Geltendmachung rückständigen nachehelichen Unterhalts
Tatbestand:
Die Parteien waren miteinander verheiratet. Ihre Ehe, aus der drei inzwischen erwachsene Kinder hervorgegangen sind, ist 1976
aus dem Verschulden des Beklagten geschieden worden.
In einem Vorprozeß haben die Parteien am 10. Dezember 1980 folgenden Prozeßvergleich abgeschlossen:
"1. Der Beklagte bezahlt an die Klägerin ab 1. September 1980 einen monatlich im voraus zahlbaren und bis spätestens zum 5.
jedes Monats fälligen Unterhaltsbetrag in Höhe von 400 DM.
Dieser Betrag steigt oder fällt in dem Verhältnis nach oben oder nach unten, wie sich das Einkommen des Beklagten nach oben
oder nach unten verändert.
Zu diesen Einkommensveränderungen gehört auch der Fall, daß die Unterhaltspflicht für das Kind Thomas wegfällt. Der dadurch
freiwerdende Unterhaltsbetrag wird prozentual als Steigerung des Einkommens des Beklagten berücksichtigt.
Der Beklagte verpflichtet sich, jede Veränderung seines Einkommens unaufgefordert der Klägerin anzuzeigen und die auf den
Unterhaltsanspruch der Klägerin entfallende Veränderung in dem auf die Veränderung folgenden Monat von sich aus vorzunehmen.
Eigenes Einkommen der Klägerin bleibt auf die Unterhaltsleistungen des Beklagten bis zu einem Betrag von 400 DM netto monatlich
unberücksichtigt. Ab 401 DM bis 700 DM netto monatlich wird es auf die Unterhaltsleistungen des Beklagten zur Hälfte angerechnet,
ab 701 DM netto monatlich entfällt die Unterhaltspflicht des Beklagten für die Klägerin, solange die Klägerin über ein Einkommen
in dieser Höhe verfügt.
Die vorstehend genannten Freibeträge verändern sich in dem gleichen Verhältnis nach oben oder nach unten, in dem sich das
Einkommen des Beklagten nach oben oder nach unten verändert.
Der Beklagte kann eine Abänderung der vorstehenden Unterhaltsvereinbarung nicht mit der Begründung beantragen, daß er gegenüber
seiner zweiten Ehefrau und dem Kind aus dieser Ehe oder für ein weiteres Kind aus dieser Ehe Unterhaltspflichten hat.
2. ...
3. ...
4. Bei dieser Vereinbarung gehen die Parteien davon aus, daß der Beklagte derzeit ein Nettoeinkommen von ca. 1. 600 DM hat.
Dieses Einkommen schlüsselt sich wie folgt auf:
Monatliches Nettogehalt 1. 306, 81 DM
Spesen (1/3 des Gesamtbetrages) ca. 150,-- DM monatlich Weihnachtsgeld (anteilig) 46,-- DM
Urlaubsgeld (anteilig) 22,50 DM
Vermögenswirksame Leistung 36,-- DM
Trinkgeld ca. 50,-- DM monatlich.
Bei der Unterhaltsbemessung für Frau L. sind die monatlichen Bezüge für Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Vermögenswirksame Leistungen
und Trinkgeld unberücksichtigt geblieben. Ihr gegenüber ist nur von dem monatlichen Gehalt und einem Drittel der monatlichen
Spesen auszugehen.
Bei vorstehender Unterhaltsvereinbarung sind die Parteien davon ausgegangen, daß der angemessene (- notwendige) Lebensbedarf
der Klägerin an sich 610 DM und der des Klägers Thomas Leier an sich monatlich 270 DM (abzüglich hälftiges Kindergeld) beträgt."
In der Folgezeit erhöhte sich das monatliche Einkommen des Beklagten (im Jahre 1981 auf 1. 795, 13 DM, im Jahre 1982 auf monatlich
1. 818, 96 DM, ab 1. Januar 1983 auf monatlich 1. 851, 91 DM), ohne daß er es der Klägerin anzeigte oder von sich aus erhöhten
Unterhalt bezahlte.
