Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen verfassungsgemäß
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob von den Versorgungsbezügen (Zusatzrente der Versorgungsanstalt des Bundes und der
Länder - VBL-Rente -) des als Beziehers einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in der Krankenversicherung der
Rentner (KVdR) pflichtkrankenversicherten Klägers weiterhin nur der halbe Beitragssatz zu entrichten ist.
Mit Bescheid vom 21. April 2004 verpflichtete die Beklagte den 1941 geborenen Kläger, aus seinen Bezügen seiner VBL-Rente
ab 01.01.2004 Krankenversicherungsbeiträge nach dem vollen allgemeinen Beitragssatz zu entrichten.
Seinen hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass der 1982 eingeführte halbe Beitragssatz auf Versorgungsbezüge
auf eine Entscheidung des Gesetzgebers zurückgehe, diese Leistungen nicht höher zu belasten, als die Renten der gesetzlichen
Rentenversicherung. Insofern sehe er sich durch die Anhebung des Beitragssatzes in seinen Rechten aus den allgemeinen Gleichheitssatz
verletzt. Die Beitragserhöhung bedeute für ihn eine unzumutbare Belastung und Härte, zumal sich durch die Auswirkungen der
Gesundheitsreform und der Rentenkürzungen sowie Nullrunden ohnehin sein Ruhestandseinkommen erheblich reduziert habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2004 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, aufgrund der eindeutigen
gesetzlichen Regelung des §
248 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) gelte bei Versicherungspflicht für die Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen der jeweils am 01.07. geltende allgemeine
Beitragssatz der Krankenkasse. Deswegen bestünde keine Möglichkeit, die von der Verwaltung getroffene Entscheidung abzuändern.
Mit seiner dagegen beim Sozialgericht M. (SG) erhobenen Klage machte der Kläger geltend, der Gesetzgeber habe mit der Regelung des §
248 Satz 1
SGB V die Grenze seiner Gestaltungsfreiheit überschritten, weil er in unzulässiger Weise unter Verstoß gegen Art.
14 Grundgesetz (
GG) in den sozialrechtlichen Besitzstand der VBL-Rente eingreife und ihn im Gegensatz zu den Rentnern in der gesetzlichen Rentenversicherung
hinsichtlich seiner Versorgungsbezüge in gleichheitswidriger Weise mit dem vollen Beitragssatz belaste.
Mit Gerichtsbescheid vom 8. Juli 2004, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 15. Juli 2004, wies das SG die Klage mit der Begründung ab, die angegriffenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig, denn nach §
248 Satz 1
SGB V gelte bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen der jeweils am 1. Juni geltende
allgemeine Beitragssatz ihrer Krankenkasse für das folgende Kalenderjahr. Diese zum 01.01.2004 getroffene Neuregelung verstoße
auch nicht gegen Verfassungsrecht. In den Eigentumsschutz für die VBL-Rente könne schon deswegen nicht eingegriffen werden,
weil die Höhe dieser Rente nicht durch einen gesetzgeberischen Eingriff beeinträchtigt werde, sondern die Rente lediglich
als erhaltene Einnahme zu Beiträgen für die Pflichtkrankenversicherung herangezogen werde. Die Belastung der Versorgungsbezüge
sei auch mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art.
3 Grundgesetz (
GG) vereinbar, denn die Beitragsbemessung im Sozialversicherungsrecht richte sich nach der jeweiligen Leistungsfähigkeit des
Versicherten. Deswegen habe die gesetzgeberische Neuregelung auch die bisherige Ungleichheit, dass Krankenkassen bei versicherungspflichtigen
Mitgliedern aus deren Versorgungsbezügen lediglich Beiträge nach dem halben Beitragssatz erhielten, wohingegen ansonsten die
versicherungspflichtigen Einkünfte grundsätzlich dem vollen Beitragssatz unterlägen, beseitigt. Eine besondere Betroffenheit
