Richten der Berechnung des zur Sicherung des Lebensunterhalts i.S.v. § 2 Abs. 3 AufenthG notwendigen Bedarfs und erforderlichen Einkommens bei nicht mehr erwerbsfähigen Ausländern nach den Bestimmungen des SGB XII; Voraussetzung der Erteilung eines Visums zum Familiennachzug wegen Pflegebedürftigkeit gem. § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG
Gründe
I
Die am 4. Mai 1936 geborene Klägerin, eine russische Staatsangehörige, erstrebt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug.
Die Klägerin hat zwei Töchter deutscher Staatsangehörigkeit, die in Deutschland leben. Ihre ältere Tochter, Frau N., ist verheiratet
und hat zwei 1985 und 1998 geborene Kinder, von denen das ältere seinen Lebensunterhalt ohne finanzielle Unterstützung der
Eltern bestreitet. Die jüngere Tochter der Klägerin, Frau F. ist ebenfalls verheiratet und hat einen 1996 geborenen Sohn.
Die Klägerin beantragte im März 2007 bei der Deutschen Botschaft in Moskau ein Visum zum Familiennachzug zu ihrer Tochter
N. Dabei gab sie an, unter einer fortschreitenden Herzkrankheit, Hypertonie und Diabetes zu leiden. Hinzu komme ein ständig
sinkendes Sehvermögen wegen grauen Stars an beiden Augen. Sie beziehe eine monatliche Altersrente in Höhe von 3 155,39 Rubel
(ca. 90 EUR), aber ihr Lebensunterhalt werde in Deutschland durch das Einkommen ihrer Töchter und Schwiegersöhne gesichert.
Nachdem der Beigeladene seine Zustimmung zur Visumerteilung versagt hatte, lehnte die Beklagte den Visumantrag mit Bescheid
vom 4. Mai 2007 und zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 8. Januar 2008 ab. Eine außergewöhnliche Härte sei nicht nachgewiesen
und der Lebensunterhalt der Klägerin sei nicht gesichert. Zudem fehle der notwendige Kranken- und Pflegeversicherungsschutz.
Die Klägerin hat Klage erhoben und Verpflichtungserklärungen ihres Schwiegersohnes N. und ihrer Tochter F. vorgelegt. Das
Verwaltungsgericht hat die Beklagte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand der Klägerin zur
Visumerteilung verpflichtet. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts
geändert und die Klage abgewiesen. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen, dass offenbleiben könne, ob die Erteilung des
Visums gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich sei. Dies sei trotz des medizinischen Gutachtens fraglich, da die
Klägerin sich ausweislich der Angaben ihrer Tochter in der Berufungsverhandlung im Wesentlichen mit gelegentlicher Nachbarschaftshilfe
und Betreuungsleistungen von Freunden behelfen könne. Jedenfalls fehle es an der Regelerteilungsvoraussetzung des gesicherten
Lebensunterhalts. Dafür sei ausschließlich auf den eigenen Bedarf der Klägerin und die ihr zur Verfügung stehenden Mittel
abzustellen. Denn ihr stünden infolge Überschreitung der Altersgrenze ggf. Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu, und die Klägerin bilde gemäß § 43 Abs. 1 SGB XII mit den Mitgliedern der Familie N. keine Haushaltsgemeinschaft.
Der Regelbedarf betrage für die Klägerin 299 EUR. Dazu kämen die Kosten für eine private Kranken- und Pflegeversicherung (592,88
+ 74,59 EUR). Die Klägerin zähle nicht zu den nach §
5 SGB V in die gesetzliche Krankenversicherung aufzunehmenden Personen. Nach der Einreise habe sie aber gemäß § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG einen Anspruch auf Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrages im Basistarif. Eine Reduzierung auf die Hälfte
des Beitrags gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG scheide entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts aus, da keine Hilfebedürftigkeit eintreten dürfe. Da die Zusage unentgeltlicher
Unterbringung seitens der Familie N. dem Sozialamt keine Versagung entsprechender Leistungen ermögliche, sei der Anteil der
Klägerin an den tatsächlichen Unterkunftskosten nach Kopfteilen in Höhe von 131,87 EUR in Anrechnung zu bringen.
Dem monatlichen Bedarf in Höhe von 1 098,34 EUR stünden Mittel von allenfalls 903,83 EUR gegenüber. Nach eigenem Vorbringen
beziehe die Klägerin in der Russischen Föderation eine Rente in Höhe von monatlich 3 155,39 Rubel (= 79,31 EUR). Ob diese
Rente nach einer Übersiedlung nach Deutschland weiter gezahlt werde, sei offen und müsse auch nicht aufgeklärt werden, da
ihre Mittel auch dann nicht ausreichten, um ihren Bedarf zu decken. Nicht titulierte Unterhaltsansprüche gegen ihre Töchter
könnten nicht berücksichtigt werden, da das Sozialamt im Hinblick darauf Leistungen der Grundsicherung im Alter gemäß § 43 Abs. 2 SGB XII nicht ablehnen könne und nach § 94 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 SGB XII auch keine Regressmöglichkeit bestehe. Die abgegebenen Verpflichtungserklärungen seien lediglich in Höhe von 824,52 EUR zu
berücksichtigen. Sie seien zwar wirksam und weder befristet noch vom Aufenthaltszweck her beschränkt. Die Berücksichtigung
einer Verpflichtungserklärung im Rahmen der Prüfung der Sicherung des Lebensunterhalts setze aber voraus, dass der Erklärende
leistungsfähig sei. Das richte sich bei Arbeitseinkünften nach §
850c ZPO, da bei einer Vollstreckung eines auf § 68 AufenthG gestützten Erstattungsanspruchs Arbeitseinkommen nur in dem danach zulässigen Maße gepfändet werden könnten. Das pfändbare
Einkommen von Herrn N., der nur einem seiner Kinder Unterhalt leiste, betrage 219,26 EUR. Daneben sei das Einkommen aus Vermietung
und Verpachtung in Höhe von 310 EUR zu berücksichtigen. Frau F. verfüge über ein Nettoeinkommen in Höhe von 2 370,70 EUR.