Mit der am 21. Oktober 1985 erhobenen Klage hat die Klägerin Zahlung rückständigen nachehelichen Unterhalts für die Zeit vom
1. Januar 1981 bis 31. Oktober 1984 in einer Gesamthöhe von 2. 495, 84 DM nebst Zinsen verlangt, ferner die Abänderung des
Vergleichs in der Weise, daß ab 1. November 1984 an sie monatlich 552,52 DM nebst Zinsen zu zahlen sind. Der Beklagte hat
die Abweisung der Klage begehrt und Widerklage mit den Anträgen erhoben, die Klägerin zur Rückzahlung eines Betrages von 5.
205, 36 DM nebst Zinsen zu verurteilen (den nach seiner Ansicht ohne Rechtsgrund gezahlten Unterhalt für die Zeit ab August
1983 abzüglich der bis dahin aufgelaufenen Rückstände) sowie den Vergleich dahin zu ändern, daß seine Unterhaltsverpflichtung
gegenüber der Klägerin ab 1. August 1983 entfällt.
Das Amtsgericht - Familiengericht - hat der Klage (unter teilweiser Abweisung des Zinsbegehrens) stattgegeben und die Widerklage
abgewiesen. Die Berufung des Beklagten hatte im wesentlichen keinen Erfolg; das Oberlandesgericht hat lediglich im Rahmen
der Abänderung des Vergleichs die Unterhaltspflicht des Beklagten ab 1. November 1984 mit monatlich 490,40 DM bemessen.
Mit der - zugelassenen - Revision will der Beklagte erreichen, daß die Klage auf Zahlung rückständigen Unterhalts für die
Zeit vor dem 21. Oktober 1984, d.h. in Höhe von 2. 474, 52 DM, abgewiesen wird.
Entscheidungsgründe:
1. Die Revision verfolgt zunächst den in den Vorinstanzen vertretenen Standpunkt des Beklagten weiter, daß seine Pflicht zur
Zahlung nachehelichen Unterhalts ab 1. August 1983 erloschen sei, weil zu diesem Zeitpunkt der Sohn Thomas eine Lehrstelle
angetreten habe und der Klägerin demgemäß zuzumuten gewesen sei, durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit soviel zu verdienen,
daß seine Unterhaltspflicht gemäß Nr. 1 Abs. 5 des Vergleichs entfalle (monatlich mindestens 701 DM). Dem kann nicht beigetreten
werden. Da die Parteien über die aus § 58 EheG folgende (Art. 12 Nr. 3 Abs. 2 des 1. EheRG) gesetzliche Unterhaltspflicht des Beklagten einen Prozeßvergleich abgeschlossen haben, ist für die Frage einer
Erwerbsobliegenheit der Klägerin in erster Linie maßgebend, was die Parteien gewollt haben. Das Oberlandesgericht hat den
Vergleich aufgrund seines Wortlauts und Sinnzusammenhangs dahin ausgelegt, daß der Klägerin der in Nr. 1 Abs. 5 vorgesehene
"Freibetrag" von monatlich 400 DM unabhängig davon zusteht, ob und in welchem Umfang sie neben der Betreuung des Sohnes Thomas
einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, mithin nicht nur für solche Zeiten, in denen sie nach allgemeinen Grundsätzen keine
Erwerbsobliegenheit träfe.
Unbegründet ist die auf §
286 ZPO gestützte Rüge der Revision, das Oberlandesgericht habe ein Beweisangebot auf Einvernahme der seinerzeitigen Prozeßvertreter
Rechtsanwälte F. und S. übergangen; sie führt aus, welche Vorstellungen die Parteien beim Vergleichsabschluß gehabt hätten,
hätte das Berufungsgericht nur durch die Einvernahme dieser Zeugen feststellen können. Zwar entspricht es gefestigter Rechtsprechung,
daß ein übereinstimmender Wille der Vertragsparteien dem Vertragswortlaut und jeder anderweitigen Interpretation vorgeht (vgl.
