sozialhilfe sei es geboten,
die Ansprüche auf den Sozialhilfeträger überzuleiten. Wegen der weiteren Ausführungen wird auf den Inhalt des Bescheids verwiesen.
Den Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid wies der Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales mit
Widerspruchsbescheid vom 20.09.2006 - abgesandt am 21.09.2006 - zurück. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, da nach dem
Prinzip des § 2 SGB XII Leistungen Dritter grundsätzlich Vorrang vor Sozialhilfeleistungen hätten, sei die Überleitung angemessen,
und zwar auch in Anbetracht dessen, dass andere Möglichkeiten, die Forderung zu sichern, nicht bestünden. Allgemeine sozialhilferechtliche
Grundsätze stünden der Überleitung nicht entgegen. Auch die übrigen Voraussetzungen des § 93 SGB XII lägen vor.
Am 23.10.2006 (Montag) hat der Kläger Klage erhoben. Er hat vorgetragen, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig, weil
die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt habe. Die Ausführungen der Beklagten ließen erkennen, dass die Beklagte
bei Erlass des Bescheides vom 27.04.2005 davon ausgegangen sei, kein Ermessen ausüben zu müssen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 27.04.2005 und den Widerspruchsbescheid vom 20.09.2006 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide verteidigt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12.03.2007 abgewiesen. Die durch die Bescheide erfolgte Überleitungsanzeige
nach § 93 SGB XII sei formell und materiell rechtmäßig. Das Überleitungsermessen sei gesehen und rechtmäßig ausgeübt worden.
Die Beklagte habe dem Kläger zudem alle relevanten Abwägungskriterien bereits im Vorverfahren umfänglich mitgeteilt. Das müsse
im Widerspruchsbescheid nicht erneut dargelegt werden.
Gegen den ihm am 20.03.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20.04.2007 Berufung eingelegt. Er ist weiterhin
der Auffassung, dass das Überleitungsermessen, welches gegenüber dem vermeintlichen Drittschuldner wahrzunehmen sei, nicht
im erforderlichen Umfang ausgeübt worden sei. Die Beklagte habe weder in der Vorkorrespondenz noch in den Bescheiden eine
Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange in einer Weise vorgenommen, die für den Kläger erkennen lasse,
dass seine persönlichen Lebensumstände in den Überlegungen der Beklagten eine Rolle gespielt hätten. Die Beklagte habe im
Wesentlichen zivilrechtliche Überlegungen angestellt, sich aber nicht mit seiner persönlichen Situation, insbesondere seinen
familiären und sozialen Belangen auseinandergesetzt. Wegen des übrigen Klägervorbringens wird auf die im Berufungsverfahren
eingereichten Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten verwiesen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts vom 12.03.2007 abzuändern und den Bescheid des Magistrats der Stadt Bremerhaven
vom 27.04.2005 sowie den Widerspruchsbescheid des Senators für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales vom 20.09.2006
aufzuheben.
Die Beklagte tritt der Berufung entgegen. Sie hält die vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die das Verwaltungsverfahren
betreffenden Akten der Beklagten haben dem Senat vorgelegen. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der Beratung, soweit er
im Urteil verwertet worden ist.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte nach §
124 Abs.
2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der (Überleitungs-) Bescheid vom 27.04.2005 ist in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2006 rechtlich nicht zu beanstanden.
§ 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII bestimmt, dass dann, wenn eine leistungsberechtigte Person einen Anspruch gegen einen anderen hat,
der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken kann, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner
Aufwendungen auf ihn übergeht.
Die Regelung erlaubt auch die Überleitung von Ansprüchen gegen andere, soweit eine leistungsberechtigte Person - wie hier
die Mutter des Klägers - noch Leistungen nach dem BSHG erhielt und bis zum 31.12.2004 keine Überleitungsanzeige erfolgte. Der Gesetzgeber hat dadurch, dass er die frühere Regelung
in § 90 BSHG weitgehend übernommen hat, seinem Willen Ausdruck verliehen, das bisherige System fortzuführen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen,
B. v. 09.11.2005 -L 20 (12) B 38/05 SO ER-; LSG Berlin-Brandenburg, B. v. 16.08.2007 - L 23 B 150/07 SO -).
Die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige nach § 93 SGB XII setzt nicht voraus, dass der übergeleitete Anspruch tatsächlich
besteht. Zu beachten ist insoweit vielmehr, dass die Überleitungsanzeige nur dazu dient, einen Gläubigerwechsel herbeizuführen.
