Verzugslohnansprüche eines verstorbenen Arbeitnehmers bei Bezug von Sozialleistungen; Anspruchsübergang auf Träger der Sozialleistungen
bei Leistungen an Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft; gerichtliche Geltendmachung von Nachlassforderungen aus dem Arbeitsverhältnis
für die Erbengemeinschaft durch Arbeitnehmerwitwe
Tatbestand
In der Berufungsinstanz streiten die Parteien noch darüber, in welcher Höhe der Erbengemeinschaft des zwischenzeitlich verstorbenen
Arbeitnehmers der Beklagten V Zahlungsansprüche aus Annahmeverzug für den Zeitraum November 2004 bis Juni 2008 zustehen.
Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und
wegen der Gründe, die die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, für den Anspruchszeitraum einerseits einen
Annahmeverzugsanspruch in Höhe von 57.808,47 - brutto auszuurteilen, andererseits hiervon aber unter dem Gesichtspunkt des
§ 115 SGB X einen Abzug in Höhe von 52.810,43 - netto vorzunehmen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils
vom 24.09.2008 Bezug genommen.
Das am 24.09.2008 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts wurde der klagenden Partei erst am 18.03.2009 zugestellt, nachdem
die 5-Monats-Frist des § 66 Abs. 1 S. 2 ArbGG am 24.02.2009 abgelaufen war.
Der ursprüngliche Kläger und ehemalige Arbeitnehmer der Beklagten V ist am 26.02.2009 verstorben. Erben des verstorbenen Arbeitnehmers
und damit dessen Rechtsnachfolger sind ausweislich des Erbscheins des Amtsgerichts Köln vom 30.10.2009 (Bl. 343 d. A.) seine
Witwe, Frau D , die beiden volljährigen Kinder J und D sowie die minderjährige Tochter K jeweils zu gleichen Teilen.
Die Witwe des verstorbenen Arbeitnehmers und jetzige Klägerin und Berufungsklägerin Frau D hat gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Köln vom 24.09.2008 am 23.03.2009 Berufung einlegen und diese am 23.04.2009 begründen lassen.
Die Berufungsklägerin beanstandet an dem arbeitsgerichtlichen Urteil zum Einen, dass das Arbeitsgericht die Höhe des Gesamtannahmeverzugsanspruchs
für den Zeitraum November 2004 bis Juni 2008 um 739,78 - brutto zu niedrig angesetzt habe. Es sei zwar zutreffend, dass der
Verstorbene in der Zeit vom 14.03. bis 29.04.2005 vorübergehend einer anderweitigen Beschäftigung nachgegangen sei, und zwar
bei einer Firma (p mbH. Der Verstorbene habe dabei aber nur einen Verdienst in einer Gesamthöhe von 1.463,82 - brutto erzielt,
wie die Berufungsklägerin nunmehr durch Vorlage der entsprechenden Lohnabrechnungen (Bl. 292 f. d. A.) dokumentiert. Demgegenüber
habe das Arbeitsgericht für diesen Zeitraum zu Unrecht 2.203,60 - in Abzug gebracht.
Zum Anderen moniert die Berufungsklägerin, dass das Arbeitsgericht die gemäß § 115 SGB X auf die Träger der Sozialleistungen nach dem SGB II übergegangenen Teilbeträge viel zu hoch beziffert habe. Abgezogen werden
dürften nur diejenigen Sozialleistungen, auf die der verstorbene Arbeitnehmer selbst Anspruch gehabt habe. Es sei zwar richtig,
dass er zusammen mit seiner Familie in einer sog. Bedarfsgemeinschaft im Sinne der §§ 7 Abs. 3, 9 SGB II gelebt und den Sozialleistungsträgern
gegenüber als deren Vertreter aufgetreten sei. Diejenigen Sozialleistungen, die zwar zu seinen Händen gezahlt worden seien,
deren Anspruchsinhaber aber die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gewesen seien, könnten entgegen der Auffassung
des Arbeitsgerichts nicht Gegenstand des Anspruchsübergangs nach § 115 SGB X gewesen sein. Wie bereits erstinstanzlich dargelegt und auch im Urteil des Arbeitsgerichts aufgeführt summierten sich jedoch
die von dem verstorbenen Arbeitnehmer selbst zu beanspruchenden Sozialleistungen lediglich auf 22.304,06 - brutto.