Sie sei grundsätzlich zwei Personen gegenüber unterhaltspflichtig, so dass sich ein pfändbarer Betrag in Höhe von 295,26 EUR
ergebe. Dieser Betrag erhöhe sich nicht gemäß §
850c Abs.
4 Halbs. 1
ZPO. Denn die im Fall der Vollstreckung ggf. nach dieser Vorschrift zu treffende Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde
könne nicht im Rahmen der Bonitätsprüfung vorweggenommen werden.
Schließlich sei nicht ausnahmsweise vom Regelerfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen. Weder seien atypische Umstände ersichtlich noch sei die Annahme eines Ausnahmefalls im Hinblick auf Art.
6 Abs.
1 GG und Art. 8 EMRK unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten.
Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Revision im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht sei von einer zu niedrigen
Rente ausgegangen. Sie habe im Berufungsverfahren eine neue Rentenbescheinigung vorgelegt, wonach sie eine Rente in Höhe von
9 340,56 Rubel beziehe (234,80 EUR). Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Person, die eine Verpflichtungserklärung
abgebe, dürfe nicht nur auf §
850c ZPO abgestellt werden. Im Übrigen hätte die Regelung des §
850c Abs.
4 Halbs. 1
ZPO berücksichtigt werden müssen, denn die Eheleute F. verfügten über nahezu gleich hohe Einkommen. In diesem Fall reduziere
sich das Ermessen der Vollstreckungsbehörde auf Null, so dass Herr F. bei der Berechnung des unpfändbaren Arbeitseinkommens
seiner Ehefrau unberücksichtigt bleibe.
Die Beklagte hält die Revision für unbegründet. Der im Ergebnis richtigen Entscheidung des Berufungsgerichts sei entgegenzuhalten,
dass Verpflichtungserklärungen bei einem angestrebten Daueraufenthalt nicht geeignet seien, den Lebensunterhalt zu sichern.
Das ergebe sich aus § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG, wonach bereits die bloße Inanspruchnahme von Sozialhilfe einen Ausweisungsgrund darstelle. Eine Verpflichtungserklärung
verhindere nicht die Inanspruchnahme der öffentlichen Hand, sondern löse lediglich einen mit Unwägbarkeiten behafteten Erstattungsanspruch
aus. Zudem könnten für den Garantiegeber unabsehbare Belastungen auftreten, so dass sich die Frage der Sittenwidrigkeit stelle.
Des Weiteren verfüge die Klägerin über keinen Krankenversicherungsschutz. Angesichts der negativen Auskünfte von Krankenversicherungsunternehmen
könne gerade nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass diese bereit seien, mit der Klägerin
nach der Einreise eine private Kranken- und Pflegeversicherung abzuschließen.
II
Die Revision der Klägerin hat Erfolg, denn die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§
137 Abs.
1 Nr.
1 VwGO). Die Begründung des Berufungsgerichts für die Annahme, der Lebensunterhalt der Klägerin sei nicht gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG), hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand (1.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil
vermag der Senat in der Sache weder positiv noch negativ abschließend zu entscheiden, so dass der Rechtsstreit gemäß §
144 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 VwGO zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (2.).
Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels
grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, Urteil vom
7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen,
wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen
hätte (Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = Buchholz 402.25 §
73 AsylVfG Nr. 15 S. 32). Daher ist das Nachzugsbegehren der Klägerin an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher
Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl. I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der im vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.
Gemäß § 28 Abs. 4 AufenthG findet auf den Nachzug sonstiger Familienangehöriger zu Deutschen § 36 AufenthG entsprechende Anwendung. Gemäß § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann sonstigen Familienangehörigen ein Visum zum Familiennachzug erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen
Härte erforderlich ist. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzung offengelassen, da der Lebensunterhalt
der Klägerin nicht gesichert sei und von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht abgesehen werden könne. Diese Vorgehensweise ist an sich nicht zu beanstanden, aber die Begründung für die Annahme
mangelnder Lebensunterhaltssicherung verletzt § 2 Abs. 3 AufenthG.
1. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach §
2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher
Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt
des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich
des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richten sich sowohl die
Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen,
die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, seit dem 1. Januar 2005 grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen
des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II (grundlegend Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 19 ff. = Buchholz 402.242 § 2 AufenthG Nr. 1). Konsequenterweise bemessen sich Einkommen und Unterhaltsbedarf bei nicht (mehr) erwerbsfähigen Ausländern wie der
Klägerin, die die Altersgrenze des § 7a SGB II überschritten hat und daher gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II keine Leistungen nach dem SGB II beanspruchen kann, grundsätzlich nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zwölftes Buch - Sozialhilfe -SGB XII. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die wie die Klägerin die - mit § 7a SGB II korrespondierende - Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere
aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Für Ausländer gelten insoweit keine anderen Regelungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Unerheblich ist, ob Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kommt es
nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs an (Urteil vom 26. August 2008 a.a.O.).