etwa BGHZ 71, 75, 77 und Senatsurteil vom 24. Juni 1987 - IVb ZR 48/86 - BGHR
BGB §
133 Wille 1). Dem von der Revision angezogenen Beweisangebot ermangelte es aber eines hinreichend substantiierten Beweisthemas
zu dieser Frage. Neben Ausführungen, die mit der Auslegung des Oberlandesgerichts vereinbar sind, enthält es im wesentlichen
Vortrag dazu, welche Erwägungen das Gericht zu seinem Vergleichsvorschlag bewogen haben. Daß die Parteien dies in ihren Vertragswillen
aufgenommen hätten, ist aber nicht dargelegt. Ein Beweisantrag, einen Zeugen zu einer nicht in seiner Person eingetretenen
inneren Tatsache zu vernehmen, ist weiterhin nur erheblich, wenn schlüssig dargelegt wird, aufgrund welcher Umstände der Zeuge
von der inneren Tatsache Kenntnis erlangt hat (vgl. BGH Urteil vom 4. Mai 1983 - VIII ZR 94/82 - NJW 1983, 2034, 2035 f). Auch dazu enthält das Beweisangebot nichts.
Die tatrichterliche Auslegung des Vergleichs ist im übrigen für das Revisionsgericht bindend, soweit nicht gegen Auslegungsregeln,
Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen worden ist (BGHZ 24, 16, 19). In dieser Hinsicht läßt das Berufungsurteil keinen Fehler erkennen. Somit kann dahinstehen, ob der Klägerin nach allgemeinen
Grundsätzen zuzumuten gewesen wäre, ab 1. August 1983 durch anderweitige Erwerbstätigkeit mehr zu verdienen als das, was sie
durch Putzen tatsächlich verdient hat. Die tatsächlich von ihr erzielten Einkünfte hielten sich nach den rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen des Oberlandesgerichts stets im Rahmen dessen, was nach dem Vergleich anrechnungsfrei bleiben soll.
2. Nach § 64 EheG, der inhaltlich §
1585b Abs.
2 und
3 BGB entspricht, kann der Berechtigte Unterhalt für die Vergangenheit erst von der Zeit an fordern, in der der Unterhaltsverpflichtete
in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist, für eine länger als ein Jahr vor der Rechtshängigkeit
liegende Zeit jedoch nur, soweit anzunehmen ist, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat. Diese Vorschrift
hat das Oberlandesgericht hier im Anschluß an eine verbreitete Auffassung im Schrifttum für nicht anwendbar gehalten, weil
es sich um vertraglich geregelten Unterhalt handele.
Die Revision vertritt demgegenüber die Auffassung, daß der Unterhaltsschuldner in einem solchen Fall nur dann ohne Mahnung
in Verzug kommen könne, wenn die Höhe des geschuldeten Unterhalts vertraglich genau bestimmt sei. Die bloße Bestimmbarkeit
der Unterhaltshöhe anhand eines komplizierten Berechnungsverfahrens, wie es hier erforderlich sei, könne nicht genügen. Keinesfalls
bestehe aber Veranlassung, bei vertraglich geregeltem Unterhalt auch davon abzusehen, daß Erfüllung für eine mehr als ein
Jahr vor Rechtshängigkeit liegende Zeit nur gefordert werden kann, wenn sich der Schuldner der Leistung absichtlich entzogen
hat.
a) Im Anschluß an die Entscheidung RGZ 164, 65, 69 geht die herrschende Meinung davon aus, daß nachehelicher Unterhalt für die Vergangenheit unabhängig von den Einschränkungen
der §§ 64 EheG, 1585b und 3Abs. 2 gefordert werden kann, wenn die Unterhaltspflicht durch Vertrag geregelt worden ist (vgl. OLG Köln FamRZ 1983, 178 und die auf Seite 180 aaO. zusammengestellten Nachweise; auf einen vertraglichen Verzicht auf die Einschränkungen des Gesetzes
stellt
BGB-RGRK/Cuny 12. Aufl. § 64 EheG Rdn. 16 und § 1585b Rdn. 22 ab; zweifelnd bei "komplizierten Berechnungsmodalitäten" Kalthoener/Büttner, Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts
3. Aufl. Rdn. 110; a.A. Larenz DR 1940, 1302; Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts 7. Aufl. Rdn. 186). Dabei wird meistens
nicht danach differenziert, ob es sich um Unterhalt für eine mehr als ein Jahr vor Rechtshängigkeit liegende Zeit handelt;
auch dann soll es nach der h.M. offenbar nicht darauf ankommen, ob sich der Verpflichtete der Leistung absichtlich entzogen
hat (so ausdrücklich OLG Köln aaO. Seite 181; anders insoweit OLG Bremen FamRZ 1981, 972).
