BGH, Urteil vom 15.11.1989 - IVb ZR 70/89
Begriff des "kleinen" Hausgrundstücks
»Ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von ca. 140 qm auf einem ca. 590 qm großen Grundstück kann nicht als "kleines" - einem Sozialhilfeempfänger nahezu unbelastet zu belassendes - Hausgrundstück angesehen werden.«
Fundstellen: BGHR ZPO § 233 Prozeßkostenhilfe 6, DRsp V(545)112f, FamRZ 1990, 389
Normenkette:
BSHG § 88 Abs.2 Nr.7
I. Die Klägerin hat den Beklagten, ihren geschiedenen Ehemann, auf Zahlung von 799.485 DM mit Zinsen sowie auf Rechnungslegung und "Herausgabe weiterer Beträge" nach der Auskunfterteilung in Anspruch genommen. Ihre Klage wurde vom Landgericht abgewiesen, die dagegen eingelegte Berufung vom Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 28. April 1989, der an diesem Tag beim Bundesgerichtshof einging, hat sie Prozeßkostenhilfe für eine Revision gegen das ihr zu Händen ihrer Prozeßbevollmächtigten am 28. März 1989 zugestellte Berufungsurteil beantragt. Der Senat hat den Antrag durch Beschluß vom 14. Juni 1989 abgelehnt, weil die wirtschaftlichen Voraussetzungen fehlen. Nach Zustellung dieses Beschlusses am 22. Juni 1989 hat die Klägerin am 6. Juli 1989 Revision eingelegt und zugleich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist gebeten.
II. Dem Wiedereinsetzungsgesuch kann nicht stattgegeben werden. Denn die Klägerin war nicht ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Revisionsfrist gehindert, § 233 ZPO.
Im Falle der Ablehnung eines Prozeßkostenhilfeantrages ist eine Wiedereinsetzung nur dann gerechtfertigt, wenn die Partei vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung des Gesuchs wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen mußte. War die Erwartung einer Gewährung der Prozeßkostenhilfe hingegen nicht gerechtfertigt, weil die Partei oder ihr Vertreter erkennen konnten, daß die wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht vorlagen oder nicht ausreichend dargetan waren, so kann die Wiedereinsetzung nicht erteilt werden (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. BGHZ 26, 99, 101; auch Senatsbeschlüsse vom 25. Februar 1987 - IVb ZB 157/86 und vom 25. März 1987 - IVb ZB 42/87 = BGHR ZPO § 233 Prozeßkostenhilfe 2 und 3, jeweils m.w.N.).
1. Die Klägerin bezieht von dem Beklagten monatlich 4.500 DM Elementarunterhalt, außerdem 1.075 DM Altersvorsorgeunterhalt sowie 500 DM Krankenversicherungskosten. An Vermögen besitzt sie ein Einfamilienhaus mit einer von ihr angegebenen Wohnfläche von 140 qm bei einer Grundstücksgröße von 590 qm, dessen Verkehrswert sie mit ca. 300.000 DM beziffert hat. Das Grundstück ist mit einer Briefgrundschuld der Sparkasse Bielefeld für ein (Tilgungs-)Darlehen von (noch) 38.058,02 DM - Stand 31. Dezember 1988 - belastet, auf das zur Zeit monatlich 468,75 DM (6,5% Zinsen und 6% Tilgung aus der ursprünglichen Schuld) geschuldet werden. An sonstigen Vermögenswerten hat die Klägerin in der Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO angegeben: "Gebrauchsschmuck, Geschenke vom Ehemann zur Geburt der Kinder u.s.w., deren Verwertung für mich eine besondere Härte darstellen würde, da Erinnerungsstücke".
Als Verbindlichkeiten hat sie aufgeführt: Gerichtskosten des vorliegenden Verfahrens aus der zweiten Instanz in Höhe von 20.295,80 DM, von denen sie einen Anteil von 8.667 DM nach einer Vereinbarung mit der Gerichtskasse in monatlichen Raten von 1.000 DM tilge; wegen der restlichen 11.628,80 DM müsse sie noch einen "Antrag auf monatliche Stundung" stellen, außerdem Kosten ihrer Prozeßbevollmächtigten zweiter Instanz in Höhe von 21.229,67 DM, die sie ebenfalls in monatlichen Raten von 1.000 DM tilge, sowie weitere Rechtsanwaltskosten in Höhe von 24.229,67 DM. Ferner hat sie einen Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. Januar 1988 vorgelegt, nach welchem ihr in einem anderen Berufungsverfahren Prozeßkostenhilfe gegen monatliche Raten von 440 DM bewilligt worden ist.
2. Bei diesen Einkommens- und Vermögensverhältnissen mußte die Klägerin erkennen, daß die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die beantragte Prozeßkostenhilfe nicht gegeben waren.