1.1 Aus § 2 Abs. 3 Satz 1 und 3 AufenthG ergibt sich, dass die Lebensunterhaltssicherung auch einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz, d.h. die Mitgliedschaft
in der gesetzlichen Krankenversicherung oder einen damit vergleichbaren privaten Versicherungsschutz erfordert. Das Berufungsgericht
hat es zu Recht ausreichen lassen, dass die Klägerin nach ihrer Einreise eine private Kranken- und Pflegeversicherung abschließen
kann.
Die Klägerin unterliegt nach der Einreise nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, auch wenn
diese gemäß §
3 Nr.
2 SGB IV i.V.m. §
5 Abs.
1 Nr.
13 Buchst. b
SGB V grundsätzlich für alle Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gilt, die keinen
anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren.
Denn Ausländer, die wie die Klägerin nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, Angehörige eines Vertragsstaates
des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder Staatsangehörige der Schweiz sind, werden gemäß §
5 Abs.
11 Satz 1
SGB V von der Versicherungspflicht nach Absatz 1 Nr.
13 der Vorschrift nur erfasst, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf
mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen und für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht. Die zuletzt genannte Voraussetzung verlangt, dass die Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung
abstrakt für den avisierten Aufenthaltstitel keine Anwendung findet; nicht ausreichend ist das Vorliegen einer Ausnahme von
der Regel im Einzelfall oder die Möglichkeit eines Absehens im Ermessenswege. Andernfalls würde das gesetzgeberische Anliegen
konterkariert, den gesetzlichen Krankenkassen mit §
5 Abs.
11 Satz 1
SGB V eine möglichst leicht handhabbare Feststellung der Voraussetzung der Versicherungspflicht zu ermöglichen (BTDrucks 16/3100
S. 95). Da die Klägerin nach ihrer Einreise keine der in §
5 Abs.
11 Satz 1
SGB V genannten aufenthaltsrechtlichen Vorrausetzungen erfüllt, besteht keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Eine freiwillige Mitgliedschaft kommt gemäß §
9 Abs.
1 SGB V ebenfalls nicht in Betracht. Demzufolge besteht für sie gemäß §
20 Abs.
1 SGB XI auch keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung.
Die Klägerin hat aber nach Begründung ihres Wohnsitzes in Deutschland gegen jedes zugelassene private Krankenversicherungsunternehmen
einen Anspruch auf Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrags im Basistarif. § 12 Abs. 1a VAG verpflichtet jedes Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland, welches die substitutive Krankenversicherung betreibt, zum
Angebot eines branchenweit einheitlichen Basistarifs, dessen Vertragsleistungen in Art, Umfang und Höhe mit den Leistungen
der gesetzlichen Krankenversicherung, auf die ein Anspruch besteht, vergleichbar sind. Im Basistarif besteht für private Krankenversicherungsunternehmen
gemäß § 12 Abs. 1b VAG Kontrahierungszwang. Damit korrespondierend ist der Versicherer nach § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG versicherungsvertragsrechtlich verpflichtet, allen Personen mit Wohnsitz in Deutschland eine Versicherung im Basistarif nach
§ 12 Abs. 1a VAG zu gewähren, die in der gesetzlichen Krankenversicherung weder versicherungspflichtig noch freiwillig versichert sind, Anspruch
auf Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz haben oder Empfänger laufender Leistungen der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 4 der Vorschrift genannten Art sind und nicht bereits
eine private Krankheitskostenversicherung mit einem zugelassenen Versicherungsunternehmen vereinbart haben. Ergänzend besteht
die gesetzliche Verpflichtung von Personen mit Wohnsitz im Inland, eine entsprechende Krankheitskostenversicherung abzuschließen
und aufrechtzuerhalten (§ 193 Abs. 3 Satz 1 VVG). Der gesetzlich angeordnete Kontrahierungszwang und die Versicherungspflicht erfassen auch Ausländer und enthalten - anders
als §
5 Abs.
11 SGB V - keine aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen wie etwa den Besitz eines qualifizierten Aufenthaltstitels.
§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG setzt - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht voraus, dass die Klägerin bereits im für die Beurteilung der Sach-
und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der Berufungsverhandlung einen Versicherungsvertrag abgeschlossen hat.
Das wäre ihr vor der Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland auch gar nicht möglich. Der Gesetzgeber hat das Bestehen ausreichenden
Krankenversicherungsschutzes im Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Lebensunterhaltssicherung zugeordnet. Folglich genügt für die von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geforderte Prognoseentscheidung, dass der Ausländer diese Voraussetzung nach der Einreise erfüllen kann und wird. Denn nach
dem Zweck der Vorschrift, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern, kommt es nur darauf an, ob während des Aufenthalts
im Bundesgebiet ein Anspruch auf öffentliche Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG besteht bzw. vermieden werden kann (Urteil vom 16. August 2011 - BVerwG 1 C 4.10 -Buchholz 402.242 § 9 AufenthG Nr. 3 = NVwZ-RR 2012, 333 Rn. 15).
