Festsetzung einer höheren Vergütung aus der Landeskasse
Beschwerde
Fehlende Beschwerdebefugnis
Unbilligkeit der Gebührenbemessung
Höhe der Toleranzgrenze
Gründe
Die im eigenen Namen und zudem im Namen des Klägers die Beschwerde führende Klägerbevollmächtigte begehrt die Festsetzung
einer höheren Vergütung aus der Landeskasse nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) für ihr Tätigwerden vor dem Sozialgericht (SG) Detmold im Verfahren S 3 KR 346/15.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist unzulässig, die seiner Bevollmächtigten ist zulässig aber unbegründet.
1. Die Beschwerdeführerin legt ausdrücklich eine Vielzahl verschiedener Rechtsmittel im Namen des Klägers und im eigenen Namen
ein ("Beschwerde, hilfsweise Erinnerung, hilfsweise sonst zulässiges Rechtsmittel"). Als Rechtsanwältin müsste sie eigentlich
dazu in der Lage sein, das zulässige Rechtsmittel zu benennen, zumal es vom SG im angefochtenen Bescheid zutreffend benannt wurde. Der Senat geht zu Gunsten der Beschwerdeführer davon aus, dass sie allein
Beschwerde nach § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG i.V.m. § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG führen wollen. Eine solche Beschwerde ist das einzig zulässige Rechtsmittel gegen den Beschluss des SG vom 10.05.2015 (vgl. zur Auslegung von Rechtsmitteln, die von Rechtskundigen eingelegt werden: Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Auflage 2017, vor §
143 Rn. 15c m.w.N.).
2. Über die Beschwerde entscheidet der Senat durch den Berichterstatter als Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG).
3. Die Beschwerde des Klägers ist unstatthaft und damit als unzulässig zu verwerfen, denn ihm fehlt die Beschwerdebefugnis
(Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Beschluss vom 20.05.2015 - L 20 SO 466/14 B -). Die Festsetzung der aus
der Staatskasse zu gewährenden Vergütung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erfolgt nur auf Antrag des beigeordneten
Rechtsanwalts (§ 55 Abs. 1 Satz 1 RVG). Erinnerungs- und damit auch beschwerdebefugt ist dementsprechend nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG allein der Rechtsanwalt (vgl. Hartung in Hartung/Schons/Enders, RVG, 2. Auflage, 2013, § 56 Rn. 29; Hartmann, Kostengesetze, 45. Auflage, 2015, § 55 und § 56 jeweils Rn. 4).
4. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist nach § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Beschwerdegegenstand (d.h. die Differenz zwischen der mit 211,23 EUR festgesetzten
und der mit der Beschwerde i.H.v. 678,30 EUR geltend gemachten Vergütung) übersteigt den Betrag von 200,00 EUR. Die Beschwerdefrist
von zwei Wochen nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) ist eingehalten. Das Sozialgericht hat die Beschwerde nicht für begründet erachtet und daher dem Beschwerdegericht vorgelegt
(§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 1 RVG).
5. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist jedoch unbegründet.
Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung aus der Staatskasse, soweit
in Abschnitt 8 des RVG nichts anderes bestimmt ist. Dabei richtet sich die Höhe des Vergütungsanspruchs nach dem RVG i.V.m. der hierzu erlassenen Verwaltungsvorschrift (VV) des RVG. Nach § 3 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 RVG entstehen in sozialgerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren, sofern das GKG - wie hier - wegen des nach §
183 SGG kostenprivilegierten Klägers keine Anwendung findet. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 RVG kann die Beschwerdeführerin grundsätzlich sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus ihrer Tätigkeit ab Wirksamwerden
ihrer Beiordnung (31.08.2015) ergeben (Hartmann, Kostengesetze, 45. Auflage, 2015, § 48 RVG Rn. 11 ff.; LSG NRW, Beschluss vom 28.12.2010 - L 19 AS 1954/10 B -, jeweils m.w.N.).
Zu Recht hat die Beschwerdeführerin eine Verfahrensgebühr nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG in Ansatz gebracht, denn eine Verfahrensgebühr in diesem Sinne entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der
Information (vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV RVG). Mit Einreichung der Klageschrift in dem hier fraglichen Verfahren war damit eine Verfahrensgebühr angefallen. Das SG und die Beteiligten haben für die Bemessung der Verfahrensgebühr zutreffend den Gebührenrahmen nach Nr. 3102 VV RVG zu Grunde gelegt.
