Berücksichtigung der Kosten des Umgangs eines barunterhaltspflichtigen Elternteils bei der Bemessung des Selbstbehalts
Tatbestand:
Die Kläger nehmen den Beklagten, ihren Vater, auf Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch.
Die am 18. April 1990 und am 4. April 1992 geborenen Kinder stammen aus der geschiedenen Ehe des Beklagten und ihrer Mutter,
bei der sie leben und der auch die elterliche Sorge zusteht. Mit ihrer Klage haben sie Kindesunterhalt ab 1. Januar 2001 nach
Gruppe 1, 2. Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle (Stand: 1. Juli 1999) in Höhe von monatlich jeweils 431 DM verlangt.
Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt und dabei ausgesprochen, daß der Unterhalt abzüglich des anrechenbaren
Kindergeldes für ein erstes und zweites Kind (derzeit 431 DM abzüglich 0 DM) zu zahlen sei, der Kindergeldanteil in der Höhe,
in der der geschuldete Unterhalt 135 % des jeweiligen Regelbetrages unterschreite, aber nicht anrechenbar sei. Die dagegen
gerichtete Berufung des Beklagten, mit der er eine Anrechnung des hälftigen Kindergeldes, also eine Herabsetzung des Unterhalts
um 135 DM auf monatlich jeweils 296 DM erstrebt hat, blieb erfolglos. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt er dieses
Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
1. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß der Beklagte zur Leistung des den Klägern zuerkannten Unterhalts von monatlich
jeweils 431 DM in der Lage sei. Dazu hat es im wesentlichen ausgeführt: Nach den für das Jahr 2001 vorgelegten Verdienstbescheinigungen
habe der Beklagte ein monatliches Nettoeinkommen von 2.394,57 DM erzielt, von dem nach Abzug der 5 %igen Pauschale für berufsbedingte
Aufwendungen 2.274,84 DM verblieben. Hinzuzurechnen sei 1/3 der dem Beklagten von seinem Arbeitgeber steuerfrei gezahlten
Auslösung von insgesamt 9.718 DM im Jahr, monatlich also (9.718 DM : 12 : 3) 269,94 DM, so daß sich das unterhaltsrechtlich
relevante Einkommen auf insgesamt 2.544,78 DM belaufe. Nach Abzug des ab 1. Juli 2001 maßgeblichen notwendigen Selbstbehalts
von 1.640 DM verblieben für den Unterhalt der Kinder noch 904,78 DM, also mehr als vom Amtsgericht mit insgesamt 862 DM zuerkannt.
Von einer Anrechnung des hälftigen, für die Kläger gezahlten Kindergeldes habe das Amtsgericht nach §
1612 b Abs.
5 BGB zutreffend abgesehen. Nach der genannten Bestimmung, die verfassungsgemäß und deshalb zu Recht angewandt worden sei, finde
im vorliegenden Fall im Hinblick auf die lediglich nach Gruppe 1 der Düsseldorfer Tabelle geltend gemachten Unterhaltsbeträge
eine Kindergeldanrechnung nicht statt.
2. Soweit die Revision hiergegen einwendet, §
1612 b Abs.
5 BGB sei bei strikter Anwendung und ohne anderweitige Entlastung des Unterhaltspflichtigen mit Art.
3 und Art.
6 GG nicht vereinbar, kann ihr nicht gefolgt werden.
Wie der Senat nach Erlaß des angefochtenen Urteils entschieden hat, dient die Vorschrift des §
1612 b Abs.
5 BGB in der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung, nach der eine Anrechnung des Kindergeldes unterbleibt, soweit der Unterhaltspflichtige
außerstande ist, Unterhalt in Höhe von 135 % des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten, der Sicherstellung
des sächlichen Existenzminimums eines Kindes. Mit Rücksicht auf diese Zielsetzung hat der Senat die Bestimmung für mit dem
Grundgesetz vereinbar gehalten (Senatsurteil vom 29. Januar 2003 - XII ZR 289/01 - FamRZ 2003, 445, 447 ff.). Auch das Bundesverfassungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, daß §
1612 b Abs.
