Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs
Sozialversicherungspflicht
Einstweiliger Rechtsschutz
Unbillige Härte
Gründe
I.
Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13.8.2013 zu Recht abgelehnt. Das Beschwerdevorbringen
führt zu keiner abweichenden Beurteilung.
1. Nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben,
diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten einschließlich
der Säumniszuschläge. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird,
erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses
an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an §
86a Abs.
3 Satz 2
SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die
Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge
hätte. Da §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier des Widerspruchs, zumindest
überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise
noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt
der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v.
7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906 [907 f.]; Beschluss v. 27.6.2013, L 8 R 114/13 B ER, ASR 2014, 26 ff.).
2. Ausgehend davon wird sich die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Annahme der Antragsgegnerin, die für die Antragstellerin
tätig gewordenen vermeintlich selbständigen "Nachunternehmer" seien in Wahrheit abhängig beschäftigt und aufgrund dessen sozialversicherungspflichtig
gewesen, voraussichtlich als zutreffend erweisen. Auch wenn die Antragstellerin eingangs des Beschwerdeverfahrens zunächst
noch anderer Meinung gewesen sein mag, lässt ihr aktueller Vortrag, sie selbst habe umfassenden Weisungen der redi-group unterlegen
und daher sei diese Arbeitgeberin der "Nachunternehmer" gewesen, nur den Schluss zu, dass nunmehr auch sie der Auffassung
ist, die "Nachunternehmer" seien abhängig beschäftigt tätig geworden.
3. Die weitergehende Annahme der Antragsgegnerin, die Antragstellerin sei Arbeitgeberin der von ihr eingesetzten abhängig
beschäftigten Mitarbeiter gewesen, wird sich nach derzeitigem Sachstand (ebenfalls) nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
als falsch erweisen.
a) Arbeitgeber und damit Beitragsschuldner gemäß §
28e Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV) ist, wem der Anspruch auf die vom Beschäftigten nach Maßgabe des Weisungsrechts geschuldete Arbeitsleistung zusteht und
wer dem Beschäftigten dafür als Gegenleistung zur Entgeltzahlung verpflichtet ist (BSG, Urteil v. 27.7.2011, B 12 KR 10/09 R, SozR 4-2400 § 28e Nr. 4). Ausgehend von den getroffenen vertraglichen Vereinbarungen, denen auch die Antragstellerin nicht
entgegentritt, sind diese Verpflichtungen im Verhältnis zwischen ihr und den "Nachunternehmern" vereinbart worden.
b) Die Rechtsauffassung der Antragstellerin, die von ihr beschäftigten Mitarbeiter seien aufgrund der Rechtsfigur des sog.
"mittelbaren Arbeitsverhältnisses" in Wahrheit als Arbeitnehmer der redi-group anzusehen, sodass allein diese auch für die
Zahlung der für die Beschäftigten zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge hafte, findet im bislang festgestellten Sachverhalt
wie im Vortrag der Antragstellerin selbst keine hinreichende Stütze.
aa) Ein mittelbares Arbeitsverhältnis liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer von einem Mittelsmann beschäftigt wird, der seinerseits
selbst Arbeitnehmer eines Dritten ist, und die Arbeit mit Wissen des Dritten unmittelbar für diesen geleistet wird. Dem Arbeitnehmer
können Rechte gegen den Hauptarbeitgeber zustehen, wenn die Einschaltung des Mittelsmannes rechtsmissbräuchlich ist (BAG,
Urteil v. 24.6.2004, 2 AZR 208/03, EzBAT § 53 BAT Betriebsübergang Nr. 8 m.w.N.).
bb) Die Antragstellerin trägt insoweit nur vor, sie sei (möglicherweise) selbst Arbeitnehmerin der redi-group gewesen. Inwiefern
jedoch die von der redi-group gewählte Konstruktion im Verhältnis zu den "Nachunternehmern", für die nunmehr Sozialversicherungsbeiträge
entrichtet werden sollen, rechtsmissbräuchlich gewesen sein soll, ist aus dem Vortrag der Antragstellerin nicht einmal ansatzweise
ersichtlich.
