Anspruch auf Pflegegeld statt auf Sachleistungen zur Pflege nach dem AsylbLG; Vorliegen eines besonderen Falles
Gründe:
I
Der Kläger ist Alleinerbe seines am 15.7.2007 verstorbenen Vaters und seiner am 13.4.2012 verstorbenen Mutter. Beide Eltern
stammten aus I im heutigen Kosovo und reisten im Oktober 2003 in die Bundesrepublik ein. Bereits bei der Einreise litten sie
unter schweren gesundheitlichen Einschränkungen, insbesondere schwerer seniler Demenz; der Vater war durchgehend bettlägerig.
Der Kläger wurde für beide Elternteile zum Betreuer bestellt. Zunächst hielten die Eltern sich auf Grundlage von Duldungen
nach § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) - vorübergehende Aussetzung der Abschiebung aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer
Interessen der Bundesrepublik Deutschland bzw bei tatsächlicher oder rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung - in der Bundesrepublik
Deutschland auf, bevor ihnen mit Wirkung ab 27.10.2005 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 3 AufenthG (Aufenthaltserlaubnis wegen eines Abschiebungsverbots) erteilt wurde. Zuvor waren ihre Anträge (vom 29.3.2005) auf Gewährung
von Asyl abgelehnt worden (Bescheid vom 28.7.2005).
Die Eltern des Klägers bezogen von der Beklagten neben einer Reihe von Einzelbeihilfen (ua Mittel für pflegerische Versorgung,
sonstige Hilfsmittel und Maßnahmen der ambulanten und stationären Krankenbehandlung) ununterbrochen Grundleistungen nach §
3 AsylbLG (Bescheid vom 26.1.2004). Am 6.2.2004 beantragten sie Pflegegeld. Nachdem der Amtsärztliche Dienst des Gesundheitsamtes Essen
am 28.5.2004 eine gutachterliche Stellungnahme zum Gesundheitszustand und zum Pflegebedarf erstellt hatte, wurde nach den
Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen zunächst probehalber von der Beklagten ein Pflegedienst
beauftragt, der die Betreuung jedoch nur zwei bis drei Tage übernahm, weil die Betroffenen mit der Pflegeleistung nicht einverstanden
waren; ab 8.6.2004 übernahm die Ehefrau des Klägers die Pflege. Nachdem die Eltern des Klägers im Januar 2006 erneut einen
Antrag auf Pflegegeld gestellt hatten, lehnte die Beklagte diese Leistungen zunächst ab (Bescheid vom 30.1.2006), bewilligte
jedoch im Verlauf des Widerspruchsverfahrens wegen des geänderten Aufenthaltsstatus Pflegegeld nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) letztlich mit Wirkung ab 1.11.2005 (Bescheide vom 6.12.2006 und 2.2.2007; Widerspruchsbescheid vom 21.2.2007).
Die von den Eltern erhobenen Klagen - nach dem Tod des Vaters ist der Kläger erstinstanzlich als dessen Alleinerbe in den
Prozess eingetreten - sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts [SG] Duisburg vom 17.7.2008). Dabei hat das SG in seinem Urteil ausgeführt, der Rechtsstreit habe sich, soweit es den verstorbenen Vater des Klägers betreffe, durch dessen
Tod erledigt, sodass nur noch über den Anspruch der Mutter des Klägers zu entscheiden sei. Nachdem die Beklagte im Berufungsverfahren
Ansprüche auf Pflegegeld auch für die Zeit vom 27. bis 31.10.2005 anerkannt hatte und die Berufungskläger dieses Anerkenntnis
angenommen hatten, hat das LSG die Berufungen zurückgewiesen (Urteil vom 14.2.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat
es ausgeführt, es sei über Berufungen der verstorbenen Mutter des Klägers und des Klägers selbst als Rechtsnachfolger seines
verstorbenen Vaters zu befinden; auch über letzteren Anspruch habe das SG in der Sache entschieden, selbst wenn es den Kläger nicht in das Rubrum des Urteils aufgenommen habe. Ansprüche auf Pflegegeld
bestünden jedoch nicht. Entsprechende Leistungen könnten für die Zeit vor Erteilung des Aufenthaltstitels nicht auf das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bzw ab 1.1.2005 das SGB XII gestützt werden. Auch eine entsprechende Anwendung der Vorschriften dieser Gesetze über §
2 AsylbLG (sog Analog-Leistungen bei Vorbezug von Grundleistungen von mindestens 36 Monaten) scheide im Hinblick darauf aus, dass sich
die Eltern des Klägers erst seit Oktober 2003 in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten. Nach §
6 Abs
1 Satz 2
AsylbLG bestehe schließlich ebenso wenig ein Anspruch. §
6 Abs
1 Satz 1
AsylbLG gewähre in der Regel nur einen Sachleistungsanspruch; ein besonderer Fall, in dem ausnahmsweise Geldleistungen zu erbringen
seien, liege nicht vor. Im Übrigen stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass die als Zeugin vernommene Ehefrau
des Klägers dessen verstorbene Eltern unentgeltlich und allein aus familiärer Verbundenheit betreut und gepflegt habe.