Nach entsprechenden Hinweisen des Berufungsgerichts beantragt die Berufungsklägerin nunmehr
unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 24.09.2008, Aktenzeichen 3 Ca 9557/05, die Beklagte zu verurteilen, über den bereits ausgeurteilten Betrag von 57.808,47 - brutto hinaus weitere 739,78 - brutto
an die Erbengemeinschaft des verstorbenen Arbeitnehmers V zu zahlen, bestehend aus der Berufungsklägerin D sowie Herrn D ,
Frau J und Frau K , und zwar insgesamt abzüglich auf den Träger der Sozialleistung übergegangener 22.304,06 - netto nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den Differenzbetrag seit dem 25.09.2005.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte bezweifelt zunächst die Aktivlegitimation der Berufungsklägerin. Sodann tritt sie der Rechtsauffassung
des Arbeitsgerichts bei, wonach die gesamten an die Bedarfsgemeinschaft, deren Mitglied der verstorbene Arbeitnehmer gewesen
sei, gezahlten Sozialleistungen von einer etwaigen Annahmeverzugsvergütung in Abzug zu bringen seien. Auf eine interne Aufteilung
innerhalb der Bedarfsgemeinschaft komme es im Außenverhältnis zur Beklagten nicht an. Die Sozialleistungsbescheide für die
gesamte Bedarfsgemeinschaft seien an den verstorbenen Arbeitnehmer adressiert gewesen, dem die in den Bescheiden ausgewiesenen
Beträge auch persönlich zugeflossen seien. Seinen Lohn habe der verstorbene Arbeitnehmer schließlich entsprechend der ihn
treffenden Unterhaltspflichten auch für seine Bedarfsgemeinschaft verwenden müssen.
Im Übrigen meint die Beklagte und Berufungsbeklagte, ab dem 30.04.2005 hätten die Voraussetzungen für einen Annahmeverzugsanspruch
nicht mehr vorgelegen, und überdies seien Teile dieses Anspruchs nach der zweistufigen Verfallfrist des für allgemeinverbindlich
erklärten Manteltarifvertrages der gewerblichen Beschäftigten im Gebäude- reinigerhandwerk verfallen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.
Die Berufungsklägerin ist als Teil der Erbengemeinschaft des verstorbenen erstinstanzlichen Klägers V auch dessen Rechtsnachfolgerin
und durch das erstinstanzliche Urteil beschwert, soweit dieses dem Klagebegehren nicht in vollem Umfang entsprochen hat.
II. Die Berufung ist auch mit einer geringfügigen Einschränkung bei der Zinsforderung in vollem Umfang begründet.
1. Die Berufungsklägerin ist aktivlegitimiert.
a. Ihre Stellung als Teil der Erbengemeinschaft des verstorbenen Arbeitnehmers V ist in dem Erbschein des Amtsgerichts Köln
vom 30.10.2009 dokumentiert. Gemäß §§
1922 Abs.
1,
2032 Abs.
1,
2039 S. 1
BGB kann der einzelne Miterbe zum Nachlass gehörende Forderungen für die Erbengemeinschaft gerichtlich geltend machen (vgl. als
Beispielsfall BAG NZA 1990, 238 f.). Darüber hinaus liegen auch entsprechende Vollmachten der übrigen Mitglieder der Erbengemeinschaft vor.
b. Der Zahlungsanspruch des verstorbenen Arbeitnehmers V für die Zeit von November 2004 bis Juni 2008 gegen die Beklagte als
dessen ehemalige Arbeitgeberin ist Bestandteil des Nachlasses des Verstorbenen.
