Eilverfahren für SGB-II-Leistungen
Leistungsausschluss für EU-Bürger
Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft
Gründe
I.
Streitig sind im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II
- Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Antragsteller (ASt) ist kroatischer Staatsangehöriger und nach eigenen Angaben im März 2014 zur Arbeitssuche in die Bundesrepublik
Deutschland eingereist. Am 01.06.2015 beantragte er beim Antragsgegner (Ag) Alg II. Es sei ab 22.04.2014 als selbständiger
Fliesenleger tätig gewesen, könne aber die Tätigkeit wegen einer unfallbedingten Knieverletzung aktuell nicht ausüben. Hierzu
legte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, wonach er seit 26.05.2015 arbeitsunfähig sei. Das Gewerbe wurde zum 30.06.2015
abgemeldet. Im Weiteren erlitt der ASt eine Schulterverletzung und einen Herzinfarkt, zudem leidet er unter einer seelischen
Störung und Wirbelsäulenproblemen. Das Zentrum Bayern Familie und Soziales stellte unter dem 12.03.2018 einen GdB von 40 ab
dem 09.10.2017 fest.
Der Ag bewilligte Alg II ab Juni 2015 bis zuletzt November 2017 (Bescheid vom 26.10.2016 idF des Änderungsbescheides vom 26.11.2016).
Einen Weiterbewilligungsantrag vom 17.10.2017 lehnte der Ag mit Bescheid vom 15.11.2017 ab. Die Selbständigkeit sei zum 30.06.2015
aufgegeben worden und der für einen Leistungsanspruch notwendige Arbeitnehmerstatus wirke nur für zwei Jahre nach Beginn der
unverschuldeten Arbeitslosigkeit nach. Dagegen legte der ASt Widerspruch ein. Nach einem Vermerk des Ag dazu vom 08.12.2017
habe der ASt die selbständige Tätigkeit nach mehr als einem Jahr unfreiwillig aufgegeben. Laut Arbeitsvermittlung liege Erwerbsfähigkeit
vor. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2018 zurückgewiesen. Über die dagegen beim Sozialgericht Nürnberg
(SG) erhobene Klage (S 13 AS 71/18) ist bislang nicht entschieden. Mit Bescheid vom 17.04.2018 bewilligte der Ag nach § 41a Abs 1 SGB II vorläufig Alg II für die Zeit vom 12.01.2018 bis 30.06.2018. Unter Umsetzung des (streitgegenständlichen) Beschlusses des
SG vom 28.02.2018 werde Alg II vorläufig, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gewährt. Auf einen vom ASt im
Juni 2018 gestellten Weiterbewilligungsantrag bewilligte der Ag vorläufig Leistungen für die Monate Juli 2018 bis Dezember
2018 iHv 609 EUR monatlich. Gründe für den Vorläufigkeitsvorbehalt sind nicht angegeben.
Bereits am 12.01.2018 hat der ASt beim SG einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Nach Abmeldung seines Gewerbes sei er kontinuierlich arbeitsunfähig
gewesen. Es bestehe keine zeitliche Einschränkung des privilegierten Freizügigkeitsrechts beim unfreiwilligen Verlust einer
Beschäftigung oder Aufgabe einer selbständigen Tätigkeit. Dies sehe auch weder die Weisung der Bundesagentur für Arbeit zu
§ 7 SGB II noch eine aktuelle Entscheidung des EuGH vom 20.12.2017 vor. Es liege eine nur vorübergehende Erwerbsminderung vor, da es
keine negative Prognose gebe. Zumindest die Wiederherstellung einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit sei anzunehmen. Mit Beschluss
vom 20.02.2018 hat das SG die Stadt A-Stadt beigeladen. In der mündlichen Verhandlung am 28.02.2018, an der auch zwei ehrenamtliche Richter teilgenommen
haben, hat das SG - mangels entsprechendem Vermerk in der Niederschrift offenbar ohne Beratung und ausweislich der schriftlichen Fassung des
Beschlusses ohne ehrenamtliche Richter - den Ag verpflichtet, vorläufig ab 12.01.2018 längstens bis zu einer Entscheidung
in der Hauptsache Alg II zu gewähren. Ein Leistungsausschluss liege beim ASt nicht vor. Mangels ausdrücklicher Regelung im
Gesetz sei das Fortbestehen des Arbeitnehmerstatus bzw Selbständigenstatus nicht auf zwei Jahre begrenzt. Eine restriktive
Auslegung unter Berücksichtigung veralteten EWG-Rechts scheide aus. Das BSG habe die Frage bislang offengelassen.