Der Senat teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kontrahierungszwang für die privaten Versicherer rechtfertige die
positive Prognose künftigen Krankenversicherungsschutzes der Klägerin, da eine eventuelle gesetzwidrige Weigerung von Versicherungsunternehmen
insoweit nicht zu ihren Lasten gehen könne. Zwar ist der Beklagten einzuräumen, dass Prognosen sich auf zukünftige tatsächliche
Entwicklungen und tatsächliches Verhalten beziehen, das nicht immer dem normativ Gebotenen entsprechen muss. Es widerspräche
jedoch der fairen Zuweisung von Prognoserisiken, die Klägerin in dem oben beschriebenen sozial- und versicherungsrechtlichen
Rahmen eines gesetzlichen Kontrahierungszwangs ohne Rücksicht auf Vorerkrankungen mit den verbleibenden Unsicherheiten über
ein rechtstreues Verhalten der Versicherungsunternehmen zu belasten, die zudem staatlicher Aufsicht unterliegen. Zutreffend
hat das Berufungsgericht auch darauf hingewiesen, dass die Beklagte den Abschluss einer befristeten Reisekrankenversicherung
für die Übergangszeit in Deutschland verlangen kann, wenn und soweit eine solche für den nachzugswilligen Ausländer angeboten
wird.
1.2 Das Berufungsgericht hat bei dem von § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG gebotenen Bedarfs- und Einkommensvergleich zutreffend nur auf den eigenen Bedarf und die eigenen Mittel der Klägerin abgestellt.
Denn die Klägerin bildet nach ihrer Einreise und dem Einzug bei Familie N. mit ihrer Tochter, deren Ehemann und dem Kind keine
Haushaltsgemeinschaft gemäß § 39 Satz 1 SGB XII, da diese Vorschrift gemäß § 43 Abs. 1 letzter Halbs. SGB XII auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht anzuwenden ist.
1.3 Die Bedarfsberechnung des Berufungsgerichts ist aber nicht frei von Mängeln. Sie richtet sich nach § 42 SGB XII.
1.3.1 Der Regelsatz ergibt sich aus der Anlage zu § 28 SGB XII. Im Fall der Klägerin ist die Regelbedarfsstufe 3 (ab 1. Januar 2012: 299 EUR) anzuwenden, die für eine erwachsene leistungsberechtigte
Person gilt, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in ähnlicher Gemeinschaft einen
gemeinsamen Haushalt führt. Das ist hier der Fall, da die Klägerin nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auf
Dauer im Haushalt der Familie N. wohnen würde. Diese aufgrund der übereinstimmenden Bekundungen der Familienmitglieder gewonnene
Überzeugung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
1.3.2 Von den zusätzlichen Bedarfen nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB XII sind vorliegend die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 32 Abs. 5 SGB XII von Bedeutung. Das Berufungsgericht hat seiner Berechnung den vollen Beitrag für den Basistarif gemäß § 12 Abs. 1c Satz 1 und 2 VAG in Höhe von 592,88 EUR zugrunde gelegt. Dabei hat es die Möglichkeit der Reduzierung auf die Hälfte gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG - anders als das Verwaltungsgericht - nicht berücksichtigt, da der Ausländer seinen Bedarf selbst decken müsse und Hilfebedürftigkeit
gerade nicht eintreten dürfe. Dem folgt der Senat nicht.
Entsteht allein durch die Zahlung des Krankenversicherungsbeitrags für den Basistarif Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten
oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, vermindert sich gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG der Beitrag für die Dauer der Hilfebedürftigkeit um die Hälfte. Die dadurch entstehenden Mehraufwendungen sind gemäß § 12g Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 VAG auf alle an dem gesetzlich vorgesehenen Ausgleichssystem beteiligten privaten Versicherungsunternehmen zu verteilen. Besteht
auch bei einem nach Satz 4 verminderten Beitrag Hilfebedürftigkeit im o.g. Sinne, beteiligt sich der zuständige Träger auf
Antrag des Versicherten im erforderlichen Umfang, soweit dadurch Hilfebedürftigkeit vermieden wird (§ 12 Abs. 1c Satz 5 VAG). Aus diesem Regelungsgefüge wird deutlich, dass die Möglichkeit der Absenkung auf die Hälfte des Beitrags gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG zur Vermeidung sozialrechtlicher Hilfebedürftigkeit sich nur zulasten der privaten Versicherungsunternehmen und damit letztlich
der privat Versicherten auswirkt. Öffentliche Mittel im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG werden dadurch - im Gegensatz zu dem in Satz 5 der Vorschrift geregelten Fall - nicht in Anspruch genommen. Bei der ausländerrechtlichen
Prüfung, ob der Lebensunterhalt gesichert ist, ist daher bei Bestehen eines Anspruchs auf Abschluss einer privaten Krankenversicherung
im Basistarif zugunsten des Ausländers auch die Absenkungsmöglichkeit des § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG zu berücksichtigen. Damit reduziert sich der in die Prognoseentscheidung einzustellende Aufwand der Klägerin für einen ausreichenden
Krankenversicherungsschutz auf 296,44 EUR. Zutreffend hat das Berufungsgericht hingegen die Kosten für eine private Pflegeversicherung
im Basistarif in voller Höhe in die Berechnung eingestellt (74,59 EUR). Denn insoweit besteht keine Absenkungsmöglichkeit,
und es müssen die Kosten daher bei Hilfebedürftigkeit in vollem Umfang gemäß § 32 Abs. 5 Satz 4 SGB XII vom Sozialhilfeträger übernommen werden.