Mit der Revision rügt der Kläger, der nach dem Tod seiner Mutter im Verlauf des Revisionsverfahrens auch für diese den Rechtsstreit
fortführt, eine Verletzung des §
6 Abs
1 Satz 2
AsylbLG. Er ist der Ansicht, es liege ein besonderer Umstand im Sinne dieser Vorschrift vor, weil seine Eltern die Dauer des Asylverfahrens
und des Verfahrens über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht hätten beeinflussen können. Schon mit der Feststellung
der Pflegestufe 2 hätten aber ein Abschiebehindernis und die Voraussetzungen für die erteilte Aufenthaltserlaubnis vorgelegen.
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid vom 2.2.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.2.2007 aufzuheben, soweit darin Pflegegeld
für die Zeit vor dem 27.10.2005 abgelehnt worden ist, und die Beklagte zu verurteilen, Pflegegeld für die Zeit vom 28.5. bis
26.10.2005 zu zahlen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend.
II
Die zulässigen Revisionen sind unbegründet (§
170 Abs
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Zutreffend hat das LSG Ansprüche des Klägers auf Pflegegeld als Rechtsnachfolger seines verstorbenen Vaters bzw seiner
Mutter, deren Anspruch er als Rechtsnachfolger im Revisionsverfahren geltend macht, verneint. Insoweit kam es weder erstinstanzlich
noch im Revisionsverfahren wegen der anwaltschaftlichen Vertretung gemäß §
202 SGG iVm §
246 Zivilprozessordnung zu einer Unterbrechung des Verfahrens. Nicht entscheidungserheblich ist, ob für die Zeit vom 28.5. bis 7.6.2005 durch die
Berufungen eine zulässige Klageerweiterung gemäß §
99 Abs
3 Nr
2 SGG vorgenommen worden ist oder die Klageanträge von Anfang an - wie es das SG angenommen hat - diese Zeit mitumfasst haben. Wäre beides zu verneinen, wären die Klagen für diesen Zeitraum bereits unzulässig.
Im Ergebnis stünde der Revisionskläger damit weder besser noch schlechter.
Gegenstand des Rechtsstreits ist nur noch der Bescheid vom 2.2.2007, der den ursprünglichen ablehnenden Bescheid vom 30.1.2006
und den Bescheid vom 6.12.2006, mit dem Leistungen erst ab 1.1.2006 bewilligt worden waren, ersetzt und erledigt hat (§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - [SGB X]). In der Sache ist über "Pflegegeld" nur noch für die Zeit vom 28.5.2004 bis 26.10.2005 zu befinden, nachdem die
Beklagte in der mündlichen Verhandlung beim LSG die Ansprüche für die Zeit vom 27.10. bis 31.10.2005 anerkannt hat und die