b) Das Reichsgericht führt in der genannten Entscheidung aus, der Grundsatz, daß für die Vergangenheit regelmäßig kein Unterhalt
verlangt werden dürfe, beruhe darauf, daß der Unterhalt seinem Wesen nach zur Bestreitung der laufenden Lebensbedürfnisse
diene und daß der Verpflichtete in die Lage versetzt werden müsse, sich auf die laufende Unterhaltsleistung einzurichten.
Dieser Grundsatz erleide nach dem Gesetz eine Durchbrechung für den Fall, daß der Unterhaltsverpflichtete in Verzug gekommen
oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden sei. Diese Einschränkung habe den Sinn, daß der Verpflichtete, sobald der
Berechtigte den Unterhalt einmal gefordert habe und sich der Verpflichtete darauf einstellen könne, es unmöglich in der Hand
haben dürfe, durch Nichterfüllung von der Leistung frei zu werden. Das Gesetz erwähne zwar nur die Fälle des Verzuges und
der Rechtshängigkeit. Die gleichen Erwägungen träfen aber zu, wenn der Schuldner sich dem Berechtigten gegenüber durch Vertrag
zu Unterhaltsleistungen in bestimmter Höhe verpflichtet habe. Durch einen solchen Vertrag sei unter den Beteiligten klargestellt,
daß Unterhalt geschuldet werde, daß der Berechtigte die Erfüllung seines Anspruchs verlange und in welcher Höhe der Unterhalt
zu leisten sei, so daß es weder einer den Schuldnerverzug begründenden Mahnung noch der Erörterung des Anspruchs im Rechtsstreit
bedürfe, um den Schuldner auf seine Leistungspflicht hinzuweisen und zu veranlassen, daß er sich entsprechend einrichte.
Diesen überzeugenden Ausführungen tritt der Senat bei. Eine vertragliche Regelung des Unterhalts ist der nach §§ 64 EheG,
1585b Abs.
2 BGB erforderlichen Mahnung oder Klageerhebung gleichzusetzen; dabei handelt es sich nicht etwa um die Unanwendbarkeit dieser
Vorschriften auf vertraglichen Unterhalt, sondern um eine Analogie zu den in diesen Vorschriften gesetzlich geregelten Fällen,
in denen für die Vergangenheit Unterhalt verlangt werden kann. Das Argument von Larenz (aaO.), Verzug und Rechtshängigkeit
seien Formen der Geltendmachung eines Rechts, was man von dessen vertraglicher Festlegung nicht sagen könne, wird dem Regelfall
nicht gerecht, in dem - wie auch vorliegend - nicht nur die Höhe des Unterhalts, sondern auch die regelmäßig wiederkehrende
Leistungspflicht des Schuldners im einzelnen festgelegt wird.
Die Regelung kann in einer Weise geschehen, daß ein Verzug des Unterhaltsschuldners ohne Mahnung schon aufgrund des §
284 Abs.
2 Satz 1
BGB (Kalenderfälligkeit) eintritt (vgl. dazu Senatsurteil vom 26. Januar 1983 - IVb ZR 381/81 - FamRZ 1983, 352, 354 sowie OLG Zweibrücken DAVorm 1987, 702). Im vorliegenden Fall kann dies allerdings nicht angenommen werden. Zwar waren die im Streit befindlichen Erhöhungsbeträge
nach Nr. 1 Abs. 4 des Vergleichs jeweils in dem auf die Einkommensveränderung folgenden Monat fällig. Da aber andererseits
bei den Einkommensveränderungen auch ein so schwankender Posten wie "ein Drittel der monatlichen Spesen" zu berücksichtigen
war (Nr. 4 des Vergleichs), hätte der Beklagte sich auch vertragsgerecht verhalten, wenn er etwa längere Zeitabschnitte abgewartet
hätte, um Erhöhungen seiner Leistungen eine praktikable Durchschnittsrechnung zugrundezulegen (§
157 BGB); die Klägerin selbst hat in ihrer Klage sogar eine Durchschnittsrechnung nach Kalenderjahren aufgemacht. Da somit von einer
eindeutigen kalendermäßigen Fälligkeit nicht ausgegangen werden kann, scheidet ein Verzugseintritt gemäß §
284 Abs.
2 Satz 1
BGB aus.
