Einkommensanrechnung von Wohngeld; Unterkunftsbedarf; keine Minderung durch Wohngeld; Wohngeld als Einkommen in der Sozialhilfe
Gründe:
I.
Die Klägerin zu 2 lebt im Haushalt ihrer Mutter (der früheren Klägerin zu 1). Beide hatten von der Beklagten bis Ende 2000
Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten; die Hilfe für die Mutter war eingestellt worden, nachdem sie ein Studium aufgenommen hatte.
Für die Klägerin zu 2 leistete die Beklagte weiterhin Hilfe zum Lebensunterhalt, wobei für den hier streitigen Leistungszeitraum
Mai/Juni 2001 durch Bescheide vom 12. April/14. Mai 2001 (Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2001) von der Mutter der Klägerin
zu 2 ab März 2001 in Höhe von monatlich 418,55 DM bezogenes Wohngeld auf beider Unterkunftsbedarf (650 DM Kaltmiete) angerechnet
wurde. Diese Anrechnung ist (allein noch) Gegenstand des Rechtsstreits. Die Klägerin zu 2 macht geltend, ihre Mutter - die
keine Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz erhält - benötige das Wohngeld zur Deckung ihres eigenen notwendigen Lebensunterhalts und reiche es ihr deshalb nicht weiter;
lediglich ein Differenzbetrag in Höhe von 93,55 DM zwischen dem Wohngeld (418,55 DM) und dem anteiligen Unterkunftsbedarf
(325 DM) dürfe als (monatliches) Einkommen der Klägerin zu 2 angesehen werden.
Das Verwaltungsgericht hat die auf Bewilligung höherer Hilfe zum Lebensunterhalt gerichtete Klage abgewiesen: Die Beklagte
sei berechtigt, die Kosten der Unterkunft um das bewilligte Wohngeld zu reduzieren und von den verbleibenden Unterkunftskosten
lediglich die Hälfte in der Hilfeberechnung für die Klägerin zu 2 zu berücksichtigen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung
hinsichtlich des zunächst in Höhe von 240,72 DM monatlich für die Monate Mai und Juni 2001 zuzüglich 4 % Zinsen aufrechterhaltenen,
dann aber nach entsprechenden Erledigungserklärungen auf 115,72 DM reduzierten Klagebegehrens zurückgewiesen und dies hinsichtlich
der Berücksichtigung des Bezugs von Wohngeld im Wesentlichen wie folgt begründet:
Wohngeld sei im Rahmen der sozialhilferechtlichen Bedarfsberechnung nicht als Einkommen, sondern als Minderung des Unterkunftsbedarfs
zu berücksichtigen, da durch den Zuschuss bei wirtschaftlicher Betrachtung die tatsächlichen Mietkosten um den bewilligten
Betrag verringert würden. Eine andere Beurteilung ergebe sich nicht daraus, dass das Wohngeld zunächst einmal - wie Kindergeld
dem Kindergeldberechtigten - dem Antragsberechtigten zustehe. Mit der Antragsberechtigung wolle das Wohngeldgesetz lediglich die formellen Voraussetzungen für die Beantragung von Wohngeld regeln. Wenn nach § 3 Abs. 5 Satz 1 WoGG nur der Haushaltsvorstand antragsberechtigt sei, bedeute dies nicht, dass das Wohngeld nur ihm zustehe. Wie das Wohngeld
unter mehreren grundsätzlich Antragsberechtigten aufzuteilen sei, regele das Wohngeldgesetz nicht. Aus § 8 WoGG, wonach sich die Höhe des zu gewährenden Wohngeldes auch nach der Anzahl der in der Wohnung lebenden Familienmitglieder richte,
ergebe sich (aber), dass das Wohngeld, wenn es der ganzen Haushaltsgemeinschaft gewährt werde, rechnerisch unter deren Mitgliedern
aufzuteilen sei. Auch wenn man der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts folge, wonach das Wohngeld nicht den Bedarf mindere,
sondern gemäß §§ 76, 77 BSHG im Rahmen des Einkommens zu berücksichtigen sei, ergebe sich vorliegend kein anderes Ergebnis: In beiden Fällen finde das
Wohngeld bei der Klägerin zu 2 hälftig Berücksichtigung, da das Wohngeld entweder als anteiliges Einkommen ihrem Unterkunftsbedarf
entgegenzurechnen oder bei ihr kopfteilig nur der entsprechend geminderte Unterkunftsbedarf zu berücksichtigen sei.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin zu 2 Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen.
II.
