BVerwG, Urteil vom 10.12.1987 - 5 C 32.85
c-d. Mögliche Gewährung von Sozialhilfe für einen Ausländer Ä aufgrund Ermessensentscheidung Ä auch dann, wenn der Ausländer mit dem Ziel eingereist ist, Sozialhilfe zu erlangen,
(d) aber nicht allein deshalb in voller Höhe, weil die Ausländerbehörde eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 14 Abs. 1 Satz 1 AusländG erteilt hat.
Fundstellen: DRsp V(545)104c-d, DÖV 1988, 351
Normenkette:
AuslG § 14 Abs.1 S.1
,
BSHG § 120 Abs.1 S.1
(c) »... Zum einen ist davon auszugehen, daß der Kl. als iranischer Staatsangehöriger nach dem Satz 1 Halbsatz 1 des § 120 Abs. 1 BSHG für die Zeit vom 21. 8. bis zum 30. 11. 1984 (im Ansatz) einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hat, weil er damals seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten konnte (s. § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG); zum anderen aber auch davon, daß er sich in den Geltungsbereich des BSHG begeben hatte, um Sozialhilfe zu erlangen, so daß er nach dem Satz 1 Halbsatz 2 des § 120 Abs. 1 BSHG gleichwohl diesen Anspruch nicht hat. Jedoch folgt aus letzterer Feststellung nicht, daß es von Rechts wegen schlechthin ausgeschlossen ist, dem Kl. Hilfe zum Lebensunterhalt Ä ggf. eingeschränkt Ä gewähren zu können; denn die durch den Satz 2 des § 120 Abs. 1 BSHG dem Träger der Sozialhilfe eröffnete Möglichkeit, Sozialhilfe (hier: Hilfe zum Lebensunterhalt) in Ausübung von Ermessen zu gewähren, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist, besteht auch dann, wenn der Ausländer nach dem Satz 1 Halbsatz 2 des § 120 Abs. 1 BSHG vom Anspruch auf die Hilfe ausgeschlossen ist. ...
Der Ausländer, der sich mit der fraglichen Vorstellung in den Geltungsbereich des BSHG begibt, ist lediglich vom Rechtsanspruch auf die Hilfe ausgeschlossen, soweit ein solcher nach dem Halbsatz 1 des § 120 Abs. 1 Satz 1 BSHG besteht. Dieser Ausschluß unter Verwendung des Wortes »Anspruch« findet sich im BSHG auch anderweit, so in § 25 Abs. 1 und in § 26 Satz 1 BSHG. In beiden Fällen bleibt gleichwohl Ä ggf. modifizert Ä eine Hilfegewährung möglich (vgl. zu ersterer Vorschrift BVerwGE 68, 97). Für § 120 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BSHG gilt deshalb nichts anderes, weil es Lebenssachverhalte geben kann, bei denen nach dem auch bei der Anwendung des § 120 BSHG zu berücksichtigenden Gesamtverständnis des Sozialhilferechts (siehe dazu BVerwGE 71, 139 [hier: V (545) 91 d-e]) die Leistung von (u. U. eingeschränkter) Hilfe selbst dann möglich bleiben muß, wenn der Ausländer den Tatbestand des Halbsatzes 2 des § 120 Abs. 1 Satz 1 BSHG erfüllt, mit dem im Interesse der Leistungsfähigkeit der Träger der Sozialhilfe mißbräuchlicher Inanspruchnahme von Leistungen der Sozialhilfe entgegengewirkt werden soll (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 20. 10. 1981Ä 5 C 16.80 Ä Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr. 3). ...«
Dies folge auch aus der Systematik des § 120 Abs. 1 Sätze l und 2 BSHG.
(d) »Das dem Bekl. hiernach eröffnete Ermessen bei der Entscheidung darüber, ob dem Kl. trotz der Feststellung, daß er sich in den Geltungsbereich des BSHG begeben hat, um Sozialhilfe zu erlangen, Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden kann, ist nicht schon aus dem Grund »auf Null geschrumpft« (mit der Folge, daß nur die Gewährung der begehrten Hilfe zum Lebensunterhalt Ä in voller Höhe Ä rechtmäßig wäre), daß das Ausländeramt der Bekl. auf der Grundlage des Erlasses des Innenministers des Landes Nordrh.-Westf. v. 22. 9. 1980 dem Kl. aus in § 14 Abs. 1 Satz 1 AusländG genannten Gründen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AusländG eine bis zum 3. 6. 1985 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt hatte. ... [Es] verbietet sich, den .. ausländerrechtlichen Regelungen, aufgrund deren dem Ausländer ohnehin nur der weitere Verbleib in der Bundesrepublik freigestellt ist, in der Weise ausschließlichen Charakter beizulegen, daß ihnen Ä was die zu treffende sozialhilferechtliche Regelung angeht Ä eine auf Personengruppen abstellende Automatik zukäme. ...
Bei der Ausübung von Ermessen über das Begehren des Kl. .. wird der Bekl. einerseits ungeachtet dessen, daß .. der Träger der Sozialhilfe nicht an die Entscheidung der Ausländerbehörde über die Erteilung der befristeten Aufenthaltserlaubnis gebunden ist, die Tatsache, daß dem Kl. damals der Aufenthalt in der Bundesrepublik befristet erlaubt worden war, und die Gründe, die für diese Erteilung der Aufenthaltserlaubnis maßgebend waren, nicht unbeachtet lassen dürfen. Andererseits erstreckt sich die Ermächtigung zur Ermessensausübung auch auf das »Wie« und die Höhe der Hilfegewährung; denn nach dem Satz 2 des § 120 Abs. 1 BSHG kann Sozialhilfe gewährt werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Hierzu braucht daher nicht auf § 120 Abs. 2 Sätze 3 und 4 BSHG zurückgegriffen zu werden. Es kann mithin offenbleiben, ob dieser Rückgriff aus Rechtsgründen in einem Fall, in dem dem Ausländer eine (befristete) Aufenthaltserlaubnis erteilt, sein Aufenthalt also nicht lediglich geduldet wurde, nicht zulässig ist. ...«