4. Vor diesem Hintergrund wird sich der angefochtene Bescheid schließlich nicht deshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
als rechtswidrig erweisen, weil die Antragsgegnerin im Prüfverfahren ihre Amtsermittlungspflicht (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch
Zehntes Buch [SGB X]) verletzt hat.
a) Die Antragsgegnerin bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen (§ 20 Abs. 1 Satz 2 SGB X) und bedient sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich
hält (§ 21 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Wie der Senat bereits entschieden hat, darf sie in diesem Zusammenhang auf der Grundlage des § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auch Unterlagen der Finanzbehörden, namentlich des Hauptzollamtes (HZA), beiziehen und auswerten (Senat, Beschluss v. 24.11.2015,
L 8 R 595/15 B ER, [...]). Aus den vom Senat beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin ergibt sich, dass diese in zulässiger Weise
verschiedene Vernehmungsniederschriften des HZA und seinen Schlussbericht in dem Ermittlungsverfahren gegen die Antragstellerin
vom 30.9.2010 zur Grundlage ihrer Feststellungen gemacht hat.
b) Der Umstand allein, dass im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens bzw. eines sich anschließenden gerichtlichen Hauptsacheverfahrens
noch weitergehende Feststellungen zu treffen sind, rechtfertigt nicht die Annahme, der angefochtene Bescheid werde sich mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweisen. Hierfür müssten vielmehr Anhaltspunkte vorliegen, dass noch ausstehende
Ermittlungen die Beitragspflicht der Antragstellerin in Frage stellen. Solche sind jedoch, wie dargestellt, bislang jedenfalls
nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ersichtlich.
5. Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin schließlich darauf, dass die Vollziehung des Beitragsbescheides eine unbillige
Härte bedeuten würde.
a) Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für die Antragstellerin verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen
führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten sind. Darüber
hinausgehende, nicht oder nur schwer wieder gut zu machende Nachteile sind nicht erkennbar. Im Hinblick auf die mit der Beitragsnachforderung
verbundenen berechtigten Interessen der Versichertengemeinschaft sowie der einzelnen Versicherten kann vielmehr gerade bei
bestehender oder drohender Zahlungsunfähigkeit des Beitragsschuldners eine alsbaldige Beitreibung geboten sein (vgl. bereits
Senat, Beschluss v. 21.2.2012, L 8 R 1047/11 B ER, [...]). Eine beachtliche Härte in diesem Sinne ist also regelmäßig nur dann denkbar, wenn es dem Beitragsschuldner
gelänge darzustellen, dass das Beitreiben der Forderung aktuell die Insolvenz und/oder die Zerschlagung seines Geschäftsbetriebes
zur Folge hätte, die Durchsetzbarkeit der Forderung bei einem Abwarten der Hauptsache aber zumindest nicht weiter gefährdet
wäre als zurzeit (Senat, Beschluss v. 13.7.2011, L 8 R 287/11 B ER, [...]). Jedenfalls an der zweiten Voraussetzung fehlt es hier jedoch.
b) Soweit die Antragstellerin auf mögliche gesundheitliche Gefährdungen durch eine Forderungsrealisierung verweist, kann dem
im Vollstreckungsverfahren durch eine Entscheidung der Einzugsstellen bzw. der Vollstreckungsbehörden über Ob, Wann und Wie
einer Vollstreckung Rechnung getragen werden. Einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bedarf es dafür
nicht.
II.
Auch der Hilfsantrag der Antragstellerin, über die Beschwerde aufgrund mündlicher Verhandlung zu entscheiden, hat keinen Erfolg.
1. Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können nach §
124 Abs.
3 SGG ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung ergeht - auch im Beschwerdeverfahren - durch Beschluss (§
86b Abs.
4 SGG), erfordert also keine mündliche Verhandlung. In Ausübung des ihm durch §
124 Abs.
3 SGG eingeräumten Ermessens hält der Senat eine solche im vorliegenden Fall nicht für erforderlich. Das Beschwerdevorbringen erfordert
keine Tatsachenfeststellungen, die im Rahmen des summarischen Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz getroffen werden könnten.
Die Antragstellerin ist anwaltlich vertreten und, wie ihr schriftsätzliches Vorbringen zeigt, unbedenklich in der Lage, ihrem
Anliegen rechtliches Gehör zu verschaffen.
2. Etwas anders folgt mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) auch nicht aus dem Antrag der Antragstellerin auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist auf den einstweiligen Rechtsschutz gegen Beitragsbescheide im Betriebsprüfungsverfahren nicht anwendbar, weil mit der
Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht - auch nicht zeitweise - über das Bestehen des in Streit
stehenden Anspruchs befunden wird (vgl. zu diesem Kriterium EGMR Große Kammer, Urteil v. 15.10.2009, 17056/06; Grabenwarter/Pabel, in: EMRK/GG-Konkordanzkommentar, 2013, Kap. 14 Rdnr. 17)
und sich diese Entscheidung auch nicht unmittelbar auf den Verlauf der Verhandlung der Hauptsache auswirkt (vgl. EGMR 5. Sektion, Urteil v. 13.1.2011, 32715/06, NJW 3703 ff.).
III.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).