2. Aufgrund des erstinstanzlichen Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 24.09.2008 steht bereits rechtskräftig fest, dass die
Beklagte dem verstorbenen V und nunmehr dessen Erben einen Annahmeverzugsanspruch in Höhe von mindestens 57.808,47 - brutto
schuldet.
a. Die Beklagte hat gegen das arbeitsgerichtliche Urteil weder Berufung noch Anschlussberufung eingelegt.
b. Insoweit sind die Ausführungen der Beklagten in der Berufungserwiderung, die sich darauf beziehen, dass ein Annahmeverzugsanspruch
in der Zeit nach dem 30.04.2005 nicht mehr bestanden habe und dass Ansprüche aus der Zeit von September 2005 bis März 2006
aufgrund der tariflichen Ausschlussfrist verfallen seien, von vornherein rechtlich irrelevant.
c. Dasselbe gilt für die nunmehr in der Berufungsinstanz aufgestellte Behauptung der Beklagten, der verstorbene Arbeitnehmer
sei im Zeitraum Februar bis Juni 2006 einem sog. Mini-Job nachgegangen. Was dieses Thema angeht, kommt noch hinzu, dass der
Beklagten eine solche Information nach eigenem Bekunden angeblich schon seit dem 05.10.2006 (!) vorlag, entsprechender Sachvortrag
somit als verspätet zurückzuweisen sein dürfte, und dass der Arbeitnehmer einen etwaigen Mini-Job im Zweifel auch zusätzlich
zu seiner Vollzeitbeschäftigung bei der Beklagten hätte ausüben können.
3. Entgegen dem arbeitsgerichtlichen Urteil vom 24.09.2008 betrug der von dem Arbeitnehmer V auf seine Familie als Erbengemeinschaft
vererbte Annahmeverzugsanspruch für die Zeit von November 2004 bis Juni 2008 indessen nicht nur 57.808,47 -, sondern, wie
von der Berufungsklägerin zu Recht gerügt, sogar 58.548,25 - brutto.
Unstreitig hat der verstorbene Arbeitnehmer während des Annahmeverzugszeitraums, nämlich vom 14.03. bis 29.04.2005 anderweitigen
Zwischenverdienst erzielt, dessen Höhe er sich gemäß § 11 S. 1 Nr. 1 KSchG auf seinen Annahmeverzugsanspruch anrechnen lassen muss. Die Höhe dieses Zwischenverdienstes beträgt jedoch nicht, wie vom
Arbeitsgericht angenommen, 2.203,60 -, sondern lediglich 1.463,82 - brutto. Dies hat die Berufungsklägerin durch Vorlage der
entsprechenden Lohnabrechnungen belegt.
4. Das arbeitsgerichtliche Urteil war schließlich auch insoweit teilweise abzuändern, als es den auf die Träger der Sozialleistungen
nach dem SGB II übergegangenen Teilbetrag der Annahmeverzugsansprüche des verstorbenen Arbeitnehmers um ein Vielfaches zu
hoch angesetzt hat.
a. § 115 Abs. 1 SGB X bestimmt, dass ein Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Arbeitsentgelt bis zur Höhe erbrachter Sozialleistungen
auf den Leistungsträger übergeht, "soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen
erbracht hat". § 11 S. 1 Nr. 3 KSchG hat neben § 115 Abs. 1 SGB X keine selbstständige Bedeutung (Erfurter Kommentar/Kiel, § 11 KSchG Rdnr. 12).
b. Bei den Sozialleistungen im Sinne von § 115 Abs. 1 SGB X, die ein Leistungsträger erbringt, weil und soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht
erfüllt hat, kann es sich nach dem Regelungszusammenhang zweifelsfrei nur um solche handeln, die an den betroffenen Arbeitnehmer
und für diesen geleistet worden sind, weil dieser einen sozialrechtlichen Anspruch auf solche Leistungen hat.