Dabei ist die vom Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmte Gebühr verbindlich, sofern sie nicht unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Unbilligkeit ist (erst) anzunehmen, wenn bei Anwendung der gesetzlichen Bestimmungskriterien eine Toleranzgrenze von 20
% überschritten wird (BSG, Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R -). Das ist hier der Fall.
Bestimmungskriterien sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG vor allem der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber
sowie dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Bei Rahmengebühren, die sich - wie hier - nicht nach dem Gegenstandswert
richten, ist ferner das Haftungsrisiko des Rechtsanwalts zu berücksichtigen (§ 14 Abs. 1 Satz 3 RVG). Sämtliche heranzuziehende Kriterien stehen selbstständig und gleichwertig nebeneinander. Ihre Aufzählung im Gesetz ist
nicht abschließend, so dass weitere, unbenannte Kriterien hinzutreten können (BSG a.a.O.).
Ausgangspunkt für die Bestimmung der Gebühr im konkreten Einzelfall ist die sog. Mittelgebühr (hier: 300,00 EUR), denn diese
bildet die in einem Normal-/Durchschnittsfall billige Gebühr. Ein solcher Fall liegt vor, wenn sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts
unter Beachtung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG nicht nach oben oder nach unten vom Durchschnitt aller sozialrechtlichen Fälle abhebt (BSG a.a.O.). Ob es sich um einen Durchschnittsfall handelt, ergibt sich aus dem Vergleich mit den sonstigen, bei den Gerichten
der Sozialgerichtsbarkeit anhängigen Streitsachen. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass sich der Vergleich auf alle
sozialgerichtlichen Verfahren im ersten Rechtszug zu beziehen hat.
In Anwendung dieser Kriterien erscheint der Kostenansatz der Beschwerdeführerin mit 678,30 EUR in der Kostennote vom 28.06.2016
unbillig.
Der (dokumentierte) Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war unterdurchschnittlich bis deutlich unterdurchschnittlich. Er beschränkte
sich auf die Abfassung der dreiseitigen Klageschrift und das Zu-den-Akten-Reichen eines vom Gericht angeforderten Gutachtens
(vgl. zum Kriterium der Anzahl der Schriftsätze: Straßfeld, SGb 2008, 705, 707 und zum Aktenumfang: Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf, Beschluss vom 28.09.2010 - III-1 Ws 117/10 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2015 - III-3 AR 65/14 -). Weitere Schriftsätze wurden nicht verfasst, Beiakten mussten nicht ausgewertet werden, Besprechungen mit Gegner, Sachverständigen
oder Zeugen fanden nicht statt. Nebenverfahren wie Dienstaufsichtsbeschwerden oder Befangenheitsantragsverfahren gab es nicht.
Mit (vom Gericht) erhobenen Beweisen musste die Beschwerdeführerin sich nicht auseinandersetzen und auch nicht mit neuem Vorbringen
der Beklagten (vgl. zu alle diesen und weiteren Kriterien: Winkler in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Auflage, 2018, § 14 Rn. 17 m.w.N.). Der Umfang bleibt selbst dann unterdurchschnittlich, wenn man die persönliche Situation des Klägers (Alkoholabhängigkeit
und geringe Intelligenz) und den von der Bevollmächtigten vorgetragenen, daraus resultierenden schwierigen Umgang mit ihm
berücksichtigt (vgl. zur Berücksichtigungsfähigkeit: Winkler in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Auflage, 2018, § 14 Rn. 16 m.w.N.). Zudem kann es auf den von der Beschwerdeführerin angegebenen, von ihr für das Verfahren aufgewandten Zeitaufwand
von 20 Stunden nicht allein und entscheidend ankommen. Dieser muss zumindest einer gewissen Objektivierung zugänglich sein,
was hier - wie auch das SG rügt - anhand des nach außen dokumentierten Tätigkeitsumfangs nicht der Fall ist (vgl. zum Kriterium der Objektivierung von
Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit: LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16.06.2003 - L 5 B 13/03 SF SK -). Dies gilt insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden, in dem die Klägerbevollmächtigte und Beschwerdeführerin
zugleich Betreuerin des Klägers ist, was die Differenzierung der für die beiden Tätigkeiten aufgewandten Zeit - einerseits
als Betreuerin und andererseits als Anwältin - besonders schwierig macht. Auf die Frage, ob die Tätigkeit der Beschwerdeführerin
zugleich als Anwältin und Betreuerin des Klägers zu Synergieeffekten geführt hat, kommt es danach nicht (mehr) entscheidend
an.