1.3.3 Die Vorgehensweise des Berufungsgerichts, die für das Eigenheim der Familie N. ermittelten Kosten für Unterkunft und
Heizung (§ 35 SGB XII) nach Kopfteilen aufzuteilen und ein Viertel davon als Bedarf der Klägerin anzusetzen, begegnet keinen Bedenken. Das in §
5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zum Ausdruck kommende grundlegende staatliche Interesse an der Vermeidung neuer Belastungen für die öffentlichen Haushalte
(BTDrucks 15/420 S. 70) verlangt die nachhaltige Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne
Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist. Der Tatrichter hat sich daher in jedem Einzelfall die Überzeugungsgewissheit
(§
108 Abs.
1 Satz 1
VwGO) davon zu verschaffen, dass der Ausländer aufgrund realistischer Annahmen und konkreter Dispositionen dauerhaft nicht auf
öffentliche Mittel angewiesen ist. Dazu gehört auch die Entscheidung des Ausländers, wo und wie er in Deutschland wohnen will
und kann. Die aufgrund der übereinstimmenden Bekundungen der Familienmitglieder gewonnene Überzeugung des Oberverwaltungsgerichts,
die Klägerin werde auf Dauer bei Familie N. wohnen können, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Auf dieser tatsächlichen
Prognosegrundlage hat es das Berufungsgericht zu Recht nicht bei der Zusage unentgeltlicher Wohnraumüberlassung seitens der
Eheleute N. bewenden lassen. Nachvollziehbar ist es davon ausgegangen, dass diese bei einem - z.B. durch finanzielle Probleme
infolge Arbeitslosigkeit motivierten - Sinneswandel nicht gegen den Willen der Eheleute N. durchsetzbar wäre. Auch die Art
und Weise der Berechnung der Kosten der Unterkunft ist nicht zu beanstanden. Wegen der festgestellten Absicht, die Klägerin
im Haus der Familie N. wohnen zu lassen, hat die Vorinstanz deren Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht abstrakt als Durchschnittskosten
eines Einpersonenhaushalts im Zuständigkeitsbereich des Trägers der Sozialhilfe (vgl. § 42 Nr. 4 SGB XII) angesetzt, sondern die bereits jetzt absehbaren tatsächlichen Kosten (Aufwendungen für das selbst genutzte Eigenheim der
Eheleute N., Schuldzinsen sowie die Neben- und Betriebskosten) ermittelt und nach Kopfteilen aufgeteilt (131,87 EUR). Diese
Vorgehensweise erscheint nachvollziehbar und aus Praktikabilitätsgründen sinnvoll (Berlit, in: Bieritz-Harder/Conradis/Thie,
LPK Sozialgesetzbuch XII, 9. Aufl. 2012, § 35 Rn. 31 m.w.N.).
1.4 Das Berufungsgericht hat auch die der Klägerin zur Verfügung stehenden Mittel nicht korrekt berechnet.
1.4.1 Zutreffend erweist sich allerdings sein Ansatz, evtl. Unterhaltsansprüche der Klägerin gegen ihre Töchter nicht zu berücksichtigen.
Gemäß § 43 Abs. 3 SGB XII bleiben bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber
ihren Kindern unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des §
16 des
SGB IV unter einem Betrag von 100 000 EUR liegt. Dass das Einkommen diese Grenze nicht überschreitet, wird gemäß Satz 2 der Vorschrift
widerleglich vermutet und ist hier auch tatsächlich der Fall. Gemäß § 94 Abs. 1 Satz 3 letzter Halbs. SGB XII ist der Übergang des Anspruchs des Leistungsberechtigten nach dem Vierten Kapitel gegenüber Eltern und Kindern ausgeschlossen.
Damit hat das Berufungsgericht eventuelle Unterhaltsansprüche der Klägerin gegenüber ihren Töchtern als liquide Mittel - unabhängig
von dem Erfordernis der Titulierung - zu Recht unberücksichtigt gelassen, denn der Träger der Sozialhilfe könnte diese nicht
gegenüber den Kindern geltend machen.
1.4.2 Das Berufungsgericht hat den Miteigentumsanteil der Klägerin an der derzeit noch selbstgenutzten Eigentumswohnung in
Jekaterinburg (Russische Föderation) weder als Vermögen noch als potenzielle Einnahmequelle berücksichtigt. Das verstößt gegen
Bundesrecht, da sich die Klägerin auf diesen Vermögensgegenstand berufen hatte und der Tatrichter - unter Mitwirkung der Klägerseite
- hätte aufklären müssen, ob und inwieweit ein Verkaufserlös bzw. Mieteinnahmen nach Deutschland transferierbar sind und zur
Bedarfsdeckung eingesetzt werden können.
1.4.3 Die Vorinstanz hat die von Herrn N. und Frau F. abgegebenen Verpflichtungserklärungen bei der Lebensunterhaltssicherung
zu Recht berücksichtigt und die Bonität der Garantiegeber am Maßstab der Pfändungsschutzvorschriften geprüft. Allerdings erweist
sich die konkrete Bonitätsberechnung als nicht frei von Mängeln.