Andererseits besteht entgegen der Auffassung der Revision kein Anlaß, die dargelegten Grundsätze des Reichsgerichts deswegen
für unanwendbar zu halten, weil die genaue Höhe des Unterhalts erst nach den im Vergleich vereinbarten Rechenschritten zu
ermitteln ist. Abgesehen davon, daß keine besonders schwierige Regelung vorliegt, kann grundsätzlich nicht auf den Schwierigkeitsgrad
einer etwa erforderlichen Berechnung abgehoben werden. Wenn sich der Schuldner in dem Vertrag auf ein solches Verfahren zur
Ermittlung der Unterhaltshöhe einläßt oder gar darauf hinwirkt, setzt er sich regelmäßig den Grundsätzen von Treu und Glauben
zuwider zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch, wenn er später geltend macht, wegen zu komplizierter Berechnung sei ihm
die genaue Höhe des zu leistenden Unterhalts nicht hinreichend bekannt gewesen. Vorliegend ist insgesamt nicht zu beanstanden,
daß das Oberlandesgericht die der Höhe nach unstreitigen Unterhaltsrückstände ohne Verzug und Rechtshängigkeit für einforderbar
gehalten hat.
c) Soweit § 64 EheG und §
1585b Abs.
3 BGB die Forderung von Unterhalt für eine Zeit, die länger als ein Jahr vor der Rechtshängigkeit liegt, zusätzlich davon abhängig
macht, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat, kann aus der erörterten Entscheidung des Reichsgerichts
nichts für die Entbehrlichkeit auch dieser Einschränkung entnommen werden. Eine entsprechende Regelung ist erstmals durch
§ 72 des EheG 1938 eingeführt worden. Wie das Reichsgericht (aaO. S. 68) hervorhebt, war diese Vorschrift auf den von ihm entschiedenen
Fall nicht anwendbar, weil es sich um Unterhalt für die Zeit vor Inkrafttreten der Neuregelung handelte. Seine Erwägungen
treffen auf diese weitere Einschränkung auch nicht zu. Sie laufen darauf hinaus, daß ein Schuldner, der sich vertraglich zu
bestimmten Unterhaltsleistungen verpflichtet hat, nicht durch eine Mahnung oder die Klageerhebung auf seine Leistungspflicht
hingewiesen werden muß; schon der Vertragsabschluß als solcher warnt ihn und gibt ihm hinreichende Veranlassung, sich künftig
auf entsprechende Leistungen einzurichten. Der Einschränkung von Unterhaltsforderungen für eine Zeit, die länger als ein Jahr
vor der Rechtshängigkeit liegt, liegt demgegenüber ein anderer Rechtsgedanke zugrunde. Das Gesetz will eine besonders verspätete
Geltendmachung des Unterhaltsrechts dadurch sanktionieren, daß sie nur unter einer erschwerenden Voraussetzung durchgreifen
kann. Dem Wesen nach handelt es sich um eine Ausformung des Rechtsinstituts der Verwirkung, die an eine "illoyal verspätete
Geltendmachung" des Rechts nachteilige Folgen für den Rechtsinhaber knüpft (vgl. dazu auch BGHZ 84, 280, 283 und Senatsurteil vom 13. Januar 1988 - IVb ZR 7/87 - FamRZ 1988, 370, 372 f). Der Gläubiger soll dadurch veranlaßt werden, um eine zeitnahe Verwirklichung des Unterhaltsanspruchs besorgt zu
sein, etwa damit nicht beim Schuldner eine übergroße Schuldenlast anwächst (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 1. Juli 1987 -
IVb ZR 74/86 - BGHR BSHG § 91 Abs. 2 Einjahresgrenze 1 = FamRZ 1987, 1014, 1015). Das Gesetz bringt im übrigen in weiteren Regelungen zum Ausdruck, daß Unterhaltsforderungen für eine mehr als ein
Jahr zurückliegende Zeit mit einer besonderen Schwäche behaftet sind (vgl. neben §§
1613 Abs.
2 Satz 2, 1615i Abs. 2 Satz 1
BGB insbesondere §
850d Abs.