Dagegen hat der Ag am 12.04.2018 Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt und unter dem 12.06.2018
zur Begründung ausgeführt, man schließe sich der Auffassung des 16. Senats des LSG (Beschluss vom 20.06.2016 - L 16 AS 284/16 B ER) an, wonach die Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft zeitlichen Grenzen unterliege. Andernfalls wäre der Erwerb eines
Daueraufenthaltsrechts bereits nach einem Jahr beruflicher Tätigkeit möglich. Der ASt ist dem entgegengetreten und hat die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren beantragt. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die vom Ag vorgelegten Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter
Instanz - auch die des Verfahrens S 13 AS 71/18 - Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Ag ist zulässig (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG), aber lediglich teilweise begründet. Nur soweit das SG die vorläufige Zahlungsverpflichtung des Ag nicht auf die Zeit bis einschließlich Juni 2018 beschränkt hat, ist die Beschwerde
erfolgreich.
Das SG hat in verfahrensfehlerhafter Besetzung entschieden. Ausweislich der Niederschrift und des ausgefertigten Beschlusses vom
28.02.2018 hat es alleine durch die Vorsitzende der 13. Kammer über den Antrag des ASt auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
entschieden. Der Beschluss erging jedoch nicht außerhalb, sondern gerade innerhalb der mündlichen Verhandlung, so dass nach
§
12 Abs
1 Satz 2
SGG die ehrenamtlichen Richter hätten mitwirken müssen. Dies ist nicht erkennbar, da dem Protokoll nicht zu entnehmen ist, dass
eine Beratung stattgefunden hat und zudem auch in der Ausfertigung des Beschlusses vom 28.02.2018 festgehalten ist, dass dieser
durch die Vorsitzende alleine "mit mündlicher Verhandlung" ergangen ist. Damit liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor
(vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl, § 12b Rn 12). Da die Entscheidung in der Sache aber - mit Ausnahme der nachträglich vorzunehmenden zeitlichen Beschränkung - zutreffend
ist, wirkt sich dieser Fehler im Beschwerdeverfahren nicht mehr aus.
Streitgegenstand sind im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vorläufige Leistungen ab 12.01.2018. Der ASt begehrt
die Weiterzahlung von Alg II. Allerdings ist der zeitliche Umfang des Streits auf die Zeit bis einschließlich Juni 2018 begrenzt.
Maßgeblich für ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist der Gegenstand eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens,
das dem Eilverfahren zugrunde liegen könnte (vgl Beschlüsse des Senats vom 18.06.2018 - L 11 AS 440/18 B ER -, vom 08.02.2013 - L 11 AS 21/13 B ER - juris - und vom 25.05.2011 - L 11 AS 328/11 B ER). Nachdem der Ag zwischenzeitlich mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2018 über den Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid
vom 15.11.2017 entschieden und der ASt dagegen eine Klage beim SG (S 13 AS 71/18) erhoben hat, stellt dieses Verfahren das maßgebliche Hauptsacheverfahren dar. Der dortige Streitgegenstand ist auf Leistungen
für Dezember 2017 bis Juni 2018 beschränkt. Der ASt hat im Juni 2018 - im Hinblick auf ihm vorläufig bewilligte Leistungen
bis lediglich einschließlich Juni 2018 im Bescheid vom 17.04.2018 - für die Zeit ab Juli 2018 einen Weiterbewilligungsantrag
gestellt, über den der Ag mit Bescheid vom 05.06.2018 entschieden und vorläufiges Alg II für die Zeit von Juli bis Dezember
2018 bewilligt hat. Jedenfalls mit der Entscheidung über den Folgeantrag ab Juli 2018, in der der Ag auch über die Möglichkeit
eines Widerspruchs gegen den Bescheid hingewiesen hat, ist der von dieser Entscheidung betroffene Zeitraum nicht mehr Gegenstand
des Verfahrens gegen einen vorangegangenen Ablehnungsbescheid. Der neue Bescheid wird auch nicht nach §
96 SGG Gegenstand des bereits anhängigen Verfahrens (vgl dazu BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/06 R - und Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 62/08 R - beide zitiert nach juris). Soweit im Tenor des Beschlusses des SG vom 28.02.2018 keine ausdrückliche zeitliche Begrenzung für die vorläufige Verpflichtung des Ag zur Zahlung von Alg II festgehalten
ist - dies war mangels seinerzeitiger Folgeantragstellung und Bescheiderlass auch noch nicht angezeigt -, war dieser abzuändern.