Kläger dieses Anerkenntnis angenommen haben (§
101 Abs
2 SGG).
Zulässigerweise waren die Klagen jedoch beschränkt auf Geldleistungen zur Pflege. Höhere Grundleistungen nach §
3 AsylbLG sind von Beginn an nicht geltend gemacht worden. Diese Beschränkung steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats
zur Abtrennbarkeit von Leistungsansprüchen im Sinne eines eigenen Streitgegenstands (vgl nur BSGE 103, 181 ff RdNr 13 mwN = SozR 4-3500 § 42 Nr 2). Die Leistungen der §§
3,
6 AsylbLG sind im Grundsatz als Sachleistungen konzipiert (vgl dazu BVerfG SozR 4-3520 §
3 Nr
2 RdNr
41 und 73); die Leistungen nach §
6 Abs
1 AsylbLG stellen dabei zusätzliche Leistungen im Einzelfall dar. Daraus folgt die rechtliche Abtrennbarkeit nach Grundbedarfen, die
nach §
3 AsylbLG abgedeckt werden, und sonstigen Bedarfen im Einzelfall, wovon auch zutreffend die Beklagte und die Vorinstanzen ausgegangen
sind. Gegen die Ablehnung der Leistungen wehrt sich der Kläger mit Anfechtungs- und Leistungsklagen (§
54 Abs
1 und 4 iVm §
56 SGG).
Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel stehen einer Entscheidung in der Sache nicht entgegen. Zutreffend hat das LSG
ausgeführt, dass die Berufung des Klägers, soweit sie Ansprüche des im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens verstorbenen
Vaters betraf, zulässig war. Mit seinen Ausführungen, die Klage des verstorbenen Vaters habe sich mit dessen Tod erledigt,
hat das SG nämlich in der Sache eine Entscheidung über den streitigen Anspruch getroffen, auch wenn es zu Unrecht den Kläger nicht im
Rubrum aufgeführt hat. Mit der fristgerecht eingelegten Berufung des Klägers hiergegen sind diese Ansprüche in der Berufungsinstanz
angefallen. Einer Urteilsergänzung nach §
140 SGG bedurfte es nicht.
Der Kläger hat jedoch weder als Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Mutter noch als Rechtsnachfolger seines verstorbenen
Vaters einen Anspruch auf das geltend gemachte Pflegegeld. Dabei kann offenbleiben, ob und unter welchen weiteren Voraussetzungen
ein solcher Anspruch seiner Eltern überhaupt auf ihn als Rechtsnachfolger übergehen konnte (zur Rechtslage im Sozialhilferecht:
BVerwGE 96, 18 ff mwN; Coseriu in juris PraxisKommentar [jurisPK] SGB XII, § 17 SGB XII RdNr 26; Neumann in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 17 RdNr 35 ff, Stand März 2012). Denn ein Anspruch auf Pflegegeld ist schon zu Lebzeiten der Eltern des Klägers nicht entstanden.
Zutreffend - und vom Kläger in der Revisionsinstanz auch nicht mehr angegriffen - hat das LSG hierzu entschieden, dass § 69a BSHG iVm § 28 BSHG (bis 31.12.2004) bzw § 64 SGB XII iVm § 19 Abs 3 SGB XII (ab 1.1.2005) als Rechtsgrundlage für die begehrten Leistungen ausscheiden. Die im Oktober 2003 in das Bundesgebiet eingereisten
Eltern des Klägers gehörten im streitbefangenen Zeitraum dem Kreis der Leistungsberechtigten nach §
1 Abs
1 Nr
4 AsylbLG an. Sie hielten sich als Ausländer tatsächlich im Bundesgebiet auf und waren in diesem Zeitraum im Besitz von Duldungen und
damit nach §
9 Abs
1 AsylbLG iVm § 120 Abs 2 BSHG bzw § 23 Abs 2 SGB XII von Leistungen der Sozialhilfe ausgeschlossen. Für die Leistungsberechtigung nach §
1 Abs
1 AsylbLG ist lediglich der formale Aufenthaltsstatus maßgeblich; solange Ausländer also keinen anderen Aufenthaltsstatus als einen
der in §
1 Abs
1 AsylbLG aufgeführten besitzen, sind sie nur nach dem
AsylbLG leistungsberechtigt (BVerwG, Beschluss vom 28.9.2001 - 5 B 94/00 -, juris RdNr 5; Frerichs in jurisPK-SGB XII, §
1 AsylbLG RdNr 59; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, §
1 AsylbLG RdNr 2). Der Aufenthaltsstatus der Eltern des Klägers hat erst mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 3 AufenthG eine Änderung erfahren, selbst wenn die rechtlichen Voraussetzungen dafür bereits zuvor vorgelegen haben mögen. Leistungen
nach §
2 AsylbLG (in der bis 27.8.2007 geltenden Fassung) iVm dem BSHG bzw dem SGB XII scheiden ebenfalls aus. Der Anspruch auf Leistungen nach §
2 Abs
1 AsylbLG scheitert bereits an der erforderlichen Vorbezugszeit von (im streitbefangenen Zeitraum) 36 Monaten mit (Grund-)Leistungen
nach §
3 AsylbLG; die verstorbenen Eltern des Klägers befanden sich nicht einmal die entsprechende Zeit in der Bundesrepublik Deutschland,
sodass auf die verfassungsrechtliche Problematik der Vorbezugszeit nicht einzugehen ist.
