Auszahlung einer Regelaltersrente ohne Kürzung um den Ruhensbetrag nach Abgeordnetengesetz
Rüge der Verletzung von Vorschriften des materiellen Rechts
Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Vordergerichts
1. Bei einer Revision, mit der die Verletzung von Vorschriften des materiellen Rechts gerügt wird, ist in der Begründung sorgfältig
und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Normen in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den
festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewandt worden sind.
2. Die Begründung muss sich mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzen, wobei "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den
Gedanken des Vordergerichts einzugehen.
3. Der Revisionsführer muss erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er
bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist.
4. Die alleinige Wiedergabe der Meinung des Klägers ist demgegenüber nicht ausreichend.
Gründe:
I
Streitig ist, ob der Kläger die Auszahlung seiner Regelaltersrente ab Rentenbeginn (1.9.2003) ohne Kürzung um den Ruhensbetrag
nach § 29 Abs 2 S 2 Abgeordnetengesetz (AbgG) beanspruchen kann.
Mit Urteil vom 1.6.2017 hat das LSG Niedersachsen-Bremen die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 8.3.2016
zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die dem Kläger zustehende Altersrente sei unter Berücksichtigung
des gesetzlichen Ruhensbetrags in Höhe von 80 % bzw in Höhe von 50 % (ab 1.8.2014) zutreffend berechnet. Gegen die Ruhensregelung
des § 29 Abs 2 S 2 AbgG bestünden auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar genössen Versichertenrenten den Eigentumsschutz
des Art
14 Abs
1 GG, der Gesetzgeber habe aber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken rentenversicherungsrechtlicher Positionen grundsätzlich
eine weite Gestaltungsfreiheit. Die Abgeordnetenentschädigung müsse nach Art
48 Abs
3 GG "angemessen" sein, dh den Abgeordneten und seine Familie ausreichend alimentieren. Eine Kürzung der sonstigen, ebenfalls
dem Unterhalt dienenden Versorgungsbezüge aus öffentlichen Kassen, wozu auch die Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
gehöre, während der Mandatszeit auf 20 vH sei nicht unverhältnismäßig. Ziel sei es ebenso wie im Beamtenversorgungsrecht,
Doppelalimentation zu vermeiden. Die Anrechnung erfolge, weil die gesetzliche Rentenversicherung und deren Leistungen auf
den Prinzipien des sozialen Ausgleichs, der Solidarität und des Generationenvertrages beruhten. Im Gegensatz dazu stünden
Leistungen aus privaten Kassen mit ihren eigenen Rechtsgrundsätzen und rechtlichen Gestaltungsformen. Eine Anrechnung erfolge
insoweit nicht.
Auch liege kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art
3 Abs
1 GG) vor. Nach dem Prinzip der formalisierten Gleichbehandlung werde jeder Abgeordnete gleich hoch entschädigt. Personen wie
der Kläger würden nicht gegenüber den Beziehern von Versorgungsbezügen aus privaten Kassen ungleich behandelt, weil sich die
gesetzliche Rentenversicherung, wie bereits dargelegt, maßgebend von den privaten Kassen unterscheide. Das Ruhen in Höhe von
80 vH verstoße nicht gegen das Übermaßverbot, vielmehr berücksichtige der Gesetzgeber den Umstand, dass die Rente auf eigener
Beitragszahlung beruhe. Etwas anderes folge auch nicht aus der Herabsetzung des Ruhensanteils auf 50 vH mit § 29 Abs 2 S 2 AbgG in der ab 16.7.2014 geltenden Fassung.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 29 Abs 2 S 1 (richtig: § 29 Abs 2 S 2) AbgG. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: "Wie bereits in den Vorinstanzen ausgeführt, verstößt der (richtig: die) Kürzung
der Altersrente gegen Artikel
14 des
Grundgesetzes. Die Regelaltersrente beruht im Wesentlichen auf eigenen Beiträgen des Klägers sowie auf den Beiträgen des Arbeitgebers.
Der Regelaltersrentenanspruch des Klägers ist damit als eigentumsgleiches Recht anzusehen, in das nicht durch § 29 Abs. 2 Satz 2 Abgeordnetengesetz eingegriffen werden kann. Darüber hinaus wird auch die Verletzung von Artikel
3 des
Grundgesetzes gerügt. Durch die Vorschrift des § 29 Abs. 2 Satz 2 Abgeordnetengesetz wird die gesetzliche Altersversorgung willkürlich anders behandelt, als die Ansprüche aus sonstigen Sicherungssystemen. Ansprüche
aus Versorgungswerken, Kapitallebensversicherungen und anderen vergleichbaren erwirtschafteten Alterseinkünften werden demgegenüber
nicht gekürzt, sondern ungekürzt trotz des Bezuges von Abgeordnetenentschädigung ausgezahlt. Eine Rechtfertigung ist nicht
zu erkennen. Die Argumentation der Beklagten kann demgegenüber nicht überzeugen. Es handelt sich nämlich entgegen der Argumentation
der Beklagten nicht um eine Doppelversorgung aus öffentlichen Kassen. Würde dies zutreffen, müssten die Rentenansprüche entweder
gänzlich entfallen oder jedenfalls mit der Abgeordnetenentschädigung verrechnet werden. Genau dies geschieht aber nicht. Eine
Signalwirkung der Regelung für die gesamte Öffentlichkeit, wie von der Beklagten vorgetragen, kann jedenfalls nicht als Begründung
angeführt werden, um die erworbenen Ansprüche des Klägers zu beeinträchtigen. Es liegt nämlich gar keine übermäßige Alimentierung
vor."