In der Hauptsache kann der ASt sein Begehren zulässigerweise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs
1 und 4
SGG) verfolgen, so dass §
86b Abs
2 Satz 2
SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes darstellt. Hiernach ist eine Regelung zulässig,
wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung
schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache
nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG, Beschluss vom 25.10.1998 - 2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69 (74); Beschluss vom 19.10.1977 - 2 BvR 42/76 - BVerfGE 46, 166 (179); Beschluss vom 22.11.2002 - 2 BvR 745/88 - NJW 2003, 1236).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen
eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die
Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§
86b Abs
2 Satz 2 und
4 SGG i.V.m. §
920 Abs
2, §
294 Zivilprozessordnung -
ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt,
SGG, 12. Aufl, §
86b Rn 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes
sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom BVerfG vorgegebenen
Umfang (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich
unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen und deshalb eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung
in den Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann,
droht, ist eine Versagung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nur dann möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend
geklärt ist (vgl BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 - 1 BvR 1335/13 - juris); eine lediglich summarische Prüfung genügt nicht. Für eine Entscheidung aufgrund einer sorgfältigen und hinreichend
substantiierten Folgenabwägung ist nur dann Raum, wenn eine - nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende - Rechtmäßigkeitsprüfung
auch unter Berücksichtigung der Kürze der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelmäßig zur Verfügung stehenden Zeit nicht
verwirklicht werden kann, was vom zur Entscheidung berufenen Gericht erkennbar darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch: BVerfG,
Beschluss vom 14.09.2016 - 1 BvR 1335/13; Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803; weniger eindeutig: BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014 - 1 BvR 1453/12 - juris).
Ein Anordnungsanspruch kann vorliegend (derzeit) nicht mit Sicherheit verneint werden. Grundsätzlich erfüllt der ASt die Leistungsvoraussetzungen
für einen Anspruch auf Alg II. Er hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, ist erwerbsfähig - zumindest gibt es bislang keine hinreichenden Feststellungen des Ag, dass dies im
Hinblick auf die beim ASt vorliegenden Erkrankungen nicht mehr der Fall ist - sowie hilfebedürftig und hat seinen gewöhnlichen
Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 19 Abs 1 Satz 1, § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II). Fraglich ist allein, ob der ASt nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Danach sind ausgeschlossen, Ausländerinnen und Ausländer, (a) die kein Aufenthaltsrecht haben, (b) deren
Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder (c) die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem
Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Art 10 der Verordnung (EU) Nr 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
05.04.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl L 141 vom 27.05.2011, S 1), die durch die Verordnung
(EU) 2016/589 (ABl L 107 vom 22.04.2016, S 1) geändert worden ist, ableiten.
Dem ASt könnte jedoch ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs 2 Nr 2 und Abs 3 Satz 1 Nr 1 bzw 2 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) zustehen. Danach bleibt das Recht nach Absatz 1 für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei (1.) vorübergehender
Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall, oder (2.) unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter
Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss
hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit.
Aufgrund der unbestrittenen selbständigen Tätigkeit des ASt, der als kroatischer Staatsangehöriger Unionsbürger ist, in der
Zeit zwischen April 2014 und Juni 2015 stand ihm während dieser Zeit ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs 2 Nr 2 FreizügG/EU zu (niedergelassener selbständiger Erwerbstätiger). Dieses Aufenthaltsrecht bestand - zunächst unstreitig - fort, da der
ASt vorübergehend erwerbsgemindert infolge Krankheit oder Unfall ist (§ 2 Abs 3 Satz 1 Nr 1 FreizügG/EU) bzw er die selbständige Tätigkeit nach mehr als einem Jahr infolge von Umständen einstellen musste, auf die er keinen Einfluss
gehabt hatte (§ 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU). Die Dauer der Tätigkeit betrug mehr als ein Jahr, so dass eine Befristung der Fortgeltung dieses Rechts auf sechs Monate
nach § 2 Abs 3 Satz 2 FreizügG/EU nicht in Betracht kommt. Umstritten ist lediglich, ob sich der ASt für den hier maßgeblichen Zeitraum ab 12.01.2018 (bzw
für den Weiterbewilligungsabschnitt ab Dezember 2017) noch immer auf dieses Aufenthaltsrecht berufen kann. Das BSG hat hierzu im Urteil vom 13.07.2017 (B 4 AS 17/16 R - juris) unter Verweis auf den Beschluss des BayLSG vom 20.06.2016 (L 16 AS 284/16 B ER - juris) und Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU Rn 107 ff einerseits sowie Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU Rn 38 andererseits die Frage offen gelassen, ob die Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft einer festen zeitlichen Grenze
unterliege und diese nach einem Zeitraum von zwei Jahren zu ziehen sei, wie dies teilweise unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte
des Art 7 Abs 3 der Richtlinie 2004/38/EG vertreten werde. Der Senat sieht dies als schwierige und umstrittene Rechtsfrage der Hauptsache an, die im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes keiner grundsätzlichen Klärung zugeführt werden kann (vgl dazu auch BVerfG, Beschluss vom 14.02.2017
- 1 BvR 2507/16 - juris). Soweit der Ag argumentiert, dass bei einer fehlenden zeitlichen Einschränkung der Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts
bereits nach einem Jahr beruflicher Tätigkeit möglich wäre, ist anzumerken, dass § 2 Abs 3 FreizügG/EU nicht nur eine solche zeitliche Voraussetzung beinhaltet, sondern gerade zusätzlich bestimmte Gründe fordert, der der Fortsetzung
der Tätigkeit entgegen stehen, auf die der Unionsbürger gerade keinen Einfluss hat.
