BVerwG, Urteil vom 28.11.1985 - 5 C 70.82
Wichtiger Grund (Abs. 3) für einen Fachrichtungswechsel durch Aufnahme eines Medizin-Studiums, zu dem der Auszubildende wegen hochschulrechtlicher Zulassungsbeschränkungen zunächst nicht zugelassen war,
(a-b) bei Abbruch einer zunächst betriebenen Krankenpflegeausbildung
(b) auch dann, wenn diese Ausbildung bereits längere Zeit gedauert hat.
Fundstellen: BVerwGE 72, 257 , DRsp V(545)95a-b, FamRZ 1986, 507 , NVwZ 1986, 561
Normenkette:
BAföG § 7 Abs.1, Abs.3
»... Die Krankenpflegeausbildung, die der Kl. abgebrochen hat, ist nach ihren abstrakten Merkmalen eine förderungsfähige Ausbildung (§ 7 Abs. 1 BAföG i. V. m. § 2 Abs. 3 Nr. 1 BAföG und § 1 Abs. 1 Nr. 1 und § 2 der HeilhilfsberufeVO v. 2: 11. 1970 [BGBl I 1504] i. d. F. der ÄndVO v. 25. 6. 1974 [BGBl I 1346]). Sie ist daher nach § 7 BAföG zu berücksichtigen, auch wenn sie nicht nach dem BAföG gefördert worden ist (BVerwGE 55, 194 [ 196]). Das vom Kl. aufgenommene Medizinstudium ist somit eine andere Ausbildung, die nur unter der Voraussetzung des § 7 Abs. 3 BAföG gefördert werden kann. Diese Voraussetzung ist gegeben. Für den Fachrichtungswechsel ist ein wichtiger Grund anzuerkennen.
Ein wichtiger Grund für einen Fachrichtungswechsel ist nach der Rechtspr. des BVerwG dann gegeben, wenn unter Berücksichtigung aller im Rahmen der Ausbildungsförderung erheblichen Umstände, die sowohl durch die am Ziel der Ausbildungsförderung orientierten öffentl. Interessen als auch durch die Interessen des Auszubildenden bestimmt werden, dem Auszubildenden die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung nicht mehr zumutbar ist (BVerwGE 50, 161 [164] ..).
Wie der Senat in BVerwGE 67, 235 [hier: V (545) 77 b] entschieden hat, kann ein wichtiger Grund auch für einen Fachrichtungswechsel in Betracht kommen, den der Auszubildende vornimmt, um ein von Anfang an erstrebtes Studium durchzuführen, zu dem er wegen hochschulrechtlicher Zulassungsbeschränkungen zunächst nicht zugelassen worden war. Ein solcher Sachverhalt ist hier gegeben. Nach den Feststellungen des OVG hatte der Kl. von Anfang an den Wunsch, Medizin zu studieren. Er hat die Krankenpflegeausbildung nur deshalb aufgenommen, weil seine Bemühungen, zum Medizinstudium zugelassen zu werden, ohne Erfolg geblieben waren. ... Die genannte Entscheidung des Senats bezieht sich allerdings auf einen Fall, bei dem es sich bei der Ausbildung, die der Auszubildende mit dem Willen aufgenommen hatte, sie nach der Zulassung zum Wunschstudium abzubrechen, um eine Hochschulausbildung gehandelt hat. ... Gleichwohl haben die entwickelten Grundsätze allgemeine Bedeutung für die Anwendung des § 7 Abs. 3 BAföG. ...
