(a) »... Zur Frage, wo die gesteigerte Unterhaltspflicht der Eltern nach §
1603 Abs.
2 Satz 1
BGB endet, hat bereits das RG ausgesprochen, daß jede Unterhaltspflicht ihre Grenze dort findet, wo die Möglichkeit der Fortexistenz
des Unterhaltspflichtigen in Frage gestellt würde und ihm nicht mehr die Mittel zur Bestreitung des unentbehrlichen Lebensbedarfs
verbleiben würden (JW 1903 Beil. S. 29). Praxis und Lehre stehen heute übereinstimmend auf dem Standpunkt, daß die Mittel,
die einer Person auch in einfachsten Lebensverhältnissen für den eigenen Unterhalt verbleiben müssen, nicht als »verfügbar«
im Sinne der Vorschrift anzusehen sind. Dem hat sich der Senat angeschlossen.. (vgl. Senatsurteil, NJW 1984, 1614 [hier: I (167) 315 b-c] m. weit. Nachw.).
Die damit definierte unterhaltsrechtliche Opfergrenze der Eltern gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern erfährt
in der Rechtspraxis unter dem Begriff des notwendigen oder kleinen Selbstbehalts (auch notwendiger Eigenbedarf genannt) bei
der Bestimmung des Betrages ihre Konkretisierung, der dem Unterhaltspflichtigen von seinem Einkommen mindestens für den eigenen
Unterhalt erhalten bleiben muß. Sie greift aber auch dort ein, wo der Kindesunterhalt Ä wie hier Ä nur aus dem Stamm des Vermögens
aufgebracht werden kann. ...
(b) Indessen findet auch die Obliegenheit zum Einsatz des Vermögensstammes dort ihre Grenze, wo der Eigenbedarf des Unterhaltspflichtigen
tangiert wird... (vgl. Senatsurt., FamRZ 86, 48 [hier: I (167) 336 a-b]). Dabei wird das Maß der für den eigenen Unterhalt
benötigten Mittel, soweit es um die erweiterte Unterhaltspflicht nach §
1603 Abs.
2 Satz 1
BGB geht, gleichfalls durch die vorgenannte Opfergrenze bestimmt und damit auf den notwendigen Eigenbedarf beschränkt. Bleiben
die Einkünfte des Elternteils aus dem Vermögen von vornherein hinter diesem Maß zurück und muß er mangels sonstiger Mittel
sogar zur Sicherstellung dieses eigenen Bedarfs den Stamm des Vermögens angreifen, so geht er deswegen nicht des Schutzes
des notwendigen Selbstbehalts verlustig. Daß die unvermeidliche Inanspruchnahme des Vermögens für den eigenen Unterhalt in
absehbarer Zeit zur Erschöpfung der Mittel führen und der Elternteil deshalb später voraussichtlich auf Leistungen Dritter
oder öffentl. Unterstützung angewiesen sein wird, rechtfertigt es nicht, ihn als weniger schonungsbedürftig anzusehen und
ohne weiteres zur Deckung des Mindestbedarfs des Kindes heranzuziehen. ... Muß ein Unterhaltspflichtiger seinen eigenen Unterhalt
ganz oder teilweise aus seinem Vermögensstamm bestreiten, so kann ihm auch nach §
1603 Abs.
2 Satz 1
BGB nicht schlechthin zugemutet werden, den Mindestbedarf des unterhaltsbedürftigen Kindes zu decken. Vielmehr muß die Sicherung
des Eigenbedarfs auch die Gewährleistung des künftigen eigenen Unterhalts einschließen. Leistungsfähig ist er nur, wenn er
auf Dauer selbst gesichert ist. Bei der Bestimmung des Vermögens, das zur Sicherung des eigenen Unterhalts zu schonen ist,
ist daher die gesamte voraussichtliche Lebensdauer des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen. Auch im Rahmen der erweiterten
Unterhaltspflicht nach §
1603 Abs.
2 Satz 1
BGB kann der Vermögensstamm selbst zur Befriedigung des Mindestbedarf des Kindes nur in dem Maße herangezogen werden, daß unter
Berücksichtigung der voraussichtlichen Lebensdauer, freilich unter gleichzeitiger Einbeziehung etwa zu erwartender künftiger
Erwerbsmöglichkeiten, der notwendige Eigenbedarf des Unterhaltspflichtigen bis an das Lebensende gesichert bleibt. ...