Nur wenn der übergeleitete Anspruch offensichtlich ausgeschlossen ist, könnte eine dennoch erlassene, erkennbar sinnlose Überleitungsanzeige
rechtswidrig sein (vgl. BVerwG, U. v. 27.05.1993 - 5 C 7/91 - BVerwGE 92, 281; OVG Bremen, B. v. 17.07.2009 - S3 A 6/09 -; BayLSG, U. v. 14.02.2008 - L 11 SO 20/07 -m.w.N.). Dass der übergeleitete Anspruch der Mutter auf Rückgabe der Schenkungen
nach §
528 BGB offensichtlich ausgeschlossen ist, ist nicht ersichtlich und wird auch vom Kläger nicht geltend gemacht.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beklagte das ihr in § 93 Abs. 1 S. 1 SGB
XII eingeräumte Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat.
Hinsichtlich der an die Ermessensentscheidung zu stellenden Anforderungen kann auf die bisherige Rechtsprechung zu § 90 BSHG zurückgegriffen werden, da der mit Wirkung vom 01.01.2005 an die Stelle des § 90 BSHG getretene § 93 SGB XII - wie erwähnt - im Wesentlichen der alten Regelung entspricht (vgl. Hessisches LSG, B. v. 01.11.2007 - L 9 SO 79/07
ER -). Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 27.05.1993 (5 C 7/91 = BVerwGE 92, 281) die Bedeutung des Nachrangprinzips (vgl. § 2 BSHG), dessen Verwirklichung § 90 BSHG ermöglichen solle, betont. Die Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange könne in der Praxis wegen
des starken Gewichts des Nachranggrundsatzes regelmäßig dazu führen, dass eine Überleitungsanzeige an den Drittschuldner ermessensfehlerfrei
ergehe. Allerdings sei nicht auszuschließen, dass in Einzelfällen die Überleitung eines Anspruchs als unbillig oder unzumutbar
erscheine. Dies könne z.B. der Fall sein, wenn der Drittschuldner einen pflegebedürftigen Familienangehörigen vor dem Eintreten
der Sozialhilfe weit über das Maß der ihn treffenden Verpflichtung hinaus gepflegt und den Sozialhilfeträger dadurch erheblich
entlastet habe oder wenn infolge der Anspruchsüberleitung eine nachhaltige Störung des Familienfriedens zu befürchten wäre
und der Grundsatz der familiengerechten Hilfe verletzt würde.
In Anlehnung an diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung zu § 93
Abs. 1 SGB XII von sog. intendierten Ermessen gesprochen (vgl. BayLSG, U. v. 14.02.2008 - L 11 SO 20/07 -; LSG Nordrhein-Westfalen,
B. v. 20.12.2006 - L 20 B 135/06 SO -; vgl. auch Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 93 Rn. 16).
Bei Berücksichtigung dieser Rechtsprechung lässt sich nicht feststellen, dass die angefochtenen Bescheide ermessensfehlerhaft
ergangen sind. Die Beklagte hat gesehen, dass die öffentlichen Interessen und die privaten Interessen des Klägers gegeneinander
abzuwägen sind. Im Bescheid vom 27.04.2005 ist nicht nur von einer "Abwägung der unterschiedlichen Interessenlagen" die Rede,
sondern wird auch das (private) Interesse des Klägers, den Wert des Geschenkes zu behalten, ausdrücklich angesprochen. Dass
die Beklagte im Widerspruchsbescheid nicht noch weiter auf die besonderen Lebensumstände des Klägers eingegangen ist, liegt
daran, dass in der Widerspruchsbegründung solche Umstände nicht deutlich gemacht wurden. Vielmehr stützte der Kläger die Widerspruchsbegründung
maßgeblich darauf, dass es an einem bürgerlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch der Mutter fehle. Auch waren aus den Akten
besonders gelagerte Umstände zugunsten des Klägers (i. S. der erwähnten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts), die
eine Ausnahme von der Überleitung hätten tragen können, nicht ersichtlich. Fehlt es aber an einem Vortrag von Tatsachen, die
ein Absehen von der Überleitung rechtfertigen könnten und sind solche Tatsachen auch sonst nicht aus den Akten zu ersehen,
so ist kein Raum für (weitere) Ermessenserwägungen zugunsten des Klägers (vgl. auch BVerwG, U. v. 26.11.1999 - V C 54.69 - zu § 90 BSHG). Es ist deshalb nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte im Widerspruchsbescheid zur Begründung ihrer Ermessensentscheidung
nicht weiter zu den besonderen Lebensumständen des Klägers Stellung genommen, sondern maßgeblich auf den Nachranggrundsatz
abgestellt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung und Erläuterung zur Prozesskostenhilfe
I. Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann nicht mit der Revision angefochten werden, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Oberverwaltungsgericht
- Senat für Sozialgerichtssachen - nicht zugelassen worden ist.
...
II. Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
Für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter, der nicht schon durch einen Bevollmächtigten
der unter I. a und b genannten Gewerkschaften, Vereinigungen oder juristischen Personen vertreten ist, Prozesskostenhilfe
zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.
...