Der Senat folgt der Rechtsprechung des 1. Senats (Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 1 C 33.97 - BVerwGE 108, 1 <5 f.> = Buchholz 402.240 § 84 AuslG 1990 Nr. 2), dass die Ausländerbehörde - und damit auch die Gerichte -eine Verpflichtungserklärung bei der Prüfung der Lebensunterhaltssicherung
im Rahmen pflichtgemäßer Überzeugungsbildung zu berücksichtigen haben. Denn mit der Abgabe dieser in § 68 AufenthG vorgesehenen Garantie wird bezweckt, ein tatbestandliches Hindernis der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5
Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auszuräumen. Dagegen wendet die Beklagte ein, eine Verpflichtungserklärung sei dazu insbesondere bei beabsichtigten Daueraufenthalten
untauglich. Denn sie könne nicht die Inanspruchnahme von Sozialhilfe seitens des Ausländers verhindern, der damit den Ausweisungsgrund
des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG verwirkliche, sondern löse lediglich einen mit Unwägbarkeiten behafteten Erstattungsanspruch aus. Diese Auffassung teilt
der Senat nicht.
Nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG (früher: § 46 Nr. 6 AuslG 1990) kann ein Ausländer nach Absatz 1 der Vorschrift insbesondere dann ausgewiesen werden, wenn er für sich, seine Familienangehörigen oder für sonstige Haushaltsangehörige
Sozialhilfe in Anspruch nimmt. Die Vorschrift, die nicht den Bezug von Leistungen nach dem SGB II erfasst (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 20.09 - BVerwGE 138, 135 Rn.18 = Buchholz 402.242 § 2 AufenthG Nr. 3), dient fiskalischen Interessen und soll, soweit sie der Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels und der
Aufenthaltsverfestigung entgegensteht, die Inanspruchnahme von Sozialleistungen zulasten der Allgemeinheit verhindern und
ggf. durch Ausweisung beenden (Urteil vom 28. September 2004 - BVerwG 1 C 10.03 - BVerwGE 122, 94 <98> = Buchholz 402.240 § 35 AuslG Nr. 3 S. 4 f.). Ihr Anwendungsbereich ist teleologisch jedoch auf die Fälle zu reduzieren, in denen die öffentliche Hand
letztlich keine Erstattung der geleisteten Aufwendungen durchsetzen kann. Die Vorschrift schützt öffentliche Träger aber nicht
grundsätzlich davor, dass die zuständigen Behörden ihre Aufwendungen ggf. im Wege der Festsetzung des Erstattungsanspruchs
gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 und 3 AufenthG gegenüber einem Garantiegeber durchsetzen müssen. Folgte man der Auffassung der Beklagten, erwiese sich die gesetzliche Normierung
der Verpflichtungserklärung im Aufenthaltsrecht als sinnlos, da eine solche Erklärung dann prinzipiell ungeeignet wäre, als
Beleg bei der Lebensunterhaltssicherung Berücksichtigung zu finden. Der Gesetzgeber wollte aber mit § 84 AuslG 1990, der Vorläufervorschrift des § 68 AufenthG, die bis dahin in der Verwaltungspraxis übliche zivilrechtliche Garantieerklärung und Regressmöglichkeit öffentlich-rechtlich
ausgestalten, um die Inanspruchnahme des Garantiegebers im Wege behördlicher Selbsttitulierung durch Verwaltungsakt und das
Instrumentarium der Verwaltungsvollstreckung effektiver auszugestalten (vgl. BTDrucks 11/6321, S. 84). Damit hat er zum Ausdruck
gebracht, dass eine Verpflichtungserklärung ein taugliches Mittel sein kann, um die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erfüllen.
Eine Verpflichtungserklärung ist zur Gewähr der Lebensunterhaltssicherung grundsätzlich auch bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen
zu berücksichtigen, die auf längerfristige oder Daueraufenthalte ausgerichtet sind (Urteil vom 24. November 1998 a.a.O. S.
8: Ausbildungszwecke oder Familienzusammenführung). Auch wenn in diesen Fällen die Reichweite und der Umfang der eingegangenen
Verpflichtung für den Garantiegeber bei Abgabe der Erklärung nicht absehbar sind, verstößt eine Verpflichtungserklärung nicht
gegen die guten Sitten (§
138 BGB). Denn für die Berücksichtigung von unzumutbaren Härten bei der Inanspruchnahme des Garantiegebers bieten im System des Aufenthaltsrechts
sowohl die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch Verwaltungsakt im Regel-Ausnahme-Verhältnis als auch die sich ggf.
anschließende Verwaltungsvollstreckung ausreichend Raum (Urteil vom 24. November 1998 a.a.O. S. 11, 17 f.). Nach der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts ist der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen, ohne dass es dahingehender
Ermessenserwägungen bedürfte. Ein Regelfall wird vorliegen, wenn der Aufenthalt des Ausländers in Deutschland allein oder
überwiegend private Gründe hat und dementsprechend der Lebensunterhalt ausschließlich von privater Seite zu sichern ist. Zudem
muss die Lebensunterhaltssicherung einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren
voll und individuell geprüft worden sein, und es darf nichts dafür sprechen, dass seine Heranziehung zu einer unzumutbaren
Belastung für ihn führen könnte. Hingegen hat die erstattungsberechtigte Stelle bei atypischen Gegebenheiten im Wege des Ermessens
zu entscheiden, in welchem Umfang der Anspruch geltend gemacht wird und welche Zahlungserleichterungen dem Verpflichteten
etwa eingeräumt werden (Urteil vom 24. November 1998 a.a.O. S. 18 f. für die Fallgruppe der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen
als öffentliche Angelegenheit).
