Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit bei der Bemessung des Trennungsunterhalts
Gründe:
Mit der Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer die ihm auferlegte Verpflichtung zur Zahlung von Getrenntlebendenunterhalt
an.
I. 1. Im Jahre 1983 schlossen der Beschwerdeführer und die Klägerin des Ausgangsverfahrens die Ehe. Die Ehefrau führte während
der Ehezeit überwiegend den Haushalt. Seit Februar 1999 lebten die Eheleute getrennt.
Das Amtsgericht Lüneburg verpflichtete den Beschwerdeführer mit Urteil vom 18. Februar 2000 zur Zahlung von Unterhaltsleistungen
in Höhe von 2.175 DM. Es sei von einem durchschnittlichen bereinigten Monatseinkommen in Höhe von 4.075,15 DM auszugehen.
Hinzuzurechnen sei der Vorteil des mietfreien Wohnens mit 1.000 DM. Von dem danach unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen
in Höhe von 5.075 DM gebührten der Ehefrau 3/7, also gerundet 2.175 DM. Zu einer Arbeitsaufnahme sei sie, weil sie überwiegend
den Haushalt geführt habe und die Ehe seit 1983 dauere, im Hinblick auf den kurzen Trennungszeitraum nicht verpflichtet gewesen.
Im Berufungsverfahren holte das Oberlandesgericht, nachdem der Beschwerdeführer seit dem 15. Mai 2000 seine Arbeitszeit auf
50 % reduziert hatte, ein Gutachten zu der Frage ein, ob dies aus gesundheitlichen Gründen gerechtfertigt gewesen sei. Der
Gutachter gelangte zu dem Ergebnis, der Beschwerdeführer habe an einer endoreaktiven Depression gelitten, welche eine Reduzierung
der Arbeitszeit erforderlich gemacht habe; auch eine vollständige Krankschreibung bei gleichzeitiger intensiver Psychotherapie
hätte nicht zu einer früheren Gesundung geführt.
Mit Urteil vom 15. November 2001 änderte das Oberlandesgericht Celle das erstinstanzliche Urteil ab. Für das Jahr 1999 sei
nach Abzug der Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung, verschiedener Darlehensverbindlichkeiten und Fahrtkosten sowie
unter Hinzurechnung des Wohnwertes des vom Beschwerdeführer bewohnten Familienheimes ein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen
des Beschwerdeführers von 4.107 DM zugrunde zu legen. Die Ehefrau verfüge über kein Einkommen, sie sei im Trennungsjahr auch
nicht zur Arbeitsaufnahme verpflichtet gewesen. Der Unterhaltsanspruch betrage danach 2.053 DM.
Für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 14. Mai 2000 hat das Oberlandesgericht ein unterhaltsrechtlich bereinigtes Einkommen
von 4.026 DM ermittelt. Hierin enthalten war eine auf das Jahr mit einem monatlichen Betrag von 708 DM umgelegte Steuererstattung.
Hiervon ausgehend hat das Oberlandesgericht einen Unterhaltsanspruch in Höhe von 2.013 DM festgesetzt.
Für den Zeitraum vom 15. Mai 2000 bis zum 7. Februar 2001 hat das Oberlandesgericht lediglich das Einkommen des Beschwerdeführers
aus seiner halbschichtigen Tätigkeit berücksichtigt und daraus ein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen von 1.789 DM ermittelt.
Der Ehefrau stehe hiervon die Hälfte, also 894 DM als Unterhalt zu.
Für den Zeitraum vom 8. Januar 2001 bis zum 23. Mai 2001 (Rechtskraft des Scheidungsurteils) hat das Oberlandesgericht ebenfalls
ein unterhaltsrechtlich bereinigtes Nettoeinkommen von 1.789 DM zugrunde gelegt, jedoch auf Seiten der Ehefrau die ab diesem
Zeitpunkt vom Arbeitsamt im Rahmen einer Fortbildungsmaßnahme erhaltenen Leistungen in Höhe von 1.198 DM berücksichtigt. Die
Differenz zum Einkommen des Beschwerdeführers betrage 591 DM; hiervon stehe der Ehefrau die Hälfte, also 296 DM als Unterhalt
zu.
2. Mit seiner rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem die Verletzung von Art.
2 Abs.
1
GG. Durch die festgesetzten Unterhaltsleistungen werde der Betrag, den er zur Sicherung seines Existenzminimums benötige, spätestens
ab dem 15. Mai 2000 erheblich unterschritten und der in den Richtlinien des Oberlandesgerichts vorgesehene Selbstbehalt nicht
gewahrt. Das Oberlandesgericht habe nicht nur für das Jahr 2000, sondern auch für das Folgejahr den Betrag von 708 DM monatlich
aus der Steuerrückerstattung als Einkommen berücksichtigt, obschon er dargelegt habe, dass er eine solche Rückerstattung im
Jahre 2001 nicht erhalten habe.
3. Die Landesregierung von Niedersachsen sowie die Beteiligte des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
II. 1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberlandesgerichts gemäß § 93 b
BVerfGG zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art.
2 Abs.
1
GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde ist insoweit gemäß § 93 c Abs. 1
BVerfGG stattzugeben, denn sie ist offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen insbesondere
der Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf das Unterhaltsrecht hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden
(BVerfGE 57, 361 [388]; 80, 286 [293]).
2. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in dem bezeichneten Umfang in seinem Grundrecht aus Art.
2 Abs.
1
GG.
a) Die Auferlegung von Unterhaltsleistungen schränkt den Verpflichteten in seiner durch Art.
