Gewährung von Leistungen in Form eines persönlichen Budgets
Verfahrensrüge
Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung
Ermessensentscheidung
Gründe:
I
Im Streit ist die Gewährung von Leistungen in Form eines persönlichen Budgets.
Bei der 1957 geborenen Klägerin sind ein Grad der Behinderung von 100 und die Nachteilsausgleiche "G", "aG" und "B" festgestellt.
Im Mai 2012 beantragte sie erfolglos Leistungen zur Gewährleistung von Mobilität (Kosten für Betrieb und Unterhaltung eines
Kraftfahrzeugs), der häuslichen Pflege und der Assistenz zur Bewältigung des Alltags in Form eines persönlichen Budgets (Bescheid
vom 21.2.2013; Widerspruchsbescheid vom 8.11.2013). Die Klage ist in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts
[SG] Darmstadt vom 14.10.2015; Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts [LSG] vom 16.12.2016). Zur Begründung seiner
Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, der Bewilligung eines persönlichen Budgets stehe bereits entgegen, dass keine Zielvereinbarung
abgeschlossen sei. Zum Abschluss einer solchen könne auch das Gericht nicht verpflichten, weil die vertragliche Regelung über
den Nachweis der Mittelverwendung zu den Mindestanforderungen einer Budgetvereinbarung gehöre.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG macht die Klägerin Verfahrensfehler, eine
Divergenz und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Das LSG habe die Krankenkasse verfahrensfehlerhaft nicht
notwendig zum Verfahren beigeladen (§
75 Abs
2 1. Alt
Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Es sei nicht auszuschließen, dass das LSG bei Kenntnis des Rechtsstandpunkts der Krankenkasse eine andere Entscheidung
getroffen hätte. Auch habe das LSG unter Verstoß gegen §
153 Abs
4 SGG durch Beschluss entschieden. Sie, die Klägerin, habe im Hinblick auf die von ihr aufgezeigten Mängel bei der Durchführung
des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens nach der Budgetverordnung auf eine mündliche Verhandlung vertrauen dürfen. Das LSG habe zudem ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art
103 Abs
1 Grundgesetz [GG], §
62 SGG) verletzt, indem es in seiner Entscheidung auf die Akte des SG sowie die Behördenakten des Beklagten abgestellt habe, ohne sie, die Klägerin, von der Beiziehung der Akten und von der Absicht,
diese in den Prozess einzubeziehen, zu unterrichten. Allein die Mitteilung der Aktenübersendung durch den Beklagten genüge
der Wahrung ihres rechtlichen Gehörs nicht.
Neben Verfahrensfehlern macht die Klägerin eine Divergenz geltend. Das LSG habe den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, dass
unerlässliche Voraussetzung für eine Aufhebungs- und Leistungsklage der vorherige Abschluss einer Zielvereinbarung sei. Demgegenüber
habe das Bundessozialgericht (BSG) in einem Urteil vom 31.1.2012 (B 2 U 1/11 R) auf die formelle Rechtswidrigkeit eines Bescheides erkannt, weil die Behörde vor Erlass dieses Verwaltungsaktes mit Doppelwirkung
das zwingend vorgeschriebene Bedarfsfeststellungsverfahren nicht durchgeführt habe. Angesichts der aufgezeigten Mängel des
Beschlusses des LSG und der Ausgestaltung des persönlichen Budgets als Rechtsanspruch bedürfe es keiner Erörterung der Frage,
ob der Rechtssache überdies grundsätzliche Bedeutung zukomme.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG), der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) und des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen
Richter nach §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG entscheiden.
Wird das Vorliegen eines Verfahrensmangels geltend gemacht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, so müssen
bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die
diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargelegt werden (BSG SozR 1500 §
160a Nr 14, 24, 34 und 36; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist die Darlegung zu verlangen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht
des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung der Entscheidung besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36), es sei denn, es werden absolute Revisionsgründe gerügt, bei denen gemäß §
202 SGG iVm §
547 Zivilprozessordnung (
ZPO) der Einfluss auf die Entscheidung unwiderlegbar vermutet wird (BSGE 4, 281, 288; BSG SozR 1500 § 136 Nr 8).
Diesen Anforderungen genügt der Beschwerdevortrag nicht. Soweit die Klägerin einen Verfahrensmangel wegen der unterbliebenen
notwendigen Beiladung der Krankenkasse behauptet, fehlt es an Vortrag dazu, weshalb eine Beiladung der Krankenkasse überhaupt
hätte erfolgen müssen. Eine echte notwendige Beiladung setzt nach §
75 Abs
2 1. Alt
SGG voraus, dass die von der Klägerin begehrte Entscheidung nur einheitlich auch gegenüber dem Beizuladenden möglich ist. Doch
weder trägt die Klägerin vor, welche der von ihr geltend gemachten Bedarfe möglicherweise von der Krankenkasse zu decken sein
könnten, noch, weshalb die Entscheidung des LSG auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruht. Sie stellt insoweit zwar die
Behauptung auf, die Entscheidung des LSG wäre ggf anders ausgefallen, hätte es den Standpunkt der Krankenkasse gekannt. Doch
kann auch dieser Vortrag nicht nachvollzogen werden, solange nicht dargelegt wird, dass Leistungen der Krankenkasse vorliegend
überhaupt in Betracht kommen.