c. Dagegen kann es nicht um Leistungen gehen, die ein Sozialleistungsträger an arbeitsvertragsfremde Dritte erbracht hat, auch wenn diese ihrerseits unter Umständen mit dem Arbeitnehmer durch gegenseitige Unterhaltsrechte und pflichten
verbunden sein könnten. Das soziale Recht zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ist nicht so konzipiert, dass
potentiell unterhaltspflichtige Personen Sozialleistungen erhalten, damit sie damit ihre Unterhaltspflichten gegenüber Dritten
erfüllen können. Jeder Hilfsbedürftige ist vielmehr in eigener Person selbst Anspruchsinhaber der Sozialleistungen.
d. Daran hat auch die Einführung des Begriffs der sog. Bedarfsgemeinschaft im Sinne von §§ 7 Abs. 3, 9 Abs. 2, 38 SGB II nichts
geändert.
aa. Die Bedarfsgemeinschaft als solche ist kein rechtsfähiges Gebilde und kann nicht Anspruchsinhaberin von Sozialleistungen
sein. Sozialleistungen dürfen nicht an eine Bedarfsgemeinschaft bewilligt werden, sondern nur an deren einzelne Mitglieder.
Dies ist auch in den jeweiligen Leistungsbescheiden im Einzelnen exakt auszuweisen.
bb. Das einzelne Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft kann ohne entsprechende Bevollmächtigung auch nicht die Ansprüche der
anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft klageweise verfolgen. § 38 SGB II geht lediglich von der Vermutung aus, dass jemand,
der für eine aus mehreren Personen bestehende Bedarfsgemeinschaft Leistungen beantragt, die Vertretung der Bedarfsgemeinschaft
kraft Bevollmächtigung übernommen hat. Diese Vermutung gilt jedoch schon dann nicht mehr, wenn andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft
erklären, dass sie ihre Interessen selbst wahrnehmen wollen.
cc. Dies wird in den im vorliegenden Verfahren von Klägerseite vorgelegten Leistungsbescheiden für die mit dem verstorbenen
V in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen auch ausdrücklich hervorgehoben. Ferner wird der Gesamtbetrag der an die
Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft insgesamt gezahlten Sozialleistungen genau nach den auf die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft
entfallenden Teilansprüchen aufgeschlüsselt.
dd. Der verstorbene Arbeitnehmer V fungierte somit nur als Vertreter der Bedarfsgemeinschaft und für die übrigen Mitglieder
der Bedarfsgemeinschaft als "Zahlstelle", war aber Inhaber des Anspruchs nur in Höhe der auf ihn selbst entfallenden Anteile
der monatlichen Leistungen. Die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft hätten jederzeit verlangen können, dass der auf
sie entfallende Teilanspruch an sie selbst ausgezahlt wird (vgl. zur Anspruchsinhaberschaft der Einzelpersonen innerhalb einer
Bedarfsgemeinschaft grundlegend und instruktiv: BSG vom 07.11.2006, NZS 2007, 328 ff.).
e. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sind somit Entgeltansprüche des verstorbenen Arbeitnehmers Vase Dimovski nur
in Höhe derjenigen Sozialleistungsbeträge nach dem SGB II, die während des Anspruchszeitraums auf entsprechende Ansprüche
des V selbst gezahlt worden sind, nach § 115 Abs. 1 SGB X auf die Sozialleistungsträger übergegangen. Dabei handelt es sich um den vom Arbeitsgericht rechnerisch korrekt mit 22.304,06
- netto ermittelten Gesamtbetrag. Hierin eingeschlossen ist auch ein unstreitiger Erstattungsbetrag in Höhe von 2.865,60 -,
der aus in der Zeit vom 01.11.2004 bis 28.02.2005 bezogenem Arbeitslosengeld I resultiert. Weitergehende Abzüge waren - gleich
unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt - für den Gesamtanspruchszeitraum November 2004 bis Juni 2008 nicht vorzunehmen.
5. Keinen Erfolg haben konnte die Berufung lediglich im Hinblick auf die gegenüber dem arbeitsgerichtlichen Urteilstenor ohne
stichhaltige Begründung vorgenommene Veränderung des Zinsdatums.
II. Die Kosten des Rechtsstreits waren gemäß §
92 Abs.
2 Nr.
1 ZPO der Beklagten aufzuerlegen.
Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist nicht ersichtlich.