Schließlich ergeben sich auch keine Ansprüche aus §
6 Abs
1 AsylbLG. Nach dessen Satz 1 können sonstige Leistungen insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit
unerlässlich sind; solche Leistungen sind auch Pflegesachleistungen (BVerwG, Beschluss vom 20.7.2001 - 5 B 50/01; Birk in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 9. Aufl 2012, §
6 AsylbLG RdNr 4; Hohm in Gemeinschaftskommentar
AsylbLG, § 6 RdNr 162, Stand November 2011; Frerichs in jurisPK-SGB XII, §
6 AsylbLG RdNr 69). Abweichend von der Systematik des § 69a BSHG und des § 64 SGB XII sieht das
AsylbLG jedoch kein pauschaliertes Pflegegeld vor; ein pauschaliertes Pflegegeld wäre - ausgehend vom Sachleistungsprinzip des
AsylbLG und speziell des §
6 Abs
1 Satz 1
AsylbLG - auch systemfremd. §
6 Abs
1 Satz 2
AsylbLG formuliert deshalb folgerichtig, dass Leistungen als Sachleistungen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände als Geldleistung
zu gewähren sind. Damit tritt die Geldleistung lediglich an die Stelle der eigentlich zu erbringenden Sachleistung. Daraus
folgt zwingend, dass ein Anspruch auf Geldleistungen nur bestehen kann, wenn der Leistungsberechtigte tatsächlich Aufwendungen
hat, und dass Geldleistungen nur in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu erbringen sind. Aufwendungen wegen der Pflege setzen
andererseits eine - wie auch immer geartete - finanzielle Verpflichtung gegenüber einem Dritten voraus.
Gerade dies ist nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§
163 SGG), die nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffen sind, nicht der Fall. Das LSG ist nach Vernehmung der Ehefrau des
Klägers zur Überzeugung gelangt, dass diese die notwendigen Pflegeleistungen, soweit sie nicht für 2 bis 3 Tage ohnedies auf
Kosten der Beklagten von einem Pflegedienst vorgenommen worden waren, unentgeltlich und ausschließlich aus familiären Gründen
erbracht hat. Mit seinem im Revisionsverfahren wiederholten Vortrag, er und seine Ehefrau hätten nach Begutachtung durch den
ärztlichen Dienst der Beklagten mit einer Zahlung von Pflegegeld gerechnet und seine Ehefrau habe nur vor dem Hintergrund
dieser Vorstellung die Pflege erbracht, greift er zwar die Beweiswürdigung des LSG an; ein Verstoß gegen die Grundsätze der
freien richterlichen Beweiswürdigung hat er aber mit seinem Vortrag, der allein darauf abzielt, das LSG hätte zu einem anderen
Ergebnis kommen müssen, nicht dargelegt. Sind die verstorbenen Eltern des Klägers damit keine Verpflichtung gegenüber Dritten
zur Abwendung ihrer Hilfebedürftigkeit eingegangen, die ggf ersatzweise einen Geldanspruch gegenüber der Beklagten auslösen
könnte, kommt von vornherein ein Geldanspruch anstelle des vorrangigen Pflegesachleistungsanspruchs nicht in Betracht (BVerwG,
Beschluss vom 20.7.2001 - 5 B 50/01).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.