Auch ein Verstoß gegen §
153 Abs
4 SGG, der zur unrichtigen Besetzung der Richterbank führt, wird nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend dargelegt. Ein
Verstoß gegen §
153 Abs
4 SGG liegt aber nur vor, wenn das Berufungsgericht bei dem von dieser Regelung eingeräumten Ermessen erkennbar fehlerhaften Gebrauch
gemacht hat, etwa wenn der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zu Grunde liegen (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 4; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38) und deshalb die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung unter keinen Umständen zu rechtfertigen
ist (BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38 f). Hierzu fehlen jedoch hinreichende Ausführungen der Klägerin. Zur Begründung ihrer Rüge trägt sie lediglich
vor, sie habe in ihrem Schriftsatz vom 14.9.2016 auf ein Urteil des BSG verwiesen, wonach ein Herausfiltern einfacher hauswirtschaftlicher Tätigkeiten ohne Einverständnis des zu Pflegenden gesetzlich
nicht angelegt sei. Weshalb aufgrund diesen Vortrags das LSG zwingend eine mündliche Verhandlung hätte durchführen oder ggf
die Anhörung zu einem Vorgehen nach §
153 Abs
4 SGG hätte wiederholen müssen (zu den möglichen Gründen vgl insoweit nur Burkiczak in jurisPK-
SGG, 1. Aufl 2017, §
153 Abs
4 RdNr
114 ff), erläutert sie aber nicht.
Soweit die Klägerin schließlich vorträgt, das LSG habe verfahrensfehlerhaft ohne ihre Zustimmung den Inhalt beigezogener Akten
verwertet, bezeichnet sie einen Verfahrensmangel ebenfalls nicht hinreichend. Sie erläutert schon nicht, welche "Akteninhalte"
überhaupt verwertet worden sein sollen. Soweit sie in diesem Zusammenhang ausführt, anderenfalls hätte das LSG nicht ausführen
können, dass zwischen den Beteiligten keine Zielvereinbarung nach § 4 der Budgetverordnung abgeschlossen worden sei, kann ihrem Vortrag nicht entnommen werden, dass die fehlende Zielvereinbarung nicht Gegenstand
des Beteiligtenvorbringens gewesen ist und die Erkenntnisse des LSG damit nicht auf beigezogene Akten, sondern auf unbestrittenem
Beteiligtenvorbringen beruhen. Insoweit wird auch kein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nachvollziehbar
aufgezeigt. Zwar konkretisiert die Hinweispflicht des Vorsitzenden nach §
106 Abs
1 SGG den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus §
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (vgl nur BVerwGE 36, 264, 266 f). Dagegen hätte das Gericht verstoßen, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt
zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hätte, mit welcher der unterlegene
Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. Ein solcher Sachverhalt wird von der Klägerin
aber weder vorgetragen noch behauptet.
Auch der Zulassungsgrund der Divergenz ist nicht hinreichend dargetan. Eine Divergenz liegt nur dann vor, wenn das LSG einen
tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem tragenden abstrakten Rechtssatz des BSG aufgestellt hätte; eine Abweichung ist erst dann zu bejahen, wenn das LSG diesen Kriterien - wenn auch unter Umständen unbewusst
- widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67). Die Klägerin formuliert zwar einen abstrakten Rechtssatz des LSG und stellt diesem einen weiteren entgegen. Es wird
aber nicht nachvollziehbar erläutert, weshalb sich der auf die (materiell-rechtliche Voraussetzung der) Zielvereinbarung abstellende
Rechtssatz des LSG und der auf die (formell fehlerhafte) Bedarfsfeststellung abstellende Rechtssatz des BSG widersprechen. Die Klägerin legt auch nicht dar, dass der vom BSG angeblich aufgestellte Rechtssatz für seine Entscheidung tragend war.
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat die Klägerin ebenfalls nicht in der erforderlichen Weise dargelegt. Grundsätzliche
Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen
der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der
Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete)
Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten
Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Die Klägerin formuliert schon keine über den Einzelfall hinausgehende abstrakte Rechtsfrage. Dafür genügt
nicht der Vortrag, angesichts der aufgezeigten Mängel des LSG-Beschlusses "und der Ausgestaltung des Persönlichen Budgets
als Rechtsanspruch (bedürfe) es keiner Erörterung der Frage, ob der Rechtssache überdies grundsätzliche Bedeutung zukomme".
Selbst wenn sich aber aus ihrem Gesamtvortrag eine konkrete Rechtsfrage ableiten ließe, die sie zur Entscheidung des Senats
gestellt haben will, fehlt es an der ausreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit und Klärungsbedürftigkeit einer solchen
Rechtsfrage. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsfähigkeit
- konkret-individuell sachlich entscheiden müssen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 39 und § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg
der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich
bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Dafür genügt der Vortrag der Klägerin nach oben Gesagtem ersichtlich nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.