Die Revision der Klägerin zu 2 ist zulässig und begründet. Das Oberverwaltungsgericht hätte der Berufung, soweit das Begehren
der Klägerin anhängig geblieben war, stattgeben müssen. Die (hälftige) Anrechnung des von der Mutter der Klägerin bezogenen
Wohngeldes auf den Anspruch der Klägerin auf Hilfe zum Lebensunterhalt verstößt gegen Bundesrecht (§
137 Abs.
1 Nr.
1 VwGO). Der Revision ist somit unter entsprechender Aufhebung der Urteile erster und zweiter Instanz sowie der entgegenstehenden
Verwaltungsentscheidungen stattzugeben und der Klägerin die ihr zustehende Hilfe zum Lebensunterhalt in dem von ihr noch beanspruchten
weiteren Umfang zuzusprechen (§
144 Abs.
3 Satz 1 Nr.
1 VwGO).
1. Dem Bundesrecht widerspricht die Ansicht des Berufungsgerichts, Wohngeld sei nicht als Einkommen, sondern als den sozialhilferechtlichen
Unterkunftsbedarf mindernd zu berücksichtigen.
Diese Meinung wird zwar von einem Teil der Kommentarliteratur geteilt (vgl. W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 79 Rn. 31; Zeitler in: Mergler/Zink, BSHG, 4. Aufl. Stand April 2003, § 76 BSHG Rn. 29; Brühl in: LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 77 Rn. 94: "zweckmäßigerweise"; a.A. Schoch, ZFSH/SGB 1986, 103 >111<; Lutter, ZFSH/SGB 1997, 387 >395<). Der erkennende Senat
hat jedoch bereits in seinen Urteilen vom 16. Mai 1974 - BVerwG 5 C 46.73 - (BVerwGE 45, 157 >159 f.<) und vom 27. November 1986 - BVerwG 5 C 2.85 - (BVerwGE 75, 168 >171<) entschieden, dass Wohngeld erst bei der Ermittlung des nach den §§ 76 und 77 BSHG einzusetzenden Einkommens zu berücksichtigen ist. Daran ist festzuhalten.
Die Berücksichtigung von Wohngeld als bereits den Unterkunftsbedarf mindernd widerstreitet dem sozialhilferechtlichen Begriff
des "Unterkunftsbedarfs". Dieser Bedarf bezieht sich auf das Haben einer Unterkunft und wird durch den Träger der Sozialhilfe
- soweit er dem Hilfebedürftigen eine Unterkunft nicht als Sachleistung zur Verfügung stellt - durch Übernahme der "Aufwendungen"
für die Unterkunft (vgl. § 3 Abs. 1 RegelsatzVO) bzw. der "Kosten der Unterbringung" (vgl. § 3 Abs. 3 RegelsatzVO) gedeckt.
Die Höhe dieser "Aufwendungen" bzw. "Kosten" hängt von der Höhe des Mietzinses bzw. der Belastungen ab, die mit der Nutzung
der Unterkunft unmittelbar zusammenhängen. Der Bezug von Wohngeld ist darauf ohne Einfluss. Dass der Hilfebedürftige sich
wegen des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 BSHG) vorrangige Leistungen anderer bzw. durchsetzbare Rechtsansprüche auf solche Leistungen (hier auf die Inanspruchnahme von
Wohngeld) auf seinen Sozialhilfeanspruch (hier den Anspruch auf Übernahme der Unterkunftskosten bzw.
-lasten) anrechnen lassen muss, beruht nicht auf einer Minderung seines
B e d a r f s , sondern auf der Minderung seines Hilfe a n s p r u c h s wegen bereiter Selbsthilfemittel. Fließen ihm Mittel
aus seinem Anspruch auf die vorrangige Sozialleistung (hier das Wohngeld) zu, handelt es sich um den Zufluss von Einkommen.
Dieses ist nach den Regeln der §§ 76 ff. BSHG anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Wenn solche Leistungen (hier das Wohngeld) aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften
zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, dem im Einzelfall auch die Sozialhilfe dient (hier der Deckung von Unterkunftsbedarf),
lässt dies die Eigenschaft der Leistung als Einkommen unberührt, kann aber für die Frage Bedeutung haben, als wessen Einkommen
die Leistung anzurechnen ist.
Das Wohngeld ist eine Sozialleistung, die "zur wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens als Miet-
oder Lastenzuschuss zu den Aufwendungen für den Wohnraum geleistet" wird (§ 1 Abs. 1 WoGG). Infolge dieser ausdrücklichen Zweckbestimmung ist es mit Leistungen der Sozialhilfe, soweit sie in der Übernahme von Aufwendungen
für die Unterkunft bestehen, im Sinne des § 77 Abs. 1 BSHG zweckidentisch (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1974, a.a.O., S. 159 f.). Der Bezug von Wohngeld ist darum auf der
Einkommensseite dem sozialhilferechtlich anzuerkennenden Unterkunftsbedarf des Einkommensbeziehers gegenüberzustellen (vgl.
bereits BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1974, a.a.O., S. 159). Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich sodann - wenn das anrechenbare
Einkommen niedriger ist als der Unterkunftsbedarf - der konkrete, durch Übernahme der Unterkunftskosten aus Sozialhilfemitteln
zu befriedigende Bedarf (BVerwG, Urteil vom 27. November 1986, a.a.O., S. 171).
