Unangemessene Verwertung eines Hausgrundstücks zur Prozessführung
Gründe:
I.
Das Arbeitsgericht hat Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil es dem Kläger zumutbar sei, bestehendes Vermögen einzusetzen. Der
Kläger habe den Wert des Hausgrundstücks mit 250.000,00 EUR angegeben, so dass nach Abzug der Restschuld der Kläger noch über
ein Vermögen von ca. 164.000,00 EUR verfüge. Es sei ihm zuzumuten, dieses zur Prozessführung einzusetzen. Auf den Beschluss
vom 30.09.2004 sowie den Nichtabhilfebeschluss vom 20.10.2004 wird im Übrigen Bezug genommen.
Der Kläger bringt in der Beschwerde vor, der Verkauf des Hauses zum jetzigen Zeitpunkt würde eine besondere Härte bedeuten,
weil es wegen des im Umbau befindlichen Zustands nur weit unter Wert verkauft werden könne. Nach Auskunft eines eingeschalteten
Maklers sei realistischerweise ein Preis von allenfalls 198.000,00 EUR zu erzielen, also mehr als 1/5 unter dem anzunehmenden
Verkehrswert. Der Einsatz des Vermögens sei nur zumutbar, wenn die Verwertung alsbald erfolgen könne. Dem Kläger sei es nicht
zuzumuten gewesen, mit der Klageerhebung zu warten, bis Prozesskostenhilfe bewilligt sei, weil die Frist des § 4 KSchG zu beachten gewesen sei. Im Formblatt über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Kläger angegeben, er
lebe getrennt von seiner Ehefrau. Weiter hat er ausgeführt, der begonnene Umbau habe aufgrund der Trennung von der Ehefrau
und dem dadurch bedingten Wegfall eines Einkommens nicht abgeschlossen werden können.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist in der Sache begründet.
1. Die Änderungen in Absatz
1 Satz 3 und Absatz
2 Satz 2 des §
115 ZPO durch Art. 34 Nr. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts im Sozialgesetzbuch sind für Prozesskostenhilfebewilligungen vor dem 01.01.2005
noch nicht anwendbar, so dass sich die Verweisung in §
115 Abs.
2 ZPO noch auf §
88 des Bundessozialhilfegesetzes bezieht (vgl. Musielak/Fischer
ZPO 4. Aufl. §
115 Rz. 57 a).
2. Im Streitfall würde der Einsatz des Vermögens, nämlich des Hausgrundstücks eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG bedeuten. Der Einsatz des Vermögens bei einem vorhandenen Hausgrundstück kommt in zwei Alternativen in Betracht, nämlich
durch Verkauf des Grundstücks oder durch Kreditaufnahme. Bei vorhandenem Grundvermögen ist es in der Regel auch zumutbar,
einen Kredit für die Prozesskosten aufzunehmen und das Grundstück zu belasten (vgl. Musielak/Fischer a.a.O. Rz. 50). Im Streitfall
ist eine Kreditaufnahme für die Gerichts- und Anwaltskosten in Höhe von voraussichtlich 1.253,06 EUR nicht realistisch, da
der arbeitslose Kläger die Kreditraten nicht aufbringen könnte. Er bezieht Arbeitslosengeld in Höhe von 899,00 EUR monatlich
und hat bereits monatliche Belastungen von 783,00 EUR. Eine Kreditbewilligung durch eine Bank kann somit realistischerweise
nicht angenommen werden, da der Kläger voraussichtlich die Kreditraten nicht aufbringen könnte. Abgesehen davon, dass Kreditinstitute
Grundstücke wegen eines Kleinkredits in der Regel nicht beleihen, ist eine Beleihung wegen einer geringen Kostenlast unzumutbar
(Zöller-Philippi
ZPO 24. Aufl. §
115 Rz. 64 m.w.N.).
Auch ein Verkauf des Hausgrundstücks kann vom Kläger nicht gefordert werden. Wenn sich Ehegatten trennen, führt dies nicht
sofort dazu, dass das Haus verwertet werden muss, da einerseits vor Ablauf des ersten Trennungsjahres noch ungewiss ist, ob
die Ehe überhaupt endgültig scheitert und im Übrigen nicht abzusehen ist, welche Regelung die Ehegatten oder das Gericht später
treffen werden (so Musielak/Fischer a.a.O. § 115 Rz. 46 m.w.N., der auch darauf hinweist, dass im Falle des späteren Hausverkaufs
nach §
120 Abs.
4 ZPO verfahren werden kann). Die Vorschrift des § 88 Abs. 3 BSHG stellt eine gesetzliche Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dar. Unabhängig davon, ob man den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art.
