Umfang der Regelsatzleistung im Sozialhilferecht - Kinderspielzeug
Gründe:
I.
Die im November 1981 bzw. im Juni 1983 geborenen Klägerinnen erhielten seit Juli 1984 vom Beklagten Sozialhilfe in Form laufender
Hilfe zum Lebensunterhalt, zunächst als Darlehen, später als Zuschuß. Im Oktober 1985 beantragten sie beim Beklagten, ihnen
Sozialhilfe für die Anschaffung u.a. eines Puppenhauses und eines Dreirades zu gewähren.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16. Dezember 1985 ab. Danach schaffte der Vater der Klägerinnen Spielzeug
- darunter auch ein Dreirad - "aus Mitteln des Regel- und Mehrbedarfs" an, weil er seine Töchter nicht bis zum Ausgang des
Verfahrens ohne altersgemäßes Spielzeug habe lassen können. Den Widerspruch der Klägerinnen gegen die Ablehnung ihres Antrages
wies der Beklagte durch Bescheid vom 6. Mai 1986 mit der Begründung zurück; der Bedarf an Spielzeug sei im Regelsatz berücksichtigt;
dieser Bedarf sei deshalb durch die laufenden Leistungen nach Regelsätzen abgegolten.
Auf die Klage der Klägerinnen hat das Verwaltungsgericht den Beklagten antragsgemäß verpflichtet, die Klägerinnen unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts hinsichtlich der Gewährung von Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - für die Anschaffung
eines Dreirades und eines Puppenhauses neu zu bescheiden. Auf die zugelassene Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof
das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert. Hinsichtlich des Sozialhilfeantrags für ein Puppenhaus hat er die Klage abgewiesen.
Hinsichtlich des Sozialhilfeantrags für ein Dreirad hat er die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Beklagte verpflichtet
werde, über den Antrag nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichts zu entscheiden.
Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof im wesentlichen ausgeführt: Der notwendige Lebensunterhalt im Sinne des § 12 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG - umfasse bei Kindern auch Spielzeug. Unzutreffend sei die Ansicht, die Beschaffung von Spielzeug als einer psychischen Hilfe
zur Persönlichkeitsentwicklung sei nicht Aufgabe und Gegenstand der Hilfe zum Lebensunterhalt, sondern der erzieherischen
Hilfe nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz. Der Bedarf an Spielsachen sei nicht schlechthin durch die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
nach Regelsätzen abgegolten, sondern müsse darüber hinaus - soweit erforderlich - durch einmalige Leistungen befriedigt werden.
Durch die Regelsätze abgegolten sei nur ein Bedarf, der sich irgendwie schematisch bemessen lasse, nämlich der Bedarf an kurzlebigen,
kleinen Gegenständen. Im Einzelfall sei maßgeblich, ob das hilfesuchende Kind das konkret begehrte Spielzeug zu seiner Persönlichkeitsentwicklung
brauche, was wiederum davon abhänge, welche Spielsachen es bereits besitze. Da Spielzeug verschiedenen Zwecken diene, z.B.
ein Puppenhaus der Übung im Rollenspiel, ein Dreirad der Fortbewegung, dürfe nicht allein auf den Gesamtbestand abgehoben
werden. Der Bedarf an Spielzeug sei im Einzelfall vielmehr erst dann gedeckt, wenn das vorhandene Spielzeug annähernd für
alle Spielzwecke verwendet werden könne. Unerheblich sei der Einwand des Beklagten, bei einer solchen Einzelfallbetrachtung
seien größere Spielsachen für ihn nicht mehr finanzierbar. Die Einzelfallprüfung führe bei den Klägerinnen zum Ergebnis, daß
sie keine Puppenstube benötigten, dagegen ein Spielzeug zur Fortbewegung, wie z.B. ein Dreirad. Der Beklagte habe jedoch noch
Ermessen hinsichtlich der genaueren Art des Spielzeugs. Er brauche die Beihilfe also nicht in jedem Fall an den Aufwendungen
für ein neues oder gebrauchtes Dreirad zu bemessen, sondern könne vielmehr auch eine Beihilfe z.B. für einen Roller leisten.
Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerinnen als auch der Beklagte Revision eingelegt.
Die Klägerinnen beantragen, unter Aufhebung entgegenstehender Entscheidungen den Beklagten zu verpflichten, ihnen eine Beihilfe
für ein Puppenhaus und ein Dreirad zu bewilligen, sowie die Revision des Beklagten zurückzuweisen. Sie rügen die mangelnde
Aufklärung des Sachverhalts und die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere der §§ 3 und 12 BSHG und des Art.
6 Abs.
2 GG.
Der Beklagte beantragt, unter Aufhebung entgegenstehender Entscheidungen die Klage abzuweisen sowie die Revision der Klägerinnen
zurückzuweisen. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, daß Spielzeug zum notwendigen Lebensunterhalt im Sinne
des § 12 BSHG zähle. Kosten zu seiner Anschaffung unterfielen nicht dem Leistungsspektrum der Jugendhilfe. Die Kosten für hier in Rede
stehendes größeres Spielzeug seien durch einmalige Leistungen zu decken.