Dieses Regelungssystem als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewährleistet eine differenzierte
Risikozuweisung und lässt bei einem - wie hier - aus privaten Gründen angestrebten Aufenthalt in Deutschland den Erstattungsanspruch
der öffentlichen Hand nicht leerlaufen. Im Übrigen obliegt es tatrichterlicher Würdigung und Überzeugungsbildung in jedem
Einzelfall, ob und in welchem Umfang eine Verpflichtungserklärung mit Blick auf den absehbaren Bedarf des Ausländers und seine
Mittel sowie das Vorliegen ausreichender und stabiler finanzieller Verhältnisse des Garantiegebers genügt, um von einem gesicherten
Lebensunterhalt des Ausländers ausgehen zu können.
Das Berufungsgericht hat die Verpflichtungserklärungen von Herrn N. und Frau F. als wirksam erachtet und so ausgelegt, dass
sie den angestrebten Daueraufenthalt der Klägerin abdecken. Diese Auslegung der Willenserklärungen ist revisionsgerichtlich
nicht zu beanstanden. Weiter hat die Vorinstanz die Bonität der Garantiegeber zu Recht am Maßstab der Pfändungsschutzvorschriften
der §§
850 ff.
ZPO geprüft. Denn die Verpflichtungserklärung ist gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nach Maßgabe des
Verwaltungsvollstreckungsgesetzes des Bundes vollstreckbar. §
5 Abs.
1 VwVG verweist für den Vollstreckungsschutz auf §
319 AO, demzufolge die Beschränkungen und Verbote, die u.a. nach §§
850 bis
852 der
Zivilprozessordnung für die Pfändung von Forderungen und Ansprüchen bestehen, sinngemäß gelten.
Dazu hat das Berufungsgericht die aktuellen monatlichen Lohnabrechnungen von Herrn N. und Frau F. über sechs Monate hinweg
ausgewertet und der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens zutreffend das jeweilige Nettogehalt zugrunde gelegt (§
850e Nr. 1
ZPO). Die nach §
850a Nr. 2 und 4
ZPO unpfändbaren Teile wurden vom Nettobetrag abgezogen. Der daraus resultierende Betrag ergibt unter Berücksichtigung der jeweiligen
Anzahl von Unterhaltspflichtigen nach der Tabelle zu §
850c ZPO ein pfändbares Arbeitseinkommen in Höhe von 219,26 EUR (Herr N.) und 295,26 EUR (Frau F.). Das Mieteinkommen von Herrn N.
aus der fremd vermieteten Eigentumswohnung hat das Berufungsgericht im Grundsatz zutreffend gemäß §
851b ZPO in voller Höhe herangezogen; allerdings dürften insoweit nicht umlagefähige Kosten in Abzug zu bringen sein. Außerdem sind
die auf der Bedarfsseite in Ansatz gebrachten Kosten der Unterkunft im Haus der Familie N. (131,87 EUR) abzüglich der auf
die Klägerin entfallenden herausrechenbaren Mehrkosten als zusätzliche Einkünfte bei den Eheleuten N. zu berücksichtigen.
Obwohl nach den getroffenen Feststellungen Herr und Frau F. über ein nahezu gleich hohes Einkommen verfügen, hat das Berufungsgericht
bei Prüfung der von Frau F. abgegebenen Verpflichtungserklärung die Möglichkeit der Erhöhung des pfändbaren Betrags für den
Fall der Vollstreckung gemäß §
850c Abs.
4 ZPO nicht berücksichtigt, da einer zukünftigen Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde nicht vorgegriffen werden dürfe.
Dieser Auffassung folgt der Senat nicht.
Gemäß §
850c Abs.
4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass eine Person, welcher der
Schuldner aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt und die über eigene Einkünfte verfügt, bei der Berechnung
des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Diese Regelung soll dem Vollstreckungsgläubiger
die Möglichkeit eröffnen, das pfändbare Einkommen des Schuldners zu erweitern, wenn ein Unterhaltsberechtigter des Vollstreckungsschuldners
über eigene Einkünfte verfügt. Aus den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 8/693 S. 48 f.) ergibt sich, dass der Gesetzgeber in
dieser Vorschrift keine Geldbeträge fixiert, sondern statt dessen ganz bewusst eine Ermessensentscheidung des Vollsteckungsgerichts
vorgesehen hat, um die Entscheidung flexibel zu gestalten und den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragen zu können (vgl.
BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - IXa ZB 142/04 - NJW-RR 2005, 795). Bei der sinngemäßen Anwendung des §
850c Abs.
4 ZPO im Verwaltungsvollstreckungsrecht ist das "billige Ermessen" kein Ausdruck eines Verwaltungsvorbehalts im Sinne der gesetzgeberischen
Zuweisung einer administrativen Letztentscheidungs- oder Gestaltungskompetenz an die Exekutive. Vielmehr hat die Vollstreckungsbehörde
eine den Interessen aller Beteiligten angemessene und ausgewogene Entscheidung über eine Erweiterung des vollstreckbaren Vermögens
des Vollstreckungsschuldners zu treffen. Dieser Entscheidungsvorbehalt, der der Berücksichtigung der Einzelfallgerechtigkeit
dient, ändert aber nichts daran, dass auch der Teilbetrag des Einkommens, der erst nach einer Ermessensentscheidung gemäß
§
850c Abs.
4 ZPO der Pfändung unterliegt, materiell zum Vermögen des Schuldners gehört und prinzipiell geeignet ist, dessen Bonität zu verbessern.