20 Abs.
3 GG herleitet (vgl. hierzu die Nachweise bei Fischer im Rechtspfleger 2004 f. Rz. 19) ist die
ZPO grundrechtsfreundlich auszulegen (vgl. Zöller/Vollkommer
ZPO 24. Aufl. Einleitung Rz. 98). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist somit auch im Prozesskostenhilfeverfahren nach §
114 f. zu beachten. Die Prozesskostenhilfe ist eine staatliche Fürsorgeleistung und kann als Sozialhilfe in besonderen Lebenslagen
angesehen werden, wobei die Regelungen der Prozesskostenhilfe der Sozialhilfe vorgehen (vgl. Musielak/Fischer a.a.O. vor §
114 Rz. 1). Nach § 89 BSHG, der ebenfalls eine gesetzliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt, kann eine Leistung darlehensweise
gewährt werden, wenn die sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich ist oder eine Härte bedeuten würde. Verbessern sich
die Vermögensverhältnisse der Partei, der Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, so kann auch bei zunächst ratenfreier Bewilligung
Ratenzahlung angeordnet werden (vgl. Musielak/Fischer a.a.O. § 120 Rz. 18; Zöller-Philippi 24. Aufl. § 120 Rz. 20). In diesen
Fällen wird eine ähnliche Hilfeleistung gewährt wie bei der darlehensweisen Hilfeleistung nach § 89 BSHG, da die unbemittelte Partei nur vorübergehend von der Pflicht zur Ratenzahlung befreit wird. Nach dem verfassungsrechtlichen
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist im Streitfall sowohl zu berücksichtigen, in welcher Höhe Gerichts- und Anwaltskosten
voraussichtlich anfallen und wie sie im Verhältnis zum Wert des Hausgrundstücks stehen als auch der Vortrag des Klägers, eine
schnelle Verwertung des Hausgrundstücks sei nur bei Hinnahme größerer Verluste, nämlich Verkauf unter Wert, möglich. Im Recht
der Zwangsvollstreckung, in dem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch eine Reihe von Vorschriften, z.B. §
765 a ZPO zum Ausdruck kommt (vgl. hierzu Fischer Rechtspfleger 2004, 599 unter II. m.w.N.) wird als Beispiel angeführt die "Eigentumsverschleuderung"
in der Immobiliar-Zwangsvollstreckung. Ein Vergleich der Vorschrift des §
765 a ZPO mit der Vorschrift des § 89 BSHG zeigt, dass § 89 BSHG weit geringere Anforderungen an den Begriff der Härte stellt, als §
765 a ZPO. Während § 89 BSHG lediglich von einer Härte spricht, verlangt §
765 a ZPO eine Härte, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Wenn schon bei der Zwangsvollstreckung in Immobilien die Aufhebung,
Untersagung oder einstweilige Einstellung in Betracht kommt, wenn Immobilien weit unter Wert veräußert werden sollen, dann
ist es im Recht der Sozialhilfe bei Anlegung eines gesetzlich formulierten milderen Maßstabes beachtlich, wenn ein zeitnaher
Verkauf ohne erheblichen Wertverlust nicht zu erwarten ist. Der Umstand, dass §
115 Abs.
2 ZPO nur auf § 88 BSHG verweist, nicht aber auch auf § 89 BSHG, steht der Berücksichtigung der angeführten Umstände im Rahmen der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht entgegen.
In diesem Rahmen spielen auch die Größenverhältnisse eine Rolle, nämlich Gerichtskosten von voraussichtlich 418,74 EUR und
Anwaltshonorare in Höhe von voraussichtlich 834,32 EUR, die in unverhältnismäßiger Relation zum Wert des Hausgrundstücks von
ca. 250.000,00 EUR liegen. Sind bei der Verwertung eines Grundstücks die zu erwartenden finanziellen Einbußen unverhältnismäßig
viel höher als die Prozesskosten, kann die Verwertung des Grundstücks nicht gefordert werden (vgl. Zöller-Philippi a.a.O.
§ 115 Rz. 64).
Da der Kläger Raten nicht aufbringen kann und ihm die Veräußerung des Grundstücks nicht zumutbar ist, ist ihm Prozesskostenhilfe
ohne Ratenzahlung zu bewilligen, wobei auf §
120 Abs.
4 ZPO hingewiesen wird.
Offen bleiben kann, ob das Wohnhaus unangemessen groß ist (80 qm im Erdgeschoss und ausgebaute Räume im Kellergeschoss mit
ca. 45 qm) sowie ob die derzeitige Trennung der Eheleute dazu führt, dass die Angemessenheit der Wohnung nur noch auf eine
Person zu beziehen ist. Als angemessene Wohnungsgrößen werden bei Eigentumswohnungen bis zu 120 qm angenommen und bei Familienheimen
bis zu 130 qm (vgl. Zöller-Philippi a.a.O. § 115 Rz. 53; Musielak/Fischer a.a.O. § 115 Rz. 46). Danach wäre jedenfalls durch
ein Bewohnen des Hauses von zwei Personen von einer unangemessenen Größe nicht mehr auszugehen, wenn man die Trennung der
Eheleute noch nicht als endgültig ansehen könnte. Darüber hinaus wird vertreten, dass beispielsweise durch den Auszug von
Kindern ein Haus nicht automatisch unangemessen groß wird (vgl. Musielak/Fischer a.a.O. § 115 Rz. 46), was wohl auch auf den
Auszug eines Ehegatten übertragen werden könnte. Darauf kommt es aber nicht mehr an.
Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben, die Zulassung der Rechtsbeschwerde war nicht veranlasst (§ 78 Satz 2 ArbGG, §
574 Abs.
1 Ziffer 2
ZPO).