(c) Für die neue Verhandlung wird u. a. auf folgendes hingewiesen:... Im Bereich gesteigerter Unterhaltspflicht hat der BGH..
entschieden, daß ein Elternteil nach §
1603 Abs.
2 Satz 1
BGB Unterhaltszahlungen, die ihm zur Deckung seines eigenen Lebensbedarfs gewährt werden, zu seinem und des Kindes Unterhalt
einsetzen muß (FamRZ 1980, 555 [hier: I (167) 254 a-b]). Gerade diese erweiterte Unterhaltspflicht, die auf der besonderen familienrechtlichen Verantwortung
der Eltern für ihre minderjährigen unverheirateten Kinder beruht, gebietet es, die Leistungsfähigkeit im Grundsatz unabhängig
davon zu beurteilen, woher die zur Verfügung stehenden Mittel stammen und worauf ihre Zuwendung beruht. Das rechtfertigt es,
auch das Schmerzensgeld zu den Mitteln zu rechnen, deren Einsatz dem Elternteil in §
1603 Abs.
2 Satz 1
BGB zugemutet wird .. . Dieser Einsatz schließt es nicht aus, der besonderen Ausgleichsfunktion [des Schmerzensgeldes] bei der
Bestimmung der ihm zumutbaren unterhaltsrechtlichen Opfergrenze in billiger Weise Rechnung zu tragen. Hat der Schmerzensgeldempfänger
derartige körperliche Verletzungen davongetragen, daß er während des Unterhaltszeitraums unter andauernden schwerwiegenden
Behinderungen zu leiden hat, so ist solchen Belastungen durch eine maßvolle, die Belange des Kindes berücksichtigende Anhebung
dessen Rechnung zu tragen, was ihm als unterhaltspflichtigem Elternteil zur Deckung seines notwendigen Eigenbedarfs zu belassen
ist. ...«
Entscheidungsbesprechung von Prof. Dr. peter Derleder, Bremen:
»Der Familiensenat des BGH verteilt seit vielen Jahren Sozialeinkommen wie Arbeitseinkommen an die Unterhaltsberechtigten.
Beim Schmerzensgeld macht er jetzt Einschränkungen. 1. Der achtundzwanzigjährige geschiedene Ehemann und Vater eines fünfjährigen
ehelichen Kindes, nach einem schweren Verkehrsunfall querschnittgelähmt, hatte von einem Haftpflichtversicherer eine Gesamtabfindung
von 150 000,Ä DM erhalten, war aber im übrigen nicht rentenberechtigt. Mutter und Kind waren Sozialhilfeempfänger. Vermerkt
ist noch, daß der Vater Beifahrer eines betrunkenen Autolenkers gewesen war und der Abfindungsvergleich von einem hälftigen
Mitverschulden ausging. Diese unterhaltsrechtlich irrelevante Tatsache brauchte dem Unglücklichen nicht noch einmal vorgehalten
zu werden.
Die Abfindung von 150 000,Ä DM war also der Stamm des Vermögens, der von ihm auch zur Organisation eines behindertengerechten
Lebens, insbesondere einer entsprechenden Wohnung, herangezogen werden mußte. Die danach verbleibenden möglichen Zinseinkünfte
hätten zwar für den Kindesunterhalt zunächst ausgereicht, konnten aber nicht auf Dauer erhalten werden, da der Unterhaltspflichtige
seinen Vermögensstamm auch für seine laufende Alimentation angreifen mußte. Dennoch kam das OLG Frankfurt als Vorinstanz zu
einer uneingeschränkten Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind, da der Unterhaltspflichtige später ohnehin auf Leistungen
Dritter oder »öffentliche Unterstützung« angewiesen sein werde. Es mutete dem Vater somit eher die (in absehbarer Zeit zu
gewärtigende) Stellung eines Sozialhilfeempfängers zu als seinem Kind. Hierin wollte ihm der BGH jedoch nicht folgen.
2. Allerdings sind zunächst einmal das Vermögen und die Einkünfte hieraus für die unterhaltsrechtliche Verteilung heranzuziehen.
Für die nach §
1603 Abs.
2 Satz 1
BGB gesteigerte Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern gilt dies in besonderem Maße, da »alle verfügbaren
Mittel« zum Unterhalt der Eltern und der Kinder »gleichmäßig« zu verwenden sind. Dem Unterhaltsverpflichteten verbleibt nach
der ständigen Praxis der Familiengerichte nur der sogenannte notwendige Eigenbedarf (Selbstbehalt), der nach der seit dem
1. 1. 1989 geltenden Düsseldorfer Tabelle ( FamRZ 1988, 911 = JMBl NRW 1988,238 = NJW 1988, 2352) für nicht erwerbstätige Unterhaltsverpflichtete 1000,Ä DM, für erwerbstätige 1100,Ä DM betragen soll, während der gegenüber
volljährigen Kindern gem. § 1603 Abs. 1 zu wahrende angemessene Eigenbedarf danach 1400,Ä DM betragen soll. Eine weitere Herabsetzung
der Selbstbehalte gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern würde nur dazu führen, daß die Unterhaltspflichtigen weitgehend
ihrerseits sozialhilfeberechtigt würden und die unterhaltsrechtliche Verteilung womöglich das kontraproduktive Ergebnis hätte,
alle Beteiligten zu Sozialhilfeempfängern zu machen. Die traditionelle Formel, Eltern müßten mit ihren minderjährigen Kindern
»das letzte teilen« stammt noch aus den Zeiten vor Einführung des Sozialstaats und berücksichtigt nicht die Verbindung von
Unterhalt und Sozialhilfe.