II.
Die Revision der Klägerinnen muß erfolglos bleiben. Auf die begründete Revision des Beklagten weist das Bundesverwaltungsgericht
die Klage in vollem Umfang ab (§
144 Abs.
3 Nr.
1 VwGO).
Das Berufungsgericht verletzt Bundesrecht, indem es den Klägerinnen einen Anspruch auf eine einmalige Leistung für größeres
Spielzeug zuspricht.
Zwar ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, daß der geltend gemachte Anspruch nicht dem Jugendhilferecht,
sondern dem Sozialhilferecht zugehört. Denn dem Vater der Klägerinnen fehlte nicht die erzieherische Fähigkeit oder die Bereitschaft,
sie mit dem für ihre Entwicklung und Erziehung notwendigen Spielzeug zu versorgen (kein erzieherisches Defizit), sondern allein
das dazu erforderliche Geld (allein finanzielles Defizit).
Das Berufungsgericht hat auch zu Recht angenommen, daß Spielzeug bei Kindern nach § 12 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG - in der hier anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 24. Mai 1983 (BGBl. I S. 613) in der Bedarfsgruppe der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens zum notwendigen Lebensunterhalt gehört. Nach der
Aufgabe der Sozialhilfe, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht
(§ 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG; vgl. auch §
9 SGB I), umfaßt der notwendige Lebensunterhalt nach § 12 BSHG nicht nur das physiologisch Notwendige (vgl. BVerwGE 35, 178 [180]; 80, 349 [353]), sondern den gesamten zu einem menschenwürdigen Leben erforderlichen Bedarf. Die Erscheinungsformen menschenwürdigen
Lebens sind unterschiedlich und von subjektiven wie objektiven Gegebenheiten abhängig. Dazu hat der Gesetzgeber in § 12 Abs. 1 BSHG die Wertung getroffen, daß die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens zum notwendigen Lebensunterhalt gehören. Für
Kinder und Jugendliche bestimmt § 12 Abs. 2 BSHG zusätzlich, daß der notwendige Lebensunterhalt ihren besonderen Bedarf umfaßt. Spielzeug für Kinder gehört zur Bedarfsgruppe
der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens. Spielen ist bei Kindern ein persönliches Grundbedürfnis. Im Spiel lernen
sie sich selbst, ihre Umwelt und soziales Verhalten kennen. Zu ihrer natürlichen Entwicklung gehört das Spielen als freie,
nicht notwendige Betätigung. Sachen zum Spielen, das Spielzeug, gehören zu den persönlichen Bedürfnissen, wenn sie zum Spielen
gebraucht werden. In welchem Ausmaß das Spielen und das Spielzeug dafür im Rahmen der Bedarfsgruppe der persönlichen Bedürfnisse
des täglichen Lebens als Bedarf anerkannt werden können, ist ggf. (z.B. für die Festsetzung der Regelsätze) durch weitere
konkretisierende Wertentscheidungen nach Maßgabe des Gesetzes (vgl. z.B. § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1, §§ 7, 22 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 und Satz 2 BSHG) zu bestimmen. Die Beschränkung in § 12 Abs. 1 BSHG auf persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens hat jedenfalls nicht die Bedeutung, daß darunter nur solche Bedürfnisse
fallen, die (mehr oder weniger) täglich zu Ausgaben führen. Vielmehr gehören dazu auch diejenigen, bei denen die zu ihrer
Befriedigung erforderlichen Gegenstände (z.B. Briefpapier, Bücher und hier Spielzeug) normalerweise in größeren zeitlichen
Abständen gekauft werden.
Das Berufungsgericht verletzt mit seiner Ansicht, den Klägerinnen stehe ein Anspruch auf eine einmalige Leistung für Spielzeug
zu, weil der Aufwand dafür nicht mit den Regelsätzen abgegolten sei, jedoch § 22 Abs. 1 BSHG in Verbindung mit § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 22 des Bundessozialhilfegesetzes (Regelsatzverordnung) in der hier maßgeblichen Fassung vom 10. Mai 1971 (BGBl. I S. 451). Denn neben den laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach Regelsätzen haben die Klägerinnen keinen Anspruch auf zum
Regelbedarf für Kinder gehörendes Spielzeug.