der Versorgungsempfänger bestehe lediglich darin, dass diese nach §
150 Abs.
1 Nr.
1 SGB V aus ihren Versorgungsbezügen den Beitrag alleine zu tragen hätten, wohingegen bei Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung
der Versicherungspflichtige und der Träger der Rentenversicherung den Beitrag je zur Hälfte trügen (§
249a SGB V). Darin liege jedoch ebenfalls keine sachwidrige Ungleichbehandlung, da die Leistungsfähigkeit des Versorgungssystems der
Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder im Hinblick auf die auszahlbaren Rentenbezüge - im Gegensatz zur gesetzlichen
Rentenversicherung - nicht schon vorweg dadurch beeinträchtigt sei, dass das Versorgungssystem außer dem Beitragsaufkommen
selbst die Hälfte der Beitragslast zur Krankenversicherung zu tragen habe.
Dem Gerichtsbescheid ist die Rechtsmittelbelehrung beigefügt, er könne mit der Berufung nicht angefochten werden.
Der Kläger-Vertreter hat hiergegen zunächst am 19. Juli 2004 beim SG Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt, diese nach dem gerichtlichen Hinweis vom 29. September 2004 zurückgenommen
(L 11 KR 3263/04 NZB) und am 5. Oktober 2004 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung macht er geltend, die Vorschrift sei verfassungswidrig,
so dass es ihm vorliegend darum gehe, den Rechtsstreit dem Verfassungsgericht vorlegen zu können.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts M. vom 8. Juli 2004 sowie den Bescheid vom 21. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, lediglich den halben Beitragssatz bei der Bemessung des Beitrags
zur Krankenversicherung in Abzug zu bringen,
hilfsweise das Verfahren gemäß Art.
100 Abs.
1 Grundgesetz auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu einzuholen, ob §
248 Satz 1
SGB V verfassungsgemäß ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass die Beitragserhebung entsprechend den gesetzlichen Regelungen des §
248 SGB V erfolgt sei und dies auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, da der Gesetzgeber mit der Neuregelung der Forderung
des Verfassungsgerichts zur Gleichbehandlung der Versicherten bei der Beitragserhebung aus Betriebsrenten nachgekommen sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§
143,
151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten nach §
124 Abs.
2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, da das SG irrtümlich und mit einer falschen Rechtsmittelbelehrung die Zulassung der Berufung abgelehnt hat, obwohl die Rechtssache
wiederkehrende Leistungen für mehr als 1 Jahr, nämlich laufende Beiträge (Meyer-Ladewig, Kommentar zum
SGG, §
144 RdNr.
23) betrifft. Aufgrund der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung gilt nach §
66 Abs.
2 SGG auch die Jahresfrist für die Einlegung der Berufung, so dass die Berufungsfrist vorliegend eingehalten wurde.
Die zulässige Berufung ist indessen unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, weswegen der Senat ergänzend auf die Entscheidungsgründe
nach §
153 Abs.
2 SGG Bezug nimmt. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.
Mai 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass von seinen
Versorgungsbezügen auch nach dem 01.01.2004 nur der halbe Beitragssatz bei der Bemessung des Beitrages zur Krankenversicherung
in Abzug zu bringen ist.
Dies folgt aus §
248 Satz 1
SGB V, wonach bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen der jeweils
am 1. Juli geltende allgemeine Beitragssatz ihrer Krankenkasse für das folgende Kalenderjahr gilt.
Mit den angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte dieses Gesetz ab 01.01.2004 lediglich umgesetzt.
Streitig ist daher nur, ob §
248 SGB V gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art.
3 GG verstößt. Der Gleichheitssatz ist nämlich nur dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen
Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht
bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (sog. neue Formel seit BVerfGE 79, 87, 98). Sachlicher Grund für die Aufgabe der Halbierung des Beitragssatzes durch das GMG war, Rentnern, die Versorgungsbezüge
und Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit erhalten, in angemessenem Umfang an der Finanzierung der Leistungsaufwendungen
für sie zu beteiligen (BT-Drucks 15/1525 S. 140). Denn die Beitragszahlungen der Rentner haben noch 1973 zu gut 70% deren
Leistungsaufwendungen abgedeckt, während sie mittlerweile nur noch ca. 43% decken. Es ist daher ein Gebot der Solidarität
der Rentner mit den Erwerbstätigen, den Anteil der Finanzierung der Leistungen durch die Erwerbstätigen nicht noch höher werden
zu lassen.