Die Angelegenheit war auch allenfalls von durchschnittlicher Schwierigkeit. Zwar ist der Klägerbevollmächtigten zuzugestehen,
dass Rechtsstreitigkeiten mit Auslandsbezug oft überdurchschnittlich schwierig sind; dies gilt vorliegend jedoch nur eingeschränkt.
Zum einen kommen Kostenerstattungsstreitigkeiten bei Sozialgerichtskammern, die mit Angelegenheiten nach dem
SGB V befasst sind, regelmäßig mehrfach im Jahr vor. Entsprechend gibt es dazu ausreichend Rechtsprechung (ca. 300 Treffer bei
Juris) und Literatur. Zum anderen wies der vorliegende Streit darüberhinausgehend keine Schwierigkeiten auf. Dokumente mussten
nicht erst im Ausland besorgt und übersetzt werden, mit ausländischen Zeugen musste nicht gesprochen werden, Beweiserhebungen
mussten nicht bewertet, zu ihnen musste nicht ergänzend Stellung genommen werden.
Die finanziellen Verhältnisse des Klägers sind weit unterdurchschnittlich und im Rahmen der Abwägung des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigen (SG Berlin, Beschluss vom 27.07.2011 - S 165 SF 6502/10 E -; Winkler in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Auflage, 2018, § 14 Rn. 28). Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ("Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers").
Die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger war ebenfalls unterdurchschnittlich, allenfalls durchschnittlich. Zwar sprechen
die beengten wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers - er bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - für eine
eher überdurchschnittliche Bedeutung des Streits über die Erstattung von im Ausland (Ägypten) entstandenen ärztlichen Behandlungskosten
i.H.v. 850,00 EUR. Anderseits befand der Kläger sich dort im selbst finanzierten Urlaub und konnte die Kosten aus Erspartem
tragen. Auch ging es nicht um laufende und damit regelmäßig anfallende Beträge. Im Verhältnis zu sonst vor Sozialgericht anhängigen
Streitigkeiten wie z.B. aus dem (Unfall-) Rentenbereich, dem Vertragsarztrecht, aber auch Rechtsstreitigkeiten betreffend
Leistungen des SGB II,
SGB III,
SGB IX oder
SGB XI war der vorliegende Streit von seiner finanziellen Bedeutung tendenziell von unterdurchschnittlicher Bedeutung. Die von der
Beschwerdeführerin wiederholt betonte, besondere subjektive Bedeutung des Rechtsstreits kann so nicht zugrunde gelegt werden.
Gegen ein besonderes subjektives Interesse spricht, dass der Kläger den Rechtsstreit - auch nach Vorbringen seiner Bevollmächtigten
- praktisch nicht betrieben hat. Dies hat schließlich zur Beendigung des Verfahrens mittels Rücknahmefiktion geführt.
Das Haftungsrisiko für die Beschwerdeführerin war im Hinblick auf die geringe, einmalig zu zahlende, strittige Summe und die
allenfalls durchschnittliche Schwierigkeit des Falls ebenfalls tendenziell unterdurchschnittlich.
Nach alledem erscheint bei einer Gesamtabwägung sämtlicher genannter Gesichtspunkte der Ansatz der Verfahrensgebühr Nr. 3102
VV RVG mit einer unterhalb der Mittelgebühr liegenden Gebühr von 200,00 EUR als gerechtfertigt.
Zum Nachteil der Beschwerdeführerin bislang unberücksichtigte Gebührentatbestände sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.
Neben der Verfahrensgebühr sind deshalb nur noch die Kosten für die Inanspruchnahme von Post- und Telekommunikationsdienstleistungen
zu berücksichtigen (Nr. 7002 VV RVG) und die Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) in die Berechnung einzustellen.
6. Wegen der Verfassungsgemäßheit der Anrechnung der hälftigen Gebühr nach Nr. 2503 VV RVG auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG wird auf den von der Beschwerdeführerin zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.08.2011 - 1 BvR 2473/10 - und dort auf die Rn. 23 und 24 (zitiert nach Juris) Bezug genommen. Daraus geht hervor, dass das Bundesverfassungsgericht
bezüglich dieser Anrechnung gerade keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert hat. Darauf hat bereits das SG im angefochtenen Beschluss hingewiesen.
7. Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).
8. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).