[Die insoweit für Fälle des Parkstudiums geltenden] Grundsätze bedürfen im vorl. Fall einer Modifizierung, soweit es um die Abwägung der öffentl. Interessen geht, die gegen die Anerkennung eines wichtigen Grundes sprechen. Dies ist dadurch veranlaßt, daß es sich bei der Ausbildung, die der Kl. nach Zulassung zum Wunschstudium abbrechen wollte und auch abgebrochen hat, nicht um ein Hochschulstudium gehandelt hat, sondern um eine Krankenpflegeausbildung, die förderungsrechtlich als Ausbildung an einer Berufsfachschule zu werten ist (§ 2 HeilhilfsberufeVO). Das hat Einfluß darauf, welches Gewicht einer Beeinträchtigung öffentl. Interessen zukommt. ... Es sprechen mehrere Überlegungen dafür, dem nicht ein so starkes Gewicht beizulegen wie bei einem Parkstudium. So ist einmal in Rechnung zu stellen, daß sich die Krankenpflegeausbildung auf seiten des Auszubildenden nicht allein darauf beschränkt, die ihm gewährte Ausbildung in Form von Lehrveranstaltungen und Übungen entgegenzunehmen und für seine berufliche Qualifizierung auszunutzen. Auch wenn die Krankenpflegeausbildung durch den Besuch der Krankenpflegeschule geprägt wird .., besteht sie zu einem erheblichen Teil aus einer praktischen Ausbildung .. . Der Auszubildende erbringt dabei in nicht unerheblichem Umfang Dienstleistungen im pflegebereich, die anderen zugute kommen .. . Der Auszubildende erhält deshalb auch eine Ausbildungsvergütung .., so daß grundsätzlich die Leistung von Ausbildungsförderung wegen eigenen Einkommens nicht in Betracht kommt. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zum Hochschulstudium. Er spricht vor allem dafür, der Zeitdauer, während deren der Auszubildende die Krankenpflegeausbildung bis zu ihrem Abbruch durchgeführt hat, im Rahmen der Interessenabwägung weniger Gewicht beizulegen als bei einem Hochschulstudium. Daß dies gerechtfertigt ist, wird durch das BAföG selbst nahegelegt. ...
Der Gesetzgeber hat mit dem 6. BAFöGÄndG vom 16. 7. 1979 die berufsbildende Ausbildung an Berufsfachschulen oder Fachschulen hinsichtlich ihrer Wirkungen auf den Förderungsanspruch in die Nähe der betrieblichen oder dualen Ausbildungen [gerückt]. Diese Ausbildungen werden von § 7 BAföG nicht erfaßt, so daß sich Zeiten, die der Auszubildende darin zugebracht hat, und der Abbruch einer solchen Ausbildung nicht nachteilig auf den Förderungsanspruch nach dem BAföG auswirken können. Dies ist auch bei Anwendung des § 7 Abs. 3 BAföG in Rechnung zu stellen.
Ein weiterer Gesichtspunkt, der sich zugunsten des Kl. auswirkt, ist darin zu sehen, daß der Kl. während seiner Krankenpflegeausbildung Erfahrungen und Kenntnisse gewinnen konnte, die für das nach dem Abbruch aufgenommene Medizinstudium wertvoll sind. Dies zeigt sich u. a. darin, daß eine Ausbildung in der Krankenpflege auf den im Rahmen der ärztlichen Ausbildung geforderten Krankenpflegedienst anzurechnen ist .. . Insofern unterscheidet sich die Krankenpflegeausbildung von anderen Ausbildungen an Berufsfachschulen und Fachschulen.
Diese Überlegungen sprechen dafür, den öffentl. Interessen, die der Anerkennung des wichtigen Grundes entgegenstehen, kein allzu starkes Gewicht beizumessen. Insbesondere läßt sich aus der Tatsache, daß die Krankenpflegeausbildung schon längere Zeit, nämlich zwei Jahre und vier Monate, betrieben worden ist, im Hinblick auf die dargestellten Besonderheiten dieser Ausbildung kein entscheidender Gesichtspunkt gegen die Anerkennung eines wichtigen Grundes herleiten. Sind somit besondere Umstände dafür gegeben, die bereits dafür sprechen, einen wichtigen Grund für den Fachrichtungswechsel anzuerkennen, so ist zusätzlich zugunsten des Kl. zu beachten, daß er für die bisherige Ausbildung keine Förderungsleistungen in Anspruch genommen hat. ...«