Damit ist auch die Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde einer ausländerbehördlichen bzw. tatrichterlichen Prognose
zugänglich, die sich daran auszurichten hat, welches der rechtmäßigen Ergebnisse am wahrscheinlichsten zu erwarten ist. Letztlich
verbleibenden Unsicherheiten kann dabei durch einen Sicherheitsabschlag begegnet werden.
2. Das Berufungsurteil beruht bei der Bedarfs- und Mittelberechnung auf den aufgezeigten Verstößen gegen Bundesrecht. Da der
Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen in der Sache weder positiv noch negativ abschließend zu entscheiden
vermag, ist der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§
144 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 VwGO).
2.1 In dem neuen Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob bei der Klägerin - in dem dann maßgeblichen
Zeitpunkt - die Voraussetzungen gemäß § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorliegen, d.h. die Erteilung des Visums zum Familiennachzug zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist.
Dies setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass der im Ausland lebende Familienangehörige kein
eigenständiges Leben mehr führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen ist und diese Hilfe in
zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann (Urteil vom 10. März 2011 - BVerwG 1 C 7.10 - NVwZ 2011, 1199 mit Hinweis auf den Beschluss vom 25. Juni 1997 - BVerwG 1 B 236.96 - Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4 zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung in § 22 AuslG 1990).
Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Frage angesprochen, ob der Nachzugswillige im Rahmen des §
36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG auf die Pflege durch familienfremde Dritte in seinem Herkunftsland verwiesen werden kann (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg,
Urteil vom 19. Dezember 2011 - OVG 3 B 17.10 - [...] Rn. 26 ff. m.w.N.). Ob die Maßstäbe, die insoweit für aufenthaltsbeendende Maßnahmen entwickelt worden sind, durch
die eine tatsächlich gelebte familiäre Beistandsgemeinschaft auseinandergerissen wird, in gleicher Weise für den Zuzug von
Ausländern gelten, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Jedenfalls setzt die Erteilung eines Visums zum
Familiennachzug wegen Pflegebedürftigkeit gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die spezifische Angewiesenheit auf familiäre Hilfe voraus. Das ist nicht bei jedem Betreuungsbedarf der Fall, sondern kann
nur dann in Betracht kommen, wenn die geleistete Nachbarschaftshilfe oder im Herkunftsland angebotener professioneller pflegerischer
Beistand den Bedürfnissen des Nachzugswilligen qualitativ nicht gerecht werden können. Wenn der alters- oder krankheitsbedingte
Autonomieverlust einer Person so weit fortgeschritten ist, dass ihr Wunsch auch nach objektiven Maßstäben verständlich und
nachvollziehbar erscheint, sich in die familiäre Geborgenheit der ihr vertrauten persönlichen Umgebung engster Familienangehöriger
zurückziehen zu wollen, spricht dies dagegen, sie auf die Hilfeleistungen Dritter verweisen zu können. Denn das humanitäre
Anliegen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG respektiert den in den unterschiedlichen Kulturen verschieden stark ausgeprägten Wunsch nach Pflege vorrangig durch enge
Familienangehörige, zu denen typischerweise eine besondere Vertrauensbeziehung besteht. Pflege durch enge Verwandte in einem
gewachsenen familiären Vertrauensverhältnis, das geeignet ist, den Verlust der Autonomie als Person infolge körperlicher oder
geistiger Gebrechen in Würde kompensieren zu können, erweist sich auch mit Blick auf die in Art.
6 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm als aufenthaltsrechtlich schutzwürdig.
Jedenfalls ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles geboten, bei der sowohl der Grad
des Autonomieverlusts des nachzugswilligen Ausländers als auch das Gewicht der familiären Bindungen zu den in Deutschland
lebenden Familienangehörigen und deren Bereitschaft und Fähigkeit zur Übernahme der familiären Pflege zu berücksichtigen sind.
Nur zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass in einem Fall, in dem die in § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit der der hohen Hürde der "außergewöhnlichen Härte" zum Ausdruck kommenden einwanderungspolitische Belange (vgl. BTDrucks
15/420 S. 84) durch Art.
6 GG zurückgedrängt werden und sich das Ermessen der Ausländerbehörde verdichtet, nicht automatisch auch eine Ausnahme von dem
Regelerfordernis der Lebensunterhaltssicherung vorgezeichnet ist. Denn das vom Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zum Ausdruck gebrachte grundlegende staatliche Interesse, neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte durch Zuwanderung
zu vermeiden (BTDrucks 15/420 S. 70), ist nicht deckungsgleich mit seinem Anliegen, Zuwanderung unter Berücksichtigung der
Aufnahme und Integrationsfähigkeit sowie wirtschaftlicher und arbeitsmarktpolitischer Interessen zu gestalten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).
2.2 Wenn das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommt, dass die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Fall der Klägerin vorliegen und sich auch das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert hat, wird es die Voraussetzungen
des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG auf aktueller Grundlage unter Beachtung der o.g. Vorgaben zu prüfen haben. Dabei wird es insbesondere der - in der Revisionsverhandlung
von der Beklagten nunmehr prinzipiell bejahten - Frage nachzugehen haben, ob und in welcher Höhe die russische Rente der Klägerin
auch in Deutschland ausgezahlt wird. Sollte es noch darauf ankommen, wird es auch aufzuklären haben, ob und inwieweit der
Miteigentumsanteil der Klägerin an der Wohnung in Jekaterinburg (Russische Föderation) als Vermögen verwertbar ist oder daraus
zu erzielende Mieteinnahmen nach Deutschland transferierbar sind und zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden können.
3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).