BGH, Urteil vom 06.12.1984 - IVb ZR 53/83
Unterhaltsanspruch einer erwachsenen Tochter mit zwei nichtehelichen (Klein-)Kindern gegen ihren Vater:
(a-b) strenge Anforderungen an die Bejahung der Unterhaltsbedürftigkeit eines Volljährigen (Vorrang der wirtschaftlichen Eigenverantwortung),
(b) dementsprechend nur begrenzte Freistellung von der Erwerbsobliegenheit wegen Kindesbetreuung (Anknüpfung an § 1615 l BGB);
(c-d) grundsätzlich keine Berücksichtigung der Ursache für die Bedürftigkeit - zumal der nichtehelichen Mutterschaft - zum Nachteil des Unterhaltsgläubigers,
(d) es sei denn, ihm ist - ausnahmsweise - ein sittliches Verschulden an der Bedürftigkeit im Sinne von Abs. 1 vorzuwerfen.
Fundstellen: BGHZ 93, 123 , DRsp I(167)329a-d, FamRZ 1985, 273 , JR 1985, 238 , JZ 1985, 434 , NJW 1985, 806
Normenkette:
BGB § 1601, § 1602 Abs.1, § 1611 Abs.1
Revisionsentscheidung zum Urteil des OLG Bremen in FamRZ 1984, 84 [hier: I (167) 308 c].
(a) "... Wenn es sich .. darum handelt, ob ein erwachsenes, gesundes Kind seine Eltern [hier: seinen Vater, den Bekl.] auf Unterhalt in Anspruch nehmen kann, sind an die Beurteilung, dieses sei außerstande, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, strenge Anforderungen zu stellen. .. § 1602 Abs. 1 BGB gibt der wirtschaftlichen Eigenverantwortung den Vorrang .. . Demnach ist ein Volljähriger, der sich nicht in der Berufsausbildung befindet, zunächst ausschließlich für sich selbst verantwortlich; eine Unterhaltspflicht Verwandter für ihn setzt daher erst ein, wenn er sich nicht selbst unterhalten kann (vgl. OLG Köln, FamRZ 83, 942 [hier: I (167) 305 a]. Er ist nach Abschluß seiner Ausbildung gehalten, auch berufsfremde Tätigkeiten aufzunehmen, wenn es ihm nicht möglich ist, im erlernten Beruf sein Auskommen zu finden. Dabei sind ihm auch Arbeiten unterhalb seiner gewohnten Lebensstellung zuzumuten. Erst danach kommt eine Inanspruchnahme der Eltern in Betracht (vgl. OLG Zweibrücken, FamRZ 83, 291). Für die Obliegenheit des erwachsenen Unterhaltsgläubigers zur Nutzung seiner Arbeitskraft gelten mithin ähnliche Maßstäbe wie für den barunterhaltspflichtigen Elternteil im Verhältnis zum minderjährigen Kind .. .
(b) Die [im Vergleich zum Recht des nachehelichen Unterhalts, § 1570 BGB] strengere Beurteilung der Bedürftigkeit beeinflußt auch die Antwort auf die Frage, ob und unter welchen Umständen ein erwachsener Abkömmling wegen der Betreuung eines Kindes von der Erwerbsobliegenheit freigestellt und deshalb seinen Eltern gegenüber als unterhaltsbedürfig anzusehen ist. .. [Dazu] gibt das Gesetz in § 1615 l BGB, also bei der Regelung der Unterhaltsverpflichtung des Vaters gegenüber der Mutter eines Nichtehelichen [ne.] Kindes, einen Anhaltspunkt. Diese Unterhaltspflicht, die derjenigen der Eltern der Kindesmutter vorgeht (Abs. 3 Satz 2 ..), im vorl. Falle aber die Verpflichtung des Bekl. [wegen Leistungsunfähigkeit des Vaters der ne. Kinder] nicht zurücktreten läßt .., kann für die Zeit nach der Geburt .. bis auf ein Jahr verlängert werden .. [und zwar unter der] Voraussetzung, daß die Mutter nicht oder nur beschränkt erwerbstätig ist, weil das Kind andernfalls nicht versorgt werden könnte (Abs. 2 Satz 2 und 3 ..). Damit steht es nicht .. im Belieben der Kindesmutter, ob sie selbst das Kind versorgen möchte. ... Das Gesetz hat vielmehr einen betont objektiven Maßstab gewählt .. . Voraussetzung der Anspruchserstreckung ist danach, daß die Betreuung und Versorgung des Kindes durch die Mutter in dessen Interesse erforderlich ist, weil eine Möglichkeit zu anderer Versorgung, z. B. in einer Tagesheimstätte oder bei Verwandten, nicht besteht. Die Eltern der Kindesmutter, die dieser in der Zeit, für welche ein Unterhaltsanspruch aus § 1615 l BGB gegen den Kindesvater besteht, nur nachrangig und allgemein nur nach der Erschöpfung aller Erwerbsmöglichkeiten der Tochter unterhaltspflichtig sind, können nicht strenger haften. ..."