II
Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen (§
169 S 2
SGG). Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen (§
164 Abs
2 SGG).
Gemäß §
164 Abs
2 S 1
SGG ist die Revision zu begründen. Nach S 3 der Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte
Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Letzteres hat für
die materiell-rechtliche Revisionsrüge entsprechend zu gelten (so ausdrücklich BSG SozR 1500 § 164 Nr 5 S 5 sowie Urteil vom 28.1.1981 - 9 RV 1/80 - Juris RdNr 15; zuletzt Senatsbeschlüsse vom 6.10.2016 - B 5 SF 3/16 AR - RdNr 35 und - B 5 SF 4/16 AR - RdNr 35). Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22). Sie bezwecken, das Revisionsgericht zu entlasten und im Interesse aller Beteiligten das Verfahren umfassend
vorzubereiten (vgl BSG Urteile vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; vom 20.1.2005 - B 3 KR 22/03 R - Juris RdNr 16; BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 11; Senatsurteil vom 23.7.2015 -B5R 32/14 R - Juris RdNr 4; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, § 164 RdNr 7). Im Blick hierauf sind die vom BSG für notwendig erachteten (erweiterten) Anforderungen an die Begründung einer Revision auch verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden (vgl BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).
Um anhand der Revisionsbegründung nachvollziehen zu können, ob der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter das angefochtene
Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und die Rechtslage genau durchdacht hat, muss die Revision daher sowohl
bei prozessualen als auch bei materiell-rechtlichen Rügen sorgfältig begründet werden (vgl Senatsurteile vom 11.6.2003 - B
5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 und vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11 S 19 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f sowie BSG Beschluss vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14). Hieran fehlt es indessen.
Der Kläger rügt eine Verletzung des § 29 Abs 2 S 2 AbgG. Wendet sich die Revision gegen die Verletzung von Vorschriften des materiellen Rechts, ist in der Begründung sorgfältig
und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Normen in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den
festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewandt worden sind (vgl zusammenfassend: BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10 mit zahlreichen Nachweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung; BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 6 und 9). Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung"
bedeutet, auf den Gedanken des Vordergerichts einzugehen (BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f und Beschluss vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R - Juris RdNr 10). Hierzu hat der Revisionsführer - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz einzugehen; er
muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung
der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (Senatsurteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 ff sowie BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f mwN und BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17). Insbesondere bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung
angegriffen wird (BSG Urteil vom 11.11.1993 - 7 RAr 94/92 - Juris RdNr 15 mwN; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG SozR 1500 § 164 Nr 12, 20 und 28). Allein die Wiedergabe der Meinung des Klägers reicht nicht aus (vgl BSG Beschluss vom 26.8.2015 - B 13 R 14/15 R - Juris RdNr 11).
Das LSG hat unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck sowie der Gesetzesbegründung und unter Einbeziehung der Rechtsprechung
des BVerfG ausführlich dargelegt, dass § 29 Abs 2 S 2 AbgG nicht gegen Art
14 Abs
1 GG verstoße, die Ruhensregelung vielmehr verhältnismäßig sei. Ziel sei es, Doppelalimentation zu vermeiden. Dass Leistungen
aus öffentlichen Kassen, nicht aber aus privaten Kassen angerechnet würden, beruhe darauf, dass die Prinzipien des sozialen
Ausgleichs, der Solidarität und des Generationenvertrages zwar für Versichertenrenten, nicht aber für Leistungen aus privaten
Kassen gelten würden. Deswegen liege auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor.
Auf diese Gründe des LSG geht der Kläger in seiner knapp 1,5 Seiten umfassenden Begründung nicht ein. Er beschränkt sich vielmehr
letztlich darauf, dem Ergebnis des Berufungsgerichts seine eigene Rechtsauffassung entgegenzuhalten, wonach die Kürzung der
Altersrente unverhältnismäßig sei und gegen Art
14 GG und Art
3 GG verstoße. Inwiefern dabei gegen Art
14 GG bzw gegen Art
3 GG verstoßen wird, wird nicht differenziert. Der - nach Fristablauf eingereichte - weitere Vortrag des Klägers mit Schriftsatz
vom 17.10.2017, der Gesetzesverstoß sei "so augenscheinlich und geradezu dem Gesetz auf die Stirn geschrieben, dass es dem
Grunde nach keiner weiteren Erläuterung bedarf", zeigt deutlich, dass ein Eingehen auf die Gründe der Vorinstanz nicht für
erforderlich erachtet wird.
Soweit mit dem Vorbringen des Klägers, es handele sich nicht um eine Doppelversorgung und es liege keine übermäßige Alimentierung
vor, ein Angriff auf die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts (§
128 Abs
1 S 1
SGG) vorgetragen werden soll, genügt auch dieser nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung. Eine formgerechte
Verfahrensrüge der Verletzung des Rechts der freien Beweiswürdigung muss das Revisionsgericht in die Lage versetzen, allein
auf dieser Grundlage zu erkennen, inwiefern das Tatsachengericht gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen
hat und zu welchem Ergebnis eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung geführt hätte. Dem ist ersichtlich nicht genügt, wenn die
Revision lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt oder diese eigene Würdigung als überlegen bezeichnet.
Dem Revisionsgericht ist es nämlich nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder
diese sonst zu bewerten (stRspr, vgl nur BSG SozR 1500 § 164 Nr 31 S 50; BSG Urteil vom 19.12.2001 - B 11 AL 50/01 R - Juris RdNr 16).
Die nicht formgerecht begründete und damit unzulässige Revision ist ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss ohne Zuziehung
der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
169 S 2 und 3
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.