Der Klägerin stehen - bei anderweitig gedeckter Alters- und Krankheitsvorsorge - monatlich 4.500 DM zur Verfügung, von denen zur Ermittlung des für den Lebensunterhalt verfügbaren Einkommens zunächst monatlich 440 DM aus der Ratenzahlungsverpflichtung gemäß Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. Januar 1988 abzusetzen sind. Weitere Beträge sind gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 ZPO insoweit abzusetzen, als dies "mit Rücksicht auf besondere Belastungen angemessen ist". Daß dies bei den mit der Gerichtskasse und den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten - zum Zwecke der Ersparung anderweiter Zinsbelastung - vereinbarten Tilgungsraten von monatlich je 1.000 DM in voller Höhe anzunehmen sei, konnte die Klägerin nicht annehmen. Die Vereinbarung derart hoher Monatsraten führte zu einer so starken Einschränkung ihrer für laufende Ausgaben zur Verfügung stehenden Mittel, daß die Klägerin nicht mehr in der Lage war, andere Verbindlichkeiten in angemessenem Rahmen zu erfüllen. Sich zum Zwecke der Vermeidung sonst notwendigerweise anfallender Kreditzinsen in so hohem Maße zu verschulden, kann nicht als angemessen im Sinne von § 115 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 ZPO angesehen werden. Bei vernünftiger Überlegung konnte die Klägerin nur damit rechnen, daß die Belastung durch Gerichts- und Rechtsanwaltskosten aus der Vorinstanz über insgesamt 41.525,47 DM lediglich insoweit einkommensmindernd angerechnet werde, als es der üblichen Kredit- und Tilgungsbelastung für ein in dieser Höhe aufzunehmendes Darlehen entspricht. Zur Besicherung eines Darlehens konnte sie ihren bisher nur in geringer Höhe dinglich belasteten Grundbesitz einsetzen. Daß sie dazu gehalten war, mußte ihr zumindest nach dem Beschluß des Berufungsgerichts vom 8. September 1988 bewußt sein, durch den ihr mit ausführlicher Begründung Prozeßkostenhilfe aus wirtschaftlichen Gründen versagt wurde. Bei Aufnahme eines Darlehens über 41.525,47 DM wäre die Klägerin imstande gewesen, ihre Schuld gegenüber der Gerichtskasse und ihren zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten sofort in voller Höhe zu tilgen. Zins- und Tilgungsbelastung hätten sich bei damals üblichen Konditionen auf monatlich bis zu 350 DM belaufen, bei Bedingungen, wie sie dem bereits laufenden Darlehen der Sparkasse Bielefeld entsprachen (6,5% Zinsen und 6% Tilgung), auf monatlich rund 435 DM. Ihr objektiv verfügbares Einkommen bewegte sich danach in einem Bereich zwischen 3.710 DM und 3.625 DM. Daneben schuldet sie aufgrund des bereits 1986 aufgenommenen Darlehens der Sparkasse Bielefeld monatliche Zins- und Tilgungsraten von 468,75 DM. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß sie in ihrem eigenen Haus mietfrei wohnt. Hierfür sind nach der Praxis des Senats etwa 20% des im übrigen verfügbaren Nettoeinkommens einzusetzen, bei einem Einkommen von 3.241,25 DM (3.710 - 468,75) also 648,25 DM und bei Einkünften von 3.156,25 DM (3.625 - 468,75) monatlich 631,25 DM.
Insgesamt war das verfügbare Einkommen der Klägerin nach alledem bei objektiv angemessener Berücksichtigung ihrer Belastungen in einem Bereich um etwa 3.925 DM bzw. 3.780 DM anzunehmen. Es überstieg damit den Höchstbetrag der Tabellenwerte für die Gewährung von Prozeßkostenhilfe - bei einer Person ohne Unterhaltslasten - von 2.400 DM beträchtlich.
Unter diesen Umständen kam eine Bewilligung der begehrten Prozeßkostenhilfe (aus wirtschaftlichen Gründen) gemäß § 115 Abs. 5 Satz 1 ZPO nur in Betracht, wenn die Belastung mit den Kosten der Prozeßführung den angemessenen Lebensunterhalt der Klägerin erheblich beeinträchtigt hätte; allerdings hat sie nach § 115 Abs. 2 ZPO zunächst ihr Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist.
Auch in diesem Punkt mußte die Klägerin davon ausgehen, daß ihr der Einsatz ihres Vermögens als Kreditunterlage zuzumuten war, zumal sie bei einem Erfolg ihres Rechtsmittels über hohe Mittel verfügt hätte, aus denen sie nicht nur die bisherigen Belastungen hätte ablösen, sondern auch die Kosten des Revisionsverfahrens ohne weiteres hätte tragen können.