5 BGB nicht gegen Art.
3 Abs.
1 GG verstößt, soweit er zur Sicherung des Existenzminimums des unterhaltsberechtigten Kindes die Anrechnung des Kindergeldes
auf den Kindesunterhalt von der Leistungsfähigkeit des barunterhaltspflichtigen Elternteils abhängig macht und diesen vor
dem betreuenden Elternteil verpflichtet, seinen Kindergeldanteil zur Deckung eines Defizits beim Kindesunterhalt einzusetzen
(BVerfG FamRZ 2003, 1370, 1372 ff.). Ob die Sicherstellung des Existenzminimums durch die Regelung dauerhaft erreicht werden kann, erscheint zwar
ungewiß. Denn §
1612 b Abs.
5 BGB ermöglicht es dem Verordnungsgeber, gemäß §
1612 a Abs.
4 BGB über die einkommensorientierte Veränderung der Regelbeträge maßgeblich Einfluß auf die Größe zu nehmen, die prozentual, nämlich
mit 135 %, als Maßstab für die Bestimmung des Existenzminimums angesetzt worden ist. Wenn sich mithin die Regelbeträge entsprechend
der Entwicklung des durchschnittlich verfügbaren Arbeitsentgelts ändern und nicht entsprechend dem existenzsichernden Bedarf
eines Kindes, erscheint es zweifelhaft, ob auch in Zukunft 135 % des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung dem Barexistenzminimum
eines Kindes entsprechen werden. §
1612 b Abs.
5 BGB bietet aufgrund seiner Konstruktion insofern keinen geeigneten Maßstab, der dauerhaft gewährleistet, daß das mit der Norm
verfolgte Ziel, das die Differenzierung bei der Kindergeldanrechnung rechtfertigt, nicht verfehlt wird. Mit Rücksicht darauf
ist der Gesetzgeber nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gehalten, in regelmäßigen Abständen zu prüfen, ob
die von ihm unter Zuhilfenahme von Bezugsgrößen mit prozentualen Aufschlägen in §
1612 b Abs.
5 BGB gewählte Bemessung des Existenzminimums eines Kindes noch tauglich ist, dieses richtig zu bestimmen (BVerfG aaO. S. 1374
f.). Für die Geltungsdauer der derzeitigen Regelbetrag-Verordnung kann dies aber nicht bezweifelt werden, denn eine solche
Entwicklung kann sich allenfalls längerfristig ergeben. Deshalb bestehen gegen die Verfassungsmäßigkeit des §
1612 b Abs.
5 BGB weiterhin keine Bedenken.
Daraus folgt, daß von einer Anrechnung des hälftigen Kindergeldes auf den Barunterhalt der Kläger zu Recht abgesehen worden
ist. Dieses wird benötigt, um das mit 582 DM (431 DM + 35 %) anzusetzende Existenzminimum der Kläger möglichst weitgehend
sicherzustellen (431 DM + 135 DM hälftiges Kindergeld = 566 DM).
3. Die Revision macht weiter geltend, ein höherer Kindesunterhalt als monatlich jeweils 296 DM werde jedenfalls deshalb nicht
geschuldet, weil der dem Beklagten zuzubilligende Selbstbehalt um die Kosten der Ausübung des Umgangsrechts mit den Klägern
zu erhöhen sei. Die betreffenden Aufwendungen beliefen sich nach dem im Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Vortrag des
Beklagten auf monatlich mindestens 270 DM. Diesem Einwand ist ein Erfolg nicht zu versagen.