2 Abs.
1
GG geschützten Handlungsfreiheit ein, die im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet ist. Hierzu gehört auch das
Unterhaltsrecht, soweit es mit Art.
6 Abs.
1
GG in Einklang steht (BVerfGE 57, 361 [378]). Dabei darf die Auslegung und Anwendung verfassungsgemäßer unterhaltsrechtlicher Normen nicht zu verfassungswidrigen
Ergebnissen führen (vgl. BVerfGE 80, 286 [294]). Der ausgeurteilte Unterhalt darf den Unterhaltspflichtigen nicht unverhältnismäßig belasten (vgl. BVerfGE 57, 361 [388]; 80, 286 [293]). Wird die Grenze des Zumutbaren eines Unterhaltsanspruchs überschritten, ist die Beschränkung der Dispositionsfreiheit
des Verpflichteten im finanziellen Bereich als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen
Ordnung und kann vor Art.
2 Abs.
1
GG nicht bestehen (vgl. BVerfGE 57, 361 [381]).
Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Unterhaltsrecht ist §
1603 Abs.
1
BGB, nach dem nicht unterhaltspflichtig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne
Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Für den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten
bestimmt §
1581
BGB, dass der Verpflichtete, wenn er außerstande ist, ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts dem Berechtigten Unterhalt
zu gewähren, nur insoweit Unterhalt zu leisten braucht, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse sowie die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse
der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht. Beim Trennungsunterhalt fehlt zwar eine dem §
1581
BGB entsprechende Regelung. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet jedoch, diese Vorschrift entsprechend anzuwenden, da sich
auch der Anspruch auf Trennungsunterhalt wie jeder Unterhaltsanspruch an der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten
auszurichten hat. Diese endet dort, wo der Unterhaltsverpflichtete das ihm zur Verfügung stehende Einkommen für die Abdeckung
des eigenen Lebensbedarfs benötigt. Die Gerichte haben deshalb im Einzelfall zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige in der
Lage ist, den beanspruchten Unterhalt zu zahlen oder ob dieser - unbeschadet der Zulässigkeit der Zurechnung fiktiven Einkommens
- die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen übersteigt.
Die finanzielle Leistungsfähigkeit endet jedenfalls dort, wo der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene
Existenz zu sichern. Zur Bestimmung dieser Grenze haben die Oberlandesgerichte in unterhaltsrechtlichen Leitlinien Selbstbehaltssätze
aufgestellt. In den im streitbefangenen Zeitraum maßgeblichen unterhaltsrechtlichen Richtlinien des Oberlandesgerichts Celle
(Stand 1. Juli 1998) ist der notwendige Selbstbehalt beim Ehegattenunterhalt auf einen Betrag im Bereich zwischen den Beträgen
für den notwendigen Selbstbehalt gegenüber Kindern (Ziff. IV Nr. 1: 1.500 DM) und dem angemessenen Selbstbehalt gegenüber
volljährigen Kindern (Ziff. IV Nr. 2: 1.800 DM), in der Regel auf 1.650 DM festgelegt (vgl. Ziff. IV Nr. 3). Alternativ hierzu
könnten aber auch die Regelsätze der Sozialhilfe dazu herangezogen werden, den Eigenbedarf eines Unterhaltspflichtigen zu
ermitteln. Die Rechtsprechung der Fachgerichte legt hierzu den doppelten Eckregelsatz eines Haushaltsvorstands nach § 22
BSHG zugrunde (vgl. BGH, FamRZ 1989, S. 272 f.).
b) Diesen Grundsätzen hat das Oberlandesgericht bei der Anwendung des Unterhaltsrechts für den Zeitraum vom 15. Mai 2000 bis
zum 23. Mai 2001 nicht hinreichend Rechnung getragen und damit das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art.
2 Abs.
1
GG verletzt. Nach Abzug der dem Beschwerdeführer auferlegten Unterhaltsverpflichtung von seinem unterhaltsrechtlich bereinigten
Nettoeinkommen ist ihm lediglich ein verfügbarer Betrag in Höhe von 894 DM verblieben. Selbst unter Abzug eines in den unterhaltsrechtlichen
Richtlinien der meisten Oberlandesgerichte ausgewiesenen Wohnkostenanteils vom maßgeblichen Selbstbehaltsbetrag, ist dieser
dem Beschwerdeführer verbleibende Einkommensbetrag noch niedriger gewesen als der so reduzierte Selbstbehaltsbetrag.
Das Oberlandesgericht hat zudem für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2001 die für das Vorjahr angestellte Einkommensberechnung
zugrunde gelegt und lediglich für den Zeitraum ab dem 8. Januar 2001 die auf Seiten der Ehefrau eingetretene Veränderung ihrer
Einkommenssituation durch den Bezug von Leistungen des Arbeitsamtes bei der Unterhaltsberechnung berücksichtigt. Die Übernahme
der für das Vorjahr angestellten Einkommensberechnung lässt jedoch außer Acht, dass die vom Oberlandesgericht für das Jahr
2000 als einkommenserhöhend berücksichtigte Steuerrückerstattung an den Beschwerdeführer von umgerechnet monatlich 708 DM
im Folgejahr nicht mehr erfolgt ist. Dies war vom Beschwerdeführer auch unter Vorlage des Steuerbescheides vom 12. April 2001
für das Steuerjahr 1999 vorgetragen worden.
Der auf dieser Basis errechnete Unterhaltsbetrag führt beim Beschwerdeführer für den verbleibenden Zeitraum zu einer weiteren
Unterschreitung des Selbstbehaltsbetrages.
Die Verfassungsbeschwerde ist im Übrigen unbegründet.
3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2
BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.