Am Vorliegen eines Anordnungsgrundes bestehen keine Zweifel. Es geht um existenzsichernde Leistungen und es ist weder vorgetragen
noch für den Senat ersichtlich, dass der ASt in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt anderweitig, insbesondere durch Einkommen
oder Vermögen, zu decken.
Da die (existenzsichernden) Leistungen für den im Hauptsacheverfahren maßgeblichen Bewilligungsabschnitt (bis Juni 2018) bereits
vom Ag ausgezahlt worden sind und die einstweilige Anordnung im vorliegenden Verfahren nicht über Juni 2018 hinausreichen
kann, vermag der Senat auch keine überwiegenden Interessen des Ag zu erkennen, den Beschluss des SG für die Zeit vor Juli 2018 aufzuheben. Eine Entscheidung über die Beschwerde vor Auszahlung der Leistungen für Juni 2018
Ende Mai 2018 war dem Senat nicht möglich, da die Beschwerdebegründung des Ag - trotz mehrfachen Anforderns - erst am 12.06.2018
bei Gericht eingegangen ist. Eine im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens mögliche (vorläufige) Herabsetzung des
Betrages der einstweilen zugesprochenen Leistungen um bis zu 30 vH (vgl dazu zuletzt Beschluss des Senates vom 19.07.2017
- L 11 AS 439/17 B ER - juris) ist im Hinblick auf die bereits erfolgte Auszahlung nicht (mehr) angezeigt. Ob der ASt die infolge des Beschlusses
des SG bereits ausgezahlten Leistungen abschließend behalten darf, kann mit der Durchführung des Hauptsacheverfahrens geklärt werden.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Ag mit Bescheid vom 17.04.2018 vorläufig nach § 41a Abs 1 SGB II Alg II für den hier streitigen Zeitraum vom 12.01.2018 bis 30.06.2018 bewilligt hat. Es kann aber im Hinblick auf obige Ausführungen
offen bleiben, ob die Auslegung des Hinweises am Ende des Bescheides, die Gewährung der Leistungen erfolge unter Umsetzung
des Beschlusses des SG, dazu führt, dass lediglich ein Ausführungsbescheid anzunehmen wäre, oder eine Rücknahme des Bescheides vor Abschluss des
Hauptsacheverfahrens gar nicht in Betracht kommen und dieser einen Rechtsgrund für das vorläufige Behaltendürfen der Leistungen
darstellen könnte, so dass auch aus diesem Grund die Beschwerde ohne Erfolg wäre (vgl zu dieser Problematik: LSG Mecklenburg-Vorpommern,
Beschluss vom 12.09.2013 - L 8 AS 378/12 B ER - juris).
Auf die Beschwerde des Ag war daher (lediglich) der Tenor des Beschlusses des SG in zeitlicher Hinsicht abzuändern, im Übrigen war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des §
193 SGG.
Wegen der sich aus obigen Ausführungen ergebenden Erfolgsaussichten und dem Vorliegen der notwendigen persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse war dem ASt PKH für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen und ihm sein Bevollmächtigter beizordnen (§
73a SGG i.V.m. §§
114 ff
ZPO).
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).