1 Satz 4
ZPO, wonach in diesem Fall das allgemeine Pfändungsvorrecht titulierter Unterhaltsansprüche nur dann gilt, wenn der Schuldner
sich seiner Zahlungspflicht absichtlich entzogen hat). Aus diesen Gründen wird dem Zweck des Gesetzes nicht schon durch die
vertragliche Regelung des Unterhalts genügt; in einem solchen Fall erscheinen zwar Mahnung und Klageerhebung entbehrlich,
nicht aber auch die Einhaltung der Einjahresgrenze. Gerade in Fällen der vorliegenden Art, in denen es um eine vertraglich
geregelte Anhebung des Unterhalts wegen veränderter Verhältnisse geht, ist eine verzögerliche Geltendmachung denkbar, die
das Gesetz auch deswegen in Grenzen halten will, weil nach längerer Zeit die Aufklärung der maßgebenden Umstände vielfach
erheblich erschwert ist.
Zwar besteht nach dem Schutzzweck der Regelung kein Anlaß, einem vertraglichen Verzicht des Schuldners auf die Einhaltung
der Einjahresgrenze die Anerkennung zu versagen. Nach allgemeinen Grundsätzen ist aber zu fordern, daß der Vertrag eindeutige
Anhaltspunkte für einen entsprechenden Verzichtswillen des Schuldners enthält, wenn ein solcher - etwa im Wege der Auslegung
- bejaht werden soll. Dafür sind im vorliegenden Fall keine hinreichenden Anhaltspunkte ersichtlich. Entgegen der Auffassung
des Oberlandesgerichts kann somit die Klägerin für die im Revisionsverfahren noch strittige Zeit vom 1. Januar 1981 bis 20.
Oktober 1984 Unterhaltsrückstände nur unter der Voraussetzung fordern, daß sich der Beklagte der Leistung absichtlich entzogen
hat.
3. Das Oberlandesgericht hat die Frage, ob der Beklagte sich den noch strittigen Unterhaltsleistungen absichtlich entzogen
hat, geprüft und verneint. Es sei nämlich nicht ausreichend, daß der Beklagte seiner im Vergleich übernommenen Verpflichtung
nicht nachgekommen sei, jede Veränderung seines Einkommens unaufgefordert anzuzeigen und den Unterhalt von sich aus entsprechend
zu erhöhen. Zwar habe er mit diesem Verhalten die Erwartung verbunden, seiner Unterhaltsverpflichtung zu entgehen, es lasse
sich aber nicht feststellen, daß er darüber hinaus etwas mit dem Ziel unternommen habe, die Erfüllung seiner Verpflichtung
zu hintertreiben.
Diese Ausführungen ergeben, daß das Oberlandesgericht an die Voraussetzungen, unter denen im Sinne des § 64 EheG (und des §
1585b Abs.
3 BGB) sich der Verpflichtete der Leistung absichtlich entzieht, zu strenge Anforderungen gestellt hat. Ein aktives Hintertreiben
der Unterhaltsverpflichtung ist nicht immer erforderlich, sondern es genügt jedes zweckgerichtete Verhalten (auch Unterlassen)
des Schuldners, das die zeitnahe Realisierung der Unterhaltsschuld verhindert oder zumindest wesentlich erschwert hat. Darüber
hinaus ist nach herrschender Auffassung aus der Fassung des Gesetzes ("wenn anzunehmen ist") zu folgern, daß der Unterhaltsberechtigte
im Prozeß nur solche Umstände darzulegen und zu beweisen hat, die nach der Lebenserfahrung den Schluß auf ein Sichentziehen
rechtfertigen. Sache des Verpflichteten ist es dann, die gegen ihn sprechende tatsächliche Vermutung dadurch zu entkräften,
daß er Tatsachen darlegt und beweist, die jene Schlußfolgerung zu erschüttern vermögen (vgl.