Der Unterhaltsschuldner muß also Arbeits-, Sozial- und Vermögenseinkünfte im Rahmen des §
1603 Abs.
2 Satz 1
BGB für den Unterhalt seiner minderjährigen unverheirateten Kinder verwenden, soweit sein notwendiger Selbstbehalt nicht angetastet
wird. Hat er keine solchen Einkünfte oder reichen sie nicht aus, muß er auch den Vermögensstamm verwerten, sofern dies nicht
unwirtschaftlich oder unbillig ist. Dabei war es schon bisher gängige Rechtsauffassung, daß das Vermögen dazu dienen soll,
den Unterhalt seines Inhabers, gegebenenfalls zusammen mit den Einkünften, für die Dauer seines Lebens sicherzustellen (BGH,
FamRZ 1985, 354). Der Unterhaltspflichtige soll weder später mittellos dastehen noch seinen (unter Umständen nicht unterhaltsberechtigten)
Erben sein Vermögen auf der Basis vorheriger Opfer der Unterhaltsberechtigten hinterlassen (vgl. Göppinger-Kindermann, Unterhaltsrecht,
5. Aufl., Rz. 1062 und 1068). Dies präzisiert der BGH im vorliegenden Urteil nun dahin, daß die Vermögensverwertung des Unterhaltspflichtigen
nur insoweit erweitert werden darf, als der notwendige Eigenbedarf für die restliche Lebensdauer unter Berücksichtigung vorhandener
Einkünfte nicht angetastet wird. Insoweit zieht er die gleiche Opfergrenze bei Einkommen wie bei Vermögen. Das überzeugt,
da es sonst zu unterschiedlichen Ergebnissen käme, je nachdem, ob ein Unterhaltspflichtiger eine Rente bezieht oder sie kapitalisieren
läßt.
Daraus ergibt sich ein Rechenmodell für die Unterhaltsermittlung bei Vermögensverwertung. Hat etwa ein Unterhaltspflichtiger
keine Arbeitseinkünfte und auch kein anrechnungsfähiges Sozialeinkommen (wie etwa eine Erwerbsunfähigkeitsrente), sondern
ausschließlich ein Vermögen von z. B. 100 000,Ä DM, so ist er gehalten, dieses verzinslich anzulegen. Soweit die Jahreszinsen
den Selbstbehalt nicht decken, also nach der Düsseldorfer Tabelle gegenwärtig den Betrag von 12 x 1000,Ä DM für den nicht
erwerbstätigen Verpflichteten, muß er den Vermögensstamm angreifen, bei 4 % Jahreszinsen als Nettovermögenseinkünften das
Kapital also um gut 8 000,Ä DM reduzieren. Die notwendige monatliche Abhebung wird den Zinszuwachs etwas bremsen, so daß am
Ende des Jahres etwas weniger als 92 000,Ä DM zu Buche stehen werden. Unterstellt man für die Folgezeit eine gleich hohe Verzinsung
und einen gleichen monatlichen Eigenbedarf, dann läßt sich mit den Methoden der Zinsrechnung leicht ermitteln, daß das Kapital
in etwa 10 Jahren aufgebraucht sein wird. Billigt man dem Unterhaltspflichtigen noch eine solche Lebensdauer zu, dann braucht
er sein Vermögen nicht für Unterhaltsleistungen zu verwenden. Die Rechtsprechung sollte es aber vor allem aus psychologischen
Gründen vermeiden, eine Formel dafür zu verwenden, bei der die voraussichtliche Lebensdauer zahlenmäßig konkretisiert würde.
Sie mag sich insoweit an statistischen Durchschnittswerten orientieren, darf diese aber im Einzelfall nicht zur Grundlage
einer verbindlichen Rechnung für einen bestimmten Unterhaltspflichtigen machen. Legt man dieses Rechenmodell zugrunde, dann
mußte eine Unterhaltsverpflichtung des achtundzwanzigjährigen Querschnittgelähmten mit seiner verbliebenen Abfindungssumme
von möglicherweise weniger als 100 000,Ä DM im Hinblick auf seine fehlenden Einkünfte und seine Lebenserwartung ausscheiden.