a) Nach der bisherigen - auf dem Rechtszustand vor dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes zum 1. Juli 1998
beruhenden - Rechtsprechung des Senats hat der Umgangsberechtigte die üblichen Kosten, die ihm bei der Ausübung des Umgangsrechts
entstehen, wie Fahrt-, Übernachtungs-, Verpflegungskosten und ähnliches, allerdings grundsätzlich selbst zu tragen; er kann
sie deshalb weder unmittelbar im Wege der Erstattung noch mittelbar im Wege einer Einkommensminderung geltend machen, und
zwar weder gegenüber dem unterhaltsberechtigten Kind noch gegenüber einem unterhaltsberechtigten Ehegatten (Senatsurteile
vom 9. November 1994 - XII ZR 206/93 - FamRZ 1995, 215, 216 mit ablehnender Anmerkung Weychardt FamRZ 1995, 539, 540 und vom 19. Juni 2002 - XII ZR 173/00 - FamRZ 2002, 1099, 1100). Dabei hat der Senat maßgebend darauf abgestellt, daß die Wahrnehmung des persönlichen Kontakts mit seinem Kind unmittelbar
Ausfluß der Verantwortung eines Elternteils und seines höchstpersönlichen Rechts aus § 1634
BGB a.F. ist. Bei den dadurch anfallenden Belastungen handle es sich um Kosten, die er im eigenen und im Interesse des Kindes
selbst aufzubringen habe. Zur Entlastung dienten staatliche Vergünstigungen wie das Kindergeld, das ihm im Verhältnis zu dem
anderen sorgeberechtigten Elternteil hälftig zustehe. Eine Abweichung von diesen Grundsätzen habe sich in engen Grenzen zu
halten, um letztlich die Lebenshaltung des Kindes nicht zu beeinträchtigen. So könne eine einkommensmindernde Berücksichtigung
der Kosten des Umgangsrechts etwa dann in Betracht kommen, wenn der andere Elternteil mit den Kindern in einer solchen Entfernung
wohne, daß angesichts ohnehin beengter wirtschaftlicher Verhältnisse die Kostenbelastung für den Umgangsberechtigten schlechthin
unzumutbar sei und dazu führe, daß dieser sein Umgangsrecht nicht oder nur noch in eingeschränktem Umfang ausüben könne (Senatsurteil
vom 9. November 1994 aaO. S. 215 f.).
b) An dieser Rechtsprechung kann im Hinblick auf die zwischenzeitlich veränderte Rechtslage nicht mehr uneingeschränkt festgehalten
werden. Nach §
1684 BGB, der inzwischen - anstelle des weggefallenen § 1634
BGB - den Umgang des Kindes mit den Eltern regelt, hat einerseits das Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; andererseits
ist aber auch jeder Elternteil zum Umgang mit dem Kind berechtigt und verpflichtet (§
1684 Abs.
1 BGB). Beides ist Ausfluß seiner Verantwortung für dessen Wohl (§§
1618 a,
1626,
1631 BGB). Die in §
1684 Abs.
1 BGB geregelten Rechte und Pflichten stehen - ebenso wie die elterliche Sorge des anderen Elternteils - unter dem Schutz von Art.
6 Abs.
2 Satz 1
GG (BVerfG FamRZ 2002, 809).
§
1612 b Abs.
5 BGB greift in dieses Recht zwar nicht unmittelbar ein. Seine Anwendung hat allerdings zur Folge, daß dem barunterhaltspflichtigen
Elternteil das anteilige Kindergeld ganz oder teilweise nicht mehr zugute kommt, er hierdurch mithin auch keine finanzielle
Entlastung hinsichtlich der durch die Ausübung des Umgangsrechts entstehenden Kosten zu erlangen vermag. Er muß deshalb die
Umgangskosten mit seinem nach Abzug des Unterhalts verbleibenden Einkommen bestreiten. Wenn und soweit die über den notwendigen
Selbstbehalt hinaus noch vorhandenen Mittel hierfür aber nicht ausreichen, kann dies einen Elternteil zu einer Einschränkung
der Umgangskontakte veranlassen und damit auch den Interessen des Kindes zuwiderlaufen.
Mit Rücksicht auf diese Konstellation hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 29. Januar 2003 (aaO. S. 449) darauf hingewiesen,
daß zu erwägen sein wird, ob und in welchem Umfang Umgangskosten eines Barunterhaltspflichtigen, dem sein Kindergeldanteil
infolge der Vorschrift des §
1612 b Abs.
5 BGB (teilweise) nicht zugute kommt, mit Blick auf die Neuregelung zu einer angemessenen Minderung des unterhaltsrechtlich relevanten
Einkommens oder einer angemessenen Erhöhung des Selbstbehalts des Unterhaltsverpflichteten führen können. Auch das Bundesverfassungsgericht
hält die vorgenannten unterhaltsrechtlichen Möglichkeiten für das geeignete Mittel, um sicherzustellen, daß Umgangskontakte
zwischen dem Kind und dem Unterhaltspflichtigen nicht an den Kosten scheitern, nachdem dieser insoweit nicht mehr bzw. nicht
mehr uneingeschränkt auf den Einsatz des Kindergeldes verwiesen werden kann (BVerfG FamRZ 2003 aaO. 1377).