BGB-RGRK/Cuny aaO. § 64 EheG Rdn. 17 und §
1585b Rdn. 23; MünchKomm/Richter §
1585b Rdn. 8; Soergel/Häberle
BGB 11. Aufl. §
1585b Rdn. 9; Baumgärtel/Laumen Beweislast §
1585b BGB Rdn. 4). Dem schließt sich der Senat an, da es sich bei dem Tatbestandsmerkmal "absichtlich" um eine innere Tatsache handelt,
die sich regelmäßig nur indirekt aus dem zutage getretenen Verhalten der Partei erschließen läßt (vgl. Rosenberg/Schwab Zivilprozeßrecht
14. Aufl. § 116 I 1). Auch können insoweit keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, wenn dem Zweck der Regelung, einem
unredlich handelnden Schuldner den Schutz der Einjahresgrenze zu versagen, praktische Bedeutung zukommen soll (vgl. zu §
2287 Abs.
1 BGB BGHZ 59, 343, 349 f).
Nach diesen Grundsätzen hat sich der Beklagte der Leistung absichtlich entzogen, soweit er aufgrund seiner Einkommenssteigerungen
in der fraglichen Zeit erhöhte Unterhaltsleistungen hätte erbringen müssen. Er hatte sich im Vergleich ausdrücklich dazu verpflichtet,
jede Einkommensveränderung unaufgefordert anzuzeigen und daraus folgende Unterhaltserhöhungen von sich aus vorzunehmen. Dadurch
hat er ein entsprechendes Vertrauen der in einfachen Verhältnissen lebenden Klägerin in Anspruch genommen; bei vertragstreuem
Verhalten auf seiner Seite hatte diese jedenfalls in der fraglichen Zeit keinen Anlaß, wegen einer Unterhaltserhöhung an ihn
heranzutreten. Unstreitig hat der Beklagte diese Verpflichtungen in dem hier zu beurteilenden Zeitraum, der etwa vier Jahre
umfaßt, nicht erfüllt. Sein Verhalten läßt nach der Lebenserfahrung den Schluß zu, daß er damit die Absicht verfolgte, um
erhöhte Unterhaltsleistungen herumzukommen. Daß er das erwartete, hat bereits das Oberlandesgericht festgestellt. Er hat im
Prozeß auch keine Gründe vorgetragen, die diese Schlußfolgerung entkräften könnten. Soweit er darauf verwiesen hat, daß die
Klägerin ihn in dieser Zeit nicht zu erhöhten Unterhaltsleistungen aufgefordert hat, war dies, wie ausgeführt, durch ihr Vertrauen
in seine Vertragstreue bedingt und vermag ihn nicht zu entlasten. Daß er keine "sonstigen Vorkehrungen" getroffen hat, sich
seiner Verpflichtung zu entziehen, ist in Anbetracht seiner vertragswidrigen Unterlassungen, die für sich den Schluß auf ein
absichtliches Entziehen begründen, unerheblich. Auch wenn er ab August 1983 der irrigen Meinung gewesen sein sollte, die Klägerin
müsse sich ihren Unterhalt selbst verdienen, war er nach dem Vergleich jedenfalls seiner Anzeigepflicht nicht enthoben und
hätte sich redlicherweise einer offenen Auseinandersetzung mit der Klägerin stellen müssen. Die gegen ihn sprechende tatsächliche
Vermutung hat er somit insgesamt nicht widerlegt.
4. Nach allem kann die Klägerin die geltend gemachten Unterhaltsrückstände auch für die Zeit fordern, die im Revisionsverfahren
noch streitig ist. Zwar hält das angefochtene Urteil mit der gegebenen Begründung den Angriffen der Revision teilweise nicht
stand, es erweist sich aber insoweit aus anderen Gründen als richtig (§
563 ZPO). Die Revision ist somit zurückzuweisen.