3. Statt diese Rechtsfolge auszusprechen, entschied der BGH noch zusätzlich über die Anrechnungsfähigkeit des Schmerzensgeldes,
das in der Abfindung enthalten war. Obwohl die immaterielle Ausgleichsleistung allenfalls die Rechnung noch zugunsten des
Unterhaltsverpflichteten beeinflussen konnte, entschied sich der Senat in einem obiter dictum auch noch für die grundsätzliche
unterhaltsrechtliche Verteilung von Leistungen mit immaterieller Ausgleichsfunktion. Schon bei der Anrechnung von Sozialleistungen,
die von der Grundrente für Kriegsopfer (BGH, FamRZ 1981, 338 [hier: I (167) 263 a-b]) bis zu den Pflegegeldern für Schwerstbehinderte (BGH, FamRZ 1985, 917) führte, hat der BGH von den Leistungszwecken abgesehen, bei der Grundrente der Kriegsopfer speziell auch von dem immateriellen
Ausgleichszweck, und nur bei einem nachgewiesenen Mehrbedarf insoweit die Verteilung eingeschränkt. Die Kritik daran (siehe
etwa Scholler-Fuchs, JZ 1984, 304; A. u. P. Derleder, DAV 1984, 101) ist nunmehr jedenfalls insofern auf fruchtbaren Boden gefallen, als einem Schmerzensgeldempfänger
bei der Unterhaltsbemessung wenigstens im Falle andauernder schwerwiegender Behinderungen ein maßvoll erhöhter notwendiger
Eigenbedarf bleiben soll, also zumindest bei einem Querschnittgelähmten. Das muß dann aber natürlich auch für Kriegs- und
Verfolgungsopfer gelten, soweit sie aufgrund schwerster Einbußen an Lebensfreude einen immateriellen Ausgleich erhalten haben.
Insofern bedeutet das Urteil also doch eine gewisse Korrektur der bisherigen BGH-Rechtsprechung. Dem liegt die Einsicht zugrunde,
daß auch ohne nachweisbaren Mehrbedarf eines solchen Unterhaltspflichtigen ihm wenigstens ein gewisser Ausgleich für tiefgreifendste
Verluste bleiben muß. Im übrigen wartet der Senat das gegenwärtig laufende Gesetzgebungsverfahren ab, mit dem durch eine Beweislastverschiebung
gesichert werden soll, daß die öffentlich-rechtlichen Zwecke von Sozialleistungen bei der unterhaltsrechtlichen Verteilung
nicht völlig ignoriert werden können.
Am Ende bleibt die Frage, warum der Familiensenat des BGH die Unterhaltsklage Ä wie nach seinen Maßstäben geboten Ä nicht
abgewiesen, sondern die Entscheidung dem OLG überlassen hat. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, es müsse geprüft werden,
ob der unterhaltspflichtige Vater auf Dauer erwerbsunfähig sein werde, da andernfalls eine Unterhaltsverpflichtung in Betracht
komme. Nun gibt es gewiß Ausnahmefälle, bei denen auch ein Querschnittgelähmter wieder ins Berufsleben integriert worden ist.
Eine Unterhaltsverpflichtung auf eine derartige gerichtliche Prognose zu stützen, verbietet sich jedoch bei der gegenwärtigen
Arbeitsmarktlage von vornherein. Notfalls muß der Unterhaltsberechtigte eine neue Klage erheben, wenn der Behinderte doch
einen Arbeitsplatz erlangt, da die Abänderungsklage ihm nach einer Klagabweisung nicht zur Verfügung steht (BGH, NJW 1982,
578 [hier: IV (415) 147 a]). Das Zurückschrecken vor der revisionsrichterlichen Klagabweisung legt fast die Vermutung nahe, das
Gericht glaube selbst nicht an die Überzeugungskraft seiner Argumente für die dadurch benachteiligten Unterhaltsberechtigten.
Bislang hat der Familiensenat des BGH in rigider Weise die Verteilungsgerechtigkeit zum obersten Wert gemacht, während nun
wenigstens ansatzweise der elementare soziale Schutz des Unterhaltspflichtigen als Grenze der Verteilung anerkannt wird. Dieser
Weg führt in die richtige Richtung. Zieht man Bilanz, so präzisiert das Urteil die dem gesteigert Unterhaltspflichtigen zumutbare
Vermögensverwertung mit dem Maßstab des notwendigen Eigenbedarfs, bezieht zwar auch Vermögen aufgrund immaterieller Ausgleichsleistungen
in die unterhaltsrechtliche Verteilung ein, läßt aber insoweit bei schwersten Behinderungen unabhängig vom notwendigen Mehrbedarf
eine Erhöhung des Selbstbehalts zu.«