Da das Unterhaltsrecht dem Unterhaltspflichtigen nicht die Möglichkeit nehmen darf, sein Umgangsrecht zur Erhaltung der Eltern-Kind-Beziehung
auszuüben, sind die damit verbundenen Kosten konsequenterweise unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen, wenn und soweit sie
nicht anderweitig, insbesondere nicht aus dem anteiligen Kindergeld, bestritten werden können (ebenso Wendl/Scholz Das Unterhaltsrecht
in der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 2 Rdn. 169; Luthin/Margraf Handbuch des Unterhaltsrechts 10. Aufl. Rdn. 1341
a; vgl. auch OLG Frankfurt FPR 2004, 398, 399). Andernfalls müßte der Unterhaltspflichtige wegen der betreffenden Kosten Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nehmen
(vgl. zu dieser Möglichkeit nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage: BVerfG FamRZ 1995, 86, 87; BVerwG FamRZ 1996, 105, 106; zur Rechtslage seit dem 1. Januar 2005: vgl. Müller Kind-Prax 2005, 3, 4); er darf aber durch die Gewährung von Unterhalt nicht selbst sozialhilfebedürftig werden (Senatsurteil vom 10. Juli 1996
- XII ZR 121/95 - FamRZ 1996, 1272, 1273).
Welcher Umgang mit dem Kind angemessen ist und welche Kosten demgemäß zu berücksichtigen sind, richtet sich maßgeblich nach
dessen Wohl (§
1626 Abs.
3 Satz 1
BGB). Wegen der betreffenden Kosten, die in der Regel das anteilige Kindergeld nicht übersteigen dürften, wird in den Fällen,
in denen §
1612 b Abs.
5 BGB eingreift, in erster Linie eine maßvolle Erhöhung des notwendigen Selbstbehalts des Unterhaltspflichtigen in Betracht kommen,
soweit er diese Kosten andernfalls nur unter Gefährdung seines Selbstbehalts aufbringen könnte.
4. Danach kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte hat in dem von der Revision in Bezug genommenen Schriftsatz vorgetragen, das Umgangsrecht mit den Klägern alle
zwei Wochen am Wochenende auszuüben. Dazu habe er die Kinder mit dem Auto an ihrem Wohnort abzuholen und wieder dorthin zurückzubringen,
wobei die einfache Fahrtstrecke 15 km betrage. Er müsse ferner Wohnraum für die Übernachtungen bereithalten und die Verpflegung
der Kinder am Wochenende sicherstellen. Dieser Vortrag ist mangels gegenteiliger Feststellungen für das Revisionsverfahren
zugrunde zu legen. Da dem Beklagten nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts kein Kindergeldanteil zugute
kommt und ihm jedenfalls für die Zeit ab 1. Juli 2001 über den notwendigen Selbstbehalt von - seinerzeit - monatlich 1.640
DM hinaus nur rund 40 DM monatlich an Mitteln zur Verfügung standen, spricht alles für die Annahme, daß er die Kosten der
Ausübung des Umgangsrechts nicht aufzubringen vermag, ohne daß sein notwendiger Selbstbehalt gefährdet wird. Das gilt selbst
dann, wenn für das Bereithalten von Wohnraum für die Übernachtungen der Kinder keine zusätzlichen Kosten anzusetzen sind,
weil es - von Ausnahmefällen abgesehen - angemessen und ausreichend sein dürfte, die Kinder in den dem Wohnraumbedarf des
Unterhaltspflichtigen entsprechenden Räumlichkeiten mit unterzubringen.
Der dem Beklagten zu belassende Selbstbehalt wird deshalb so zu bemessen sein, daß er in die Lage versetzt wird, hiervon neben
seinem eigenen notwendigen Bedarf auch die Kosten des Umgangs mit seinen Kindern zu bestreiten. Die dazu erforderlichen Feststellungen
wird das Oberlandesgericht in dem weiteren Verfahren nachzuholen haben.