Zwar kann § 21 Abs. 1 und 2 BSHG ein Rangverhältnis zwischen laufenden und einmaligen Leistungen nicht entnommen werden, wohl aber aus § 22 BSHG in Verbindung mit § 1 Regelsatzverordnung für die laufenden Leistungen nach Regelsätzen. In § 22 BSHG ist unter der Überschrift "Regelbedarf" bestimmt, daß laufende Leistungen zum Lebensunterhalt außerhalb von Anstalten, Heimen
und gleichartigen Einrichtungen nach Regelsätzen gewährt werden. Die Regelsatzverordnung enthält nach § 22 BSHG Vorschriften über Inhalt und Aufbau der Regelsätze; sie kann einzelne laufende Leistungen von der Gewährung nach Regelsätzen
ausnehmen und über ihre Gestaltung Näheres bestimmen. Nach § 1 Abs. 1 Regelsatzverordnung umfassen die Regelsätze die laufenden Leistungen für Ernährung, Kochfeuerung, Beschaffung von Wäsche von geringem Anschaffungswert,
Instandhaltung von Kleidung, Wäsche und Schuhen in kleinerem Umfang, Körperpflege, Beschaffung von Hausrat von geringerem
Anschaffungswert, kleinere Instandsetzungen von Hausrat, Beleuchtung, Betrieb elektrischer Geräte, Reinigung und persönliche
Bedürfnisse des täglichen Lebens. Nach § 1 Abs. 2 Regelsatzverordnung sind laufende Leistungen der in Absatz 1 genannten Art nach Regelsätzen zu gewähren, soweit nicht das Gesetz oder die Regelsatzverordnung anderes bestimmt.
Danach umfassen die laufenden Leistungen nach Regelsätzen den Regelbedarf. Das ist der ohne Besonderheiten des Einzelfalles
(§ 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG) bei vielen Hilfeempfängern (zu deren Gruppeneinteilung vgl. § 2 Regelsatzverordnung) gleichermaßen bestehende, nicht nur einmalige Bedarf aus den in § 1 Abs. 1 Regelsatzverordnung genannten Bedarfsgruppen. Die Abgrenzung, was und in welchem gegenständlichen und wertmäßigen Umfang es zum Regelbedarf gehört,
hat der Normgeber in § 22 BSHG in Verbindung mit § 1 Regelsatzverordnung festgelegt. Er hat z.B. die Ernährung und die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens, nicht aber die Kleidung in größerem
Umfang und die Heizung zum Regelbedarf bestimmt. Ohne normative Änderung dürfen nicht - auch nicht teilweise - einzelne Posten
(z.B. Kochfeuerung, Beleuchtung) aus diesen festgelegten Bedarfsteilen herausgelöst oder andere (z.B. Hausrat insgesamt) ihnen
hinzugefügt werden. Denn das Regelsatzsystem mit seinen auf bestimmte Bedarfsteile bezogenen und sie für den Regelfall umfassend
bedarfsdeckenden Regelsätzen ist ein geschlossenes System. Nur bei festgelegter Ausgangslage (Regelbedarf) läßt sich ein bedarfsdeckender
Regelsatz festsetzen. Die mit der Leistung nach Regelsätzen beabsichtigte Klarheit und Gleichheit der Sozialhilfegewährung
gebietet, daß Sozialhilfeleistungen für den Regelbedarf (§ 22 BSHG, § 1 Regelsatzverordnung), von den nach § 1 Abs. 2 Regelsatzverordnung möglichen Ausnahmen abgesehen, ausschließlich nach Regelsätzen zu bemessen sind (ebenso Giese, ZfF 1987, 49 [53] und ZfSH/SGB 1987, 505 [515]). Damit scheiden einmalige Leistungen zur Deckung von Regelbedarf aus. Das gilt auch dann, wenn die Regelsatzleistung
den Regelbedarf nicht ausreichend berücksichtigt haben sollte. Soweit ein Regelsatz als unzureichend erkannt wird, dürfen
die darauf beruhenden unzureichenden Regelsatzleistungen nicht durch einmalige Leistungen ergänzt werden.
Das von den Klägerinnen begehrte Spielzeug gehört zur Bedarfsgruppe der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens und
damit - anders als z.B. Kleidung und Hausrat - uneingeschränkt zum Regelbedarf nach § 22 BSHG, § 1 Regelsatzverordnung. Die Leistung nach Regelsätzen gibt dem Hilfeempfänger eine gewisse Freiheit, die Sozialhilfeleistung nach seinem Belieben
zu verwenden. Damit ist aber auch die Eigenverantwortung verbunden, die Sozialhilfeleistungen so auf die einzelnen Bedarfsgruppen
und -gegenstände zu verteilen (d.h. unter Umständen auch anzusparen), daß er die gerade ihm, für seine Person wichtigen Bedürfnisse
befriedigen kann.
Die Rügen der Klägerinnen, das Berufungsgericht habe den Sachverhalt ohne Sachverständigengutachten zum Spielzeugbedarf im
einzelnen nicht ausreichend aufgeklärt und Art.
6 GG dadurch verletzt, daß es die Entscheidung über die Art des Spielzeugs nicht dem erziehungsberechtigten Vater überlassen habe,
betreffen nach den dargelegten Gründen einen nicht entscheidungserheblichen Sachverhalt und bedürfen deshalb nicht der Erörterung.