Die Bestimmungen des § 88 BSHG, die für den Einsatz des Vermögens nach § 115 Abs. 2 ZPO mit heranzuziehen sind, stehen einer Berücksichtigung der Vermögenswerte der Klägerin nicht entgegen. Das gilt zunächst für ihren Schmuck und sonstige Wertgegenstände. Da sie zu diesen Gegenständen keine näheren Angaben gemacht hat, kann der Senat nicht davon ausgehen, daß die Voraussetzungen des § 88 Abs. 2 Nr. 5 BSHG erfüllt sind und es sich in der Tat um "Familien- und Erbstücke" im Sinne dieser Vorschrift handelt. Die um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachsuchende Partei hat aber - innerhalb der Frist des § 234 ZPO - darzulegen und glaubhaft zu machen, daß sie durch die subjektive Annahme ihrer Kostenarmut an der Einhaltung der versäumten Frist gehindert war, § 233 ZPO (vgl. BGH Urteil vom 28. Juni 1952 - II ZR 274/51 = LM § 236 ZPO Nr. 4). Dem ist die Klägerin, soweit es um ihren Schmuck und sonstige Wertgegenstände geht, nicht nachgekommen.
Unabhängig hiervon konnte sie jedenfalls, soweit es ihren Grundbesitz betrifft, nicht davon ausgehen, diesen nicht für Prozeßkosten einsetzen zu müssen. Ihr in der Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hierzu enthaltener Hinweis auf § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG ist nicht gerechtfertigt. Nach dieser Vorschrift darf die Gewährung von Sozialhilfe - und in diesem Sinne auch die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe - nicht abhängig gemacht werden "vom Einsatz oder von der Verwertung eines kleinen Hausgrundstücks, insbesondere eines Familienheims, wenn der Hilfesuchende das Hausgrundstück allein oder zusammen mit Angehörigen, denen es nach seinem Tod weiter als Wohnung dienen soll, ganz oder teilweise bewohnt". Ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von ca. 140 qm auf einem ca. 590 qm großen Grundstück kann aber nicht als "kleines" - einem Sozialhilfeempfänger nahezu unbelastet zu belassendes - Hausgrundstück in diesem Sinn angesehen werden. Daß der Verkehrswert des Grundbesitzes nur ca. 300.000 DM betrage, hat die Klägerin im übrigen in nicht nachprüfbarer Weise, ohne Beifügung von Bewertungs- und sonstigen Schätzungsunterlagen behauptet; der Beklagte hat diese Behauptung in seiner Stellungnahme zu dem Wiedereinsetzungsgesuch nachdrücklich bestritten und behauptet, der Verkehrswert sei mindestens doppelt so hoch.
Da das Hausgrundstück mit (höchstens noch) 38.058,02 DM (valutiert) belastet ist, stand seiner weiteren Belastung für einen aufzunehmenden Kredit selbst bei dem angegebenen Wert von ca. 300.000 DM nichts im Wege. Die Klägerin hat ihre Gesamtverbindlichkeiten einschließlich der 38.058,02 DM mit 103.813,06 DM angegeben. Die voraussichtlichen Kosten der Revisionsinstanz betragen 43.581,50 DM. Bei Aufnahme eines Kredits in Höhe der gesamten Verbindlichkeiten von hiernach rund 147.400 DM (bzw. bei Erweiterung der bisherigen Belastung um rund 109.340 DM) wäre die Beleihungsgrenze noch nicht erreicht. Die laufenden Kreditkosten wären bei Finanzierung der restlichen Verbindlichkeiten von rund 109.340 DM zu üblichen Konditionen deutlich unter monatlich 1.000 DM geblieben. Zusammen mit den bereits geschuldeten Darlehenskosten von monatlich 468,75 DM hätte die Klägerin danach insgesamt monatlich rund 1.300 DM bis 1.350 DM auf ihre Verbindlichkeiten abzutragen. Ihr verblieben damit - bei mietfreiem Wohnen sowie gesicherter Alters- und Krankheitsvorsorge - für ihren allgemeinen Lebensbedarf monatlich rund 2.700 DM bis 2.750 DM, die sich nach Tilgung der Prozeßkostenraten von monatlich 440 DM auf monatlich rund 3.100 DM bis 3.200 DM erhöhen würden.
Unter diesen Umständen sind keine begründeten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Belastung mit den Kosten der Revision den angemessenen Lebensunterhalt der Klägerin i.S. von § 115 Abs. 5 Satz 1 ZPO erheblich beeinträchtigen würde. Dies war bei objektiver Beurteilung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Zeitpunkt des Ablaufs der Revisionsfrist für die Klägerin auch erkennbar. Die Erwartung, daß ihr gleichwohl Prozeßkostenhilfe bewilligt werden würde, war daher nicht gerechtfertigt.