2. Auch die Alternativerwägung des Oberverwaltungsgerichts, wonach das Wohngeld, wenn nicht den Unterkunftsbedarf anteilig
mindernd, so mit gleichem Ergebnis als anteiliges Einkommen der Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft zu berücksichtigen sei,
ist mit Bundesrecht nicht zu vereinbaren. Wohngeld ist allein Einkommen desjenigen, dem es auf Grund seiner Antragsberechtigung
nach dem Wohngeldgesetz zufließt.
Dem Berufungsgericht ist allerdings darin zu folgen, dass dem Wohngeldgesetz, insbesondere dessen Regelungen der Antragsberechtigung in § 3, keine Aussage darüber entnommen werden kann, wem der Anspruch auf Wohngeld materiell zusteht. Das Wohngeldgesetz bestimmt auch nicht, dass das Wohngeld unter mehreren grundsätzlich Antragsberechtigten oder den bei der Bemessung seiner
Höhe berücksichtigten Personen aufzuteilen oder anteilig Einkommen von selbst nicht antragsberechtigten Personen ist. Auch
anderweitig ist dies nicht geregelt. Aus § 77 BSHG geht zwar hervor, dass eine Einkommensanrechnung der vorrangigen, zweckbestimmten und zweckidentischen Sozialleistung (nur)
in dem Umfang stattfindet, in dem Zweckidentität mit der Sozialhilfeleistung besteht. Dies setzt aber voraus, dass der Einkommensbezieher
selbst Sozialhilfe begehrt und rechtfertigt nicht den Schluss, dass das Gesetz von einem nur teilweisen Zufluss des Wohngeldes
bei seinem Bezieher ausgeht. § 77 BSHG enthält keine Regelung der Einkommenszuordnung im Sinne eines "normativen Zuflusses" von Einkommen (vgl. BVerwGE 108, 296 >300< betreffend den Zuflusszeitpunkt) auf Seiten dessen, dem die vorrangige Sozialleistung zufließt. Folglich verbleibt
es dabei, dass das Wohngeld allein Einkommen desjenigen ist, an den es ausgezahlt wird. Dies war hier die Mutter der Klägerin
zu 2. Das Wohngeld kommt somit nicht (auch) als Einkommen der Klägerin zu 2 in Betracht.
An dieser sozialhilferechtlichen Zuordnung des Wohngeldes ändert auch nichts, dass die Mutter der Klägerin zu 2 deswegen ein
höheres Wohngeld bezogen hat, weil sie mit der Klägerin zu 2 zusammenlebt und darum wohngeldrechtlich von einem Zweipersonenhaushalt
auszugehen ist. Der darauf entfallende Erhöhungsbetrag ist eine unselbstständige Rechengröße des Wohngeldanspruchs und begründet
keinen anteiligen (materiellen) Wohngeldanspruch der nach § 3 Abs. 5 Satz 3 WoGG nicht selbst antragsberechtigten Familienmitglieder oder einen anteiligen "normativen Zufluss". Keiner Entscheidung bedarf
im vorliegenden Fall, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen aus der Zweckbindung des Wohngeldes folgt, dass der von der Mutter
der Klägerin nicht zur Deckung ihres eigenen Unterkunftsbedarfs benötigte Wohngeldanteil zur Deckung des Unterkunftsbedarfs
der Klägerin einzusetzen ist. Denn die Klägerin begehrt Leistungen nur in Höhe des diesen Betrag übersteigenden Bedarfs.
3. Die Klägerin zu 2 will einen Betrag von 93,55 DM, den Unterschiedsbetrag zwischen der Hälfte der Kaltmiete (650 DM : 2
= 325 DM) und dem Wohngeld (418,55 DM), als ihr eigenes Einkommen gelten lassen und hat ihr Klagebegehren entsprechend gefasst.
Die Beklagte hat die Differenz zwischen der halben Miete (325 DM) und dem halben Wohngeld (418,55 DM : 2 = 209, 27 DM), also
einen Teilbetrag in Höhe von (325 DM - 209,27 DM =) 115,73 DM, berücksichtigt. Sie muss als Hilfe zum Lebensunterhalt für
die Klägerin zu 2 folglich für jeden der im Streit befindlichen beiden Monate noch weitere 59,17 EUR (entspricht 115,72 DM)
zahlen, nämlich die Differenz zwischen der halben Miete (325 DM) abzüglich des bereits von der Beklagten berücksichtigten
Betrages (115,73 DM) und des von der Klägerin akzeptierten Anrechnungsbetrages (93,55 DM).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs.
1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus §
188 Satz 2
VwGO.