Die Änderung geht weiterhin auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. März 2000 (Az.: 1 BvL 16/96, 1 BvL 17/96, 1 BvL 18/96, 1 BvL 19/96, 1 BvL 20/96 und 1 BvL 18/97) zurück (SozR 3-2500 § 5 Nr. 42), wo anlässlich der verfassungsrechtlichen Beanstandung des §
5 Abs.
1 Nr.
1 Abs.
1 SGB V, d.h. der Regelung des Zugangs zur Krankenversicherung der Rentner, auch §
248 SGB V a.F. beanstandet wurde, nämlich die nicht begründete unterschiedliche beitragsrechtliche Belastung der Versorgungsbezüge.
Denn §
248 SGB V a.F. hatte zur Folge, dass nur die freiwillig Versicherten aus diesen beitragspflichtigen Einkommen einen vollen Beitrag
leisten mussten, welches unter Gleichbehandlungsgründen nicht unproblematisch war (so auch Peters, Kasseler Kommentar, §
248 SGB V RdNr. 8).
Somit besteht zum einen ein sachlicher Grund für die Heranziehung der Versorgungsbezüge in vollem Umfang für die Beitragsbemessung,
zum anderen beseitigt die Neuregelung gerade die bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Ungleichheiten, nämlich, dass die Krankenkasse
nur bei versicherungspflichtigen Mitgliedern und nur auf deren Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen lediglich einen Beitrag
nach dem halben Beitragssatz erhebt, während sie sonst einen Beitrag nach dem vollen Beitragssatz berechnete. D.h. die schwer
verständliche Priviligierung der versicherungspflichtigen Rentner gegenüber den freiwillig versicherten Rentnern wurde beseitigt,
die seit je her einen Beitrag nach dem vollen Beitragssatz zu zahlen hatten. Schließlich wurde auch die Inkongurenz zur sozialen
Pflegeversicherung behoben, wo auch bei versicherungspflichtigen Mitgliedern schon bisher der volle Beitragssatz anzuwenden
war (BSG SozR 3-3300 § 55 Nr. 3).
Die Neuregelung führt zwar dazu, dass die versicherungspflichtigen Mitglieder den Beitrag nach dem vollen Beitragssatz nach
§
150 Abs.
1 Nr.
1 SGB V alleine tragen müssen, wohin gegen bei Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Versicherungspflichtige und der
Träger der Rentenversicherung den Beitrag je zur Hälfte tragen (§
249a SGB V). Dies ist aber darin sachlich begründet, dass die gesetzliche Rentenversicherung aus ihrem Beitragsaufkommen selbst die
Hälfte der Beitragslast zur Krankenversicherung zu tragen hat.
Des weiteren kann bemängelt werden, dass ein Unterschied zu weiterhin nicht berücksichtigten anderen Einkommensarten (Miet-
und Zinseinnahmen) besteht. Diese Ungleichbehandlung findet aber ihre Rechtfertigung darin, dass die Heranziehung dieser anderen
Einnahmen auf erhebliche praktische Schwierigkeiten stoßen würde (so auch Peters NZS 2002, 393 ff.).
Somit führen auch die beiden zuletzt genannten Gesichtspunkte nicht zu einem Verstoß gegen Art.
3 GG, da sie jeweils sachlich begründet sind und damit die konkrete gesetzgeberische Ausgestaltung zwar zu (neuen) Ungleichheiten
führt, diese aber im Ergebnis nicht willkürlicher Natur sind.
Der Senat hat daher die Vorschrift für verfassungsgemäß erachtet und deswegen von einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht
abgesehen.
Die Berufung war daher insgesamt zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf §
193 SGG beruht.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach der Neuregelung des §
248 Satz 1
SGB V durch Art. 1 Nr. 148 GMG vom 14.11.2003, BGBl. I, 2190 zugelassen.